Pneumologie 2016; 70(12): 774-775
DOI: 10.1055/s-0042-119695
Pneumo-Fokus
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

CAPNETZ – Einfluss der Pneumokokkenimpfung auf die Serotypenverteilung im Erwachsenenalter

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Publikationsdatum:
08. Dezember 2016 (online)

 

Streptococcus pneumoniae ist nach wie vor der häufigste und wichtigste bakterielle Erreger der ambulant-erworbenen Pneumonie (CAP). Darüberhinaus stellt die Pneumokokken-Pneumonie die Hauptlast der Pneumokokken-Erkrankungen im Erwachsenenalter und ihre Prävention damit ein wichtiges Impfziel dar.

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Abb. 1 Verteilung der Pneumokokken-Serotypen abgedeckt durch PCV7 (PCV7-STs), PCV13 (PCV13-STs), Serotyp 3 (ST 3), Serotyp 7F (ST 7F) und Serotyp 1 (ST 1) bei Pneumokokken-Pneumonie im Erwachsenenalter in den Jahren von 2002 bis 2011.

Zur Verfügung stehen dafür 2 bei Erwachsenen zugelassene Impfstoffe: Die 23-valente Polysaccharidvakzine (PPV23) mit gesicherter Wirksamkeit gegen die Pneumokokkenbakteriämie aber fraglicher Wirksamkeit bei der nicht-bakteriämischen Pneumokokken-Pneumonie und die schmalere, 13-valente Konjugat-Vakzine (PCV13, ehemaliger „Kinderimpfstoff“) mit gesicherter Wirksamkeit bei Bakteriämie und nicht-bakteriämischer Pneumokokken-Pneumonie [1, 3].

Derzeit wird eine rege Diskussion zwischen den Fachgesellschaften und Impfkommissionen geführt, welches die beste Impfstrategie zur Prävention von Pneumokokken-Erkrankungen beim Erwachsenen ist [5]. Die aktuelle Impfempfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch Institut sieht für die Standardimpfung ab 60 Jahren weiterhin die Einmalgabe von PPV23 vor, während PCV13 derzeit nur für die Indikationsimpfungen empfohlen wird [9]. Die sächsische und die US-amerikanische Impfkommission hingegen empfehlen eine sequenzielle Impfung mit zunächst PCV13 gefolgt von PPV23 als Standard-impfung im Erwachsenenalter [2, 8]. Die STIKO empfiehlt dieses Vorgehen lediglich bei Patienten mit Immunsuppression [9]. Argumente der STIKO gegen den Einsatz von PCV13 als Standardimpfung beim Erwachsenen sind u. a. die Herdenprotektionseffekte nach Einführung der Konjugatvakzinen (PCV7 in 2006 abgelöst durch PCV13 in 2009) bei Kleinkindern.

Die Impfung der Kleinkinder, die das Hauptreservoir der Pneumokokken darstellen, mit PCV7 führte in vielen Ländern zu einem deutlichen Rückgang der 7 Serotypen auch bei Infektionen von ungeimpften Erwachsenen. Diese Herdenprotektionseffekte sind für alle Altersklassen v. a. für invasive Pneumokokken-Infektionen (IPD) mit Nachweis des Erregers in sterilem Material wie Blut, Pleuraflüssigkeit oder Liquor belegt [4]. Allerdings bleibt unklar, wie stark diese Herdenprotektionseffekte bei nicht-bakteriämischer Pneumokokken-Pneumonie ausgeprägt sind, denn die meisten Pneumokokken-Pneumonien werden in der Praxis mit dem klassischen Urinantigentest diagnostiziert, der keine Differenzierung der Pneumokokken-Serotypen zulässt [7].

Ziel der vorliegenden CAPNETZ-Studie war es daher mit Hilfe eines neuen Serotyp-spezifischen Urinantigentests die Verteilung der in der 13-valenten Konjugatvakzine (PCV13)-enthaltenen Impfserotypen bei Erwachsenen mit Pneumokokken-Pneumonie retrospektiv zu untersuchen [6]. Dieser neue Urinantigentest detektiert nur die 13 Serotypen, die durch die Impfung erfasst werden und wird derzeit nur für Forschungsprojekte eingesetzt. Hierfür standen die Urinproben von 618 CAPNETZ-Patienten mit nachgewiesener Pneumokokken-Pneumonie sowie von 100 Patienten mit CAP ohne Erregernachweis zur Verfügung.

Insgesamt wurden 4 verschiedene Patientengruppen untersucht: Die erste Gruppe beinhaltete Patienten mit Pneumokokken-Pneumonie in den Jahren zwischen 2002 und 2006 (vor Einführung von PCV7), bei denen mit kulturellen Standardmethoden der Pneumokokken-Serotyp bestimmt werden konnte. Diese Gruppe von 112 Patienten war erforderlich, um die Treffsicherheit des neuen serotyp-spezifischen Urinantigentest bei Langzeit-eingefrorenen Urinproben zu ermitteln. Der serotypspezifische Urinantigentest erzielte eine hohe Spezifität für alle 13 Impfserotypen (98 – 100 %) und eine hohe Sensitivität von 85 – 100 % für den Serotyp 1, 7F, 9V, 14, 19A, 23F sowie für alle Serotypen bei bakteriämischer Pneumonie. Eine niedrigere Sensitivität für einige Urinproben bei Patienten mit nicht-bakteriämischer Pneumonie (insbesondere für Serotyp 19F) könnte zu einer Unterschätzung des Anteils der PCV13-Impfserotypen bei CAP in dieser Studie geführt haben.

Um den Einfluss der Kinderimpfung beurteilen zu können, wurden 2 weitere Patientengruppen mit unbekanntem Serotyp vor und nach Einführung von PCV7 verglichen: 196 Patienten im Zeitraum 2002 bis 2006 (nicht-bakteriämische Pneumonien n = 182; bakteriämische Pneumonien n = 14) gegenüber 195 Patienten im Zeitraum von 2007 bis 2011 (nicht-bakteriämische Pneumonien n = 176; bakteriämische Pneumonien n = 19).

Im Beobachtungszeitraum kam es zu einem deutlichen Rückgang der in PCV7 enthaltenen Serotypen von insgesamt 30,6 % (60 von 196 Patienten) Prä-PCV7 auf lediglich 13,3 % (26 von 195 Patienten) Post-PCV7 (p < 0,001). Darüberhinaus zeigte sich in der zweiten Periode das komplette Verschwinden der PCV7-Serotypen bei bakteriämischer Pneumonie. Bis Ende 2011 blieb allerdings die Erfassungsrate durch PCV13 – mit 60 % bei nicht-bakteriämischer Pneumonie und 79 % bei bakteriämischer Pneumonie – unverändert hoch. Dies war durch einen Anstieg der 6 zusätzlichen, nicht in PCV7 enthaltenen, Impfserotypen von PCV13 (Serotyp 1, 5, 3, 6A, 7F und 19A) bedingt. Wie in qAbb. 1 dargestellt, kam es somit nach Einführung der PCV7-Impfung bei Kleinkindern in 2006 zu einem Anstieg von insbesondere Serotyp 3, Serotyp 7F und Serotyp 1 bei Pneumokokken-Pneumonie im Erwachsenenalter.

Desweiteren wurde in der vorliegenden Studie noch eine vierte Gruppe von 97 Patienten mit CAP unklarer Ätiologie inkludiert. Obwohl in dieser Gruppe mittels Standardmethoden kein Erreger nachgewiesen werden konnte, detektierte der neue serotypenspezifische Urinantigentest noch in 7 % PCV13-Serotypen und damit eine Pneumokokken-Pneumonie.

Résumé

Zusammenfassend zeigte unsere Studie nach Einführung der Pneumokokken-Konjugatvakzine bei Kleinkindern ein Verschwinden der PCV7-Serotypen bei bakteriämischer Pneumonie und einen statistisch signifikanten Rückgang bei nicht-bakteriämischer Pneumonie des Erwachsenen. Allerdings fand sich keine Herdenprotektion für die 6 zusätzlichen Serotypen von PCV13, insbesondere nicht für den häufigen Serotyp 3 [2]. Auch aktuelle Daten für IPD in Deutschland 2015/2016 [10] zeigen, dass die 6 zusätzlichen PCV13-non-PCV7-Serotypen noch immer ein Viertel aller Serotypen bei IPD im Erwachsenenalter ausmachen. Insbesondere für den Serotyp 3, der zu den häufigsten Serotypen bei IPD in Deutschland zählt, zeigte sich kein relevanter Herdenprotektionseffekt. Eine mögliche Limitation unsere Studie ist die kurze Beobachtungszeit von nur 2 Jahren nach der Empfehlung von PCV13 anstelle von PCV7 für die Kinderimpfung in 2009. Eine Folgestudie zur Evaluierung möglicher Herdenprotektionseffekte nach 2011 wird derzeit durchgeführt.

Prof. Mathias W. Pletz und Dr. Christina Forstner für die CAPNETZ-Gruppe

Literatur

  1. Bonten MJ, Huijts SM, Bolkenbaas M et al. Polysaccharide conjugate vaccine against pneumococcal pneumonia in adults. N Engl J Med 2015; 372: 1114–1125

  2. Kim DK, Bridges CB, Harriman KH et al. Advisory committee on immunization practices recommended immunization schedule for adults aged 19 years or older - United States, 2015. MMWR Morb Mortal Wkly Rep 2015; 64: 91–92

  3. Moberley S, Holden J, Tatham DP et al. Vaccines for preventing pneumococcal infection in adults. Cochrane Database Syst Rev 2013; 1: CD000422

  4. Pilishvili T, Lexau C, Farley MM et al. Sustained reductions in invasive pneumococcal disease in the era of conjugate vaccine. J Infect Dis 2010; 201: 32–41

  5. Pletz MW, Ewig S, Heppner HJ et al. Stellungnahme zur Empfehlung der Pneumokokken-Impfung für Erwachsene. Positionspapier der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG)Pneumologie 2015; 69: 633–637

  6. Pletz MW, Ewig S, Rohde G et al. Impact of pneumococcal vaccination in children on serotype distribution in adult community-acquired pneumonia using the serotype-specific multiplex urinary antigen detection assay. Vaccine 2016; DOI: 10.1016/j.vaccine.2016.03.052

  7. Pletz MW, von Baum H, van der Linden M et al. The burden of pneumococcal pneumonia - experience of the German competence network CAPNETZ. Pneumologie 2012; 66: 470–475

  8. Sächsische Impfkommission (SIKO). Empfehlungen der Sächsischen Impfkommission zur Durchführung von Schutzimpfungen im Freistaat Sachsen. www.gesunde.sachsen.de/download/lua/LUA_HM_Impfempfehlungen_E1.pdf; Stand: 1. Januar 2016

  9. STIKO. Empfehlungen der Ständigen Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut 2016/2017. Epidemiologisches Bulletin 2016; Nr. 34: 301–338

  10. van der Linden M, Falkenhorst G, Perniciaro S et al. Effects of infant pneumococcal conjugate vaccination on serotype distribution in invasive pneumococcal disease among children and adults in Germany. PLoS One 2015; 10: e0131494


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Abb. 1 Verteilung der Pneumokokken-Serotypen abgedeckt durch PCV7 (PCV7-STs), PCV13 (PCV13-STs), Serotyp 3 (ST 3), Serotyp 7F (ST 7F) und Serotyp 1 (ST 1) bei Pneumokokken-Pneumonie im Erwachsenenalter in den Jahren von 2002 bis 2011.