ergopraxis 2017; 10(04): 10-11
DOI: 10.1055/s-0042-121583
Wissenschaft
© Georg Thieme Verlag Stuttgart – New York

Christina Schubert – Direktzugang mit Tücken

Heike Meyer

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Publication Date:
13 April 2017 (online)

 

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, dass ein Patient ohne Verordnung direkt zur Ergotherapie gehen kann? Dieser Frage ging Christina Schubert in ihrer Bachelorarbeit nach. Dazu untersuchte sie Gesundheitssystem und Gesetzesgrundlagen und fand den sektoralen Heilpraktiker in Ergotherapie als derzeit einzige Tür zum Direktzugang – allerdings scheint auch sie nicht leicht zu öffnen zu sein.


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Christina Schubert …

… ist 1992 geboren, verheiratet und frischgebackene Mama. Nach ihrem Abitur begann sie 2011 ihre Ausbildung zur Ergotherapeutin. Im zweiten Ausbildungsjahr startete sie ausbildungsbegleitend ein Bachelorstudium in Gesundheits- und Pflegewissenschaften mit Schwerpunkt Ergotherapie an der Fernhochschule Hamburg. Zusammen mit ihrem Mann, Töchterchen Talea und Kaninchen Dori lebt die Ergotherapeutin in der Nähe von Braunschweig. 2015 wurde hier erstmals ein positives Gerichtsurteil hinsichtlich des sektoralen Heilpraktikers in Ergotherapie ausgesprochen.

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Abb.: privat

Die Bachelorarbeit

Länder wie die USA praktizieren seit Jahren erfolgreich den Direktzugang für Ergotherapeuten. In Deutschland hingegen bedarf es für jede Behandlung einer ärztlichen Verordnung. Lediglich der sektorale Heilpraktiker für Ergotherapie ermöglicht es, ohne ärztliche Verordnung ergotherapeutisch zu arbeiten.

Christina Schubert stellte sich in ihrer Bachelorarbeit die Frage, warum ein sektoraler Heilpraktiker in Ergotherapie Verordnungen ausstellen darf – im Gegensatz zu Ergotherapeuten mit Examen oder Studienabschluss. Dafür setzte sie sich eingehend mit dem deutschen Gesundheitssystem auseinander: Sie betrachtete Hierarchien, Abhängigkeitsverhältnisse und die Rechtsgrundlage im Gesundheitswesen. Darüber hinaus verglich sie die Berufsprofile von Ärzten, Heilmittelerbringern und Heilpraktikern miteinander. Als Vergleichsland zog sie die USA heran.

sektoraler Heilpraktiker in Ergotherapie – eine erstrittene Ausnahme


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Ergebnis

Christina Schuberts Recherche bestätigte den Kontrast zwischen dem US-amerikanischen und dem deutschen Gesundheitssystem. Der Direktzugang im Heilmittelsektor ist in den USA gesetzlich verankert. Auch die Tätigkeitsfelder der Therapeuten beider Länder variieren stark. Amerikanische Ergotherapeuten arbeiten intensiver vor Ort im Alltag, zum Beispiel in Schulen oder sozialen Einrichtungen. Ihr Ansehen und ihr Stellenwert sind hoch. In Deutschland hingegen ist für viele Menschen unklar, was Ergotherapeuten konkret machen.

Die deutsche Ausbildung umfasst drei Jahre und ist privat oder staatlich geregelt. Die Inhalte sind bundesweit nicht einheitlich, die Ausbildungs- und Prüfungsverordnung gibt lediglich den Rahmen vor. Im Gegensatz zu Ärzten ist für Therapeuten ein Studium nicht zwingend notwendig, um zu praktizieren. In den USA hingegen erfordert der Abschluss zum Occupational Therapist (OT) ein vierjähriges Studium auf Masterlevel. Der ihm untergeordnete Occupational Therapist Assistant (OTA) benötigt ein zweijähriges Studium und muss klinische Kenntnisse nachweisen.

Wer in Deutschland Heilpraktiker werden möchte, absolviert die Prüfung beim Gesundheitsamt, welches auch die Erlaubnis zur Führung der Bezeichnung „sektoraler Heilpraktiker in Ergotherapie“ erteilt. Lehnt es den Antrag ab, legt man vor dem zuständigen Verwaltungsgericht Widerspruch ein. Da es keine einheitliche Regelung gibt, muss man ggf. weitere Instanzen durchlaufen.

Wer die Prüfung besteht, unterliegt anschließend dem Heilpraktikergesetz und darf ohne Verordnung behandeln. Die Leistungen darf man jedoch nicht mit der GKV abrechnen, hier gilt die Selbstzahlerbasis.

Die wesentlichen Unterschiede zu Therapeuten mit Examen oder Studienabschluss bestehen in der Diagnostik und der Kenntnis der Red Flags: Sektorale Heilpraktiker müssen in der Lage sein, akut gefährliche Gesundheitszustände zu erkennen und die eigenen Kompetenzen richtig einzuschätzen.


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Fazit

Derzeit ermöglicht die deutsche Gesetzeslage Ergotherapeuten keinen Direktzugang. Auf das Heilpraktikergesetz auszuweichen bietet im Moment die einzige Tür zum sogenannten First Contact, ist jedoch ein beschwerlicher Weg durch mehrere gerichtliche Instanzen.

Zur Etablierung des Direktzugangs müsste das Ergotherapeutengesetz umfassend überarbeitet, Ausbildungsinhalte müssten angepasst und um (differenzial-)diagnostische Inhalte erweitert werden. Hinderlich ist die bisher bundesweit uneinheitliche Ergotherapieausbildung. Zudem erschweren starke Hierarchieverhältnisse im deutschen Gesundheitssystem diese Entwicklung.

Heike Meyer

4 Fragen an Christina Schubert

Wie haben Sie Beruf, Studium und Privatleben miteinander vereinbart?

Ich wollte die Regelstudienzeit einhalten und musste mich gut organisieren. Meine Mutter und mein Partner gaben mir den nötigen Mut und Rückhalt.

Gab es im Studium eine Situation, in der Sie an Ihre Grenzen geraten sind?

Ja, als sich am Ausbildungsende das Staatsexamen mit den Studienleistungen überlagerte und auch noch unsere Hochzeit bevorstand. Den Aufwand habe ich deutlich unterschätzt.

Inwiefern können Sie ein Fernstudium weiterempfehlen?

Ich kann es jedem empfehlen, der sich Ausbildungsinhalte lieber selbst erarbeitet, anstatt in der Gruppe zu lernen, und über entsprechende Selbstdisziplin verfügt.

Welchen Kinofilm haben Sie als Letztes gesehen?

(lacht) Ich war zuletzt mit meiner Mutter und einer schwangeren Freundin in dem Film „Bridget Jones‘ Baby“.


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Bachelorarbeit

Schubert C. Der sektorale Heilpraktiker Ergotherapie als Tür zum Direktzugang – Hemmnisse und Möglichkeiten der deutschen Gesetzgebung zur Veränderung der ergotherapeutischen Stellung im Gesundheitssystem. Hamburg: HFH Fern-Hochschule; 2016


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Abb.: privat