Der irreversible Hirnfunktionsausfall, bisher als „Hirntod“ bezeichnet, stellt eine
diagnostische Herausforderung dar – gerade auch für die Bildgebung, der mit der jüngsten
Novelle der diagnostischen Richtlinien eine Schlüsselrolle zukommt. Der Neuroradiologe
Prof. Dr. Heinrich Lanfermann, Direktor des Instituts für Diagnostische und Interventionelle
Neuroradiologie an der Medizinischen Hochschule Hannover, hat als Sachverständiger
der Bundesärztekammer an den Richtlinien mitgewirkt.
Professor Dr. Heinrich Lanfermann
Im Juli 2015 ist die aktuelle „Richtlinie zur Feststellung des endgültigen, nicht
behebbaren Ausfalls der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms“
der Bundesärztekammer in Kraft getreten. Welche Rolle spielt die Radiologie in diesem
diagnostischen Verfahren – Stichwort CT-Angiografie?
Erstmals wurde in der aktuellen Version von 2015 die CT-Angiografie (CTA) als ergänzendes,
apparatives Untersuchungsverfahren zur Feststellung des zerebralen Zirkulationsstillstandes
zugelassen. Der Zirkulationsstillstand ist häufig Ursache des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls
– wird er nachgewiesen, sind potentiell reversible Ursachen der klinischen Ausfallsymptome
ausgeschlossen. Damit kann die Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalls ohne Wartezeit
und Verlaufsuntersuchung festgestellt werden.
Warum wurde die CT-Angiografie als Verfahren ausgewählt?
Eine erste größere Studie zur Zuverlässigkeit der CTA bei der Erfassung des zerebralen
Zirkulationsstillstandes wurde 1998 von Dupas et al. publiziert. Aufgrund der sehr
guten Ergebnisse wurde die CTA zuerst in Frankreich, später in weiteren Ländern für
die Diagnostik des irreversiblen Hirnfunktionsausfalles zugelassen. Eine Cochrane-Analyse
zu diesem Thema kam 2014 zu dem Ergebnis, dass ein zerebraler Zirkulationsstillstand
bei bestehendem Hirnfunktionsausfall mit einer Sensitivität von 85% ermittelt werden
kann. Der fehlende Nachweis bei 15% der Patienten war im Wesentlichen auf traumatische
oder iatrogene Eröffnungen der Kalotte zurückzuführen, dies kann den Anstieg des intrakraniellen
Druckes über den arteriellen Mitteldruck verhindern. War mittels CTA ein zerebraler
Zirkulationsstillstand dokumentiert worden, wurde auch der endgültige, nicht behebbare
Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bestätigt.
Gibt es ein standardisiertes Untersuchungs-Protokoll?
Um eine möglichst hohe Sensitivität sicherzustellen, wurde von den Autoren der bereits
genannten Cochrane-Analyse die Festlegung eines Standardprotokolls für die Durchführung
der CTA empfohlen. Dies wurde in den nun gültigen deutschen Richtlinien erstmals umgesetzt.
Hinsichtlich der Beurteilung der CTA ist das sog. „stasis filling“, die langsam progrediente
Ausbreitung des Kontrastmittels in den intrakraniellen Arterien bei sistierender zerebraler
Zirkulation, zu berücksichtigen. Daher wurde basierend auf der größten deutschen Studie
zu diesem Thema das aktuell gültige CTA-Standardprotokoll so festgelegt, dass mit
möglichst gutem Kontrast und Begrenzung auf die arterielle Phase der CTA eine sichere
Aussage darüber möglich ist, ob eine zerebrale Zirkulation noch besteht oder bereits
ein Stillstand eingetreten ist.
An welchen Häusern sollte die CTA zur Beurteilung des zerebralen Zirkulationsstillstandes
durchgeführt werden?
In Deutschland haben wir die günstige Situation, dass – aufgrund der breiten Anwendung
der Interventionellen Therapie beim Schlaganfall – die CTA in allen größeren Krankenhäusern
auf hohem Niveau eingesetzt wird. Hier wird auch die Durchführung einer CTA zur Feststellung
des zerebralen Zirkulationsstillstandes zuverlässig möglich sein. Die Auswertung sollte
durch Radiologen mit mehrjähriger Erfahrung in der Neuroradiologie oder durch Neuroradiologen
erfolgen. Die Umsetzung der aktuellen Richtlinien ist nicht aufwändig, erfordert aber
eine sorgfältige Vorbereitung. Zu empfehlen ist, das frei verfügbare, standardisierte
CTA-Protokoll zu studieren und am CT-Arbeitsplatz zu hinterlegen.
An wen können sich die Fachkollegen im Zweifelsfall wenden?
Sowohl das CTA-Protokoll als auch die Auswertekriterien sind so festgelegt worden,
dass eine zuverlässige Beurteilung möglich ist. Daher gab es bisher kaum Nachfragen
hinsichtlich des Verfahrens. In Einzelfällen wurden Ergebnisse von CTAs bemängelt,
die nicht nach den aktuellen Standards, sondern anhand des Protokolls älterer internationaler
Studien mit einer zusätzlichen venösen Phase und damit verstärktem „stasis filling“
durchgeführt wurden und damit Probleme bei der Bewertung verursachten. Mit dem aktuellen
CTA-Standard-Protokoll sollte dieses Problem weitgehend vermieden werden. Falls es
doch einmal Fragen geben sollte, könne diese gerne an mich gestellt werden.
Für 2017 steht eine erneute Fortschreibung der Richtlinie an. Rechnen Sie mit einschneidenden
Änderungen?
Die 2015 aktualisierten Richtlinien werden in regelmäßigen Abständen überprüft. Da
bisher keine grundlegend neuen Erkenntnisse hinsichtlich der CTA zur Feststellung
des zerebralen Zirkulationsstillstandes publiziert wurden, erwarte ich für 2017 keine
einschneidenden Änderungen.