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DOI: 10.1055/s-0043-104875
Qualität in der Medizin – Ein Instrument zur Schließung von Krankenhäusern
Publication History
Publication Date:
20 April 2017 (online)
Hintergrund
In den letzten Jahren haben sich die Planungsbehörden zunehmend von der zentralen Krankenhausplanung zurückgezogen. Die frühere Auffassung, dass zur bedarfsgerechten regionalen Versorgung der Bevölkerung die notwendigen Krankenhäuser durch den Staat benannt werden müssen und nicht dem allein auf Marktleistung abzielenden Marktmechanismus überlassen werden dürfen, gehört weitgehend der Vergangenheit an. Dieser Paradigmenwechsel bei der Bereitstellung der Krankenhausversorgung als besonderes Gut führt zu einem enormen Druck im Gesundheitswesen. So hat Deutschland im Vergleich zu den anderen europäischen Ländern nach Österreich eine Überversorgung an Krankenhäusern von etwa 20 %, an Krankenhausbetten von etwa 60 % und an stationären Patienten von ca. 40 %. Obwohl die Kosten der Gesundheitsleistungen in Deutschland im Vergleich niedrig sind, liegen in Deutschland die Krankenhausausgaben in Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) 1/6 über dem OECD Schnitt. Die Menge macht es also. Verschärft wird die Situation durch die unzureichende Qualität vieler Krankenhäuser, die grundlegende Qualitätsstandards nicht erfüllen. So halten 35 % der Krankenhäuser in Deutschland keine Computertomografie und 18 % kein Intensivbett vor. Es müssen also Krankenhäuser geschlossen werden, auch weil sich die knappen Personalressourcen (Ärzte, Pflegepersonal) auf zu viele Häuser verteilen und daher lokale Mangelsituationen entstehen (Deutsches Ärzteblatt 2015; 112: A-1071/B-895/C-867).
Ein Kommentar von Eva Quadbeck, Rheinische Post (RP online, Donnerstag, 9. Juli 2015) schildert das Dilemma treffend „Doch anstatt die Symptome direkt zu behandeln schraubt die Gesundheitspolitik an etlichen Stellen herum, damit sich die ganze Chose in die richtige Richtung bewegen möge. Der Grund dafür ist, dass sich kein Politiker auf den Marktplatz stellen und eine Krankenhausschließung verteidigen möchte. Daher werden die Mechanismen so ausgeklügelt, dass am Ende „das System“ für die Schließung von Kliniken verantwortlich sein wird.“ Der Markt entscheidet also, welche Krankenhäuser schließen müssen.
Die Steuerung im Gesundheitswesen erfolgt bisher überwiegend durch das DRG-System. Hierdurch wurden grundsätzliche Werkzeuge (PCCL, CMI) für eine fallbezogene Vergleichbarkeit der Krankenhäuser geschaffen. Aufgrund der fallbezogenen Vergütung ist hierdurch auch eine ökonomische Vergleichbarkeit und transparente Kompetition der Krankenhäuser geschaffen worden. Diese Marktgesetze unter ökonomischen Aspekten führten bisher bereits zur Schließung von etwa 10 – 15 % der Krankenhäuser in Deutschland, denen eine wirtschaftliche Führung mit dem Ziel Gewinne für Reinvestitionen zu erzielen nicht möglich war. Demgegenüber stieg der Bettenanteil der privaten Träger, die aufgrund unterschiedlicher Gründe in diesem System am besten zurechtkommen.
Mittlerweile wurde erkannt, dass das DRG-System als „falsches Anreizsystem“ die Grundlage für zahlreiche Fehlentwicklungen ist. So werden trägerunabhängig in vielen Krankenhäusern zunehmend besonders vergütungsinteressante Leistungen etabliert, die letztlich zu steigenden stationären Fallzahlen und einer Überversorgung mit höheren Gesundheitskosten führen. Die verschlechterte wirtschaftliche Situation der Krankenhäuser führt auch zu einem Qualitätsverlust der Versorgung. Neben den strukturellen Defiziten werden zur Steigerung der Fallzahlen zwar mehr Ärzte generiert, Pflegestellen aber durch Arbeitszeitverdichtung und Stellenreduktion aus Kostengründen eingespart (Der Spiegel 17.12.2016, Nr. 51). Ebenfalls ist innerhalb der Krankenhäuser zwischen den Fachdisziplinen mittlerweile ein Kampf um die Zuordnung der Fälle, insbesondere der „Schnittmengen“ entbrannt, da Budget und Stellenzuteilung von den Erlösen den zugeordneten DRG-Fällen bestimmt werden und eine innerbetriebliche Leistungsverrechnung praktisch nicht stattfindet. Dies betrifft insbesondere die Gastroenterologie als typisches Querschnittsfach mit ihrem hohen Anteil an „Serviceleistungen“ für andere Fachbereiche.
Um aus diesem Dilemma herauszukommen, hat die Politik neben der Steuerung durch das DRG-System jetzt das Instrument der Qualitätsmessung mit der Perspektive der Etablierung eines qualitätsgesteuerten Systems entdeckt. Grundlage hierfür sind die im Sozialgesetzbuch (SGB) V § 137 verankerten Verpflichtungen für die zugelassenen Krankenhäuser (nach § 108) mit Versorgungsvertrag (nach § 111) Qualitätssicherung zu betreiben, der § 7 der Berufsordnung mit Verpflichtung des Arztes zur Teilnahme an qualitätssichernden Maßnahmen und der Auftrag des Krankenhausstrukturgesetzes die Krankenhausplanung um Qualitätskriterien zu erweitern, um Krankenhäusern aus dem Krankenhausplan herauszunehmen (Deutsches Ärzteblatt 2016; 113: B1286 – 1287). Hierbei hat das Institut für Qualität und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) vom gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) den Auftrag erhalten planungsrelevante Qualitätsindikatoren zu entwickeln. Grundlage hierfür ist die Beurteilung der Patientengefährdung angelehnt an das Risiko-Akzeptanz-Modell zur Bewertung gesundheitlicher Gefahren am Arbeitsplatz der Bundesanstalt für Arbeitsschutz. So werden 4 Arten von Patientengefährdung differenziert, nämlich direkter Schaden durch gegebenenfalls katastrophale Einzelereignis (z. B. OP auf der falschen Seite), vermeidbare Schäden durch mangelhafte Versorgungsabläufe (ungenügende Qualität der Behandlungsprozesse), Mangelnde Abwehr von Risiken (z. B. fehlende Nutzung operativer Checklisten) bzw. unnötige Risikoexposition (Indikationsqualität), (Deutsches Ärzteblatt 2016; 113: B1286 – 1287). Mittlerweile wurden 416 Qualitätsindikatoren definiert, von denen zunächst 22 Qualitätsindikatoren für die Frauenheilkunde und Geburtshilfe bzw. Herzchirurgie bis Ende 2017 scharfgeschaltet werden. Hierbei sollen diese Qualitätsindikatoren vergütungsrelevant sein, wobei die Zuschläge sofort greifen, die Abschläge rückwirkend nach 1 Jahr, wenn das Qualitätsproblem dann noch weiter besteht. Die Veröffentlichung dieser Daten macht es für die mit „schlechter Qualität“ auffallenden Krankenhäuser besonders schwer ihre Patienten zu halten und den ökonomischen Anforderungen gerecht zu werden. Gelingt diese Quadratur des Kreises nicht innerhalb von 3 Jahren wird die Zulassung bei nicht nur vorübergehender Nichteinhaltung von Qualitätsvorgaben entzogen. Neben den Vorteilen dieser Regelungen mit Herausnahme objektiv schlechter Klinken aus der Versorgung, Belohnung überdurchschnittlicher Qualität, besseren Grundlagen für QM und Qualitätsarbeit in den Kliniken sehen viele Fachleute die große Gefahr, dass die Qualitätsmessung zur Zweckentfremdung einer Marktbereinigung mit Diskreditierung einzelner Krankenhäuser genutzt wird. Die Bestrafungslogik und Schaffung negativer Anreize wiederspricht auch der Philosophie des QM. Auch besteht die Gefahr von viel neuer Bürokratie mit wenig Wirkung, wobei falsche Entscheidungen aufgrund mangelnder Indikatoren möglich sind.