Aktuelle Dermatologie 2016; 42(12): 528
DOI: 10.1055/s-0042-119746
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pathologie, Mikrobiologie, Humangenetik, Immunologie und Pharmakologie – der Boden der Dermatologie

Prof. Dr. Wolfgang Marsch im Gespräch mit Prof. Dr. Ingrid MollPathology, Microbiology, Clinical Immunology and Pharmacology – Foundation of Dermatology
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Publication Date:
06 December 2016 (online)

 

    Warum haben Sie die Dermatologie als Fachgebiet gewählt?

    Prof. W. Marsch: Als Pennäler wollte ich, inspiriert durch einen in der Dendrologie weltbekannten niederrheinischen Onkel („Ku mal Wolfgängsken, beschreibe mal dat Bäumken vor uns. ... Siehste, dat nennt man Habitus.“) und meinen Vater (Gymnasiallehrer für Biologie und Physik), Forstbotaniker mit Leidenschaft für Kanada werden. Dann begeisterte mich die Biochemie, sodass ich nach meinem Abitur 1968 in Berlin-Hermsdorf ein Chemiestudium in Kiel aufnahm. Ich wechselte dort in das Fach Medizin mit dem Ziel der biochemischen Forschung. Nach dem Physikum ging ich nach Homburg (Saar), war schnell fasziniert von der Vorlesung „Spezielle Pathologie“ des Altmann-Schülers Georg Dhom, fand so zur Morphologie zurück. Ich promovierte dann an der Freien Universität Berlin in der Pathologie in der Ägide von Wilhelm Masshoff bei Ulrich Michael Gross („Herr Marsch, Sie beschrieben diskrete lymphozytäre Infiltrate. Haben Sie die wirklich gesehen?“ Antwort: „Ja.“ Lakonische Entgegnung: „Na, dann waren sie nicht diskret!“). Eine nachhaltige Schulung, wie auch durch die Einarbeitung in die präparatorische und diagnostische Methodik der Transmissionselektronenmikroskopie bei Hans-Jochen Stolpmann. Parallel dazu habe ich als stets einziger Student an Freitagnachmittagen (!) bei Friedrich Nürnberger am Diskussionsmikroskop dermatohistologische Kenntnisse erwerben dürfen. Kurzum, durch ihn bin ich 1976 als Assistent in die Berliner Universitäts-Hautklinik eingetreten und in einem, wie man sagen kann, makro- und mikromorphologischen klinischen Organfach gelandet. Andere Optionen waren Pathologie, Rechtsmedizin und Hämatologie gewesen. Die thematische Orientierung meiner Habilitationsschrift hatte eine förderliche Vorgabe durch meinen Chef Günter Stüttgen (O-Ton: „Marsch, mach wat in Gefäßen!“).

    Welcher Fall ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben? Was war Ihr außergewöhnlichster Fall?

    Prof. W. Marsch: Es waren derer zwei in meiner Berliner Zeit. Die im Nachtdienst gegen Mitternacht telefonisch gestellte und hernach bewiesene Diagnose eines Toxinschocksyndroms anhand der Kardinalsymptome akutes nicht-juckendes ödematöses Palmoplantarerythem und arterielle Hypotonie ( Hautarzt 37; 1986: 410 – 412). Andererseits ein Profi-Spitzengolfer mit einseitiger Armparese, starken Kopfschmerzen und restriktiver Ventilationsstörung infolge halbseitiger Zwerchfell-Lähmung (Phrenicus-Parese durch C4-erfassende Radiculitis). Die subtile Anamnese ergab ein vorangegangenes, inzwischen abgeklungenes Erythema migrans des kontralateralen Arms! Somit Diagnose einer Borrelien-induzierten Meningo-Polyneuritis Garin-Bujadoux-Bannwarth.

    Von wem haben Sie besonders viel gelernt?

    Prof. W. Marsch: Vom ungemein medizinisch breit gebildeten und freudig mitteilsamen Prof. Friedrich Nürnberger.

    Was war der beste Rat, den Sie während Ihrer Karriere erhalten haben?

    Prof. W. Marsch: „Wenn Dich ein solides berufliches Angebot erreicht, nimm es an, warte nicht auf weitere!“ Der Rat meines Vaters Richard Marsch.

    Was ist momentan die wichtigste Entwicklung in der Dermatologie?

    Prof. W. Marsch: Die Neuerungen einer systemischen zielgerichteten, gar ermöglichten personalisierten Pharmakotherapie. Die profunde Kenntnis in der systemischen und (als weitgehendes Alleinstellungsmerkmal) topischen Therapie der babylonischen Vielzahl der Krankheiten an der Haut und der Mundschleimhaut sollte die Grundlage einer gefestigten Zukunft unseres geliebten Faches sein.

    Wo sehen Sie die Zukunft der Dermatologie?

    Prof. W. Marsch: Ziemlich „wackelig“, allzu große Zentrifugalkräfte, zeitgeistige Unwucht und Patch-Work-Charakteristik. Terminologie prononciert nicht mehr das Substantiv „Dermatologie“, das differenzierende wird nicht mehr als Adjektiv angegeben, z. B. Dermatochirurgie statt Operativer Dermatologie. Das erleichtert feindliche Zugriffe auf zentrale Felder („Green“) unseres Faches.

    Was raten Sie jungen Kollegen?

    Prof. W. Marsch: Breite und anhaltend interessierte Beschäftigung mit unserem fachlichen „Tortenboden“ aus Pathologie, Mikrobiologie, Humangenetik, Immunologie und nicht zuletzt Pharmakologie. Ruhige und solide Weiterbildung in unserem Fach, möglichst beginnend in einer gut beleumundeten Hautklinik.

    Was ist das Faszinierende der Psoriasis vulgaris? Was ist die wichtigste Erkenntnis der vergangenen Jahre bei Psoriasis vulgaris?

    Prof. W. Marsch: Die fast völlige ätio-pathogenetische Erhellung als polygen determinierte und immunologisch Th-1-Lymphozyten-mediierte komplexe chronische Allgemeinkrankheit mit den Schwerpunkten Haut, Gelenke und gelenknahem Knochen und die nunmehr sog. personalisierten, auf mehreren Säulen gestützten sicheren Therapiekonzepte zur Rückgewinnung einer normalen Lebensqualität und frühen Vermeidung irreversibler Krankheitsfolgen (z. B. bei Psoriasis arthropathica).

    Was und welchen Ort zeigen Sie in Halle ausländischen Gästen? Welchen typischen Ort, z. B. Kirche, Rathaus etc.

    Prof. W. Marsch: Die im Stadtzentrum von Halle ausgedehnten, nunmehr verschiedentlich genutzten Gebäude der Franckeschen Stiftungen. Ein Ort der frühen sorgsamen schulischen und praktischen, natürlich gezielt pietistischen Erziehung von Waisenkindern (ein „Pflantz-Garten für Deutschland und die Welt“, nach August Hermann Francke 1663 – 1727), gar aus dem Ausland („Englisches Haus“). Den spezifischen psychologischen Bedürfnissen der Kinder und Jugendlichen wurde im Gegensatz zur Anschauung im Humanismus (Kinder seien kleine Erwachsene!) konsequent entsprochen. Einziger Nachteil aus heutiger Sicht: No Sports!

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