Hintergrund: fehlende Richtlinien für RTP bei LBP
Hintergrund: fehlende Richtlinien für RTP bei LBP
Bei Assessment und Behandlung von Sportlern mit LBP (Low Back Pain) steht vor allem
eine Frage im Vordergrund: Wann kann er oder sie wieder zurück in den Sport? Bis
heute gibt es für keine Sportart verbindliche Richtlinien für den RTP, an denen sich
der behandelnde Sportphysio orientieren könnte. Das Fehlen von Richtlinien ist
wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass zurzeit kaum Fachliteratur zu diesem
Thema zur Verfügung steht. Dieser Umstand führt zu Schwierigkeiten bei der
Standardisierung [1], [2], [3], [4],
[5], [6], [7], [8].
Die zweite häufig gestellte Frage lautet: Kann der Sportler trotz Schmerzen spielen?
Auf diese Frage gibt es keine einfache Antwort. Zum Beispiel wird Sportlern, bei
denen eine Spondylolyse vermutet wird, geraten zu pausieren, wenn Schmerzen
auftreten, während Sportler mit chronischem LBP aufgrund einer Muskelzerrung oder
Bänderdehnung weiter trainieren und an Wettkämpfen teilnehmen können. Für beide
Szenarien gibt es jedoch nur wenig Evidenz [2], [3], [4], [5], [6], [7], [8]. Für Probleme im
Bereich der Lendenwirbelsäule wurden auf Expertenmeinungen basierende Richtlinien
zum Zeitrahmen für einen RTP veröffentlicht [7]. Diese
Richtlinien empfehlen, bei Zerrungen im LWS-Bereich vor dem RTP die Beweglichkeit
vollständig wiederherzustellen. Patienten mit Spondylolyse und Spondylolisthese
(Stufe 1) sollten vier bis sechs Wochen pausieren und erst wieder spielen, wenn die
Beweglichkeit vollständig wiederhergestellt und eine schmerzfreie Extension möglich
ist [3]. Sportler mit einem lumbalen
Bandscheibenvorfall sollten nach einer Operation sechs bis 12 Wochen pausieren. Nach
einer Wirbelsäulenfusion sollte eine Auszeit von einem Jahr bis zur Wiederaufnahme
der sportlichen Aktivitäten eingelegt werden [2].
Viele Chirurgen vertreten die Meinung, dass nach einer Wirbelsäulenfusion
Kontaktsportarten überhaupt nicht mehr ausgeübt werden sollten [2]. Iwamoto und Kollegen verglichen in einem Review
chirurgische und konservative Behandlungsmethoden für lumbale Bandscheibenvorfälle
u. a. im Hinblick darauf, wie viel Zeit die Sportler benötigten, um ihr früheres
Leistungsniveau wieder zu erreichen [9]. 79 % der
konservativ behandelten Sportler benötigten dafür durchschnittlich 4,7 Monate,
während 85 % der Sportler, die durch eine Mikrodisektomie behandelt wurden, 5,2 bis
5,8 Monate benötigten. 69 % der Sportler mit einer perkutanen Disektomie benötigten
sieben Wochen bis 12 Monate [9]. Soweit den Autoren
bekannt ist, basieren diese Richtlinien hauptsächlich auf starren Zeitvorgaben für
Heilung und Tests zur Beweglichkeit. Symptomatische, mechanische und funktionelle
Befunde wurden dabei nicht berücksichtigt.
Angesichts des Mangels an eindeutiger Evidenz ist es für den behandelnden Physio
wichtig, spezifische Kriterien zu finden, welche den zeitlichen Ablauf des RTP
definieren. Ein Ansatz, um den richtigen Zeitpunkt für den RTP zu bestimmen, ist die
Identifikation von Directional Preference (DP) und Zentralisation. Greg Lynch
erörtert im Vertiefungsartikel die Bedeutung von DP. Das Einbeziehen dieser
definierten Kriterien könnte ein erster Schritt zur Etablierung funktioneller und
verlässlicher Richtlinien für den RTP sein. In diesem Fallbericht stelle ich die
Behandlung eines Sportlers mit LBP vor und zeige, wie diese Richtlinien angewandt
werden können, um den Sportler wieder auf sein früheres Spielniveau zu bringen.
Der Patient: junger und großer Footballspieler mit BS-Vorfall
Der Patient: junger und großer Footballspieler mit BS-Vorfall
Bei dem Patienten handelte es sich um einen 20-jährigen College-Footballspieler, der
vom Mannschaftsorthopäden überwiesen worden war. Diagnostiziert wurden ein „großer“
L 5-S 1-Bandscheibenvorfall und eine linksseitige S 1-Radikulopathie. Der Patient
war 1,88 Meter groß und wog 102 Kilogramm. Bei der Erstuntersuchung beim
Mannschaftsorthopäden gab er seine Schmerzen mit 8/10 auf einer VAS-Skala an. Die
Schmerzen waren in der linken Gesäßhälfte und im linken posterioren Oberschenkel
lokalisiert. Sie traten vor zwei Wochen zum ersten Mal auf, nach der Teilnahme an
einem Mannschaftstraining, bei dem Gewichte zum Einsatz kamen. Das Programm
beinhaltete Kniebeugen mit Gewichten, Gewichtheben (sogenannte Power Cleans),
Kreuzheben und plyometrisches Training. Die Schmerzen begannen ungefähr zwei Wochen
nach Beginn des Übungsprogramms. Anfänglich verspürte der Sportler einen dumpfen
Schmerz im linken unteren Rückenbereich beim Kreuzheben mit 200 Kilogramm. Dieser
dumpfe Schmerz nahm immer weiter zu und trat dann auch beim Vorbeugen, beim Laufen
und beim plyometrischen Training auf. Der Sportler bemerkte, dass die Schmerzen
manchmal beim Stehen, Sitzen und Gehen zunahmen. Außerdem berichtete er, dass die
Schmerzen regelmäßig Schlafstörungen zur Folge hatten und frühmorgens schlimmer
waren als zu anderen Tageszeiten. Er gab ein positives Valsalva-Zeichen an. Außerdem
provozierten Husten und Niesen sowie Pressen beim Stuhlgang die Beschwerden. Die
größte Schmerzlinderung wurde durch Einnahme der Embryo-Haltung erreicht, vor allem,
wenn er auf der linken Seite lag. Weiterhin gab er an, dass er keine Schwäche in den
Beinen verspürte, jedoch in den linken hinteren Oberschenkel reichende
Parästhesien.
Nach einer Besprechung mit dem Mannschaftsarzt erhielt er eine Packung Prednison –
ein Kortisonpräparat – und wurde zur Physiotherapie überwiesen. Seine Vorgeschichte
war unauffällig. Zum Zeitpunkt der Erstuntersuchung beim Physiotherapeuten nahm er
Prednison und Naproxen sowie ein Muskelrelaxans. Er hatte sich nie einer Operation
unterziehen müssen, keine schwerwiegenden Stürze oder Unfälle erlitten und gab
keinen bösartigen Nachtschmerz an. Wegen eines Problems mit der rechten Schulter,
das durch konservative Behandlung gelöst werden konnte, war er vor zwei Jahren
physiotherapeutisch behandelt worden. Abgesehen von den Medikamenten war sein
aktueller LBP bis zu diesem Zeitpunkt nicht behandelt worden.
Klinische Untersuchung
Erstuntersuchung
Die physiotherapeutische Erstuntersuchung wurde von einem Fellow of the
American Academy of Orthopedic and Manual Physical Therapy mit
MDT-Diplom durchgeführt. Wie bereits beschrieben, wurde dokumentiert, dass die
Schmerzen im Rücken und im linken Bein auftraten. Der
Roland-Morris-Funktionsfragebogen ergab 16/24. Das MRT zeigte eine
große posteriore Bandscheibenextrusion, die praktisch den gesamten Spinalkanal
auf der linken Seite ausfüllte ([
Abb. 1
]).
Abb. 1 Das MRT des 20-jährigen Footballspielers zeigt eine große
posteriore Bandscheibenextrusion. (Quelle: J. Kidd)
Bei der Untersuchung des Patienten ging der Therapeut nach dem
MDT-Untersuchungssystem vor (wie von Robin McKenzie beschrieben [10]). Die Körperhaltung des Patienten war leicht
gekrümmt und durch eine deutlich reduzierte Lumballordose gekennzeichnet. Es
waren keine akuten Deformierungen wie „akute Kyphose“ oder „akuter lateraler
Shift“ zu erkennen. Eine erste Korrektur der Körperhaltung hatte keine Wirkung
auf die Symptome.
Die neurologische Untersuchung zeigte einen bei 30° positiven SLR (Straight Leg
Raise), der die Symptome im linken Bein hervorrief. Der Achillessehnenreflex
links war abgeschwächt. Alle anderen Reflexe waren unauffällig. Außerdem wurde
eine umlaufende Taubheit in der linken Wade und dem linken Fuß festgestellt.
Manuelle Muskeltests ergaben 5/5 in beiden Beinen für alle Hauptmuskelgruppen.
Eine einbeinige Kniebeuge war jedoch links nicht möglich.
Die Beweglichkeit der Wirbelsäule im Stehen wurde gemessen und entsprechend dem
MDT-Untersuchungsformular qualitativ bewertet (d. h. minimale, moderate oder
schwere Restriktion in den sagittalen und frontalen Ebenen). Bei allen
Bewegungen in der sagittalen und frontalen Ebene war die Beweglichkeit
reduziert. Ebenso stellte der Physio starke Einschränkungen bei Extension ([
Abb. 2
]) und Seitgleiten nach links ([
Abb. 3
]) fest. Flexion ([
Abb. 4
]) und Seitgleiten nach rechts ([
Abb. 5
]) wiesen kleinere Einschränkungen
auf. Flexion, Extension und Seitgleiten nach rechts führten alle zu einer
Zunahme der bekannten Schmerzen im Bein. Seitgleiten nach links (der
schmerzhaften Seite des Patienten) reduzierte die Schmerzen kurzfristig. Als er
in die Ausgangsposition zurückkehrte, war jedoch keine Verbesserung der Symptome
zu beobachten.
Abb. 2 Bei der Untersuchung der WS-Beweglichkeit in Extension
fanden sich starke Einschränkungen, … (Foto: J. Kidd)
Abb. 3 … ebenso beim Seitgleiten nach links. (Foto: J. Kidd)
Abb. 4 Flexion … (Foto: J. Kidd)
Abb. 5 … und Seitgleiten nach rechts zeigten kleinere
Einschränkungen. (Foto: J. Kidd)
Einer der wichtigsten Aspekte eines MDT-Assessments ist die Reaktion des
Patienten auf wiederholte Bewegungen, durch die eine Zentralisation der
Schmerzen oder eine Directional Preference (DP) identifiziert werden soll. Auf
Grundlage der bisherigen Erkenntnisse zum Patienten und den Prinzipien der MDT
instruierte der Therapeut den Patienten, mehrere Extensionen im Liegen
hintereinander auszuführen. Nach zehn Wiederholungen berichtete der Patient eine
Schmerzzunahme im linken Bein, was als Verschlimmerung der Symptome
interpretiert wurde. Angesichts dieser offensichtlichen Verschlimmerung der
Symptome bei Extensionsbewegungen beschloss der Therapeut, den Einfluss
wiederholter Bewegungen in der frontalen Ebene (Seitgleiten im Stehen) zu
untersuchen. Diese klinische Entscheidung basierte auf der Reaktion des
Patienten auf Extensionsbewegungen und auf seiner früheren Reaktion auf
Belastungsstrategien in der frontalen Ebene (Schmerz eliminiert, jedoch nicht
bleibend besser). Eine einmalige Wiederholung des Seitgleitens im Stehen (SGIS)
nach links rief dieselbe Reaktion wie bei der Testung der Beweglichkeit hervor
(d. h. Eliminierung der Schmerzen), aber wieder war nach der einmaligen
Wiederholung keine Verbesserung zu beobachten. Auf Grundlage dieser Reaktion
wurde der Patient instruiert, mehrere SGIS nach links auszuführen. Nach 15
Wiederholungen kehrten die Schmerzen in der linken Gesäßhälfte immer wieder
zurück, nachdem die Bewegung beendet worden war. Diese Strategie brachte also
keine bleibende Verbesserung. Um Bewegungen in der frontalen Ebene weiter zu
untersuchen, wurde der Patient gebeten, zwei Minuten lang eine gehaltene
Rotation in Flexion mit den Knien nach links auszuführen ([
Abb. 6
]). Der Patient berichtete, dass
während dieser Zeit Schmerzen in der linken Gesäßhälfte verschwanden und auch
nicht wiederkehrten, nachdem er in die Ausgangsposition zurückgekehrt war.
Abb. 6 Directional Preference: gehaltene lumbale Rotation in
Flexion (Foto: J. Kidd)
Klinische Schlussfolgerung
Klinische Schlussfolgerung
Die Reaktion des Patienten auf wiederholte Bewegungen in der sagittalen und frontalen
Ebene zeigen, dass bei ihm eine Zentralisation durch Bewegungen in der frontalen
Ebene vorliegt. Darüber hinaus hatten die Belastungsstrategien in der sagittalen
Ebene unerwünschte Reaktionen hervorgerufen. Positive, wenn auch nicht nachhaltige
Veränderungen waren in der frontalen Ebene aufgetreten, wenn der Patient eine
gewichttragende Haltung (Stehen) einnahm.
Die vorläufige Klassifikation dieses Patienten im MDT-System ist: Derangement,
unilaterale Schmerzen oberhalb des Knies.
Erste Intervention
Auf Grundlage der Reaktion während der Tests mit wiederholten Bewegungen
entschied sich der Therapeut für eine lumbale Rotation in Flexion mit den Knien
nach links ([
Abb. 6
]). Er wählte eine
unbelastete Ausgangsstellung, weil – wie bereits beschrieben – Seitgleiten im
Stehen eine Zunahme der Symptome verursachte und die unbelastete Bewegung‚
Rotation nach links, zur erwünschten Reaktion führte. Diese kombinierte Bewegung
eliminierte die Schmerzen des Patienten vollständig und bewirkte eine
signifikante Verbesserung der Beweglichkeit in der sagittalen Ebene, als der
Patient erneut im Stehen getestet wurde. Der Patient erhielt Instruktionen zur
Verbesserung seiner Körperhaltung und ein Übungsprogramm, das nur eine einzige
Übung umfasste (gehaltene Rotation für 2 Minuten mit den Knien nach links), die
sechs bis acht Mal pro Tag ausgeführt werden sollte. Anschließend wurde der
Patient nach Hause geschickt.
Behandlungsverlauf
2. Behandlungstermin
Der Patient kehrte zwei Tage später zurück und berichtete, er sei fast
schmerzfrei und verspüre lediglich morgens eine leichte „Steifheit“. Die
Schmerzbehandlung durch die Rotation-in-Flexion-Übung hatte gut angeschlagen.
Die Messung der Beweglichkeit lieferte nun sehr gute Ergebnisse, auch wenn
Flexion, Extension und Seitgleiten nach links immer noch leicht eingeschränkt
waren. Angesichts dieser Fortschritte ordnete der Therapeut Bewegungen in der
sagittalen Ebene gemäß den MDT-Behandlungsprinzipien an. Nach der guten Reaktion
des Patienten auf unbelastete Übungen wurden auch Bewegungen in der sagittalen
Ebene ohne Gewichtsbelastung in Angriff genommen. Der Patient führte wiederholte
Extensionen im Liegen durch. Nach vier Sätzen mit je zehn Wiederholungen gab der
Patient an, dass die Schmerzen verschwunden wären. Die anschließende
Untersuchung ergab, dass die Beweglichkeit in allen Ebenen fast vollständig
wiederhergestellt war, mit Ausnahme der Flexion, die immer noch Schmerzen im
linken Gesäßbereich verursachte. Angesichts seiner positiven Reaktion auf die
Extensionsübungen im Liegen wurde der Patient instruiert, diese weiter
durchzuführen und nach wie vor an seiner Körperhaltung zu arbeiten.
3. Behandlungstermin
Nach drei Tagen erschien der Patient wieder und berichtete, dass die positive
Entwicklung seiner Symptome weiter voranging, er aber immer noch an zeitweilig
auftretender Steifheit in der linken unteren LWS-Bereich litt, vor allem während
der Morgenstunden. Abgesehen von einer leichten Einschränkung der Extension war
die Beweglichkeit nun in allen Bewegungsebenen normal. Die Übung, die er zu
Hause praktizierte, hatte mittlerweile keine Wirkung mehr auf die Symptome.
Angesichts der Stagnation der Symptome entschied sich der Therapeut, den
Patienten die Übung mit manuellem Überdruck durch den Therapeuten ausführen zu
lassen. Nach 20 Wiederholungen waren die Schmerzen vollständig eliminiert, und
die Beweglichkeit war in sämtlichen Ebenen wiederhergestellt. Der Therapeut
zeigte ihm, wie er diesen Überdruck selbst erzeugen könne, und wies ihn an,
diese Übung weiterhin zu Hause zu praktizieren. 24 Stunden später fand die
nächste Untersuchung statt, die zeigte, dass seine lumbale Mobilität nun wieder
völlig schmerzfrei war.
Abb. 7 Extension mit Überdruck durch den Therapeuten (Foto: J. Kidd)
Return to Sport
Die MDT-Prinzipien für die Behandlung eines Derangements umfassen vier
Behandlungsphasen: (1) Reduktion, (2) Erhaltung der Reduktion, (3)
Funktionswiederherstellung und (4) Prophylaxe. Angesichts des aktuellen Status des
Patienten und der dauerhaften symptomatischen und mechanischen Verbesserungen
(Beweglichkeit) wurde nun die dritte Phase – Funktionswiederherstellung –
eingeleitet. Im Allgemeinen versteht man unter „Funktionswiederherstellung“ die
Wiederherstellung aller Bewegungen, die zuvor eingeschränkt waren und Schmerzen
verursachten, gefolgt von der Rückkehr zu normaler Aktivität. Bei Sportlern müssen
außerdem Aspekte berücksichtigt werden wie die spezifischen Anforderungen ihrer
Sportart, das Trainingsprogramm in der spielfreien Zeit und die Einstellung und
Überzeugungen des Sportlers in Bezug auf seine Verletzung. Zunächst wurde seine
Bewegungsfähigkeit in allen Ebenen untersucht und als vollständig und schmerzfrei
eingestuft ([
Abb. 8–11
]). Der SLR war nun bei
90°, und der Patient war in der Lage, Beugebewegungen mehrfach auszuführen, ohne
dass Symptome auftraten. Danach führte der Therapeut mit ihm ein ausführliches
Gespräch über seine Einstellung gegenüber seiner Verletzung. Dieses Gespräch diente
dazu, kein angstbedingtes Vermeidungsverhalten seitens des Sportlers aufkommen zu
lassen und sein Selbstbewusstsein im Hinblick auf seinen RTS zu stärken. Gegenstand
dieses Gesprächs war auch die Fachliteratur, der zu entnehmen ist, dass abnormale
MRT-Befunde bei asymptomatischen Personen nicht ungewöhnlich sind [11]. Zuletzt wurde das Trainingsprogramm des Patienten
evaluiert. Wichtige Aspekte waren dabei die verschiedenen Trainingsaktivitäten, der
Trainingsumfang sowie Häufigkeit, Intensität und Zeitplan des Trainings. Zur Sprache
kamen auch die außersportlichen Aktivitäten des Patienten wie berufliche
Anforderungen und Freizeitbeschäftigungen. Auf Grundlage dieser Informationen und in
Absprache mit seinem Kraft- und Ausdauertrainer wurde ein abgestuftes
Belastungsprogramm für den Sportler entwickelt.
Abb. 8–11 Nach der 2. Sitzung wurde die Bewegungsfähigkeit nochmal in
allen Ebenen untersucht und als vollständig und schmerzfrei eingestuft. (Foto: J. Kidd)
Abb. 12 6. Behandlungstermin: Hüftflexion (Hip Hinge) mit Stab zur
Kontrolle der WS-Haltung (Foto: J. Kidd)
Abb. 13 7. Behandlungstermin: Hüftflexion auf einem Bein (Single Leg
Hip Hinge) (Foto: J. Kidd)
Abb. 14 und 15 8. Behandlungstermin: Kreuzheben mit Kugelhantel
(Kettlebell Deadlift) und Kreuzheben mit Kugelhantel auf einem Bein
(Kettlebell Single Leg Deadlift) (Foto: J. Kidd)
Die Auswahlkriterien und die Durchführungsweise der Übungen und Belastungsstrategien
folgen, wie bereits erwähnt, den MDT-Prinzipien für die Behandlung eines
Derangements (3. Behandlungsphase). Aufgrund der limitierten Evidenz zum Thema RTP
und zur Ausführung von Bewegungen mit hohem Kraftaufwand wurden die symptomatischen
(Lokalisierung der Symptome) und mechanischen (Kraft, Beweglichkeit, neurale
Spannung) Wiederbefunde des Patienten sowohl vor als auch nach Ausführung der
Übungsbewegungen evaluiert. Wenn der Patient in der Lage war, die Bewegungen
auszuführen, ohne dass sich die Wiederbefundwerte verschlechterten, wurde der
Schwierigkeitsgrad der Übungen erhöht: von Bewegungen in einer Ebene zu Bewegungen
in mehreren Ebenen, von Übungen auf beiden Beinen zu Übungen auf einem Bein, von
unbelasteten zu belasteten Bewegungen, von langsam/kontrolliert zu plyometrisch. Im
Einzelnen handelte es sich bei den Übungen um:
-
4.und 5. Behandlungstermin: wiederholte Flexion im Liegen, Steigerung
zu wiederholter Flexion im Stand
-
6. -8. Behandlungstermin (s. Fotos Seite 76)
-
9. Behandlungstermin
Kugelhantel-Schwingen (Kettlebell Swings)
(s. [
Video 1
]) „Turkish Get Up” (s. [
Video 2
])
-
10. Behandlungstermin
Kreuzheben mit Langhantel (Barbell
Deadlift) (s. [
Video 3
])
Kugelhantel-Reißen (Kettlebell
Snatches) (s. [
Video 4
])
-
11. Behandlungstermin
Jerks (s. [
Video 5
])
-
12. Behandlungstermin
Schlittenschieben (Sled Push) (s. [
Video 6
])
Video 1 zum Kettlebell Swings aus dem 9. Behandlungstermin
Video 2 zum Turkish Get Up: eine Kettlebell-Übung aus dem
9. Behandlungstermin
Video 3: Kreuzheben mit Langhantel (Barbell Deadlift)
Video 4: Kugelhantel-Reißen (Kettlebell Snatches)
Video 6: Schlittenschieben (Sled Push)
Während der gesamten Rehabilitationsdauer blieb der Therapeut in Kontakt mit dem
Kraft- und Ausdauertrainer des Sportlers, um mögliche Probleme bereits im Vorfeld
auszuräumen bzw. gemeinsam zu lösen.
Abschluss der Therapie
Zum Zeitpunkt der letzten Sitzung, vier Wochen nach Beginn der Physiotherapie,
konnte der Sportler wieder an allen Trainingsaktivitäten der spielfreien Zeit
teilnehmen. Beim Roland-Morris-Funktionsfragebogen (RMQ) schnitt er mit
0/24 ab. Die minimal bedeutsame klinische Differenz für den RMQ liegt
nachweislich bei 5 Punkten für die gesamte Skala [12]. Nach seiner Entlassung aus der Physiotherapie nahm der Sportler
noch zwei weitere Male Kontakt zum Therapeuten auf: nach Beginn des Trainings
für die kommenden Spiele und während seiner Teilnahme am ersten Spiel. Beim
ersten Besuch berichtete er, dass er keine Schmerzen mehr verspüre, aber ein
gelegentliches leichtes „Kribbeln“ im linken Bein, das nach seinen Workouts
auftrat. Bei seinem letzten Besuch war er, abgesehen von leichtem LBP nach einem
Spiel, den er mithilfe seiner Übungen problemlos behandeln konnte,
symptomfrei.
Diskussion
Aufgrund des Mangels an Evidenz ist es schwierig, standardisierte Richtlinien für den
RTP bei LBP aufzustellen. Während man für die Entwicklung von RTP-Richtlinien bei
Verletzungen der unteren Extremität auf zahlreiche Fachartikel zurückgreifen kann
(FMS, Hüpftest, Star Excursion Balance Test, Y-Balance-Test), ist es bisher nicht
gelungen, verbindliche Richtlinien für LBP aufzustellen [13]. Zwar stehen viele funktionelle Leistungstests zur Verfügung, die
dazu beitragen können, den richtigen Zeitpunkt für die Rückkehr zu uneingeschränkter
Aktivität zu ermitteln, aber es ist nur wenig darüber bekannt, in welchem Verhältnis
die verschiedenen Tests zueinander stehen und welche Tests besser einzeln oder in
Kombination mit anderen Tests angewandt werden sollten, um ein möglichst breites
Spektrum an Funktionen zu untersuchen [13]. Aufgrund
der fehlenden Standardisierung des RTP ist es wichtig, die symptomatischen,
mechanischen und funktionellen Wiederbefunde zu überwachen, sodass sie als
Orientierungspunkte für den Rehabilitationsprozess dienen können. Ein neuartiger
Ansatz für den RTP könnte die Einbeziehung von Directional Preference und
Zentralisation sein. Findet man diese Phänomene, so sind sie aussagekräftige
Prädiktoren für Schmerzen und funktionelle Ergebnisse [14], [15], [16]. Treten sie nicht auf, ist die Prognose eher unsicher [14], [15], [16]. Aufgrund der Menge an Fachliteratur, die diese
starken Prädiktoren stützt, ist es wichtig, ihren potenziellen Nutzen für die Arbeit
mit Sportlern anzuerkennen. Wie in diesem Fallbericht gezeigt wurde, kamen immer
dann, wenn im Verlauf der Rehabilitation eine Verschlechterung der Wiederbefunde
eintrat, die symptomreduzierenden Übungen zum Einsatz, und das Trainingsregime wurde
modifiziert, um eine kontinuierliche Verschlechterung zu verhindern. Sobald der
Sportler in der Lage war, alle sportspezifischen Aktivitäten ohne Verschlechterung
der oben genannten Wiederbefunde auszuführen, konnte er ohne Beschwerden seine
früheren Aktivitäten wieder aufnehmen.
Ein neuartiger Ansatz für den RTP könnte die Einbeziehung von Directional
Preference und Zentralisation sein.
Könnten diese Prinzipien auch auf den RTP angewendet werden? Vielleicht ist ein
Paradigmenwechsel in unserem Denken nötig, in der Form, dass wir uns stärker an den
symptomatischen und mechanischen Wiederbefunden orientieren als an pathoanatomischen
Befunden und an auf starren Zeitvorgaben basierenden Protokollen. Die Identifikation
von Directional Preference und Zentralisation könnte eine angemessenere
Vorgehensweise für die Behandlung von Sportlern sein, sowohl für das Training
während der Saison als auch für das Training in der spielfreien Zeit. Dieser
Fallbericht zeigt, wie eine auf den Reaktionen eines Sportlers basierende Methode,
bei der Directional Preference und Zentralisation im Mittelpunkt stehen, für die
Sportlerpopulation insgesamt von Nutzen sein könnte.
-
„Wiederholte Bewegungstests“ können sowohl in der Diagnostik als auch in
der Therapie von Sportlern sehr nützlich sein.
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Directional Preference und Zentralisation bieten einen neuen Ansatz, um
den Zeitpunkt für Return to Sport von Rückenpatienten zu bestimmen.
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Mit dem Wissen um die passende Behandlungsstrategie können sich Sportler
auch während eines Wettkampfs effektiv selbst behandeln.