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DOI: 10.1055/s-0042-119087
Internationale Katastrophenhilfe – Medizinische Versorgung nach Katastrophen – Helfen ja, aber richtig!
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
14. Dezember 2016 (online)
Seit 2013 gibt es neue Standards der WHO für die Internationale Katastrophenmedizin. Die neuen Regeln für sogenannte Emergency Medical Teams (EMT) sind einer von mehreren Versuchen, mehr Koordination und belastbare Evidenz in die Humanitäre Hilfe zu kriegen.
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Das Gegenteil von Gut ist bekanntlich gut gemeint. Im konkreten Fall hier: „Helfen ist eine gute Idee, aber helfen wollen alleine reicht nicht, wir brauchen auch den Verstand“ – so formuliert es Johan von Schreeb, einer der eher raren Experten für mehr Wissenschaft in der Internationalen Disaster Medicine, im nachfolgenden Interview (siehe Seite 550). Und ganz konkret: Wer nicht Profi ist, soll in Zukunft keine Chance mehr haben, in Krisengebiete einzureisen – denn zu schlecht sind die Erfahrungen mit Helfern, die nicht wissen, was zu tun ist.
Bis heute hängt die zum Teil katastrophal miese Koordination der Hilfe nach dem Erdbeben im Januar Haiti 2010 über der ganzen Szene. Eine große, wenngleich schwer zu quantifizierende Zahl an Toten hätte damals zusätzlich gerettet werden können, hätten sich die Helfer besser abgestimmt und – hätten nur die geholfen, die qualifiziert sind. Die Kritik an solchen Zuständen war wiederholt auch Thema in dieser Zeitschrift [1], [2]. Zwar gibt es offiziell vor allem UN-Gremien, die auch vor Ort dafür da sind, die Akteure zu koordinieren. Doch was tun, wenn sich die Helfer dort erst gar nicht melden und tun und lassen, was sie wollen.
Das Problem ist offenkundig nach wie vor aktuell. Im Februar dieses Jahres beklagten die Präsidenten von Deutsches Rotes Kreuz (DRK) und Technisches Hilfswerk (THW), Rudolf Seiters und Albrecht Broemme, vor dem Entwicklungshilfeausschuss des Deutschen Bundestags erneut Missstände. In Nepal sei nach den Beben im April und Mai 2015 wieder eine „unübersehbare Vielzahl von Akteuren“ in Erscheinung getreten, monierte Seiters. Und anders als die großen Hilfsorganisationen, sei da mancher nicht mit den Grundsätzen und den internationalen Strukturen der Nothilfe vertraut. Die ohnehin nur schmale Landebahn des Flughafens in Kathmandu verstopften 2015 „Hilfslieferungen, die keiner bestellt hatte und die auch keiner brauchte“, so Albrecht Broemme.
Nichts gelernt? Nicht ganz. Seit 2010 tüftelten Experten unter dem Dach der WHO an Standards für jene Teams aus Ärzten, Technikern und Pflegern, die in der Not in betroffene Länder einreisen wollen. Unter dem Schlagwort Emergency Medical Teams (EMT) sind sie seit 2013 veröffentlicht („Classification and minimum standards for foreign medical teams in sudden onset disasters“) [3]. Wer die Standards erfüllt, kann sich den Titel EMT durch Mentoren der WHO verleihen lassen. Ein eigenes Sekretariat bei der WHO in Genf baut gerade ein Register der evaluierten EMT aus. Das Kalkül für die Zukunft: Regierungen betroffener Länder werden in Zukunft im Bedarfsfall nach einer Katastrophe auf qualifizierte Teams des EMT-Registers zurückgreifen und allen anderen Trupps im Zweifel gleich die Einreise verwehren.
Von Schreeb ist einer der Protagonisten des Konzepts. Geht es nach ihm, soll die Gesundheitsversorgung im Katastrophenfall den gleichen Evidenzlevel erreichen, wie es in anderen Sektoren des Gesundheitswesens längst der Fall ist. Noch würde das Internationale System für die Humanitäre Hilfe zu sehr vom Aspekt der Freiwilligkeit („voluntary spirit“) dominiert, formulierte ein Team um Schreeb [4]. Es sei höchste Zeit für einen Paradigmenwechsel – Evidenz-basierte Leitlinien, Standards und strikte Sanktionen für den, der sich nicht daran hält.
Klar ist – mehr Qualitätskontrolle ist nicht nur auf Ebene der medizinischen Hilfe nötig. Alles, was sich unter dem Oberbegriff Humanitäre Hilfe versammelt, soll nach dem Willen von Experten, einschließlich großer NGOs (Non-Governmental Organisation) auf den Prüfstand – sei es die Versorgung mit Lebensmitteln bei Hungersnöten, die Unterbringung von Bürgerkriegsflüchtlingen in Zeltstädten oder ein ziemlich spät angelaufener Versuch, eine Ebola-Epidemie in Westafrika zu beenden. Eine Kritik mit gleichem Tenor: Die Praxis der Humanitären Hilfe basiere eher auf Anekdoten, denn auf Evidenz, sagt Adam C Levine von der Brown University in den USA. „Academics are from Mars, humanitarians are from Venus“ so der Titel seines Appells für mehr Wissenschaft in der Internationalen Nothilfe [5]. Er ist nicht der Einzige, der eine Brücke zwischen beiden Polen fordert:
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Evidence Aid ist ein Team, das nach dem Vorbild der Cochrane Collaboration auch für die Internationale Katastrophenhilfe nach Standards einer Evidenzbasierten Medizin sucht (http://www.evidenceaid.org/).
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ELRHA (Enhancing Learning and Research for Humanitarian Assistance) ist eine Initiative in Großbritannien zur internationalen Koordinierung der Forschung zur Evidenz in der Humanitären Hilfe (http://www.elrha.org/).
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Ein 2014 von vielen NGOs aufgestellter und unterschriebener Core Humanitarian Standard soll mehr Transparenz, Koordination und Wissenschaftlichkeit in die Internationale Hilfe und die Abstimmung der zahlreichen Akteure untereinander bringen (https://www.corehumanitarianstandard.org/the-standard).
Mehr Qualitätsstandards in der humanitären Hilfe forderten Experten jüngst auch in einer Anhörung des Deutschen Bundestags im April 2016 [6].
Hilfsorganisationen, die wenige politische Analysefähigkeit und Problembewusstsein für die Komplexität globaler Probleme aufbringen, könnten großen Schaden anrichten, monierte Cornelia Füllkrug-Weitzel, Präsidentin der Diakonie-Katastrophenhilfe – zumal wenn sie der Ansicht seien, „goodwill“ reiche für gute Hilfe. Eine derzeit wachsende Anzahl kleiner unerfahrener Organisationen, die aus spontaner Hilfsbereitschaft aus dem Boden schießen, sieht sie eher als ein Problem. Viele große Hilfsorganisationen prüfen hingegen mittlerweile selber nach, wo ihre Hilfe ankam und wo vielleicht nicht.
Die Caritas etwa lässt nach hauseigenen Kriterien einer „Wirkungsorientierung“ jedes zehnte Projekt, für das mehr als 100 000 Euro investiert werden, im Nachhinein evaluieren [7]. Man arbeite im weltweiten Caritas-Netzwerk mit den Partnern vor Ort, um zunächst gezielt den Hilfsbedarf zu ermitteln, schildert Volker Gerdesmeier, zuständig für die Qualitätssicherung in der Humanitären Hilfe bei der Caritas. Die Nachbeobachtungen seien entscheidend, um die Qualität fortlaufend zu verbessern. So habe etwa nach dem Tsunami am 26. Dezember 2004 in Asien der Neubau von Unterkünften, den die Caritas unterstützte, durchaus langfristigen Erfolg gebracht. Gerdesmeier: „Die Leute wohnen heute weiter in diesen Häusern.“ Nachbefragungen förderten allerdings auch zutage, dass viele Betroffene in der Not noch etwas ganz anderes als ein Dach über dem Kopf und Essen, Wasser und medizinische Versorgung brauchen. Gerdesmeier: „Sie wünschen sich mehr psychosoziale Betreuung, das war für uns zunächst überraschend.“
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Literatur
- 1 Domres B. Katastrophenhilfe – „Da kann ja nicht Tante Emma mit dem Waldi kommen“. Z Orthop Unfall 2010; 148: 128-131
- 2 Epping B. Katastrophenhilfe – Nur qualifizierte Ärzteteams sind gute Teams. Z Orthop Unfall 2014; 152: 3-5
- 3 https://extranet.who.int/emt/content/classification-and-minimum-standards-foreign-medical-teams-sudden-onset-disasters
- 4 Gerdin M, Clarke M, Allen C et al. Optimal evidence in difficult settings: improving health interventions and decision making in disasters. PLoS Med 2014; 11: e1001632
- 5 Levine A. Academics are from Mars, humanitarians are from Venus: Finding common ground to improve research during humanitarian emergencies. Clin Trials 2016; 13: 79-82
- 6 https://www.bundestag.de/bundestag/ausschuesse18/a17/anhoerungen/qualitaetsstandards-inhalt/421036
- 7 http://www.caritas-international.de/ueberuns/transparenz/