kma - Klinik Management aktuell 2022; 27(12): 73-75
DOI: 10.1055/s-0042-1760181
Medizin und Technik

Interoperabilität mit SDC: Der Schlüssel zum vernetzten Krankenhaus

Martin Kasparick
 

Die Vernetzung von Medizingeräten unterschiedlicher Hersteller scheiterte bislang an einer einheitlichen Schnittstelle. Mit dem internationalen Standard IEEE 11073 SDC soll sich das ändern.


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Der Autor hat auf der Messe DMEA 2022 in Berlin den Demonstrator eines mittels IEEE 11073 SDC vernetzten OP-Saals vorgestellt.(© Dr. Martin Kasparick)

Heutige Medizingeräte sind in der Regel isolierte Systeme, die entweder nicht vernetzt sind oder nur innerhalb des herstellerspezifischen Ökosystems kommunizieren können. Sind Schnittstellen vorhanden, so sind diese proprietär. Der Integrationsaufwand ist enorm. Der fehlende Austausch von Informationen, Alarmen und Steuerbefehlen stellt aber ein großes Hindernis für effiziente und patientenorientierte Abläufe im Krankenhaus dar. Das klinische Personal verschwendet wertvolle Zeit bei der mehrfachen Eingabe der gleichen Daten in verschiedene Systeme, und der Aufwand für die Dokumentation von Behandlungen verschlingt einen signifikanten Teil der Arbeitszeit – Zeit, die für die Patientinnen und Patienten bestimmt sein sollte. Die Flut von Alarmen der verschiedenen Medizingeräte ist schädlich für Patienten und Pflegekräfte. Alarmmüdigkeit und Desensibilisierung führen jedes Jahr zu einer großen Zahl an dokumentierten Todesfällen und Komplikationen. Hat sich ein Krankenhaus auf das Ökosystem eines Herstellers festgelegt, können andere innovative, besser geeignete oder preiswertere Geräte nur schwer integriert werden. Die Liste der Probleme aus der Sicht der Arbeitsabläufe, der Patientensicherheit und -versorgung, der Beschaffung und Administration ließe sich lang fortsetzen.

Normierte Schnittstellen

Der Schlüssel zur umfassenden und systematischen Lösung der beschriebenen Probleme ist die herstellerübergreifende Vernetzung. Sie bildet die Basis für innovative Produkte. Je mehr Medizingeräte an der Vernetzung teilnehmen, desto größer ist der Nutzen. Daher sind internationale und anerkannte Normen unerlässlich. Mit der Normenfamilie IEEE 11073 Service-oriented Device Connectivity (SDC) ist nun erstmals eine solche Technologie für die herstellerübergreifende Kommunikation von Medizingeräten vorhanden. IEEE 11073 SDC steht dabei nicht in Konkurrenz zu etablierten oder ebenfalls neuen Normen wie DICOM, HL7 v2 oder HL7 FHIR. Viel mehr schließt IEEE 11073 SDC mit dem Fokus auf die Geräte-zu-Geräte-Kommunikation eine bisher bestehende Lücke in der Landschaft der Interoperabilitätsnormen.

Die Normenfamilie IEEE 11073 SDC gliedert sich in drei Teile: 1. die Kernnormen, 2. die sogenannten Participant Key Purposes (PKPs) und 3. die Gerätespezialisierungen (Device Specializations). Zugrunde liegt das Konzept der serviceorientierten Medizingerätearchitektur (Service-oriented Medical Device Architecture, SOMDA). Die drei Kernnormen definieren eine moderne, webservicebasierte Übertragungstechnologie, das Domäneninformations- und Service-Modell, das Zusammenspiel dieser beiden und die Gesamtarchitektur. Die Kernnormen sind verabschiedet und wurden von der ISO (Internationale Organisation für Normung) übernommen. Ebenfalls wurden sie in die sogenannte Liste der Recognized Consensus Standards der US-amerikanischen Zulassungsbehörde FDA (Food and Drug Administration) aufgenommen. Sie können somit als Stand der Technik im Prozess des Inverkehrbringens angesehen werden.


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Semantische Interoperabilität

Jedes Gerät, das Informationen, Alarme oder Fernsteuerungsfähigkeiten im Netzwerk anbietet, beschreibt sich zur Laufzeit selbst in einer maschineninterpretierbaren Form. Dies ist ein Grundbaustein zum Erreichen der herstellerübergreifenden Interoperabilität. Die Syntax hierfür wird in IEEE 11073 SDC definiert. Die Semantik der einzelnen Elemente, sowie zusätzliche Informationen wie Einheiten, wird durch Codes aus normierten Coding-Systemen beschrieben. In der Regel kommt die IEEE 11073-10101 Nomenklatur-Serie zum Einsatz, es können aber auch Codes aus Systemen wie SNOMED CT oder LOINC genutzt werden.


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Mit rollenbasierten Verantwortlichkeiten zum Plug-and-Trust

Mit den PKP-Normen betritt die IEEE 11073 SDC-Familie Neuland. Bisher werden Systeme, die aus mehreren Geräten bestehen, als feste Verbünde in den Verkehr gebracht. Beim Austausch oder bereits beim Update eines der beteiligten Medizingeräte muss das gesamte System einer neuen Bewertung unterzogen werden. Mit IEEE 11073 SDC kann diese starre Kopplung aufgebrochen werden. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist, dass es eine klare Definition der Verantwortlichkeiten jedes Vernetzungsteilnehmers gibt. Dies erfolgt in den PKPs auf der Basis von verschiedenen Rollen. Jede Rolle umfasst Anforderungen an die technische Umsetzung, Prozesse und die Dokumentation. Neben den Basisrollen für Teilnehmer im vernetzten System existieren spezielle Rollen für das Anbieten und Konsumieren von Informationen, Alarmen und Fernsteuerungsoperationen.

Die einzelnen Medizingeräte zeigen ihre Konformität zur technischen Schnittstelle und zu den entsprechenden Rollen, und definieren ihren Beitrag zur Gesamtsystemfunktion. Zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens müssen die anderen Teilnehmer nicht bekannt sein. Aus der Sicht von Geräten, die etwa Informationen oder Alarme anbieten, muss nicht einmal die Gesamtsystemfunktion bekannt sein.


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Device Specializations

Die vorgestellten Normen sind unabhängig von konkreten Geräteklassen. Die Kernnormen sind vollständig generisch und die PKPs beschreiben abstrakte Rollen der an der Vernetzung teilnehmenden Geräte. Gerade für komplexe chirurgische und anästhesiologische Geräte ist es aber darüber hinaus sinnvoll, die Modellierung der Selbstbeschreibung und spezifische Verhaltensweisen im Netzwerk zu definieren. Dies erfolgt in den sogenannten Device Specializations. Es ist ohne Weiteres möglich, Geräte ohne das Vorhandensein solcher Normen zu entwickeln und auf den Markt zu bringen. Die Device Specializations werden aber einen großen Beitrag zur funktionierenden Interoperabilität haben.

Die Initiative Integrating the Healthcare Enterprise (IHE) verfolgt einen Use-Case-basierten Ansatz und profiliert vorhandene oder in der Entwicklung befindliche Normen. Mit dem Profil Services-oriented Device Point-of-care Interoperability (SDPi) ist derzeit das entsprechende Dokument in der Entwicklung. SDPi wird in der Zukunft auch die Grundlage für die Connectathons, die herstellerübergreifenden Systemtests der IHE. Eine erfolgreiche Teilnahme an entsprechenden Anwendungsfällen kann aufschlussreiche Hinweise für zukünftige Beschaffungsvorgänge geben.


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Anwendungsbeispiele

Wie eingangs beschrieben, ist die sichere herstellerübergreifende Vernetzung eine Grundlage zur Lösung diverser drängender Herausforderungen. Zentrale Anzeigen im OP-Saal können die Abläufe verbessern. Die richtige Information zur richtigen Zeit am richtigen Ort versetzt das Team in die Lage, auch in Stresssituationen schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen. Fernsteuerungsmöglichkeiten einer Bedienstation können die Arbeit der sogenannten Springer erleichtern, die gegebenenfalls in Teilen sogar vom sterilen Personal übernommen werden kann, was Verzögerungen minimiert. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat die Herausforderungen in der Behandlung von hochinfektiösen Patientinnen und Patienten gezeigt. Die Möglichkeit, Vital- und Geräteparameter umfassend im Vorraum eines Isolationszimmers zur Anzeige zu bringen und im Rahmen des Risikomanagements auch konfigurierbar zu machen, wird die Behandlungsabläufe verbessern und mehr Zeit für die direkte Patientenbetreuung schaffen. Solche medizinischen Anwendungsfälle wurden 2022 bereits auf den Messen HIMSS in Orlando (USA) und DMEA in Berlin gezeigt. Hinzu kommen neue Möglichkeiten aus dem Bereich der Wartung und der „Predictive Maintenance“, die für den Betrieb von Krankenhäusern von großem Interesse sind.


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„Lautlose“ Intensivstation

Durch die Vernetzung von Patientenmonitoring, Beatmungsgeräten und Spritzen-/Infusionspumpen rückt mit einem verteilten, möglicherweise intelligenten Alarmsystem die Vision der „lautlosen“ Intensivstation in greifbare Nähe. Das Ziel besteht darin, dass die Alarme genau dort signalisiert werden, wo sich die Behandelnden gerade befinden. Dies ist häufig nicht direkt am Bett der entsprechenden Patientinnen und Patienten, sondern in einem anderen Zimmer oder dem zentralen Arbeitsplatz. IEEE 11073 SDC wird es ermöglichen, solche Systeme konform zur Alarmnorm IEC 60601-1-8 über Herstellergrenzen hinweg zu implementieren.

Durch die Vernetzung von Patientenmonitoring, Beatmungsgeräten und Spritzen-/ Infusionspumpen rückt mit einem verteilten, möglicherweise intelligenten Alarmsystem die Vision der „lautlosen“ Intensivstation in greifbare Nähe.

Dr. Martin Kasparick, Forscher an der Universität Rostock

IEEE 11073 SDC stellt die Daten der Medizingeräte in einer semantisch beschriebenen Form dar. Zudem sind Kontext-informationen wie Patienten und Ort vorhanden. Dies ermöglicht eine Übergabe in die verschiedenen Krankenhausinformationssysteme, ohne dass Informationen verloren gehen. Konzepte für entsprechende Gateways und Aggregatoren wurden bereits vorgestellt und in Demonstratoren gezeigt. Ein besonderer Vorteil besteht darin, dass sich die zwei Zukunftstechnologien IEEE 11073 SDC und HL7 FHIR hervorragend ergänzen und einfach in einander überführen lassen.

Die Daten eines vernetzten Medizingerätesystems ermöglichen eine teilautomatisierte Dokumentation von Behandlungen. Dies haben Forschungsarbeiten beispielsweise für HNO-chirurgische Eingriffe gezeigt. So kann dem OP-Team auf der Basis einer Workflow-Erkennung ein teilausgefüllter OP-Bericht zur Kontrolle und Erweiterung zur Verfügung gestellt werden. Eine Verringerung der administrativen Arbeiten schafft einerseits mehr Zeit für die Patientinnen und Patienten, und macht andererseits die Berufe im Krankenhaus attraktiver.


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Das Henne-Ei-Problem auflösen

Verschiedene Hersteller arbeiten derzeit an Produkten, die mittels IEEE 11073 SDC vernetzt werden können. Dies lässt sich etwa an den Demonstratoren mit Prototypen auf internationalen Messen wie HIMSS oder DMEA, den Mitgliedschaften im Verein OR.NET e. V. oder der Teilnahme an den sogenannten Plug-a-thon-Veranstaltungen ablesen. Das Management von Kliniken sollte die Medizintechnikindustrie in dieser Entwicklung bestärken, indem es Interoperabilität einfordert und in zukünftige Ausschreibungen aufnimmt. Der große Wunsch der Anwenderinnen und Anwender nach Vernetzung im Krankenhaus kann so in einen Pull-Faktor der Kliniken überführt werden. Dies signalisiert den bisher unentschlossenen Herstellern, dass sich diese Zukunftsinvestition lohnt. So kann das derzeit teilweise zu beobachtende Henne-Ei-Problem, dass Kliniken und Hersteller wechselseitig aufeinander warten, aufgebrochen werden – denn die Zukunft der Medizingeräte ist interoperabel.

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Dr. Martin Kasparick, Institut für Angewandte Mikroelektronik und Datentechnik der Universität Rostock.(© Dr. Martin Kasparick)

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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
14. Dezember 2022

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Der Autor hat auf der Messe DMEA 2022 in Berlin den Demonstrator eines mittels IEEE 11073 SDC vernetzten OP-Saals vorgestellt.(© Dr. Martin Kasparick)
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Dr. Martin Kasparick, Institut für Angewandte Mikroelektronik und Datentechnik der Universität Rostock.(© Dr. Martin Kasparick)