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DOI: 10.1055/s-0042-1756003
Sucht als Erkrankung des Gehirns? Zur Übersimplifizierung psychischer Erkrankungen aus dem Geist des Neopositivismus
Einleitung Bildgebende Verfahren haben auch in der Suchtforschung in den vergangenen Dekaden zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Messung funktioneller Veränderungen führte in den 90er Jahren zur Konzeptualisierung des Brain Disease Model of Addiction (BDMA) von dem u.a. eine Entstigmatisierung von Suchterkrankungen erhofft wurde. Zugleich ist epistemologisch unbestritten, dass Modellbildung immer einen interpretativen Akt darstellt, der sich nicht unmittelbar aus empirischen Daten ableiten lässt.
Material und Methodik Die mit dem BDMA assoziierten Kausalitätsmodelle werden rekonstruiert und vor dem Hintergrund wissenschaftstheoretischer Konzepte und empirischer Befunde zu Verläufen von Abhängigkeitserkrankungen und gesellschaftlichen Implikationen diskutiert. Im Vordergrund steht die Frage, inwiefern zum derzeitigen Kenntnisstand Veränderungen der Hirnstrukturen eine kausale Erklärungsgröße für Entstehung und Aufrechterhaltung von Suchterkrankungen zugeschrieben werden kann oder inwiefern diese als Epiphänomene zu klassifizieren sind.
Ergebnisse Aus Perspektive des kritischen Rationalismus ist die Evidenzbasierung des BDMA als Kausalmodell fragwürdig. Bemerkenswert ist zudem der Mangel an falsifikatorischen Untersuchungsdesigns. Ein deterministisches Verständnis des BDMA widerspricht zudem in zentralen Punkten Befunden zu evidenzbasierten nicht-pharmakologischen Interventionen und natürlichen Verläufen von Abhängigkeitserkrankungen, die Forschung zu Stigmatisierung ergab bestenfalls widersprüchliche Ergebnisse.
Zusammenfassung Entgegen seiner Popularität in Teilen der scientific community vermag das BDMA insbesondere psychosoziale Einflussfaktoren von Abhängigkeitsprozessen nur unzureichend zu erklären. Die gesellschaftliche Nützlichkeit des Modells ist zudem fragwürdig. Erforderlich erscheint eine Modellbildung, welche strukturelle Änderungen des Gehirns zu integrieren vermag, ohne in Widerspruch zu zentralen Befunden anderer methodischer Zugänge im Suchtbereich zu geraten.
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Interessenkonflikt
Keine
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
30. August 2022
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