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DOI: 10.1055/s-0042-123010
Herausforderungen im Spannungsfeld von Arzneipflanzen und Nahrungspflanzen
31. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie 2016Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
09. Mai 2017 (online)
- Grauzone NEM
- Omega-3-Fettsäuren gegen entzündliche Erkrankungen
- Adipositas als evolutionäres Erbe
- Neuer Knoblauch-Hype?
- Nutrigenomik – zukunftsträchtig, aber komplex
Ernährung und pflanzlicher Nahrung im Speziellen wird heutzutage ein hoher Stellenwert zugeschrieben. Die Jahrestagung der Schweizerischen Medizinischen Gesellschaft für Phytotherapie (SMGP) im November 2016 widmete sich der Schnittstelle Phytotherapie und pflanzlicher Ernährung. Mit den Gesetzesrevisionen, welche Chancen, aber auch Risiken für die Weiterentwicklung der Phytotherapie mit sich bringen, gewinnt das Thema aktuell an Bedeutung. Eine sinnvolle Abgrenzung zwischen pflanzlichen Arzneimitteln und Nahrungsergänzungsmitteln auf pflanzlicher Basis könnte hilfreich sein.
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Grauzone NEM


Dr. rer. nat. Klaus Peter Latté, wissenschaftlicher Mitarbeiter und Prüfleiter des Landeslabors Berlin-Brandenburg in Berlin, informierte über die unterschiedlichen Zweckbestimmungen pflanzlicher Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel. So sollen pflanzliche Arzneimittel Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden bezwecken. Sie sind in der Schweiz im Heilmittelgesetz geregelt. Nahrungsergänzungsmittel (NEM) mit pflanzlichen Inhaltsstoffen sollen zur Ergänzung der allgemeinen Ernährung dienen und sind im Lebensmittelgesetz weit weniger streng geregelt. Sowohl das Heilmittelgesetz als auch die Revision des Lebensmittelrechts sehen Änderungen vor, welche für die Weiterentwicklung der Phytotherapie genutzt werden können. Aktuell gibt es jedoch keine klare Abgrenzung zwischen den Produktgruppen mit pflanzlichen Stoffen. Bei NEM müssen lediglich die wirksamen Bestandteile analog den Lebensmitteln mengenmäßig aufgeführt werden, bei pflanzlichen Arzneimitteln sind die Deklarationsvorschriften umfassender. Fachgesellschaften wie der SMGP wird empfohlen, sich in einem Gremium für Abgrenzungsfragen, wie dies im nahen Ausland auch bereits gemacht wird, mit ihrem Wissen zu engagieren und aufzuzeigen, wo die Wirkungen und Potenziale von Pflanzen und deren Zubereitungen liegen und wo (eher) nicht.
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Omega-3-Fettsäuren gegen entzündliche Erkrankungen
Diverse Pflanzen haben einen günstigen Einfluss auf akute und chronische Entzündungen. Dr. med. Rainer Stange, leitender Arzt der Abteilung für Naturheilkunde Immanuel Krankenhaus in Berlin und Charité-Universitätsmedizin Berlin, fokussierte auf sekundäre, nicht energieliefernde Pflanzeninhaltsstoffe wie Carotinoide und Anthocyane. Die wichtigsten Resultate mit gesicherter Bedeutung liefern jedoch die Omega-6- (proinflammatorisch) und Omega-3-Fettsäuren (antiinflammatorisch). Der bekannteste Vertreter pflanzlicher Omega-3-Fettsäuren ist die α-Linolensäure, welche u. a. in Leinsamen und in Leinöl in hohen Mengen vorkommt. Als zusätzliche vegane Alternative gibt es Omega-3-Fettsäuren aus Algen.
Ein weiteres Produkt mit hohem Gehalt an Omega-3-Fettsäuren war bereits 1931 bekannt: die Butter aus dem Lötschental. Diese enthielt bis zu dreimal mehr wertvolle Omega-3-Fettsäuren als Butter aus konventionell produzierter (Tal-)Milch. Dr. sc. nat. Florian Leiber, Leiter des Departements für Nutztierwissenschaften am Forschungsinstitut für Biologischen Landbau (FiBL) in Frick, erklärte, dass die Omega-3-Fettsäuren-Konzentration in Milch und Fleisch vom Anteil an Kräutern und Getreide in der Ernährung der Tiere abhängt (und weniger von der geografischen Lage der Haltung). Eine Umstellung des Humankonsums von Milchprodukten aus solcher Produktion könnte die Omega-3-Aufnahme einer erwachsenen Person mit durchschnittlicher Konsumgewohnheit um 43% steigern. Das würde gleichzeitig der Überfischung der Meere entgegenwirken, denn dies entspricht dem täglichen Verzehr von 800 g Lachs.
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Adipositas als evolutionäres Erbe
Dr. Rosmarie Clara, Institut für Physiologie und Verhalten an der ETH Zürich, demonstrierte den physiologischen Regelkreis der Nahrungsaufnahme. Im Verlauf der Evolution war es entscheidend, ein plötzliches Angebot attraktiver Nahrung maximal zu nutzen. Diese eigentlich effizienten Feedback-Signale können jedoch in einer Umwelt, wo konstant attraktive Nahrung vorhanden ist, zu einer überhöhten Nahrungsaufnahme führen. Dies ist ein möglicher Grund für die weltweite Adipositas-Epidemie und deren Folgeerkrankungen. Am Beispiel der Gewürze wurde der direkte positive Einfluss von Nahrungsaufnahme auf Stoffwechsel und Verdauung aufgezeigt, als auch der indirekte Einfluss: Gewürze machen das Essen schmackhafter und können somit die Nahrungsaufnahme stimulieren.
Antioxidantien schützen andere Stoffe vor Oxidation und sind maßgeblich bei der Erhaltung der Redox-Homöostase beteiligt. PD Dr. med. Gudrun Ulrich-Merzenich, Medizinische Klinik III der Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, zeigte auf, dass eine Supplementierung mit Antioxidantien je nach Ernährungssituation vernünftig sein kann, z. B. wenn ein Mangel vorliegt. Bei einer Supplementierung bei normaler Ernährung und „gesättigten Werten“ ist im Speziellen bei den fettlöslichen Vitaminen A, E und β-Carotin Vorsicht geboten. Es sind jedoch noch weitere Untersuchungen nötig, um das Zusammenspiel von Antioxidantien und reaktiven Sauerstoffspezies (ROS) und deren Bioverfügbarkeit zu erfassen.
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Neuer Knoblauch-Hype?
Prof. em. Dr. med. Reinhard Saller, ehemaliger Direktor des Instituts für Naturheilkunde des Universitätsspitals Zürich, verwies auf das Schicksal des Knoblauchs, der noch in den 90er-Jahren hoch gepriesen wurde. Traditionell wird er bei Verdauungsstörungen, Erkältungskrankheiten, Asthma bronchiale und als Stärkungsmittel eingesetzt. Neuere Studien konnten nicht nur eine signifikante Reduktion des Blutdrucks, sondern auch den positiven Einfluss von Knoblauchpulver auf verschiedene kardiovaskuläre Risikofaktoren aufzeigen. Vielversprechend könnte er sich auch in der Prävention/Therapie einiger Tumorerkrankungen (z. B. Prostatatumoren) erweisen. Hört man all dies, lässt der nächste Knoblauch-Hype wohl nicht mehr lange auf sich warten …
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Nutrigenomik – zukunftsträchtig, aber komplex
Personalisierte Ernährung tönt vielversprechend und ist in aller Munde. Werden wir in Zukunft im Restaurant eine auf unsere Gene abgestimmte Menü-Auswahl erhalten? Ein eindrückliches Beispiel einer Interaktion zwischen Genen und spezifischen Nährstoffen stellte Dr. Guy Vergères, Forschungsgruppenleiter Funktionelle Ernährungsbiologie bei Agroscope in Bern, am Beispiel der Pima-Indianer vor. Ein Teil der Pima-Indianer lebt heute in Arizona und ein anderer Teil im Hochland von Mexiko. Diejenigen in Arizona, welche sich nach westlicher Diät mit energiedichter Nahrung ernähren, leiden auffallend häufig unter Typ-2-Diabetes und Fettleibigkeit im Vergleich zu den mexikanischen Pima-Indianern. Ferner sind heute kommerzielle Gentests erhältlich, anhand derer Kaffee-Junkies herausfinden können, ob sie Träger einer schwach aktiven Genvariante von CYP1A2, dem Hauptenzym beim Koffein-Metabolismus, sind. Langsame Metabolisierer, die 2–3 Tassen Kaffee pro Tag tranken, haben ein höheres Risiko einen Herzinfarkt zu erleiden, als Menschen mit derselben Genvariante, die aber nur eine Tasse Kaffee pro Tag tranken. Viele chronische Erkrankungen jedoch sind polygen bedingt und können nicht auf ein einzelnes Gen zurückgeführt werden.


Das letzte Referat war Curcuma longa, der Gelbwurz, gewidmet. Dr. Andreas Biller, Geschäftsführer der Dr. Loges + Co. GmbH in Winsen, stellte die vielseitigen Anwendungen der zur Familie der Ingwergewächse gehörenden Pflanze vor. Curcumin, der Hauptinhaltsstoff der Gelbwurz, wird aktuell in den deutschen Leitlinien für Ärzte zur adjuvanten Therapie der Colitis ulcerosa empfohlen. Eine große Herausforderung stellt bis heute die Bioverfügbarkeit dar, denn Curcumin ist stark hydrophob, was eine geringe Resorption aus den Verdauungsorganen zur Folge hat. Eine markante Verbesserung der Bioverfügbarkeit konnte in Kombination mit Piperin aus schwarzem Pfeffer oder in patentierter Micellenform (185-fach) nachgewiesen werden. Ähnlich wie beim Knoblauch scheint das Wirkungspotenzial von Curcuma noch nicht ausgeschöpft.
Die 31. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie hat gezeigt, dass die Übergänge zwischen Nahrungs- und Arzneipflanzen oft fließend sind. Deshalb ist es naheliegend, dass sekundäre Pflanzenstoffe aus Ernährung und Phytotherapie sich in ihren Wirkungen ergänzen können. Die regulatorische Abgrenzung stellt eine Herausforderung dar, insbesondere stellt sich die Frage, wie sinnvoll es ist, wenn Nahrungsergänzungsmittel Wirksamkeitsansprüche der Phytotherapie übernehmen. Klar ist, dass beide Produktgruppen dem Erhalt der Gesundheit dienen sollen. In diesem Sinne kann die im Tagungsthema gestellte Frage „Phytotherapie und pflanzliche Ernährung: Partner oder Gegensatz?“ mit einem Zitat von Hippokrates beantwortet werden: „Eure Nahrungsmittel sollen Eure Heilmittel und Eure Heilmittel Eure Nahrungsmittel sein!“
Kathrin Rutishauser
Dipl. Umwelt-Natw. ETH Zürich
kathrin.rutishauser@gmx.ch
Die 32. Schweizerische Jahrestagung für Phytotherapie wird am 23. November 2017 zum Thema „Phytotherapie in der Gynäkologie – ein Update“ stattfinden. Informationen dazu sowie zur organisierenden Gesellschaft, der SMGP, sowie zum Fähigkeitsprogramm Phytotherapie für Ärzte und Apotheker (und in der Veterinärmedizin) gibt es auf der Website www.smgp.ch. Die SMGP ist der einzige Verband in der Schweiz, der eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung in Phytotherapie für die akademischen Medizinalberufe anbietet. http://www.smgp.ch
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Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.



