Aktuelle Dermatologie 2017; 43(01/02): 60-61
DOI: 10.1055/s-0042-124131
Interview
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

„Stell dich immer wieder selbst in Frage“

Interview mit Univ.-Prof. Dr. Erwin Tschachler
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Publication Date:
14 February 2017 (online)

 
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    Das Interview mit Univ.-Prof. Dr. Erwin Tschachler, Past-Präsident der Europäischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie und Leiter der Forschungsabteilung für Biologie und Pathobiologie der Haut, Universitätsklinik für Dermatologie, Medizinische Universität Wien, hat Prof. Dr. Prof. h. c. Dr. h. c. Christos C. Zouboulis geführt.

    Warum haben Sie die Dermatologie als Fachgebiet gewählt?

    Ausschlaggebend für diese Wahl war das Zusammentreffen mit einem der Großen unseres Faches. Im Rahmen meiner Ausbildung zum praktischen Arzt in Wien wurde ich auch der Universitätshautklinik zugeteilt. Dort hat Professor Klaus Wolff mich mit seinem Stil und mit seinem Wissen so beeindruckt, dass mir sofort klar war: In seinem Team möchte ich mitarbeiten. Das ist mir auch gelungen und ich bin 1983 als Assistenzarzt in die Hautklinik eingetreten.

    Sind Sie mit Ihrer Wahl zufrieden und warum?

    Ich habe meine Wahl zu keinem Zeitpunkt bereut! Ich bin ein visueller Mensch und das „Lesen“ und Einordnen von Hautveränderungen bereitet mir nach wie vor große Freude und Genugtuung.

    Sie haben in Ihrer Karriere viel erreicht; worauf sind Sie besonders stolz?

    Persönlich befriedigt es mich zu sehen, dass einige der wissenschaftlichen Arbeiten, die ich vor mehr als 30 Jahren veröffentlicht habe, nach wie vor zitiert werden. Das gibt mir das Gefühl, doch etwas zur Weiterentwicklung unseres Faches beigetragen zu haben. Was die Wissenschaft betrifft, freue ich mich aber noch mehr darüber, dass einige meiner langjährigen Mitarbeiter international anerkannte und erfolgreiche Forscher geworden sind.Als überzeugter Europäer bin ich auch besonders stolz darauf, dass ich mehr als ein Jahrzehnt mithelfen durfte, um die European Academy of Dermatology and Venerology EADV zu einer wissenschaftlichen Gesellschaft zu machen, die aus der dermatologischen Landschaft in Europa nicht mehr wegzudenken ist.

    Welcher Fall ist Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben?/Was war Ihr außergewöhnlichster Fall?

    Ich habe lange Jahre Patienten mit HIV-Infektion betreut und 1985 hat mir Professor Wolff ermöglicht, die erste Station für AIDS-Patienten in Österreich an der Hautklinik einzurichten. Wir konnten damals durch die Behandlung von Infektionen und Tumoren im besten Fall lebensverlängernd wirken, standen dieser neuen Krankheit aber eigentlich mit leeren Händen gegenüber. Das Jahr 1995 war jedoch ein dramatischer Wendepunkt und aus dieser Zeit ist mir eine Patientin in besonderer Erinnerung: eine Mutter von zwei Kindern, die 1995 kachektisch auf unsere Station eingeliefert wurde, nicht mehr in der Lage war, sich selbständig aus dem Bett zu bewegen und kaum messbare CD4+-T-Zellen hatte. Sie war eine der ersten Patientinnen, die eine neue Kombination antiretroviraler Medikamente (i. e. Proteinase-Inhibitoren und Reverse-Transkriptase-Inhibitoren) erhielt. Die Frau erholte sich buchstäblich innerhalb von Wochen und war innerhalb von wenigen Monaten in so guter Form, dass sie eine Rundreise durch Europa antreten konnte. Nicht nur für die Patientin, auch für uns behandelnde Ärzte grenzte die Wirkung der neuen Medikamente an ein Wunder und noch jetzt, mehr als 20 Jahre später, schickt uns diese Frau regelmäßig Weihnachtsgrüße.

    Von wem haben Sie besonders viel gelernt?

    Mein wichtigster Lehrer und Vorbild war sicherlich Klaus Wolff. Bei ihm habe ich gelernt, dass Argumente, ganz egal von wem sie kommen, gehört werden sollen, wenn sie denn auch gut belegt sind. Die Chefvisiten mit ihm waren Erweckungserlebnisse, nicht nur wegen seines umfassenden Wissens und seiner Intuition, sondern auch, weil er nicht davor zurückscheute zu sagen, „das weiß ich jetzt nicht, kommen Sie, das schauen wir gemeinsam nach“. Wissenschaftlich habe ich außerordentlich von der Erfahrung und dem Enthusiasmus von Georg Stingl profitiert, wobei sich mir insbesondere der Satz „Wo ist die Negativkontrolle?“ eingeprägt hat.

    Was war der beste Rat, den Sie während Ihrer Karriere erhalten haben?

    Stell dich immer wieder selbst in Frage.

    Was ist momentan die wichtigste Entwicklung in der Dermatologie?

    Die Tatsache, dass im letzten Jahrzehnt eine Vielzahl an neuen Medikamenten für entzündliche und neoplastische Hautkrankheiten Eingang in die Klinik gefunden haben, ist eine Entwicklung, die man nur als „epochal“ bezeichnen kann – und ich erwarte mir weitere innovative Therapien in der nahen Zukunft. Was mir hingegen Sorge bereitet, ist die Minimierung der dermatologischen Abteilungen in vielen Krankenhäusern mit Betten- und Planstellenreduktionen. In Österreich wurde zum Beispiel die Definition von Schwerpunktspitälern dahingehend überarbeitet, dass das Vorhandensein einer dermatologischen Abteilung nicht länger nötig ist. Ich zweifle zwar daran, dass dieser Trend umkehrbar ist, rufe aber alle dermatologischen Gesellschaften dazu auf, sich dagegen zu stemmen. Die EADV wird sicher versuchen, auf europäischer Ebene ihren Teil dazu beizutragen, den verantwortlichen Politikern den Mehrwert einer starken klinischen Dermatologie nahezubringen.

    Wo sehen Sie die Zukunft der Dermatologie?

    Die Expertise des Dermatologen, der Dermatologin ist einzigartig und ist aus dem Kanon der klinischen Medizin nicht wegzudenken. Ich glaube jedoch, dass wir uns noch mehr als in der Vergangenheit darauf konzentrieren müssen, diese Expertise auch zu kommunizieren. Dabei spielt die universitäre Lehre eine ebenso wichtige Rolle wie die Weiterbildung von praktischen Ärzten, die ja unsere wichtigen Partner sind oder sein sollten. Da unser Fach unglaublich vielfältig ist, sehe ich eine zukünftige Entwicklung auch im verstärkten Zusammenschluss in Gruppenpraxen, die z. B. von Dermatochirurgen, Dermatoallergologen und pädiatrischen Dermatologen gemeinsam betrieben werden. Daneben müssen wir verstärkt die neuen Kommunikationsmittel, Stichwort Teledermatologie, in unseren klinischen Alltag einbauen.

    Was raten Sie jungen Kollegen?

    Unterschätzen Sie nie die Auswirkung, die eine Hautkrankheit auf das Sozialleben Ihres Patienten hat!

    Was machen Sie nach Feierabend als Erstes?

    Ich ziehe mich in mein Atelier zurück, spiele Gitarre (schlecht) oder male (etwas besser).


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