Pneumologie 2017; 71(06): 323-324
DOI: 10.1055/s-0043-101948
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Profitieren stabile COPD-Patienten von einer Langzeit-Sauerstofftherapie?

Long-Term Oxygen Treatment Trial Research Group.
A Randomized Trial of Long-Term Oxygen for COPD with Moderate Desaturation.

New Engl J Med 2016;
375: 1617-1627
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Publication History

Publication Date:
26 June 2017 (online)

 

    In den 70er Jahren konnte gezeigt werden, dass COPD-Patienten mit schweren Entsättigungen unter einer Langzeittherapie mit Sauerstoff länger leben. Später wurde diese Behandlung in ähnlichen Studien an COPD-Patienten mit milden bis moderaten Entsättigungen untersucht; diese hatten jedoch keine ausreichende Power. Eine aktuelle Untersuchung sollte nun nochmals prüfen, ob stabile COPD-Patienten mit moderaten Entsättigungen von einer solchen Therapie profitieren.


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    Initial wurden in der Studie COPD-Patienten untersucht, die in Ruhe moderate O2-Entsättigungen auf 89–93 % hatten. Endpunkt der Studie war die Mortalität. Nach 34 Patienten wurde die Studie erweitert um COPD-Patienten, die unter körperlicher Aktivität Entsättigungen hatten. Dazu mussten sie bei einem 6-Minuten-Gehtest für mehr als 5 Minuten auf minimal 80 % entsättigen oder für 10 Sekunden auf unter 90 %. Der Endpunkt der primären Studie wurde um die erste Hospitalisierung jeglicher Ursache ergänzt. Es wurde 1:1 randomisiert nach

    • Langzeittherapie mit Sauerstoff oder

    • keine Sauerstoff-Therapie.

    Patienten, die bereits in Ruhe entsättigten, erhielten eine 24h-Therapie. Diejenigen, die nur unter Belastung mit dem Sauerstoff abfielen, bekamen während Anstrengungen und nachts Sauerstoff. Die Therapie war nicht verblindet.

    738 Patienten wurden 12–72 Monate lang beobachtet. Weder hinsichtlich Mortalität noch Hospitalisierung ergab sich ein statistischer Unterschied zwischen den beiden Patientengruppen. Es traten in keiner Gruppe vermehrt Exazerbationen der COPD auf. Auch die Hospitalisierung aufgrund der COPD war in beiden Gruppen gleich hoch.

    Ebenfalls konnte kein Unterschied in Bezug auf Lebensqualität, Lungenfunktion oder Gehstrecke im 6-Minuten-Gehtest gezeigt werden.

    Fazit

    Patienten mit einer stabilen COPD, die in Ruhe oder unter Belastung moderat entsättigen, haben laut den Autoren keinen Vorteil von einer Langzeittherapie mit Sauerstoff.

    Dr. Christoph Feldmann, Köln

    Kommentar

    Die Evidenz, auf die sich die Indikation zur Langzeit-Sauerstofftherapie (LTOT) bezieht, ist bekanntermaßen relativ schwach. Nun scheint diese Publikation, immerhin im NEJM erschienen, evidente Klarheit zu schaffen. In unseren Augen aber nur scheinbar, da es einige Aspekte anzumerken gilt, bevor man für seine tägliche Praxis aus diesen Daten die notwendigen Schlüsse für zukünftige Verordnungen zieht.

    Die nachfolgend aufgelisteten Punkte bedürfen der näheren Erwähnung, würden doch einige davon in anderen Fällen der Akzeptanz solcher Daten beim NEJM eher im Wege stehen.

    • Aufgrund mangelnder Rekrutierung wurde nach 7 Monaten das Studienprotokoll bei dieser RCT-Studie geändert.

    • Der Zeitraum für das mediane Follow-up betrug nur 18 Monate.

    • Die Hypoxämie wurde lediglich mittels Pulsoxymetrie, nicht per Blutgasanalyse ermittelt. Die Kriterien für die bekanntlich nicht leichte Diagnosesicherung einer COPD werden nicht näher beleuchtet. Ein Desaturierungsbereich von SaO2 89–93 % ist zumindest als ungewöhnlich zu bezeichnen. Das Kriterium „belastungsinduzierte Desaturierung < 90 % für > 10 Sekunden“ muss man als nicht leicht messbar und somit schwer reproduzierbar bezeichnen.

    • Nächtliche Hypoxämien wurden nicht erfasst.

    • Die Nutzungscompliance wurde nur an ca. 100 stationären Konzentratoren gemessen. Angaben zur mobilen Messung finden sich nur per Selbsteinschätzung. Dabei zeigte sich ein signifikanter Unterschied zwischen apparativer Compliancemessung und Selbsteinschätzung.

    • Es fehlen quantitative Angaben zur Art der mobilen Versorgung. So kamen u. a. auch Stahlflaschen zum Einsatz, die sicher nicht Compliance fördernd für die Nutzung außerhalb des Wohnbereichs waren.

    • Die 738 Patienten wurden über 6 Jahre in 42 Zentren rekrutiert und betreut, d.h. ∅ 18 Pat./Zentrum à 3 Pat./Jahr). Wer selbst Studien durchgeführt hat weiß, dass ein derart aufwendiges Protokoll über so lange Zeit i. d. R. nur dann valide eingehalten werden kann, wenn die Abläufe wirklich professionalisiert sind.

    • Und zuletzt noch: Die Studie wurde u. a. von einem der wesentlichen Kostenträger in den USA, Medicaid Services, gefördert, sodass eine gesundheitsökonomische Finalität, vorsichtig gesagt, zumindest nicht ganz auszuschließen ist.

    Zweifelsfrei benötigen wir bessere Kriterien für die sinnhafte Verordnung einer LTOT. Zwar sind die Kriterien zur Indikation definiert, der direkte, akute Nutzennachweis des Sauerstoffs für den einzelnen Patienten ist noch nicht gefordert, wäre aber sinnvoll. V. a. sollten die individuell notwendigen Flussraten in Ruhe, nachts und bei Belastung erarbeitet werden. Meist verwenden Patienten eine immer gleiche Flussrate in ihrem Alltag (one size fits all Prinzip).

    Die Messung der Nutzungsdauer an Geräten ist technisch möglich und sollte dringend eingefordert werden, um Fehl-, Over- und Under-User zu erkennen.

    Der Gerätemarkt mit mobilen Konzentratoren wird immer unübersichtlicher und die offensichtlich im Raume stehende Suggestion, dass z. B. die Sauerstoffmenge auf Stufe 3 auch 3 l/Minute bei Flüssigsystemen entsprechen würde, ist nach neuen eigenen Studiendaten teils nicht zutreffend.

    Ein mögliches Modell zur Verbesserung der LTOT-Verordnung könnte eine subtile, angemessen finanzierte Diagnostik sein, die dann durch den Lungenfacharzt durchgeführt werden könnte, da hierzu Blutgasanalysen erforderlich sind. Das würde die Indikationsstellung präzisieren und ggf. zu weniger Verordnungen führen, die dann aber den korrekt ausgewählten Patienten wahrscheinlich mehr Nutzen bringen würden, als es das NEJM-Paper suggerieren mag. Das Mehr an Diagnostik-Kosten würde dabei sicher durch ein Weniger an nicht erfolgversprechenden Verordnungen kompensiert werden. Nicht zuletzt sollte der Patient selbst, der diese LTOT ja im Alltag nutzen muss, in den gesamten Prozess der Indikationsstellung mit einbezogen werden, um die Compliance zu optimieren.

    Die vorliegenden NEJM-Daten sollten uns nicht Anlass sein, den Sinn einer LTOT zu grundlegend in Frage zu stellen. Wir sollten aber bei der Verordnung kritisch Nutzen und Belastung für die Patienten individuell abwägen.

    Dr. Rainer Glöckl und Prof. Dr. Klaus Kenn, Schönau am Königssee


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