Diabetes aktuell 2016; 14(06): 251
DOI: 10.1055/s-0042-119656
Editorial
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Zu dick ist zu dick – oder doch nicht?

Antje Bergmann
,
Peter Schwarz
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Publication Date:
26 October 2016 (online)

Nimmt man eine zufällige Stichprobe von 100 Menschen aus Deutschland, erkranken 37 im Laufe ihres Lebens an Diabetes mellitus. Vorwiegend sind das diejenigen, die auch die bekannten Risikofaktoren in sich tragen. Interessanterweise gibt es aber 7–10 Personen, die – obwohl sie diese Risikofaktoren aufweisen – keinen Diabetes entwickeln, selbst wenn sie 115 Jahre alt werden würden. Viele dieser Menschen sind übergewichtig. Andererseits gibt es einige, die schlank sind und dennoch frühzeitig einen Typ-2-Diabetes entwickeln. Wie kann das sein? Dieses Thema ist in unterschiedlichen Fassetten Schwerpunkt des vorliegenden Heftes.

Wann beispielsweise ist die Mortalitätsrate am niedrigsten? Ein Artikel in dem Heft beschäftigt sich mit dem Thema. Es gibt eine intensive Diskussion über das Für und Wider und vor allem, ob im Kontext der immer „schwerer“ werdenden Gesellschaft die Empfehlungen der Deutschen Adipositas Gesellschaft (DAG) geändert werden sollten. Wie die Situation ist, erfahren Sie im vorliegenden Heft.

Welche Rolle spielt aber nun die Ernährung im Hinblick auf Adipositas und die assoziierten Komorbiditäten wie Diabetes mellitus Typ 2 und Insulinresistenz? Welche Bedürfnisse haben Diabetespatienten hinsichtlich Ihrer Ernährung im Kontext ihrer Erkrankung? Jeder denkt dabei sofort an Broteinheiten oder Kohlenhydrateinheiten. Was aber ist mit Mikronährstoffen und welche weiteren Ernährungsherausforderungen bietet ein Diabetes mellitus?

Mit diesem Thema sind wir auch schon im Darm angekommen. Auf vielen Kongressen hört man im Moment viel über das „Mikrobiom“, quasi die terra incognita des Diabetologen. Tatsächlich ist das Mikrobiom für uns ein unerforschtes Gebiet und wir sind die Abenteurer, die dieses Gebiet ergründen. Die Bakterien im Darm scheinen das Verbindungsglied zwischen äußerer und innerer Umwelt zu sein. Damit kommt ihnen womöglich eine entscheidende, modulierende Funktion hinsichtlich des Diabetesrisikos, aber auch bezüglich der Adipositas und anderen chronischen Erkrankungen zu. Lässt sich dies beeinflussen? Mit hoher Wahrscheinlichkeit.

Konsumieren Sie zum Beispiel regelmäßig kohlensäurehaltige Brausegetränke mit einem hohen Anteil von Zuckerersatzstoffen, verändert sich ihr Mikrobiom – und zwar so, als würden Sie 10 Tage lang Antibiotika einnehmen. Die veränderten Bakterien im Darm können im Tiermodell in relativ kurzer Zeit einen Diabetes mellitus auslösen. Das ist faszinierend und mitunter schauerlich, aber es bietet Möglichkeit, den Betroffenen stichhaltig einen nachhaltigen, gesunden Ernährungsstil nahezulegen. Eine „Cola light“ ist dabei schnell vom Speiseplan verbannt, aber wie viele Nahrungsmittel enthalten Zuckerersatzstoffe undeklariert und werden im Supermarkt als gesunde Produkte verkauft?

Dazu kommt: Fett und Diabetes sind wie Bruder und Schwester. Wie bekommt man aber das Fett bei Diabetes aber wieder los? Das viszerale Fett lässt sich am stärksten über eine nachhaltige Steigerung der Alltagsaktivität reduzieren. Was ist aber mit dem Leberfett? Dieses ist ein Gift für den Stoffwechsel und vermutlich für nahezu alle chronischen, metabolischen und psychischen Erkrankungen. Doch 21 Tage mit weniger als 600 kcal fasten – und das Leberfett ist nahezu weg. Wir wollten es nicht glauben, aber immer mehr Studien zeigen ähnliche Ergebnisse. Im vorliegenden Heft finden Sie einen Artikel zur Fastenkur nach Buchinger, die durch die Erkenntnisse im Hinblick auf Leberfett neben anderen Fastenkuren (Schrotkur) eine Renaissance erleben kann.

Letztendlich beschäftigen wir uns auch mit den Grenzen der Adipositastherapie. Neue Medikamente sind in Deutschland auf dem Markt, die mit hohen Tagestherapiekosten verbunden sind. Aber auch der Chirurg behandelt Adipositas. Was sind Indikationen für welche Therapie? Und wo sind die Grenzen für einzelne Therapien? An vielen Stellen – auch häufig im Hinblick auf die Kosten – wird dieses Thema kontrovers diskutiert. Das vorliegende Heft will auch einen Beitrag dazu leisten.

Ist damit dick gleich dick und dick gleich krank und krank gleich dick? Oder ist es anders? Mit dem vorliegenden Heft wollen wir diese Diskussion in Ihre Praxis bringen und hoffen Sie durch die Beschäftigung mit diesem Thema etwas bereichern zu können.

Ihre Antje Bergmann und Peter Schwarz