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DOI: 10.1055/s-0043-105338
Eine Modedroge als Herausforderung für die Perinatalmedizin
Publication History
Publication Date:
23 May 2017 (online)
Liebe Leserinnen und Leser,
„Das Gift, das sich durch Deutschland frisst“ titelte das Magazin „stern“ unlängst in einem Beitrag über die Modedroge Crystal Meth. Die drastische Formulierung bezog sich zum einen auf den stillen, aber zügigen Vormarsch, den die Substanz – ausgehend von Quellen in Tschechien – nicht nur in die grenznahen Regionen Sachsens und Bayerns, sondern ins gesamte Bundesgebiet genommen hat; zum anderen auf die ruinösen gesundheitlichen Folgen, die sie aufgrund ihres hohen Suchtpotentials und ihrer „auszehrenden“ Wirkung zeitigt. Methamphetamin („Meth“), das die sogenannten autonomen Reserven mobilisiert, war unter dem Handelsnamen Pervitin® im Zweiten Weltkrieg u. a. zur Steigerung der Kampfkraft an Soldaten verteilt worden, bevor es – nach einer Phase liberaler Verbreitung (z. B. als „Hausfrauenschokolade“!) – aus dem freien Verkehr genommen wurde. Eine chemisch verwandte Verbindung, das Fenetyllin (Captagon®), soll wegen seiner enthemmenden Wirkung noch heute regelmäßig von terroristischen „Gotteskriegern“ eingenommen werden. Methamphetamin ist mit einfachen chemischen Mitteln aus leicht verfügbaren Ausgangsstoffen synthetisierbar, sodass das meist in kristalliner Form vorliegende („crystal“) Produkt vergleichsweise günstig erhältlich ist. Dies trägt dazu bei, dass die Droge nicht nur in der „Partyszene“, sondern in allen Gesellschaftsschichten von Menschen benutzt wird, die sich von ihrem Alltag überfordert fühlen und dann wegen der offenbar eindrucksvoll belebenden in Verbindung mit einer sexuell stimulierenden Wirkung nur schwer davon loskommen. Der stoffwechselsteigernde Effekt führt zu einer zunächst oft willkommenen Gewichtsabnahme, die dann aber in einen von Haut- und Schleimhautläsionen begleiteten toxischen Marasmus mündet. In der Schwangerschaft konsumiert, führt es zu diversen, von somatischen Fehlbildungen (Herzvitien) bis zu zentralnervösen Auffälligkeiten (Mikrozephalie) reichenden Schäden der Leibesfrucht, weshalb ein rechtzeitiger Entzug dringend erstrebenswert ist. Der Abusus hat speziell in Sachsen derart um sich gegriffen, dass sich die vor Ort tätigen perinatologischen Kollegen veranlasst gesehen haben, einen interdisziplinären „Versorgungspfad Crystal“ zu implementieren, von dem eine Originalarbeit in dieser Ausgabe der ZGN berichtet.
Nicht nur durch das Schnupfen von Drogen, sondern auch infolge der hormonellen Umstellungen in der Schwangerschaft kann es zu einer chronischen Irritation der Nasenschleimhaut kommen; sie wird als Schwangerschaftsrhinitis bezeichnet, zu deren Diagnostik und Therapie ein Artikel dieser Ausgabe ein aktuelles Update vermittelt. Eine weitere Übersicht widmet sich dem nicht-immunologischen Hydrops fetalis, der bekanntlich eine diagnostisch wie therapeutisch oftmals frustrierende Entität darstellt; in dem Beitrag werden die kardialen Ätiologien hinsichtlich ihrer Pathophysiologie sowie gegenwärtiger und zukünftiger Behandlungsoptionen beleuchtet.
Dass Frühgeburtlichkeit mit elterlichem Stress verknüpft ist, der die Mutter-Kind-Interaktion nachhaltig beeinflussen kann, ist Jedem, der in diesem Feld tätig ist, auf einer qualitativen Ebene wohl bekannt. Das Ausmaß der individuell recht unterschiedlichen Stressbelastung auf einer quantitativen Ebene zu erfassen, war hingegen bislang nur mittels eines englischsprachigen „psychometrischen“ Erhebungsbogens möglich. Eine Arbeitsgruppe aus Graz hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen Fragebogen ins Deutsche zu übertragen und für „einheimische“ Gegebenheiten zu validieren, wovon in einer weiteren Originalarbeit berichtet wird.
Abgerundet wird die vorliegende Ausgabe der ZGN durch eine Kasuistik, in der es um die Differenzierung einer Urachuszyste und einer Urethralklappe als möglicher Ursachen eines akuten Nierenversagens bei einem Neugeborenen mit Down-Syndrom geht, sowie durch einen Beitrag aus der Rubrik „Perinatalmedizin in Bildern“, der sich dem seltenen Erscheinungsbild eines kongenitalen melanozytären Riesennaevus widmet.
Mir bleibt nur, Ihnen eine wie immer abwechslungsreiche und anregende Lektüre zu wünschen,
Ihr
Dominique Singer