Folgende Organisationen und Fachgesellschaften waren durch Autoren während des gesamten Leitlinienprozesses vertreten:
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP e. V.) (T. Schaberg, R. Diel)
Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) (C. Feiterna-Sperling)
Gesellschaft für Pädiatrische Pneumologie (GPP) (F. Brinkmann)
Robert Koch-Institut (RKI) (W. Haas, B. Hauer)
Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (DGI) (P. Hartmann, J. Heyckendorf)
Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) (C. Lange)
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) (A. Nienhaus)
Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose (DZK e. V.) (T. Bauer, R. Otto-Knapp, K. Schenkel)
Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des öffentlichen Gesundheitsdienstes e. V. (BVGÖD) (M. Priwitzer)
Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) (E. Richter)
Österreichische Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP) (R. Rumetshofer)
Schweizer Gesellschaft für Pneumologie (SGP), Kompetenzzentrum Tuberkulose, Lungenliga Schweiz (O. Schoch)
Verband Pneumologischer Kliniken (VPK) (N. Schönfeld)
Deutsche Gesellschaft für experimentelle und klinische Pharmakologie und Toxikologie (DGPT) (R. Stahlmann)
Punktuell und/oder abschließend beratend tätig waren folgende Fachgesellschaften:
Berufsverband der Deutschen Radiologen e. V. (BDR) (PD Dr. med. Karina Hofmann-Preiß, Erlangen)
Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie e. V. (DGHNOKHC) (PD Dr. med. Armand Koch, Luxemburg, Luxemburg)
Deutsche Gesellschaft für Neurologie e. V. (DGN) (PD Dr. med. Annette Spreer, Mainz)
Deutsche Gesellschaft für Thoraxchirurgie e. V. (DGT) (PD Dr. med. Paul Schneider, Berlin)
Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie e. V. (DGOOC) (Prof. Dr. med. Peer Eysel, Köln)
Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e. V. (DGRh) (Prof. Dr. med. Christian Kneitz, Rostock; Prof. Dr. med. Ulf Wagner, Leipzig)
Deutsche Gesellschaft für Urologie e. V. (DGU) (Prof. Dr. med. Andreas Böhle, Bad Schwartau)
Deutsche Dermatologische Gesellschaft e. V. (DDG) (Prof. Dr. med. Mario Fabri, Köln)
Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) (Prof. Dr. med. Manfred Zierhut, Tübingen)
Methodik
Ziel der Leitlinie ist es, den aktuellen Wissensstand zur Diagnose und Therapie der Tuberkulose darzustellen. Sie richtet sich an alle in der Prävention, Diagnostik und Behandlung der Tuberkulose beteiligten Ärzte und Personengruppen und dient als Informationsquelle und Leitfaden im stationären und ambulanten Bereich. Sie gilt für alle erwachsenen Patienten ab dem 15. Lebensjahr mit dem Verdacht oder Nachweis einer Tuberkulose oder latenten Tuberkulose in Deutschland. Eine Leitlinie zur Tuberkulose bei Kindern erscheint im Laufe des Jahres 2017.
Die Erstellung der Leitlinie folgte der Systematik der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften (AWMF, www.awmf.org : AWMF-Registernummer 020-019) durch eine strukturierte Konsensfindung. Die Umsetzung wurde durch das DZK unter Beteiligung von Experten aller für die Tuberkulose relevanten Fachgesellschaften realisiert. Da es sich um eine S2k-Leitlinie handelt, fand keine systematische Literaturrecherche oder Evidenzbewertung statt. Berücksichtigt wurden die aktuellen Empfehlungen des DZK, der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der American Thoracic Society (ATS), des Centers for Disease Control (CDC) und die Empfehlung der Lungenliga Schweiz (www.tbinfo.ch ). In der konstituierenden Leitliniensitzung wurden die Mitglieder der Leitliniengruppe nach fachlicher Expertise in sechs Arbeitsgruppen eingeteilt. In den folgenden Leitliniensitzungen wurden die erarbeiteten Kapitel Schritt für Schritt auf Inhalt, Empfehlungsstärke und Konzeptionelles mithilfe eines unabhängigen Moderators unter Hinzunahme der Delphi-Technik konsentiert. Die Empfehlungsstärken wurden wie folgt festgelegt:
„soll“, „sollen“ – hohe Empfehlungsstufe
„sollte“, „sollten“ – mittlere Empfehlungsstufe
„kann“, „können“ – niedrige Empfehlungsstufe
Nach Fertigstellung des Manuskriptes wurde dieses allen beteiligten Fachgesellschaften zur Verabschiedung vorgelegt und eine Frist von 8 Wochen zur Kommentierung eingeräumt. Eine Erklärung zu möglichen Interessenkonflikten wurde von allen Autoren erbracht und ist über die AWMF einsehbar. Die Gültigkeit der Leitlinie beträgt 5 Jahre; sollte es zwischenzeitlich wesentliche, wissenschaftlich belegte, Änderungen geben, muss die Leitlinie gegebenenfalls vorher geändert werden.
Finanzierung
Die Aktualisierung der Leitlinie wurde vom Präsidium des DZK e. V. in der Sitzung vom 13.11.2014 beschlossen und am 20.11.2014 der AWMF zur Kenntnis gebracht. Die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP e. V.) hat die Leitlinie durch einen Beitrag zu den laufenden Personalkosten in den Jahren 2015 und 2016 jeweils mit € 20.000,00 unterstützt. Die folgenden Vereine und Gesellschaften haben die Erstellung dieser Leitlinie durch eine Zahlung ermöglicht: Niedersächsischer Verein zur Bekämpfung der Tuberkulose, Lungen- und
Bronchialerkrankungen e. V. (€ 20.000), Verband Pneumologischer Kliniken (€ 5.000), Westdeutsche Gesellschaft für Pneumologie (€ 3.000), Norddeutsche Gesellschaft für Pneumologie (€ 2.500) und die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie (€ 1.500). Der Verwendungsnachweis der gespendeten Gelder liegt vor und kann direkt beim DZK angefordert werden (info@dzk-tuberkulose.de).
Abkürzungen*
ACE:
Angiotensin-Converting-Enzym
AIDS:
erworbenes Immundefektsyndrom („acquired immune deficiency syndrome“)
AP:
alkalische Phosphatase
ART:
antiretrovirale Therapie
ATS:
American Thoracic Society
AUC:
Area Under the Curve
BCG:
Bacillus Calmette-Guérin
CDC:
Centers for Disease Control and Prevention, USA
CI:
Konfidenzintervall
Cmax:
maximale Konzentration
/d:
pro Tag
DGP:
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin
DOT(S):
direkt überwachte Therapie („directly observed treatment“), short course
DZK:
Deutsches Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose
EBUS:
endobronchialer Ultraschall
ECDC:
European Centre for Disease Prevention and Control
ED:
Einzeldosis
EFV:
Efavirenz
EMA:
European Medicines Agency
EUS:
endoskopische Ultraschalluntersuchung oder Endosonografie
Gamma-GT:
Gamma-Glutamyl-Transferase
GFR:
glomeruläre Filtrationsrate
HIV:
Humanes Immundefizienz-Virus
HIV-TB:
Koinfektion mit HIV und Tuberkulose
IGRA:
Interferon-Gamma Release Assay
i. m.:
intramuskulär
INR:
International Normalized Ratio
INSTI:
Integrase-Strangtransfer-Inhibitoren
IRIS:
Immunrekonstitutionssyndrom („immune reconstitution inflammatory syndrome“)
ISDA:
Infectious Diseases Society of America
i. v.:
intravenös
KG:
Körpergewicht
LPA:
line probe assay
LTBI:
latente Infektion mit M. tuberculosis
M.:
Mycobacterium
MDR-TB:
multiresistente Tuberkulose („multidrug-resistant TB“)
MRT:
Magnetresonanztomografie
N.:
Nervus
NICE:
National Institute for Health and Clinical Excellence; UK
NNRTI:
nicht-nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren
NRTI:
nukleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren
NSAID:
nicht-steroidale Entzündungshemmer
NTM:
nichttuberkulöse Mykobakterien
NVP:
Nevirapin
PCR:
Polymerase-Kettenreaktion („polymerase chain reaction“)
PDR-TB:
polyresistente Tuberkulose („polydrug-resistant“)
PI:
Protease-Inhibitor
RGV:
Raltegravir
RIF:
Rifampicin (Abkürzung vor allem im englischen Sprachgebrauch)
RKI:
Robert Koch-Institut
RR:
relatives Risiko
SDR-TB:
monoresistente Tuberkulose („single drug-resistant TB“)
SGOT:
Serum-Glutamat-Oxalazetat-Transaminase [international: ASAT]
SGPT:
Serum-Glutamat-Pyruvat-Transaminase [international: ALAT]
TB:
Tuberkulose
TBNET:
Europäisches Netzwerk von Tuberkulosestudienzentren
TD:
Tagesdosis
TDM:
therapeutisches Drug-Monitoring oder therapeutisches Medikamentenmanagement
TDR:
total resistente Tuberkulose („totally drug-resistant TB“)
THT:
Tuberkulinhauttest
TNF:
Tumornekrosefaktor
TRU:
Thorax-Röntgenuntersuchung
UAW:
unerwünschte Arzneimittelwirkung
Union:
„Internationale Union“ (ehemals IUATLD: „International Union Against Tuberculosis and Lung Disease“)
USPHS:
US Public Health Service
WHO:
Weltgesundheitsorganisation
XDR-TB:
extensiv resistente Tuberkulose („extensively drug-resistant TB“)
ZNS:
Zentralnervensystem
*:
Medikamente siehe Kapitel 8. S 377–388.
1 Standardtherapie der Tuberkulose[1 ]
1 Standardtherapie der Tuberkulose[1 ]
1.1 Voraussetzungen für eine Standardtherapie der Tuberkulose
Nach der Diagnose der Tuberkulose ist die Standardtherapie an zwei unverzichtbare Voraussetzungen gebunden:
1. Es darf keine Resistenz gegenüber einem der hier eingesetzten Medikamente der Standardtherapie vorliegen. Da zu Beginn einer Behandlung allenfalls genotypische Resistenzhinweise vorliegen können, muss auf Risikofaktoren für das Vorliegen eines resistenten Stammes geachtet werden. Wichtige Risikofaktoren sind: Jede bekannte oder anamnestisch berichtete und länger als vier Wochen durchgeführte Tuberkulosetherapie (Vortherapie), die Herkunft aus Regionen mit bekannter hoher Resistenz-Prävalenz oder der Kontakt zu einem Indexfall mit bekannter Resistenz [1 ]
[2 ].
2. Es müssen alle Medikamente der Standardtherapie über den vorgesehenen Therapiezeitraum eingesetzt werden. Die Medikamente der Standardtherapie sind nicht austauschbar [1 ].
1.2 Standardtherapie für Patienten[2 ] ohne Risikofaktoren für eine Medikamentenresistenz
Unter Berücksichtigung der für Deutschland bekannten Resistenzsituation wird für Patienten ohne Risikofaktoren für eine Resistenz entsprechend den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) [1 ] und anderen internationalen Empfehlungen [3 ]
[4 ]
[5 ] eine initiale Vierfachtherapie mit den Medikamenten der Standardtherapie Isoniazid (INH), Rifampicin (RMP), Pyrazinamid (PZA) und Ethambutol (EMB) über zwei Monate (Initialphase) empfohlen. In der Kontinuitätsphase der Therapie sollen INH und RMP über weitere vier Monate bis zum Abschluss der sechsmonatigen Gesamttherapiedauer gegeben werden ([Tab. 1a ] und [Tab. 1b ]).
Tab. 1 a
Therapieempfehlungen für Erwachsene mit pulmonaler Tuberkulose.
Initialphase (Medikamente)
Dauer (Monate)
Kontinuitätsphase (Medikamente)
Dauer (Monate)
Gesamtdauer (Monate)
INH, RMP, PZA, EMB
2
INH, RMP
4
6
Tab. 1 b
Dosierung der Medikamente in der Standardtherapie.
Substanz
Dosis[1 ] (mg/kg KG)
Dosisbereich (mg/kg KG)
Minimal- und Maximaldosis (mg)
Dosis bei 70 kg Körpergewicht
Isoniazid (INH)
5
4 – 6
200/300
300
Rifampicin (RMP)
10
8 – 12[3 ]
450/600[3 ]
600
Pyrazinamid (PZA)
25
20 – 30
1500/2500
1750
Ethambutol (EMB)
15[2 ]
15 – 20
800/1600
1200
1 Dosisanpassung bei steigendem Körpergewicht im Heilungsverlauf beachten!
2 Die optimale Dosis ist nicht bekannt, jedoch sind okuläre unerwünschte Wirkungen in dieser Dosierung deutlich seltener als bei höherer Dosis.
3 Höhere Dosen werden geprüft.
Einnahme
Alle Medikamente der Standardtherapie sollten von Beginn an gleichzeitig nüchtern eingenommen werden. Bei schlechter Verträglichkeit kann die Einnahme nach einem leichten, fettarmen Frühstück erfolgen ([Tab. 2 ]).
Tab. 2
Bioverfügbarkeit und Nahrungsaufnahme.
Medikament
Empfohlene Einnahme zur Verbesserung der Bioverfügbarkeit
Isoniazid Rifampicin Pyrazinamid
auf nüchternen Magen, am besten mindestens ½ Stunde vor dem Frühstück
Ethambutol
unabhängig von den Mahlzeiten
Moxifloxacin
unabhängig von den Mahlzeiten
Linezolid
unabhängig von den Mahlzeiten
Bedaquilin
zusammen mit Nahrung
Delamanid
zusammen mit Nahrung
Clofazimin
mit fetthaltiger Nahrung
Intermittierende Therapie
Auch wenn intermittierende Therapieformen prinzipiell möglich sind, empfehlen wir wegen der größeren Therapiesicherheit die tägliche Einnahme der Medikamente über die gesamte Therapiedauer (6 Monate) [1 ].
Fixe Medikamentenkombinationen
Zur Erhöhung der Therapieadhärenz können Fixkombinationen eingesetzt werden.
1.3 Anmerkungen zur Standardtherapie der Tuberkulose
Eine Dreifachtherapie in der Initialphase wird nicht mehr empfohlen.
Die Gabe von nur drei Medikamenten (INH, RMP, PZA) in der Initialphase wird für Erwachsene nicht mehr empfohlen. Die große Gefahr einer initialen Dreifachtherapie mit INH, RMP und PZA liegt vor allem in einer nicht bekannten INH-Resistenz, da in einem solchen Fall wegen der Unwirksamkeit des PZA im nicht-sauren pH-Milieu de facto eine RMP-Monotherapie verabreicht wird, die in großen Erregerpopulationen zu einer Selektion RMP-resistenter Mutationen führen kann [5 ]. Eine solche Selektion kann durch EMB als viertes Medikament verhindert werden [6 ].
Nicht eindeutig kann die Frage beantwortet werden, ob es sinnvoll ist, nach dem Vorliegen der phänotypischen Resistenztestung und dem Nachweis voller Sensibilität gegenüber INH, RMP und PZA die Gabe von Ethambutol in der Initialphase einzustellen. Die WHO sieht dies wegen der Gefahr falscher Ergebnisse der PZA-Resistenzprüfung nicht vor [1 ]. Wir schließen uns dieser Empfehlung an. Allerdings wird dies in der Leitlinie der ATS, der CDC und der IDSA (siehe Abkürzungsverzeichnis) aus dem Jahre 2016 anders gesehen [5 ]. Hier wird der Verzicht auf EMB bei voller Sensibilität gegenüber INH, RMP und PZA als möglich beschrieben.
Unverträglichkeit eines Standardmedikamentes
Die sechsmonatige Standardtherapie setzt zwingend voraus, dass die Substanzen INH, RMP, PZA und EMB zum Einsatz kommen. Kann auch nur eine der Substanzen aus Verträglichkeitsgründen (Kontraindikation oder unerwünschte Arzneimittelwirkung) nicht gegeben werden, so ist analog einer Monoresistenz gegenüber der unverträglichen Substanz zu verfahren (S. 333).
Verlängerung der Therapiedauer
Bei ausgedehnter kavernöser Lungentuberkulose und/oder einem mikroskopischen Nachweis von M. tuberculosis -Komplex über zwei Monate nach Behandlungsbeginn hinaus kann eine Gesamttherapiedauer von neun Monaten (2 Monate INH, RMP, PZA, EMB + 1 Monat INH, RMP, PZA + 6 Monate INH, RMP) auch bei erneut nachgewiesener bzw. bestätigter Medikamentensensibilität sinnvoll sein, um das erhöhte Risiko eines Rezidivs zu reduzieren [7 ].
Überprüfung der Therapie anhand der Resistenztestung
Beim Eintreffen der Ergebnisse der phänotypischen oder genotypischen Resistenztestung aus Kulturen oder direkt von Untersuchungsmaterialien, die vor Therapiebeginn gewonnen wurden, muss unmittelbar überprüft werden, ob bisher eine adäquate Therapie durchgeführt worden ist.
Therapieunterbrechungen
Unterbrechungen der Tuberkulosebehandlung können ärztlicherseits im Rahmen von unerwünschten Arzneimittelwirkungen notwendig sein oder aber durch den Patienten infolge fehlender Therapieadhärenz bedingt sein. Unterbrechungen, die länger als zwei Monate dauern, gelten definitionsgemäß als Therapieabbruch und sind dem Gesundheitsamt zu melden. In diesem Fall ist die Therapie neu zu beginnen. Dabei muss vor allem bei mangelhafter Therapieadhärenz geprüft werden, ob sich die erneute Therapie jetzt an den Therapievorschlägen für vorbehandelte Patienten orientieren muss. Das Vorgehen bei kürzerer Therapieunterbrechung ist von der Art der Erkrankung und Vorbehandlung (Medikamentensensibilität, Einsatz von Medikamenten der Nicht-Standardtherapie), der Länge der Therapieunterbrechung, dem Zeitpunkt der Therapiepause (in der Initial- oder Kontinuitätsphase) und ggf. der Menge der vom Patienten ausgeschiedenen Erreger (mikroskopisch/kultureller Nachweis) abhängig. Je früher die Unterbrechung der Behandlung erfolgt und je länger sie andauert, umso eher muss die Therapie gänzlich von vorne begonnen werden [3 ]
[5 ]. Grundsätzlich sollte das weitere Vorgehen in Abstimmung mit einem Arzt erfolgen, der über eine ausreichende Erfahrung in der Therapie der Tuberkulose verfügt, da in diesen Fällen das Risiko für das Vorliegen bzw. die Entwicklung (weiterer) Resistenzen erheblich ist. Wenn Therapieunterbrechungen durch den Patienten wegen mangelnder Adhärenz verursacht sind, muss eine direkt überwachte Therapie durchgeführt werden. Wenn diese im Vorfeld der Therapieunterbrechung bereits stattgefunden hat, sind weitere Maßnahmen, die die Adhärenz des Patienten fördern können, zu überlegen und zu ergreifen. Als letzte Maßnahme ist bei unkooperativen infektiösen Patienten – nach richterlichem Beschluss – eine zwangsweise Absonderung in einer dafür vorgesehenen Abteilung möglich (§ 30, Absatz 2 Infektionsschutzgesetz (IfSG)).
Rezidive der Tuberkulose nach erfolgreicher Therapie
Im Allgemeinen sind Rezidive nach einer Standardtherapie einer sensiblen Tuberkulose über sechs Monate selten (weniger als 5 %). Wenn Rezidive auftreten, dann überwiegend innerhalb der ersten sechs (78 %) bzw. zwölf Monate (91 %) nach Ende der vorausgegangenen Behandlung [7 ].
Definition der Therapieergebnisse
Die Therapieergebnisse werden nach Kriterien des RKI standardisiert erfasst ([Tab. 3 ]) [8 ]. Diese haben für den Kliniker weniger praktische Bedeutung, sind aber für die Gesundheitsämter und die Tuberkulose-Surveillance im Sinne einer Prüfung der Behandlungsqualität in Deutschland von Bedeutung und werden daher von den Gesundheitsämtern nach spätestens 12 Monaten beim behandelnden Arzt erfragt. Der Therapieabbruch ist nach § 6(2) IfSG meldepflichtig.
Tab. 3
Definition der Therapieergebnisse für alle Tuberkuloseformen mit sensiblen Erregern (modifiziert nach RKI 2004 [8 ]).
Ergebnis
Definition
Heilung
Bei kulturellem Nachweis von Bakterien des M. tuberculosis -Komplexes vor Behandlungsbeginn vollständig durchgeführte Behandlung mit Nachweis einer negativen Kultur im letzten Behandlungsmonat und zu wenigstens einem früheren Zeitpunkt
Vollständige Behandlung
Nachweisliche Einnahme der Medikamente über den gesamten geplanten Therapiezeitraum ohne Vorliegen eines negativen kulturellen Untersuchungsergebnisses nach Abschluss der Therapie
Behandlungserfolg
Heilung oder vollständig durchgeführte Behandlung
Versagen der Behandlung
Fünf Monate nach Behandlungsbeginn andauernde – oder nach kultureller Konversion erneute – kulturell nachweisbare Ausscheidung von Bakterien des M. tuberculosis -Komplexes
Tod
Tod an Tuberkulose: vor Beginn oder während der Behandlung
Tod an anderer Erkrankung (als Tuberkulose): vor Beginn oder während der Behandlung
Behandlungsabbruch
Behandlungsunterbrechung über mehr als 2 aufeinander folgende Monate
Wegzug
Trotz Nachforschens unbekanntes Behandlungsergebnis, da der Patient ins Ausland oder unbekannt verzogen ist
Fortführung
Fortführung der Behandlung nach mehr als 12 Monaten Therapie, Ergebnis folgt noch
1.4 Therapieeinleitung und Überwachung der Standardtherapie
Therapieeinleitung
Vor der Therapieeinleitung ist eine Reihe von grundsätzlichen Gesichtspunkten zu beachten. Diese sind in der [Tab. 4 ] (S. 331) zusammengefasst.
Tab. 4
Grundprinzipien der Tuberkulosetherapie.
Sorgfältige Anamneseerhebung zu:
Tuberkulosevorerkrankung
Tuberkulosevorbehandlung (verwendete Medikamente, Dauer, Ergebnis)
Kontakt zu Tuberkulosekranken
Begleiterkrankungen
Immunsuppression durch Medikamente oder weitere Erkrankungen
Begleitmedikation
Alkohol- und Drogenanamnese
Risikofaktoren für das Vorliegen einer resistenten Tuberkulose (Herkunft, Vorbehandlung, Kontakt zu resistentem Tuberkulosefall oder zu Risikogruppen)
Diagnostik
HIV-Testung anbieten, ggf. Hepatitisserologie
Bakteriologische Diagnostikmöglichkeiten ausschöpfen; Einsatz von molekularbiologischen Schnellresistenztestverfahren bei Verdacht auf das Vorliegen von Medikamentenresistenzen
Immer kulturelle Sicherung mit phänotypischer Resistenztestung anfordern
Therapieplanung
Interaktionen und potenzielle unerwünschte Wirkungen der Tuberkulose-Medikamente berücksichtigen
Nutzung von länderspezifischen Informationen zur Resistenzsituation
z. B. WHO/ECDC/RKI
Therapieplanung durch oder unter Begleitung eines in der Tuberkulose-Therapie erfahrenen Arztes/Zentrums
Einschätzung der Patientenmitarbeit (direkt überwachte oder unterstützte Therapie indiziert?)
Sorgfältige Aufklärung der Patienten, ggf. unter Nutzung fremdsprachlichen schriftlichen Materials, Sprachmittler; Ansprechbarkeit auch unter Therapie
Sorgfältige Dokumentation der Therapie und des Verlaufs (Therapiepass)
Einsatz von fixen Medikamentenkombinationen prüfen
Kommunikation mit dem zuständigen Gesundheitsamt:
Meldepflicht (Erkrankung, Therapieabbruch und -verweigerung, Tod); Information über Entlassung aus dem Krankenhaus; Unterstützung bei der Ermittlung von Kontaktpersonen; Mitteilung der Resistenz- und Therapieergebnisse; Information über relevante Änderungen (z. B. Wegzug, mangelnde Patientenmitarbeit etc.); Absprache bei überwachter Therapie
Aufklärung vor Therapieeinleitung
Am Beginn einer antituberkulösen Therapie sind der Patient und ggf. seine Angehörigen oder Betreuer umfassend und verständlich über die Grundprinzipien der Tuberkulosetherapie sowie die wichtigsten und häufigsten unerwünschten Arzneimittelwirkungen aufzuklären. Wegen der Komplexität der Behandlung ist eine ergänzende schriftliche Information für den Patienten empfehlenswert. Bei Sprachbarrieren soll ein Dolmetscher hinzugezogen werden. Die Verwendung fremdsprachlichen Informationsmaterials wird ebenfalls empfohlen (z. B. ExplainTB: www.explaintb.org). Die Patienten müssen genauestens über die Notwendigkeit informiert sein, im Fall einer relevanten unerwünschten Wirkung unverzüglich den Arzt zu konsultieren [1 ]
[2 ].
Dokumentation
Wir empfehlen, die Aufklärung des Patienten über die Therapie am Beginn der Therapie gründlich zu dokumentieren. Wenn möglich sollte auch eine schriftliche Einverständniserklärung des Patienten vorliegen. Als sehr günstig hat sich die Ausgabe von Therapiepässen erwiesen, in denen Daten zur Therapie, zu den Verlaufskontrollen und zu Therapiebesonderheiten eingetragen werden (z. B. DZK-Chemotherapiekarte, Bezug über das DZK, www.dzk-tuberkulose.de ). Dieses Vorgehen erleichtert es allen aktuell und zukünftig in die Therapie eingebunden Personen, sich einen Überblick zu verschaffen.
1.5 Basisuntersuchungen vor Therapieeinleitung
Bildgebung
Die Tuberkulose ist mit geeigneten bildgebenden Verfahren vor Beginn der Therapie zu dokumentieren. Bei den pulmonalen Tuberkulosen reicht hierzu in der Regel eine Röntgenaufnahme des Thorax in zwei Ebenen. Unter besonderen Umständen (z. B. komplexe Differenzialdiagnose, unklarer Röntgenbefund des Thorax, u. a.) kann es auch nötig sein, eine CT-Untersuchung des Thorax zu veranlassen.
Eine Röntgenuntersuchung des Thorax sollte auch bei Schwangeren bei Verdacht auf eine Tuberkulose oder zum Ausschluss einer Tuberkulose nach der Diagnose einer latenten Infektion mit M. tuberculosis erfolgen [9 ]. Nach individueller Risiko/Nutzenabwägung kann die Röntgenaufnahme erst nach Abschluss der Organogenese, d. h. nach dem ersten Trimenon durchgeführt werden.
Bei extrathorakalen Tuberkulosen kommen weitere Techniken der Bildgebung zum Einsatz.
Mikrobiologische Basisdiagnostik
Zur mikrobiologischen Diagnostik verweisen wir auf das Kapitel 3 (S. 345).
Klinische Untersuchungen
Vor Beginn der Tuberkulosetherapie sollte ein umfassender klinischer Status (Symptomatik, Gewicht, usw.) erhoben werden. Hierzu gehört immer auch die Erfassung von Standardlaborparametern (Blutbild, Nieren- und Leberfunktionswerte). Eine HIV-Serologie soll nach entsprechender Beratung und Einwilligung ebenfalls durchgeführt werden. Bei Hinweisen (Anamnese, Laborwerte) soll eine Hepatitis-Serologie durchgeführt werden.
1.6 Verlaufsuntersuchungen während der Therapie
Die folgenden Routine-Kontrollintervalle werden empfohlen: Laborwerte (Blutbild, Leberfunktionswerte, Nierenfunktionswerte) sollten zwei und vier Wochen nach Behandlungsbeginn und bei unauffälligen Befunden im Anschluss daran vierwöchentlich überprüft werden. Das Gewicht sollte vierwöchentlich kontrolliert werden, da die Medikamente nach dem Körpergewicht dosiert werden. Nach der Laborkontrolle in Woche 12 kann über die weiteren Laborkontrollen individuell entschieden werden. Bei sehr guter Verträglichkeit kann auf diese zugunsten von klinischen Kontrollen verzichtet werden (siehe [Abb. 1 ]).
Abb. 1 Vorschlag für den zeitlichen Ablauf von Verlaufskontrollen unter Standardtherapie der medikamentensensiblen Lungentuberkulose ohne Komplikationen für Erwachsene – Schweizer Empfehlungen (www.tbinfo.ch ) teilweise abweichend.
Eine augenärztliche Kontrolle (Farbsehvermögen, Gesichtsfeld) wird in der Initialphase unter EMB-Gabe bei Beschwerdefreiheit zu Beginn und danach in vierwöchentlichen Abständen empfohlen. Aus Gründen der Zeitersparnis kann vor dem Therapiebeginn eine Prüfung des Farbsehvermögens mit Hilfe von Farbtafeln erfolgen. Dies soll aber nicht die fachärztliche Augenuntersuchung ersetzen, die zeitnah nachgeholt werden muss.
Bei eingeschränkter Funktion vor Therapiebeginn oder bei der Entwicklung auffälliger/pathologischer Resultate sollen alle oben genannten Kontrollen engmaschiger erfolgen, sofern sie nicht zum Absetzen der verursachenden Substanz führen.
Mikrobiologische Verlaufsdiagnostik
Mikroskopische Kontrollen der bakteriologischen Befunde unter laufender Therapie sollten bei primär mikroskopisch positiven Lungentuberkulosen bis zur mikroskopischen Konversion des Sputums durchgeführt werden, um die Infektiosität beurteilen zu können. Die empfohlenen Kontrollintervalle sind der [Abb. 1 ] zu entnehmen. Erneute kulturelle Untersuchungen sollten jeweils nach vier, acht und 12 Wochen erfolgen. Zur Dokumentation des Therapieerfolges sollte eine kulturelle Sputumkonversion am Ende der Initialphase und in der Kontinuitätsphase gegen Ende der Therapie nachgewiesen werden [1 ]. Bei Patienten, die kein Sputum mehr produzieren können, müssen keine invasiven Materialentnahmen (z. B. Bronchoskopie) erfolgen. Werden nach acht oder 12 Wochen noch Erreger kulturell nachgewiesen, soll eine erneute phänotypische und ggf. genotypische Empfindlichkeitsprüfung erfolgen. Unabhängig hiervon muss betont werden, dass erneute mikrobiologische Untersuchungen immer dann indiziert sind, wenn der klinische und/oder radiologische Verlauf der Erkrankung nicht den Erwartungen entspricht.
Bei bakteriologisch bestätigten extrapulmonalen Tuberkulosen ist wegen der schwierigen Materialgewinnung eine bakteriologische Verlaufskontrolle oft nicht durchführbar. Eine Ausnahme stellt die Urogenitaltuberkulose dar.
Radiologische Verlaufsdiagnostik
Eine Verlaufskontrolle der Röntgenaufnahmen des Thorax soll bei thorakalen Tuberkulosen (Lunge, intrathorakale Lymphknoten, Pleura) nach acht Wochen erfolgen. Je nach dem Ausgangsbefund und dem klinischen Verlauf können jedoch auch kürzere Kontrollintervalle notwendig sein. Abhängig vom Erfolg der Therapie sind weitere Kontrollen festzulegen. In jedem Fall muss eine Thorax-Röntgen-Aufnahme am Ende der Therapie erfolgen, da sie Teil der Erfolgsbeurteilung der Therapie und Ausgangspunkt der weiteren Verlaufsbeobachtung ist. Bei klinisch günstigem Therapieverlauf empfehlen wir Kontrollen der Röntgenaufnahmen des Thorax wenigstens sechs und 12 Monate nach Beendigung der Behandlung ([Abb. 1 ]).
Computertomografische Thoraxuntersuchungen sind kein Standard in der Verlaufsbeobachtung einer thorakalen Tuberkulose. Sollte sich in Einzelfällen eine Indikation hierfür ergeben (z. B. bei einer Tuberkulose durch MDR- oder XDR-Stämme), sollten bevorzugt „low-dose“-Techniken zum Einsatz kommen. Sollten bei Kindern Verlaufskontrollen pulmonaler Tuberkulosen mit Schnittbildverfahren erforderlich werden, ist aus strahlenhygienischen Erwägungen der Einsatz der MRT zu bevorzugen.
Bei extrathorakalen Tuberkuloseformen erfolgt die Verlaufsbeobachtung unter Verwendung des am besten geeigneten bildgebenden Verfahrens (Sonografie, Computertomografie, Kernspintomografie) in geeigneten Zeitintervallen und am Ende der Therapie. Über entsprechende Kontrollen in der Verlaufsbeobachtung nach der Therapie muss im Einzelfall entschieden werden.
Überwachung der Therapieadhärenz
Die Therapieleitlinien der WHO [1 ]
[2 ] betonen die Zusammenarbeit aller an der Behandlung der Tuberkulose Beteiligten. Der Patient soll dabei als aktiver Partner beteiligt werden. Auf Seiten des behandelnden Teams werden gute Kommunikationsfähigkeit, Sensibilität für mögliche Nicht-Adhärenz und respektvoller Umgang gefordert. Aufmerksamkeit bezüglich möglicher unerwünschter Arzneimittelwirkungen und ein adäquater Umgang damit fördern die Therapieadhärenz.
Zur Frage der überwachten Therapie wird auf das Kapitel „Versorgungsaspekte der Tuberkulose“ verwiesen (S. 343).
1.7 Adjuvante Therapieformen
Adjuvante Therapieformen umfassen u. a. die Ernährung, die Mobilisation und die psychologische/psychiatrische Betreuung. Weitere Informationen finden sich im Kapitel 5 (S. 354).
1.8 Besondere Therapiesituationen
Therapie der Tuberkulose ohne kulturelle Sicherung der Diagnose
Eine exakte Differenzialdiagnose unter Einschluss einer Bronchoskopie oder anderer invasiver Techniken (CT-gestützte Punktion, chirurgische Biopsie) mit entsprechender Materialgewinnung (Histologie, Mikroskopie, Kultur) wird in allen bakteriologisch negativen Fällen dringend empfohlen.
Erfolgt keine bakteriologische (kulturelle) Sicherung der Diagnose, wird in gleicher Weise mit der Standardtherapie behandelt wie bei bakteriologisch gesicherten Tuberkulosen, sofern keine Risikofaktoren für eine Resistenz des Erregers vorliegen. Auch eine Behandlungsdauer von sechs Monaten ist ausreichend.
Ergibt sich ein begründeter Verdacht auf eine Resistenz (vorbehandelter Patient, Herkunft aus Ländern mit hoher Resistenz-Prävalenz, Kontakt zu Indexfall mit resistentem Stamm), muss die Therapie entsprechend modifiziert werden (S. 333; S. 354).
Da INH weltweit die höchsten Resistenzraten aufweist, empfiehlt die WHO für Patienten, die aus Ländern stammen, in denen mit hohen Raten von INH-Resistenz gerechnet werden muss (www.who.int/tb/country/data/profiles/en/ ) die zusätzliche Gabe von EMB in der gesamten Kontinuitätsphase. Wir schließen uns dieser Empfehlung an.
Behandlung vorbehandelter Patienten
Die Therapie vorbehandelter Tuberkulosepatienten gehört stets in die Hand von damit erfahrenen Ärzten, da auch in Deutschland die Vorbehandlung ein wesentlicher Risikofaktor für eine Erkrankung durch resistente Stämme ist. Dies kann dadurch verdeutlicht werden, dass in Deutschland bei Patienten mit Vorbehandlung deutlich häufiger eine Resistenz gegenüber einem Medikament der Standardtherapie vorliegt als bei Patienten ohne vorhergehende Tuberkulosetherapie [10 ]. Die aktuelle Entwicklung der epidemiologischen Situation ist dabei zu beachten (www.rki.de/tuberkulose ).
Bei vorbehandelten Patienten muss differenziert werden, ob es sich um Patienten handelt, die nach einem Therapieabbruch die Behandlung wiederaufnehmen (Therapieabbruch), die ein Rezidiv nach erfolgreicher Therapie erleiden (Rezidiv) oder deren vorherige Behandlung versagt hat (Therapieversagen). Nach Therapieabbruch und beim Rezidiv ist die Wahrscheinlichkeit einer MDR-Tuberkulose (engl.: multidrug-resistant tuberculosis) geringer als nach einem Therapieversagen, wo die MDR-Tuberkulose-Wahrscheinlichkeit als hoch angesehen werden muss.
Da jedoch prinzipiell bei allen vorbehandelten Patienten ein deutlich erhöhtes Risiko für das Vorliegen von resistenten Erregern besteht [1 ], sollte vor Behandlungsbeginn immer mittels molekularbiologischer Methoden untersucht werden, ob Resistenz-assoziierte Mutationen für RMP allein oder für RMP und INH vorhanden sind. Gegebenenfalls sollte auch molekularbiologisch auf Resistenzmutationen für Medikamente der Nicht-Standardtherapie untersucht werden. Darüber hinaus müssen der kulturelle Nachweis des M. tuberculosis -Komplexes und eine phänotypische Resistenztestung in jedem Fall angestrebt werden. Nähere Informationen hierzu im Kapitel 3 (S. 345).
Therapie nach Therapieabbruch oder Rezidiv
Liegt das Ergebnis der molekularbiologischen Untersuchungen vor, kann die initiale Therapie am entsprechenden Resistenzmuster ausgerichtet werden. Liegt keine Resistenz gegen INH und/oder RMP vor, so empfehlen wir als Therapie in der Initialphase analog zur WHO [1 ]
[2 ] eine Therapie mit INH, RMP, PZA, EMB und SM bis zum Vorliegen der Ergebnisse der phänotypischen Resistenztestung.
Können keine phänotypischen Resistenzteste durchgeführt werden, soll bei einem klinischen Erfolg nach der 2-monatigen Initialtherapie für einen weiteren Monat mit INH, RMP, PZA und EMB und für weitere fünf Monate mit INH, RMP und EMB behandelt werden (acht Monate Gesamttherapiedauer).
Therapie bei Monoresistenzen von M. tuberculosis
Resistenzdefinition (nach WHO) Unter einer Monoresistenz (engl.: mono-resistance) wird die Resistenz gegenüber nur einem Medikament der Standardtherapie verstanden [11 ]
[12 ]. Hinsichtlich einer Mehrfachresistenz oder Unverträglichkeit von zwei oder mehr der Medikamente der Standardtherapie wird auf das Kapitel 5.7 verwiesen (S. 355).
Therapieempfehlung bei Unverträglichkeit oder Monoresistenz gegenüber einem Standardmedikament Fehler in der Therapie der monoresistenten Tuberkulose und in der Therapie bei Unverträglichkeit gegenüber einem Standardmedikament können rasch zur Entwicklung weiterer Resistenzen führen und sollten daher unbedingt vermieden werden. Resistenzen und Unverträglichkeiten erfordern häufig eine verlängerte Therapiedauer ([Tab. 5 ]). Darüber hinaus ist die Ausdehnung der Erkrankung sowohl für die Anzahl der wirksamen Medikamente in der Initialphase als auch für die Dauer der Kontinuitätsphase mitentscheidend.
Tab. 5
Therapieempfehlungen bei Monoresistenzen oder Unverträglichkeiten gegenüber einem Medikament der Standardtherapie [5 ]
[6 ]
[11 ]
[12 ].
Monoresistenz oder Unverträglichkeit
Initialphase
Kontinuitätsphase
Gesamttherapiedauer
Rifampicin[1 ]
2 Monate INH, PZA, EMB, FQ[2 ]
10 – 18 Monate INH, EMB, FQ[2 ]
12 – 20 Monate
Isoniazid
2 Monate RMP, FQ[2 ], PZA, EMB,
4 – 7 Monate RMP, EMB, FQ[2 ]
6 – 9 Monate
Pyrazinamid
2 Monate INH, RMP, EMB, (FQ[2 ],[3 ])
7 Monate INH, RMP
9 Monate
Ethambutol[4 ]
2 Monate INH, RMP, PZA, (FQ[2 ],[3 ])
4 Monate INH, RMP
6 Monate
1 Empfehlung gilt nur bei Unverträglichkeit, eine Rifampicin-Monoresistenz wird wie eine MDR-Tuberkulose behandelt.
2 Moxifloxacin 400 mg/Tag; Levofloxacin 15 mg/kg/KG: 750 – 1000 mg/Tag. Der Einsatz von Ciprofloxacin wird nicht mehr empfohlen. In Kombination mit Rifampicin wurden verminderte Serumkonzentrationen von Moxifloxacin gemessen, daher sollte diese Kombination mit besonderer Vorsicht angewendet und wenn möglich durch eine therapeutische Serumspiegelbestimmung überwacht werden [13 – 15].
3 zusätzlich Fluorchinolone (FQ) bei ausgedehnter Erkrankung.
4 betrifft nur Unverträglichkeiten, Monoresistenzen treten praktisch nicht auf.
Die WHO setzt eine Rifampicin-Monoresistenz de facto einer MDR-Tuberkulose gleich [12 ]. Eine Rifampicin-Unverträglichkeit kann nach Ansicht der Leitliniengruppe hingegen therapeutisch anders betrachtet werden ([Tab. 5 ]).
Bei Antibiotikaresistenz oder Unverträglichkeit eines Standardmedikamentes können Fluorchinolone eine wesentliche Ergänzung für die Therapie darstellen. Ihren festen Platz haben sie in der Therapie bei Isoniazid-Resistenz/Unverträglichkeit und bei Rifampicin-Unverträglichkeit. Bei ausgedehnter Erkrankung können sie aber auch im Fall einer Pyrazinamid- oder einer Ethambutol-Unverträglichkeit/Monoresistenz als viertes Medikament in der Initialphase eingesetzt werden [5 ]
[6 ]
[11 ]
[12 ]. Wie bei der sensiblen Tuberkulose rechtfertigt eine ausgedehnte, kavernöse Erkrankung mit hohen Keimzahlen eine Verlängerung der Behandlung auf neun Monate bzw. sechs Monate nach kultureller Sputumkonversion.
Wenn innerhalb von zwei Monaten der Therapie keine Konversion der Sputumkulturen erzielt wurde, muss die Antibiotikaresistenztestung wiederholt werden (siehe auch [Abb. 1 ], S. 332).
Therapie nach Therapieversagen
Stehen die molekularbiologischen Untersuchungsmethoden nicht zur Verfügung, kann nach einem Therapieversagen laut WHO empirisch entsprechend den Therapieprinzipien einer MDR-Tuberkulose behandelt werden, da in dieser Gruppe eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein multipler Resistenzen besteht [11 ]
[12 ].
Empfehlung für Deutschland Nach einem Therapieversagen wird es unter den Gegebenheiten in Deutschland sinnvoller sein, zunächst umfängliche diagnostische Materialgewinnungsmaßnahmen durchzuführen (z. B. Bronchoskopie, CT-gestützte Punktionen u. a.), um eine aktuelle molekularbiologische und im Verlauf dann auch phänotypische Resistenzprüfung zu ermöglichen. Die initiale Therapie muss anhand der Ergebnisse molekularbiologischer Resistenzteste ausgerichtet werden und im Verlauf nach Kenntnis der phänotypischen Resistenz ggf. entsprechend modifiziert werden (s. auch Kapitel 3, S. 345)
Liegen keine molekularbiologischen Untersuchungsergebnisse vor, kann es unter bestimmten Umständen (z. B. geringe klinische Krankheitsschwere, mikroskopisch negative Sputumuntersuchungen und geringe radiologische Ausdehnung) sinnvoll sein, mit dem Therapiebeginn zu warten, bis Aussagen zur Resistenz möglich sind.
1.9 Besondere Patienten- und Personengruppen
Patienten mit Niereninsuffizienz
Die Medikamente INH und RMP können bei Niereninsuffizienz in unveränderter Dosis und mit unverändertem Dosierungsintervall gegeben werden [16 ]
[17 ] ([Tab. 6 ]). PZA sollte ab einer GFR < 30 ml/min 3 × pro Woche gegeben werden. EMB kann bei mäßiger Niereninsuffizienz in normaler Dosis dreimal pro Woche gegeben werden ([Tab. 6 ]). Weitere Angaben zu den Medikamenten sind in Kapitel 8 (S. 377) und in der Fachinformation nachzulesen. Bei Peritoneal- oder Hämodialyse müssen die entsprechenden Vorschriften der Hersteller hinsichtlich des Dosierungszeitpunktes, der Dosis und des Dosierungsintervalls beachtet werden.
Tab. 6
Dosierungen der Medikamente der Standardtherapie bei Niereninsuffizienz (modifiziert nach [16 ]).
Substanz
Dosis (mg/kg KG)
GFR 80 – 30 (ml/min/KOF)
GFR < 30 (ml/min/KOF)
Isoniazid
5
täglich
täglich
Rifampicin
10
täglich
täglich
Pyrazinamid
25[1 ]
täglich
3 ×/Woche
Ethambutol
15
täglich
3 ×/Woche[2 ]
1 bei Menschen in höherem Lebensalter (≥ 65 Jahre) Pyrazinamid-Dosis innerhalb von zwei Wochen von 15 auf 25 mg/kg KG zu steigern.
2 Serum-Spiegelbestimmungen durchführen: Ethambutol: Cmax = 2 – 6 mg/l 2 Stunden nach Einnahme (Spitzenspiegel) oder < 1,0 mg/l vor der nächsten Dosis (Talspiegel).
Beispielhaft kann bei der Hämodialyse die tägliche Gabe von INH und RMP in voller Dosis und von PZA und EMB in voller Dosis dreimal pro Woche empfohlen werden. Die Medikamente sollten an den Dialysetagen 4 – 6 Stunden vor der Dialyse oder unmittelbar nach der Dialyse eingenommen werden. Da eine Medikamentenakkumulation möglich ist, müssen ggf. Blutspiegelkontrollen erfolgen.
Patienten mit Leberinsuffizienz
Hepatische Vorerkrankungen wie eine Hepatitis, ein Zustand nach Hepatitis (Leberzirrhose, chronisch aktive Hepatitis, positiver Antigennachweis für Hepatitis B oder C) oder ein Alkoholabusus erschweren die Therapie mit den potenziell hepatotoxischen Medikamenten (INH, RMP, PZA) unter Umständen erheblich. Bei diesen Patienten sind je nach Ausmaß der Lebervorschädigung wöchentliche bis mehrfach wöchentliche Kontrollen der entsprechenden Laborparameter in den ersten Monaten unverzichtbar. Bei Alkoholkarenz oder Transaminasenerhöhungen auf dem Boden einer Herzinsuffizienz, die auf eine kardiale/diuretische Therapie gut anspricht, kommt es trotz primär deutlich erhöhter Transaminasenwerte häufig rasch zu einer spontanen Remission, sodass die antituberkulöse Therapie hier unter entsprechenden Kontrollen weitergeführt werden kann und nicht verzögert werden sollte. Es muss abgewogen werden, ob eine schrittweise Dosiserhöhung, wie im Abschnitt „Hepatotoxizität“ (S. 337) ausführlich beschrieben, sinnvoll ist.
Nicht hepatotoxisch sind die Medikamente EMB und Streptomycin (SM), die durch ein renal eliminiertes Fluorchinolon wie z. B. das Levofloxacin ergänzt werden können. In jedem Fall muss aber auch bei eingeschränkter Leberfunktion versucht werden, zumindest eines der Medikamente INH oder RMP in die Therapie einzuführen, um eine suffiziente Therapie zu gewährleisten. Wird nur eines der beiden hepatotoxischen Medikamente vertragen, so ist abzuwägen, ob die schnellere Bakterizidie des INH oder die sterilisierende Wirkung des RMP im individuellen Fall von Vorteil sind. In der Regel sollte daher in der Initialphase der Therapie bei hoher Keimausscheidung INH eingesetzt werden und in der Kontinuitätsphase RMP.
Patienten nach Organtransplantation
Durch die medikamentöse Immunsuppression besteht sowohl ein höheres Tuberkulose-Infektions- als auch (Re-)Aktivierungs-Risiko [18 ]
[19 ]. Die Therapie unterscheidet sich nicht von der Standardtherapie. Für eine häufig praktizierte langfristige Fortsetzung der Therapie (INH weiter nach Beendigung der Standardtherapie) gibt es keine überzeugende Evidenz. Auf das vielfältige Interaktionspotenzial mit den Immunsuppressiva und anderen antimikrobiell wirksamen Substanzen muss geachtet werden.
Patienten unter intensivmedizinischer Behandlung
Die Behandlungsprinzipien gelten auch unter intensivmedizinischen Bedingungen. Besonderes Augenmerk ist auf die höhere Rate unerwünschter Arzneimittelwirkungen zu legen. INH, RMP und EMB stehen auch für die parenterale Gabe zur Verfügung. Die Gabe von INH, RMP, PZA und EMB ist auch über eine Magensonde möglich, wenn die Resorption gesichert erscheint.
Patienten mit der Notwendigkeit für eine parenterale Therapie
Die Medikamente INH, RMP und EMB können parenteral appliziert werden. INH, RMP und EMB können in der Regel zusammen in 500 ml 5 %-Glucoselösung in 1 – 2 Stunden infundiert werden; dabei sind jedoch prinzipiell die aktuellen Informationen der Hersteller zu beachten. SM kann intramuskulär injiziert oder auch als langsame Infusion verabreicht werden (> 90 Minuten).
Da bei bestimmten Konstellationen (z. B. MDR-Tuberkulose) parenterale Medikamente über einen sehr langen Behandlungszeitraum appliziert werden müssen, empfiehlt sich in solchen Fällen in der Regel die Implantation eines Port-Systems.
Patienten mit verminderter enteraler Resorption
Magen-Darm-Erkrankungen, Malabsorptionssyndrome, das Wasting-Syndrom bei AIDS-Kranken, zystische Fibrose und ein Zustand nach Darmteilresektionen können zur verminderten Resorption der Medikamente führen. In diesen Fällen ist die Resorption nach Rücksprache mit einem entsprechenden Labor mittels Serumspiegel-Untersuchungen zu prüfen und gegebenenfalls eine parenterale Therapie durchzuführen.
Tuberkulose bei Patienten unter TNF-alpha-Antagonisten-Therapie
Eine Tuberkulose unter TNF-alpha-Antagonisten entsteht häufig früh in den ersten acht Wochen nach Gabe dieser Medikamente, kann aber auch noch Monate nach Absetzen der Substanz auftreten [20 ]
[21 ]. Es kommt in vielen Fällen zu extrapulmonalen Tuberkulosen (ca. 50 %) und schweren Verläufen. Hinsichtlich der Tuberkulosetherapie ergeben sich keine Besonderheiten. Die Immunsuppression mit den TNF-alpha-Inhibitoren sollte allerdings im Falle der Entwicklung einer Tuberkulose sofort beendet werden. In der Folge ist auf das Auftreten eines Immunrekonstitutionssyndroms (IRIS) zu achten [20 ]
[22 ].
Es ist unklar, wann unter einer laufenden antituberkulösen Therapie die Therapie mit TNF-alpha-Antagonisten wiederaufgenommen werden kann. Es wurden nur kleinere Fallserien zu diesem Thema veröffentlicht [23 ]
[24 ]
[25 ].
Da hierzu nur wenig Daten existieren, schließt sich die Leitliniengruppe den amerikanischen Empfehlungen an, dass diese Entscheidung individuell getroffen werden sollte. Sofern aufgrund der rheumatischen Grunderkrankung die dringende Notwendigkeit einer Wiederaufnahme der immunsuppressiven Therapie besteht, sollte diese erst nach eindeutigem Ansprechen der Tuberkulosetherapie erfolgen und das Immunsuppressivum mit dem geringsten Risikopotenzial gewählt werden [5 ].
Die Behandlung mit anderen Biologicals (beispielsweise Tocilizumab, Abatacept, Secukinumab und Ustekinumab) oder anderen systemisch wirksamen immunsuppressiven Medikamenten (beispielsweise anti-rheumatische Basistherapeutika) während der Tuberkulosetherapie sollte analog zur TNF-Blocker-Therapie unter strenger Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen.
Im Kapitel „Latente Tuberkulose“ (→Merkkasten SAFEBIO-Studie, S. 351) findet sich eine Auflistung immunsuppressiver Medikamente und deren nach Studienlage vermutetes Risikopotenzial, eine Tuberkulosereaktivierung zu verursachen. Die Übertragbarkeit dieser Einschätzung auf eine Behandlung mit diesen Medikamenten während der Tuberkulosetherapie ist derzeit unklar.
Patienten mit einer aus anderer Indikation unverzichtbaren Glukokortikoid-Therapie
Unter RMP-Therapie sinkt der Serumspiegel der Glukokortikoide um zirka 50 %. Die Glukokortikoid-Dosis muss daher entsprechend erhöht werden.
Patienten mit einer Silikotuberkulose
Liegt als Grunderkrankung eine Silikose vor, erfolgt die Initialtherapie in üblicher Weise als Standardtherapie über zwei Monate. Allerdings ist die Therapiedauer in der Kontinuitätsphase auf sechs bis 10 Monate zu verlängern (Gesamtbehandlungsdauer 8 – 12 Monate), da von einer erschwerten Penetration der Medikamente in die fibrotisch veränderten Lungenareale sowie von einer eingeschränkten Alveolarmakrophagenfunktion ausgegangen werden muss [26 ].
Patienten nach chirurgischer Resektion eines pulmonalen Tuberkuloms
Die Leitliniengruppe spricht sich mehrheitlich für eine vollständige Tuberkulosetherapie auch nach vollständiger Resektion eines Tuberkuloms aus.
Therapie in der Schwangerschaft und in der Stillzeit
Die Behandlung einer Tuberkulose während einer Schwangerschaft sollte, sofern kein Anhalt für eine Medikamentenresistenz besteht, mit der Standardtherapie INH (+ Pyridoxin), RMP, EMB und PZA über zwei Monate, gefolgt von INH und RMP über vier Monate für eine Gesamttherapiedauer von 6 Monaten erfolgen. Der Einsatz von PZA in der Schwangerschaft wird von internationalen Organisationen und Experten empfohlen [1 ]
[27 ], die American Thoracic Society hingegen lehnt die routinemäßige Anwendung in der Schwangerschaft aufgrund mangelnder Daten zur Teratogenität von PZA ab [3 ].
Wird auf PZA verzichtet, ist die verlängerte Therapiedauer von neun Monaten (2 Monate INH, RMP und EMB, 7 Monate INH und RMP) zu berücksichtigen.
Kontraindiziert oder relativ kontraindiziert sind in der Schwangerschaft viele Medikamente der Nicht-Standardtherapie (siehe auch: [Tab. 12 ], S. 364). Selbstverständlich ist eine medikamentenresistente Tuberkulose auch in der Schwangerschaft eine behandlungsbedürftige Erkrankung. Die Therapie muss dann von Experten unter sorgfältiger Nutzen-Risiko-Abwägung und Berücksichtigung des Schwangerschaftsstadiums zusammengestellt werden.
Eine antituberkulöse Therapie mit INH, RMP, PZA und EMB stellt im Falle einer unter Behandlung eintretenden oder bereits bestehenden Schwangerschaft keine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch dar [1 ]
[3 ]
[27 ]
[28 ].
Streptomycin und andere Aminoglykoside/Polypeptid-Antibiotika sind potenziell toxisch für den Fötus und sollten daher in der Schwangerschaft nicht eingesetzt werden. Die Gabe dieser Substanzen in Unkenntnis einer Schwangerschaft stellen jedoch ebenfalls keine Indikation zum Schwangerschaftsabbruch oder für eine invasive pränatale Diagnostik dar (http://www.embryotox.de ).
Während einer Therapie mit den Medikamenten der Standardtherapie kann gestillt werden, da die mit der Milch vom Säugling aufgenommenen Substanzkonzentrationen zu gering sind, um beim Säugling unerwünschte Wirkungen zu erzeugen [29 ]. Streptomycin und andere Aminoglykoside/Polypeptid-Antibiotika werden nach der Aufnahme durch die Muttermilch vom Kind nicht resorbiert und können allenfalls einen Einfluss auf die Zusammensetzung der Darmflora beim Kind haben.
Bei gleichzeitiger antituberkulöser Therapie von Mutter und Kind sind zwar die Wirkstoffspiegel beim gestillten Kind leicht erhöht, es dürfen aber deshalb keine reduzierten Dosen in der Therapie des Kindes eingesetzt werden. Zu berücksichtigen sind allerdings möglicherweise vermehrte unerwünschte Arzneimittelwirkungen beim Kind.
Beim Einsatz von Medikamenten der Nicht-Standardtherapie sind die Fachinformationen zu beachten.
Frauen im gebärfähigen Alter
Unter einer RMP-Therapie ist die Wirksamkeit von systemisch wirksamen hormonellen Kontrazeptiva eingeschränkt. Es müssen daher alternative Verhütungsmaßnahmen ergriffen werden.
Tuberkulose bei Menschen in höherem Lebensalter (≥ 65 Jahre)
Wir sind uns der Schwierigkeit der Altersdefinition bewusst. Gleichwohl ergeben sich in dieser Patientengruppe einige Besonderheiten, obgleich die Prinzipien der Therapie die gleichen sind. Zu achten ist vor allem auf das gehäufte Auftreten von unerwünschten Wirkungen der Pharmaka und mögliche Interaktionen mit Begleitmedikamenten [30 ]
[31 ]. Der Einsatz von EMB ist möglich, bedarf jedoch bei entsprechenden Einschränkungen der Sehkraft einer besonders engmaschigen Überwachung durch den Augenarzt. Da die Kombination von INH, RMP und PZA beim alten Menschen nicht selten eine relevante Hepatotoxizität induziert, wird empfohlen, die PZA-Dosis innerhalb von zwei Wochen von 15 mg/kg KG auf 25 mg/kg KG zu steigern.
1.10 Management unerwünschter Arzneimittelwirkungen (UAWs)
Die Medikamente der Standardtherapie sind in der Regel gut verträglich. Bedingt durch die sehr hohe Zahl der bisher mit Kombinationstherapien behandelten Patienten verfügen wir über sehr gute Daten zur Verträglichkeit dieser Therapie [1 ]
[2 ]. Abgesehen von Patienten mit einem erhöhten Risiko für Unverträglichkeitsreaktionen (z. B. bei Komorbidität) ist die Rate von Therapieabbrüchen wegen Medikamentenunverträglichkeiten bei den Medikamenten der Standardtherapie insgesamt sehr gering. Medikamente der Nicht-Standardtherapie sind hingegen häufig deutlich schlechter verträglich.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen der Medikamente werden im Kapitel 8 aufgeführt (S. 377). Darüber hinaus wird auf die aktuellen Herstellerinformationen verwiesen.
Hepatotoxizität
Klinisch am bedeutendsten ist die additive Hepatotoxizität der drei Medikamente INH, RMP und PZA, die insbesondere bei Patienten mit hepatischen Vorerkrankungen und bei Patienten in fortgeschrittenem Lebensalter eine Rolle spielt [1 ]
[2 ]
[4 ]. In diesen beiden Patientengruppen ergibt sich häufig die Notwendigkeit zum Ersatz eines der drei Medikamente (meist PZA) durch ein weniger hepatotoxisches Medikament.
Die Hepatotoxizität kann zu einer medikamentös bedingten Hepatitis und/oder intrahepatischen Cholestase führen. Bei Normalwerten vor Beginn der Therapie soll auch bei einer Erhöhung der Serum-Transaminasen (SGOT [international: ALAT] und SGPT [international: ASAT]) bis zum Fünffachen des oberen Normwertes unter engmaschiger Beobachtung und Kontrolle die Therapie fortgesetzt werden [1 ]
[2 ]
[4 ]. Gamma-GT und alkalische Phosphatase gehören nicht zur Definition der Hepatotoxizität durch Tuberkulosemedikamente, daher kann eine Erhöhung über die Grenzwerte hinaus in Einzelfällen unter engmaschigen Kontrollen toleriert werden. Es soll jedoch nach anderen möglichen Ursachen für die Erhöhung dieser Laborparameter gesucht werden [32 ]
[33 ].
Steigen die Werte darüber hinaus an oder entwickelt sich eine Hyperbilirubinämie (Bilirubin > 2-fach oberer Normwert), so muss die Therapie mit allen drei hepatotoxischen Medikamenten unterbrochen werden [34 ].
Laut US-amerikanischen Empfehlungen wird darüber hinaus eine Leberwerterhöhung bei begleitenden Symptomen (z. B. Übelkeit, Erbrechen, abdominelle Schmerzen, Gelbsucht oder unerklärte Müdigkeit) nur bis zum 3-fachen der oberen Normwerte toleriert. Bei vorbestehender Leberwerterhöhung sollte eine 2- bis 3-fache Erhöhung über den Ausgangswert zur Therapieunterbrechung führen.
Bei präventiver Behandlung der latenten Infektion mit M. tuberculosis (S. 349) und mit Risikofaktoren für eine Hepatotoxizität sollte die präventive Therapie laut dieser Empfehlung bereits bei einem 2- bis 3-fachen Anstieg über den Ausgangswert oder Hyperbilirubinämie unterbrochen werden [32 ].
An eine mögliche kumulative Toxizität von Alkohol zusammen mit antituberkulösen Medikamenten sollte gedacht werden. Liegt zu diesem Zeitpunkt eine zwingende Therapieindikation vor, so kann wie im Abschnitt „Leberinsuffizienz” verfahren werden (Therapie mit EMB, SM und Levofloxacin). Nach weitgehender oder eindeutiger Normalisierung der Leberfunktionswerte (Transaminasen < 2-fach oberer Normwert) sollte die Therapie mit den Medikamenten der Standardtherapie wieder aufgenommen werden. Die Gabe des ersten Medikamentes sollte dabei jeweils für 3 – 7 Tage bis zur Erweiterung der Therapie um die zweite bzw. dritte Substanz erfolgen. Dabei haben sich in der klinischen Praxis bei Erwachsenen schrittweise Dosiserhöhung bewährt: INH: Beginn mit 50 mg/d – Steigerung der Dosis auf 300 mg/d in 3 – 7 Tagen; RMP: Beginn mit 75 mg/d – Steigerung der Dosis auf 450 – 600 mg/d in 3 – 7 Tagen; Beginn mit PZA: 500 mg/d – Steigerung der Dosis auf 1500 – 2500 mg/d in 3 – 7 Tagen [35 ]. Ergibt sich nach dem Hinzufügen eines Medikamentes erneut eine deutliche Hepatotoxizität, so sollte das entsprechende Medikament endgültig aus der Therapie herausgenommen werden. Hinsichtlich der weiteren Therapieplanung ist darauf zu achten, dass mindestens drei Medikamente gegeben werden müssen und es sind die verlängerten Gesamttherapiezeiten zu beachten ([Tab. 5 ], S. 334). Bei der Auswahl der Medikamente, mit der die Therapie zunächst wiederaufgenommen wird, spricht die klinische Erfahrung zwar dafür, dass sich die Hepatotoxizität von INH am ehesten in einem Anstieg der SGOT und SGPT manifestiert, wohingegen RMP eher für eine Erhöhung der Cholestase-Parameter verantwortlich ist; jedoch ist dies durch Studien bisher nicht belegt.
Eine schwere Hepatitis mit Leberversagen und Todesfällen kann vor allem durch INH ausgelöst werden [36 ], ist aber auch für die Kombination RMP und PZA beschrieben worden [37 ].
Myelosuppressive unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Bei klinisch relevanter Neutropenie, Thrombozytopenie oder hämolytischer Anämie muss die Therapie nach Expertenmeinung bis zur Restitution des Knochenmarkes bzw. bis zum Ende der Hämolyse unterbrochen werden. Unter engmaschigen Kontrollen erfolgt dann ein Therapieaufbau unter strikter Vermeidung des mit der größten Wahrscheinlichkeit verantwortlichen Medikamentes. RMP und die Rifamycine sind am häufigsten für Myelotoxizität und Hämolyse verantwortlich. Steht RMP als myelotoxisches Medikament fest, soll keine erneute Exposition zu einem Medikament aus der Gruppe der Rifamycine erfolgen. Bei nicht durch RMP ausgelöster und nur mäßig ausgeprägter Leukozytopenie ist nach Meinung einiger Experten ein Therapieversuch mit systemischen Glukokortikoiden gerechtfertigt. Evidenz für eine solche Empfehlung existiert jedoch unseres Wissens nicht.
Kutane unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Gering ausgeprägte kutane Reaktionen können unter engmaschiger Beobachtung bei Fortsetzung der Standardtherapie toleriert werden. Insbesondere bei jugendlichen Patienten sollte bei einer durch INH induzierten Akne ein Behandlungsangebot erfolgen. Bei PZA kommt es gelegentlich zu Beginn der Therapie zu einer durch Histamin-Ausschüttung bedingten Flush-Reaktion, die unter einem vorsichtigen Therapieaufbau (Tag 1: 500 mg, Tag 2: 1000 mg, Tag 3: 1500 mg, Tag 4: volle Dosis) in der Regel nicht wiederauftritt. Es handelt sich hierbei nicht um eine Arzneimittel-induzierte Allergie. Bei zu Therapiebeginn auftretenden kutanen Reaktionen auf RMP und EMB kann in erfahrenen Zentren eine orale Hyposensibilisierung versucht werden [38 ]. Schwerwiegende kutane Reaktionen (z. B. schwere Mucositis, exfoliative Dermatitiden, petechiales Exanthem mit Thrombozytopenie) zwingen zum Absetzen der Therapie. Bei leichtem Juckreiz können Antihistaminika systemisch und topisch eingesetzt werden. PZA erhöht die Photosensibilität der Haut. Bei PZA-Einnahme ist daher eine Sonnenlichtexposition zu meiden. Dies gilt auch für Fluorchinolone.
Renale Unverträglichkeitsreaktionen
Insbesondere unter Therapie mit RMP kann es zu einem akuten Nierenversagen kommen. Die Substanz muss sofort abgesetzt werden und darf nicht wieder gegeben werden [39 ]. Renale Unverträglichkeitsreaktionen unter anderen antituberkulösen Medikamenten sind beschrieben, jedoch insgesamt sehr selten.
Die Rotfärbung des Urins und anderer Körperflüssigkeiten unter Rifampicin ist regelhaft und keine Unverträglichkeitsreaktion.
Retrobulbäre Neuritis
Die retrobulbäre Neuritis wird fast ausschließlich durch EMB verursacht und äußert sich durch Verlust oder Einschränkung von Visus, Gesichtsfeld und und/oder des Farbsehvermögens. Erstes klinisches Zeichen der Neuritis ist in der Regel eine Rot-Grün-Farbsehschwäche, daher sollte das Farbsehvermögen für jedes Auge getrennt zu Beginn einer Therapie durch ein Farbtafelbuch geprüft werden, wenn keine unmittelbare augenärztliche Untersuchung erfolgen kann. Aus neurologisch-fachärztlicher Sicht kann prinzipiell auch die Durchführung von visuell evozierten Potentialen zur frühzeitigen Erfassung noch subklinischer Affektionen des N. opticus (paraklinische Erfassung einer Afferenzstörung der Sehbahn) in Erwägung gezogen werden.
Wegen der Gefahr der Erblindung muss bei Auftreten der oben genannten Sehstörungen EMB sofort abgesetzt und eine entsprechende augenärztliche Untersuchung veranlasst werden. Die Einschränkungen können reversibel sein, es sind jedoch auch dauerhafte Einschränkungen bis zur Erblindung beschrieben.
Bessern sich die Sehstörungen nach dem Absetzen von EMB nicht, sollte INH abgesetzt werden, das in seltenen Fällen auch verantwortlich sein kann [40 ].
Polyneuropathie
Polyneuropathien, insbesondere der unteren Extremitäten, können durch eine Vielzahl von antituberkulösen Medikamenten allein oder in Kombination ausgelöst werden. Insbesondere von INH ist bekannt, dass sich unter der Therapie Polyneuropathien neu entwickeln oder dass sich vorbestehende Neuropathien (z. B. metabolischer Genese [diabetogen, alkoholtoxisch, urämisch, Mangel an Vitamin B6 , B12 , Folsäure], medikamentös-toxischer, autoimmuner, paraneoplastischer Genese oder genetisch bedingt) verschlechtern. Eine Vorbeugung durch die gleichzeitige Gabe von Pyridoxin (Vitamin B6 ) (50 mg/Tag) ist bei Vorerkrankungen und einer Schwangerschaft sinnvoll. Eine generelle Gabe von Pyridoxin bei allen Patienten erscheint zwar entbehrlich [41 ], jedoch werden Isoniazidpräparate zum Teil nur in fixer Kombination mit Pyridoxin angeboten. Eine Pyridoxin-Überdosierung (z. B. durch Selbstmedikation eines Vielfachen der empfohlenen Dosis) kann ebenfalls zu einer Polyneuropathie führen [42 ].
Nur bei einem sehr seltenen, schwerwiegenden klinischen Bild, trotz der Gabe von Pyridoxin, stellt die Polyneuropathie einen Grund für das Absetzen von INH dar.
Epileptische Anfälle
Isoniazid kann die zerebrale Anfallsbereitschaft senken. Bei Patienten mit einer Epilepsie oder stattgehabten epileptischen Anfällen muss daher die Therapieplanung in Rücksprache mit einem Neurologen/Epileptologen erfolgen [43 ]. Da Rifampicin die Serumspiegel von Antiepileptika senken kann, bedarf es entsprechender Korrekturen und einer Rücksprache mit den neurologischen Fachärzten.
Psychiatrische unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Isoniazid kann in seltenen Fällen Depressionen auslösen oder vorbestehende Störungen verschlechtern. In solchen Fällen bedarf es einer engen Zusammenarbeit mit Psychiatern, um zu prüfen, ob die INH-Therapie unter Anwendung entsprechender supportiver und/oder medikamentöser Behandlungsmaßnahmen fortgesetzt werden kann. Zu beachten ist dabei auch, dass depressive Verstimmungen die Therapieadhärenz erheblich herabsetzen können [44 ].
Durch Isoniazid kann die Alkoholtoleranz herabgesetzt werden, sodass es zum Bild eines pathologischen Rausches kommen kann.
Ebenso ist zu bedenken, dass die Serumspiegel von Psychopharmaka (z. B. Antidepressiva, Neuroleptika) durch RMP herabgesetzt werden können [44 ].
Arthralgie unter PZA-Therapie
Arthralgien unter PZA haben in der Regel keinen Bezug zur Serum-Harnsäure und sind in der Regel nicht Ausdruck einer Gicht. Mit einer symptomatischen analgetischen Therapie können Arthralgien in der Regel unter Fortsetzung der PZA-Gabe toleriert werden.
Hyperurikämie unter PZA-Therapie
Unter PZA-Therapie tritt nahezu regelhaft eine klinisch nicht relevante Hyperurikämie auf. Eine Gabe von Harnsäure senkenden Medikamenten braucht grundsätzlich nicht zu erfolgen, lediglich beim sehr seltenen Auftreten eines Gichtanfalles muss entsprechend gehandelt werden [3 ].
Übelkeit
Übelkeit unter der antituberkulösen Chemotherapie kommt nicht selten vor und sollte supportiv oder symptomatisch behandelt werden. Allerdings ist darauf zu achten, dass erhebliche Übelkeit und Inappetenz insbesondere Zeichen einer Hepatotoxizität und in seltenen Fällen auch einer Nierenfunktionsstörung sein können. Daher sind entsprechende Kontrollen zu veranlassen. Die abendliche Einnahme der Medikamente führt unter Umständen zu einer verminderten Resorption und ist daher mit dem Risiko nicht ausreichend wirksamer Serumkonzentrationen verbunden [45 ]. Sie sollte daher nur in gut begründeten Ausnahmen erfolgen.
Die Gabe von Protonenpumpen-Inhibitoren kann versucht werden. Antazida mit zwei- oder dreiwertigen Kationen (Calcium, Magnesium, Aluminium) sollten nicht eingesetzt werden, da sie insbesondere die Resorption von Fluorchinolonen verhindern können [5 ].
1.11 Extrathorakale Tuberkulosen
In diesem Kapitel können nur häufige Manifestationen der extrathorakalen Tuberkulose abgebildet werden. Die Diagnostik und Behandlung einer Tuberkulose mit seltener Lokalisation (z. B. Auge, Haut, u. a.) muss durch einen erfahrenen Facharzt in Rücksprache mit den zuständigen Tuberkuloseexperten erfolgen.
Besonderheiten der Diagnostik extrathorakaler Tuberkulosen
Eine Diagnosesicherung (Punktion, CT- oder Sonografie-gestützte Punktion, Endoskopie,
chirurgische Biopsie) soll immer angestrebt werden (Histologie, Mikrobiologie, Kultur). Die Gewinnung von Material zur histologischen und mikrobiologischen Untersuchung gestaltet sich bei extrathorakalen Tuberkulosen häufig schwieriger als bei der Lungentuberkulose. Es ist von sehr großer Bedeutung, dass alle diese Materialien mit maximalem mikrobiologischem Aufwand einschließlich einer PCR untersucht werden können. Hierzu ist die Einsendung von unfixiertem Gewebe in 0,9 % NaCl-Lösung unabdingbar, da Formalin-fixiertes Material weder molekularbiologisch noch kulturell aufgearbeitet werden kann ([Tab. 8 ], Labordiagnostik der Tuberkulose, S. 346).
Diagnostik und Therapie von extrapulmonalen Tuberkulosen ohne erforderliche Veränderungen der Standardtherapie
Die Therapie extrapulmonaler Tuberkulosen der Pleura, der Lymphknoten, des Urogenitalsystems und abdomineller Tuberkulosen folgt den Grundprinzipien der Behandlung der pulmonalen Tuberkulose.
Pleuritis tuberculosa
Diagnose Es sollte eine diagnostische Punktion des Pleuraergusses und eine Untersuchung des Materials im klinischen Labor (Eiweiß, LDH), in der Pathologie (Zytologie) und im mykobakteriologischen Labor (Mikroskopie und Kultur) erfolgen. Die PCR ist wegen endogener Hemmstoffe in der Ergussflüssigkeit häufig nicht aussagekräftig. In allen nicht eindeutigen Fällen ist eine Video-assistierte Thorakoskopie (VATS) oder Thorakoskopie mit histologischer und mikrobiologischer Untersuchung des gewonnenen Materials (Pleurabiopsate, Fibrinsegel) indiziert. Das Material aus Pleurastanzen kann ebenfalls histologisch und mikrobiologisch untersucht werden.
Therapie Zusätzlich zur Standardtherapie empfiehlt sich bei ausgedehnten Pleuraergüssen eine suffiziente Drainagetherapie mit anschließender intensiver physikalischer Therapie zur Vermeidung von funktionellen Einschränkungen durch verbleibende Pleuraschwarten [46 ]. Weder die systemische noch die topische Gabe von Kortikosteroiden bringen ein besseres Behandlungsergebnis [47 ]
[48 ].
Verlauf Bei Pleuraschwarten am Ende der Behandlung muss geprüft werden, ob die Funktionseinschränkungen eine elektive Dekortikation notwendig machen.
Lymphknotentuberkulose
Lymphknotentuberkulosen treten meist zervikal, seltener mediastinal/hilär, abdominal, axillär, inguinal oder multilokulär auf.
Diagnose Die histologische und kulturelle Sicherung (Histologie, Mikrobiologie, Kultur) der tuberkulösen Ätiologie ist bei dieser Manifestation durch geeignete Techniken (z. B. endobronchiale oder ösophageale Ultraschalluntersuchung EBUS, EUS, Exzision) anzustreben, da differenzialdiagnostisch eine durch nichttuberkulöse Mykobakterien ausgelöste Infektion ebenso zugrunde liegen kann wie ein malignes Lymphom [49 ]. Zur Vermeidung einer Fistelbildung sollten zervikale Lymphknotenpunktionen immer von kranial nach kaudal erfolgen.
Therapie Die Standardtherapie ist die Therapie der Wahl, die auch nach chirurgischer Exzision zu erfolgen hat.
Zusätzlich zur Standardtherapie können verlaufsabhängig chirurgische Interventionen, insbesondere bei zervikaler Lymphknotentuberkulose, mit Inzision, Abszessdrainage oder Exzisionen in Betracht kommen. Eine alleinige chirurgische Sanierung ist in aller Regel nicht möglich.
Verlauf Unter laufender Therapie kann es zu einer Vergrößerung der Lymphknoten in den ersten Wochen und Monaten kommen [50 ]. Bei mediastinaler Lymphknotentuberkulose findet sich in der Regel eine adäquate Rückbildung, bei zervikalem Lymphknotenbefall werden z. T. protrahierte Verläufe beobachtet, die auch unter antituberkulöser Therapie mit fortbestehender Fistelbildung oder einem Progress der Lymphome (in ihrer Größe und/oder Zahl) einhergehen können.
Tuberkulose im HNO-Bereich
Neben der zervikalen Lymphknotentuberkulose, welche bereits oben unter „Lymphknotentuberkulose“ erläutert wurde, findet sich die Tuberkulose im Bereich des Larynx und selten auch der Zunge (Zungentuberkulom). Im Larynx kann die Tuberkulose als asymmetrische oder einseitige Laryngitis (Monocorditis) oder teils exophytische, teils exulzerierende Infektion imponieren. Manchmal verbirgt sich eine Tuberkulose hinter einem Befund, der ursprünglich klinisch für ein Karzinom gehalten wurde. Und schließlich gibt es in seltenen Fällen auch Larynxkarzinome, welche tuberkulös infiziert sind.
Diagnose Die Diagnose der Larynxtuberkulose erfolgt in der Regel aufgrund einer Biopsie (Histologie, Mikrobiologie, Kultur) im Rahmen einer indirekten oder besser direkten Laryngoskopie. Meistens findet man in Fällen von Larynxtuberkulose parallel auch eine Lungentuberkulose.
Therapie Die medikamentöse Therapie der medikamentensensiblen Larynxtuberkulose erfolgt in der Regel im Rahmen der sechsmonatigen Standardtherapie in Anlehnung an diejenige der Lungentuberkulose.
Verlauf Die Prognose nach entsprechender medikamentöser Therapie ist in der Regel gut und eine chirurgische Behandlung (z. B. partielle oder totale Laryngektomie) nicht indiziert. Eine chirurgische Therapie (erweiterte zervikale Lymphadenektomie, Exzision einer trotz medikamentöser Vorbehandlung weiterbestehenden zervikalen Fistel) ist in einzelnen Fällen nach entsprechender medikamentöser Vorbehandlung sinnvoll und sollte aufgrund der vorliegenden Befunde interdisziplinär diskutiert werden.
Urogenitaltuberkulosen
Alle Organe des Urogenitaltraktes können betroffen sein. Am häufigsten sind Tuberkulosen der Niere und der ableitenden Harnwege.
Diagnose Die Diagnose erfolgt durch die Untersuchung des Morgenurins mikroskopisch und kulturell. Eine PCR sollte ergänzend durchgeführt werden. In allen unklaren Fällen (z. B. klinischer Verdacht und fehlender Nachweis von Mykobakterien) sind Biopsien des betroffenen Organs indiziert (Histologie, Mikrobiologie, Kultur).
Therapie Bei der Nierentuberkulose ist die Dosierung einiger Medikamente an die möglicherweise eingeschränkte Nierenfunktion anzupassen (siehe: Patienten mit Niereninsuffizienz und [Tab. 6 ] (S. 334). Zusätzlich zur Standardtherapie können ergänzende chirurgische Behandlungsverfahren in Betracht kommen. Sie sind in der Regel notwendig bei einer fehlenden Ausheilung mit erheblichen strukturellen Defekten der Niere (partielle oder totale Nephrektomie). In Einzelfällen kann auch eine Epididymektomie erforderlich werden. Weitere Hinweise für die ergänzende chirurgische Therapie finden sich in den europäischen Leitlinien zum Management der urogenitalen Tuberkulose [51 ]. In jedem Falle sollte vor chirurgischer Intervention – außer vor der Einlage einer Ureterschiene – eine antituberkulöse Therapie über vier Wochen verabreicht worden sein.
Verlauf Während der Initialphase einer Tuberkulose der ableitenden Harnwege kann es durch ein Schleimhautödem zu Abflussbehinderungen kommen, die mit geeigneten Schienenkathetern versorgt werden müssen. Daher sind regelmäßige sonografische Kontrollen in Hinblick auf eine Hydronephrose auch unter Therapie zu veranlassen. Die frühzeitige Schienung bei Ureterstrikturen erhöht die Erfolgsaussichten für eine unter Umständen später notwendige chirurgische Rekonstruktion und vermindert das Risiko des Verlustes der betroffenen Niere.
Ein Nutzen einer adjuvanten systemischen Therapie mit Kortikosteroiden ist nicht belegt, jedoch kann es bei einer Tuberkulose der Nebennieren zur Entwicklung eines Morbus Addison kommen. Wenn in einem solchen Fall Glukokortikoide substituiert werden müssen, ist daran zu denken, dass Rifampicin deren Serumspiegel um zirka 50 % senkt und eine entsprechende Dosisanpassung notwendig macht.
Abdominal-Tuberkulosen
Diagnose Die häufigsten Differenzialdiagnosen der Abdominal-Tuberkulose stellen Malignome und chronisch entzündliche Darmerkrankungen wie der Morbus Crohn dar. Vor Behandlungen einer vermeintlichen Abdominal-Tuberkulose sollte daher immer eine definitive Diagnosesicherung endoskopisch oder wenn notwendig auch mit chirurgischen Techniken zur Gewinnung von geeignetem Untersuchungsmaterial angestrebt werden [52 ] (Histologie, Mikrobiologie, Kultur). Zur Stuhldiagnostik finden sich Informationen in [Tab. 8 ] (S. 346).
Therapie Die abdominelle Tuberkulose (Darm, Peritoneum) ist in der Regel mit einer sechsmonatigen Standardtherapie erfolgreich zu behandeln.
Verlauf Bei Abdominal-Tuberkulosen besteht nach der Literatur in bis zu 75 % der Fälle die Notwendigkeit einer chirurgischen Intervention [53 ]. Die häufigsten Indikationen sind: Diagnosesicherung, intestinale Obstruktionen mit Ausbildung eines akuten Abdomens oder Darmperforationen. Postoperative Komplikationen und ungünstige Heilungsverläufe sind nach Darmperforationen häufig [54 ].
Diagnostik und Therapie von extrapulmonalen Tuberkulosen mit Veränderungen der Standardtherapie
Eine Anpassung der Standardtherapie, hinsichtlich der Länge der Behandlungsdauer sowie der
Indikation zu einer adjuvanten Steroidtherapie, ist in der Regel bei Tuberkulosen, die den Knochen, das Perikard und das ZNS betreffen sowie bei der Miliartuberkulose notwendig ([Tab. 7 ], S. 341).
Tab. 7
Empfehlung zur Dauer der Therapie und zu einer adjuvanten Steroidgabe abweichend von der Standardtherapieempfehlung bei unkomplizierten extrapulmonalen Tuberkulosen beim Erwachsenen (mod. nach [3 ]).
Lokalisation
Medikamente der Initialphase
Dauer der Initialphase (Monate)
Medikamente der Kontinuitätsphase
Dauer der Kontinuitätsphase (Monate)
Gesamtdauer der Therapie (Monate)
Adjuvante Kortikosteroide
Knochen Gelenke
INH, RMP, PZA, EMB
2
INH, RMP
7
9
nein
Perikard
INH, RMP, PZA, EMB
2
INH, RMP
4
6
uneinheitliche Empfehlungen, wahrscheinlich jedoch von Vorteil: 60 mg[1 ] Prednisolon/Tag; Reduktion 10 mg/Woche
miliare Ausbreitung
INH, RMP, PZA, EMB (SM oder Fluorchinolon statt EMB bei ZNS-Befall)
2
INH, RMP
4 bei ZNS-Befall: 10[2 ]
6 bei ZNS-Befall: 12[2 ]
uneinheitliche Empfehlungen, wahrscheinlich jedoch von Vorteil bei ZNS-Beteiligung oder bei respir. Insuffizienz: z. B. Prednisolon Tag 1 – 5: 2 x 40 mg, Tag 6 – 10: 1x 40 mg, Tag 11 – 21: 1x 20 mg, dann langsam reduzieren und absetzen
ZNS
INH, RMP, PZA, SM oder Fluorchinolon
2
INH, RMP
10[2 ]
12[2 ]
empfohlen: 40 mg[1 ] Prednisolon/Tag; Reduktion nach 2 – 3 Wochen um jeweils 10 mg/Woche
1 Dosierung bei Gabe von RMP, ansonsten Dosisreduktion um 50 %.
2 Die WHO empfiehlt bei ZNS-Tuberkulosen eine achtmonatige Therapie. Wir empfehlen die längere Therapiedauer (siehe Text).
Knochen- und Gelenktuberkulosen
Diagnose Der klinische Verdacht soll durch CT- und MRT-Befunde erhärtet werden. Eine Diagnosesicherung (CT-gestützte Punktion, chirurgische Biopsie) soll immer angestrebt werden (Histologie, Mikrobiologie, Kultur).
Therapie Die im Knochen- und Gelenkknorpel erreichten Konzentrationen der Medikamente INH, RMP und PZA sind wahrscheinlich ausreichend hoch, um auch diese Form der Tuberkulose bei angenommener oder bestätigter Medikamentensensibilität mit einer sechsmonatigen Standardtherapie zu behandeln [4 ]. So wie die WHO empfehlen wir aber für Deutschland generell eine neunmonatige Therapie (2 Monate INH, RMP, PZA, EMB und 7 Monate INH, RMP) [1 ]. In Einzelfällen kann eine deutlich längere Therapie notwendig sein. Zusätzliche chirurgische Interventionen können, insbesondere bei relevanten neurologischen Komplikationen oder der Instabilität tragender Knochen, frühzeitig indiziert sein.
Verlauf Periossäre Abszesse und Senkungsabszesse sollten primär drainiert werden. Für die Instillation von Medikamenten gibt es keine Evidenz.
Tuberkulosen des Perikards
Diagnose Der Verdacht ergibt sich in der Regel auf der Basis echokardiografischer Befunde und einer MRT-Untersuchung. Angestrebt werden sollte immer eine diagnostische Perikardpunktion (Histologie, Mikrobiologie, Kultur).
Therapie Zusätzlich zur sechsmonatigen Standardtherapie wird eine Therapie mit Kortikosteroiden nicht mehr generell empfohlen [5 ]. Bei ausgedehntem Perikarderguss, einer hohen Zahl von Entzündungszellen im Erguss oder frühen Zeichen einer Konstriktion ist allerdings eine Behandlung mit Kortikosteroiden gerechtfertigt [5 ]. Als Behandlungsdosis werden initial 60 mg Prednisolon (bei gleichzeitiger Rifampicin-Therapie) pro Tag – mit schrittweiser Dosisreduktion über sechs Wochen – empfohlen [55 ]
[56 ]. Bei Patienten mit kalzifizierender konstriktiver Perikarditis kann bei hämodynamischer Relevanz eine Perikardektomie indiziert sein.
Verlauf Bei ausgedehnten Perikardergüssen, die hämodynamische Relevanz haben, sollte ein Perikardkatheter zur Drainage implantiert werden. Sollte unter der antituberkulösen Therapie nach 6 – 8 Wochen eine zunehmende Konstriktion des Perikards auftreten, so besteht ebenfalls eine Indikation zur operativen Therapie [55 ].
Tuberkulosen des ZNS
Diagnose Bei klinischem Verdacht auf eine Beteiligung des zentralen Nervensystems sollte eine zerebrale und spinale Bildgebung erfolgen, um frühzeitig raumfordernde Komplikationen zu erkennen (idealerweise cMRT und spinales MRT). Eine diagnostische Liquorpunktion darf bei Vorliegen von Hinweisen auf eine zerebrale Druckerhöhung (auf das ZNS hinweisende Fokalneurologie, erstmalige epileptische Anfälle, Vigilanzminderung, Vorliegen von Stauungspapillen) oder bei immunsupprimierten Patienten erst nach einer zerebralen Bildgebung erfolgen (CCT, cMRT). Stets sollten eine qualifizierte Liquoranalytik und eine Messung des Liquoreröffnungsdrucks erfolgen (DD: Hydrocephalus malresorptivus ).
Typische Liquorbefunde bei Neurotuberkulose
leichte bis mäßige Liquorpleozytose 10 – 1000 Zellen/μl, zytologisch Zellbild je nach Erkrankungsstadium variabel, überwiegend Nachweis einer „bunten“ Mischpleozytose aus Granulozyten, Monozyten und Lymphozyten
sehr hohe Gesamteiweißwerte von 2000 – 10 000 mg/l („Spinngewebsgerinnsel“)
sehr schwere Schrankenfunktionsstörung mit einem Albumin-Liquor/Serum-Quotient (QAlb) > 25 × 103 [82 ]
regelhaft erhöhter Laktatwert im Liquor oder reduzierte Glucosewerte (< 2,2 mmol/L; CSF/Plasma Quotient < 50 %)
typischerweise Nachweis der Dominanz der intrathekalen IgA-Synthese anhand der Quotientendiagramme [83 ]
Therapie Eine Anpassung der medikamentösen Therapie ergibt sich aus dem unterschiedlichen Penetrationsvermögen der Medikamente durch die Blut-Hirn-Schranke in Abhängigkeit vom Grad der Entzündung. Während INH und PZA immer eine ausreichende Penetration zeigen, ist diese bei RMP weniger gut [57 ]
[58 ]. Ob eine Dosiserhöhung von RMP empfehlenswert ist, kann zum Zeitpunkt der Fertigstellung der Leitlinie nicht entschieden werden.
EMB durchdringt die Blut-Hirn-Schranke auch bei entzündlichen Veränderungen nur im mäßigen Ausmaß [59 ]
[60 ]. Die Therapieempfehlungen verschiedener internationaler Fachgesellschaften unterscheiden sich in Hinblick auf die Dauer der Therapie wie auch auf die Zusammensetzung der Medikamentenkombination. Die WHO empfiehlt neben INH, RMP und PZA anstelle von EMB den Einsatz von SM für zwei Monate, allerdings nur eine Stabilisierungsphase (INH und RMP) von sechs Monaten [1 ]. Wir sehen jedoch keine ausreichenden Belege, um dieser Empfehlung zu folgen.
Wir empfehlen als Standardtherapie die Gabe von INH, RMP, PZA und SM über zwei Monate, gefolgt von 10 Monaten INH und RMP [3 ]. In Einzelfällen (z. B. bei intrazerebralen Abszessen) kann eine Verlängerung der Therapiedauer notwendig sein. Bei Nicht-Verfügbarkeit des Medikamentes Streptomycin können andere, gut liquorgängige Substanzen, bevorzugt Moxifloxacin, verwendet werden.
Es wird empfohlen, begleitend zur antituberkulösen Chemotherapie, bei allen Formen der tuberkulösen Meningitis zusätzlich Dexamethason oder Prednisolon zu verabreichen [61 ]
[62 ]. Wir empfehlen für Deutschland in Übereinstimmung mit den NICE-Empfehlungen beim Erwachsenen (> 15 Jahre) eine Prednisolon-Dosis von 40 mg/Tag (ohne RMP-Gabe: 20 mg/Tag), die nach 2 – 3 Wochen um jeweils 10 mg/Woche reduziert und dann ausgeschlichen werden kann [4 ]. Bei therapierefraktären, raumfordernden Läsionen oder bei Vorliegen eines Hydrocephalus occlusus oder malresorptivus sollte eine neurochirurgische Therapie erwogen werden. Die antiepileptische Therapie einer vorbestehenden oder symptomatischen Epilepsie sollte potenzielle Medikamentenwechselwirkungen berücksichtigen.
Verlauf Je nach Klinik sind cMRT-Kontrollen (ggf. spinales MRT) und Liquoranalysen bis kurz vor Beendigung der Therapie indiziert. Zu Beginn und im Verlauf sollten Audiogramme erfolgen.
Miliartuberkulose und andere disseminierte Tuberkuloseformen
Diagnose Die Verdachtsdiagnose Miliartuberkulose wird durch bildgebende Verfahren gestellt. Eine mikrobiologische Diagnostik soll immer angestrebt werden. Allerdings sind Sputumuntersuchungen hinsichtlich der Mikroskopie oft negativ. Daher sollte eine bronchoskopische Abklärung, möglichst auch mit histologischer Probenentnahme (z. B. periphere transbronchiale Biopsie = TBB), erfolgen. Auch der Urin kann untersucht werden.
Der Therapiebeginn sollte bei hochgradigem Verdacht nicht verzögert werden.
Therapie Bei dieser disseminierten Tuberkuloseform wird die sechsmonatige Standardtherapie in der Regel nicht als ausreichend angesehen, da eine Beteiligung des ZNS und/oder der Meningen meist nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Somit wird eine 12-monatige Therapie wie bei der Tuberkulose des ZNS empfohlen, es sei denn, dass die Bildgebung und die Untersuchungen des Liquors eindeutig negativ sind.
Bei Miliartuberkulose und respiratorischer Partialinsuffizienz kann analog zur Therapie bei schweren Pneumocystis-Pneumonien die Gabe von Kortikosteroiden in den ersten Wochen der Erkrankung zur Behandlung einer Diffusionsstörung als Folge eines alveolo-kapillären Blocks sinnvoll sein (z. B. Prednisolon Tag 1 – 5: 2 × 40 mg, Tag 6 – 10: 1 × 40 mg, Tag 11 – 21: 1 × 20 mg, dann schrittweise reduzieren und absetzen).
Verlauf Protrahierte Verläufe sind nicht selten.
1.12 Infektionen mit M. bovis
M. bovis , nicht jedoch M. bovis ssp. caprae , weist eine natürliche Resistenz gegen PZA auf. Die Therapiedauer beträgt daher unter Verzicht auf PZA neun Monate (2 Monate IHN, RMP, EMB, 7 Monate INH und RMP). Bei ausgedehnten Befunden sollte über eine Erweiterung der Therapie z. B. durch Moxifloxacin diskutiert werden [63 ].
1.13 Entzündliche Reaktionen nach Bacillus Calmette-Guérin (BCG)-Instillation beim Harnblasenkarzinom
Bei der Therapie des Harnblasenkarzinoms wird als adjuvante, immunmodulatorische Therapie eine Bacillus Calmette-Guérin (BCG)-Instillation in die Blase vorgenommen [64 ]. Nach der Instillation unterscheiden die Empfehlungen der „International Bladder Cancer Group“ vier Schweregrade der inflammatorischen und infektiösen Komplikation [65 ]. Eine Graduierung erfolgt hier über Höhe des Fiebers, sodass Reaktionen mit einer Temperatur < 38,5 ° Celsius als moderat und darüber als schwerwiegend eingestuft werden (≥ 38,5 ° Celsius). Darüber hinaus ist es von Belang, ob von einer lokal begrenzten Infektion oder von einer generalisierten Erkrankung ausgegangen wird:
Schweregrad 1: moderat und Fieber < 48 h
Schweregrad 2: schwerwiegend und/oder Fieber > 48 h
Schweregrad 3: lokale, regionale, systemische, und immunoallergische Reaktion (systemische BCG Reaktion)
Schweregrad 4: BCG-Sepsis (disseminierte Erkrankung)
Eine moderate klinische Reaktion mit Fieber für weniger als 48 Stunden (Schweregrad 1) kommt in 30,5 % der BCG-therapierten Patienten vor, sie sollte symptomatisch behandelt werden und stellt keine Indikation für eine systemische antibiotische Therapie dar [66 ]. Eine antibiotische Therapie soll erfolgen, wenn das Fieber über 48 Stunden hinaus persistiert und der Infekt auf ein Organ, z. B. die Blase, beschränkt bleibt (Schweregrad 2). Da Infekte nach Instillation in hohem Anteil auch katheterisierungsbedingt (nicht-BCG) sein können, wird Levofloxacin (Dosierung 1 × 500 mg täglich) empfohlen, welches bei beiden Infektionen eine gute Wirksamkeit besitzt [67 ].
Spricht die Erkrankung nach 1 – 2 Wochen klinisch rasch an, so ist eine Therapiedauer von 3 – 4 Wochen ausreichend. Zeigt sich nach 1 – 2 Wochen kein Ansprechen, so wird aus urologisch-fachärztlicher Sicht eine Hochdosistherapie mit Levofloxacin (2 × 500 mg täglich) oder die zusätzliche Gabe von Rifampicin und eine Therapiedauer von drei Monaten als ausreichend angesehen [68 ]
[69 ]
[70 ]. Aus infektiologischer Sicht ist die Erweiterung der Therapie durch Rifampicin der Dosiserhöhung vorzuziehen, es sei denn, es liegt eine MHK des BCG-Stammes vor, die ein solches Vorgehen rechtfertigt. Der Einsatz von Ciprofloxacin wird bei wahrscheinlicher Infektion mit BCG nicht empfohlen.
Bei einer systemischen Infektion (Schweregrad 3 und 4) besteht immer die Indikation zu einer kombinierten antituberkulösen Dreifachtherapie (INH, RMP und EMB, gegenüber PZA ist BCG immer resistent; [Tab. 1 b ], S. 329) für mindestens sechs Monate. In vitro wurde auch Moxifloxacin bei BCG ausnahmslos als wirksam getestet [63 ], sodass dieses Fluorchinolon eine In-vitro -Wirksamkeit besitzt. In Kombination mit Rifampicin wurden allerdings verminderte Serumkonzentrationen von Moxifloxacin gemessen, daher sollte diese Kombination mit besonderer Vorsicht angewendet und wenn möglich durch eine therapeutische Serumspiegelbestimmung überwacht werden [13 ]
[14 ]
[15 ].
Es muss initial zwischen der systemischen BCG-Reaktion (Schweregrad 3) und der BCG-Sepsis bzw. disseminierten Erkrankung (Schweregrad 4) unterschieden werden. Bei der systemischen BCG-Reaktion sollten zusätzlich Kortikosteroide bis zum Sistieren der klinischen Reaktion erwogen werden, da es sich hier zusätzlich um ein allergieähnliches Krankheitsbild handelt [71 ]
[72 ].
Beweisend für eine disseminierte Erkrankung durch BCG wäre der Erregernachweis aus anderen
Materialien als dem Urin, da der Urin langfristig durch die instillierten Bakterien kontaminiert sein kann. Allerdings gelingt der Erregernachweis selbst mit allen zur Verfügung stehenden Methoden (Mikroskopie, PCR und/oder Kultur und/oder der Nachweis einer Tuberkulose-kompatiblen Histologie) in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle nicht. Daher muss die Entscheidung zur Therapieeinleitung in der Regel klinisch gefällt werden. Häufig ist die Lunge in Form einer miliaren Aussaat betroffen, sodass oft eine Röntgen- oder eine CT-Thorax-Untersuchung für die Diagnosestellung allein entscheidend sind. Die Ausbreitung über den nahe gelegenen Venenplexus mit der Folge einer Spondylodiszitis ist selten [73 ]. In diesem Fall sollte sich die Behandlungsdauer an der Knochentuberkulose orientieren ([Tab. 7 ], S. 341).
Bei einer Sepsis durch BCG können Kortikosteroide im Rahmen der Sepsis-Behandlung ebenfalls indiziert sein. Beide systemischen BCG-Reaktionen treten in geringerer Häufigkeit auf, wenn der Beginn der BCG-Therapie frühestens zwei Wochen nach einer transurethralen Tumorresektion (TURBT, „transurethral resection of bladder tumors“ ) und nur bei symptomfreien Patienten ohne Hämaturie erfolgt.
2 Versorgungsaspekte der Tuberkulose
2 Versorgungsaspekte der Tuberkulose
Eine vollständig ambulante Abklärung und Behandlung ist bei Patienten ohne Risikofaktoren möglich, sofern die psychosozialen und häuslichen Rahmenbedingungen dies zulassen. Die überwiegende Mehrheit der Tuberkulose wird in Deutschland jedoch im Krankenhaus diagnostiziert und/oder behandelt (83,5 % im Jahr 2014 [10 ]). Eine vollstationäre Krankenhausbedürftigkeit nach § 39 SGB V wird auf der Basis einer Vielzahl von Kriterien festgestellt, von denen im Einzelfall vor allem die Schwere der Grunderkrankung, etwaige Begleiterkrankungen und unerwünschte Arzneimittelwirkungen maßgebend sind.
Eine stationäre Aufnahme ins Krankenhaus wird empfohlen bei:
Hämoptysen bei Lungentuberkulose bzw. bei Verdacht auf Lungentuberkulose
Verdacht auf Lungentuberkulose mit nachgewiesener Poly- oder Multiresistenz oder Herkunft aus Ländern mit vermehrt MDR-Tuberkulose-Resistenz zur Etablierung einer kalkulierten, resistenz- bzw. leitliniengerechten Kombinationstherapie
Verdacht auf Lungentuberkulose mit respiratorischer Insuffizienz und/oder deutlich reduziertem Allgemeinzustand, der eine ambulante Abklärung für die Patientensicherheit nachteilig erscheinen lässt
schwerer extrapulmonaler Tuberkulose (z. B. Knochentuberkulose mit WK-Frakturen oder ZNS-Tuberkulosen)
Tuberkulose bzw. Verdacht auf Tuberkulose bei bekannten schwerwiegenden Begleiterkrankungen mit besonderem Einfluss auf den klinischen Krankheitsverlauf (z. B. immunsupprimierte Patienten nach Organtransplantation bzw. immundefiziente Patienten mit AIDS, Leukämien oder Lymphomen, Niereninsuffizienz)
manifester Tuberkulose bzw. Verdacht auf Tuberkulose bei psychiatrischen Begleitkrankheiten (z. B. Demenz oder Psychosen), Alkohol- und Drogenabhängigkeit
Überprüfung bzw. Neueinstellung einer begonnenen antituberkulösen Therapie bei ambulant aufgetretenen oder bei entsprechenden Vorschädigungen, drohenden schweren unerwünschten Arzneimittelwirkungen (z. B. medikamentös induzierte Hepatitis oder Niereninsuffizienz)
ungenügender Infrastruktur für eine ambulante Diagnosesicherung und -behandlung (z. B. zu geringe Facharztdichte)
Tuberkulose bzw. Verdacht auf Tuberkulose bei Kindern
Die rasche Diagnose einer Tuberkulose und die Bestimmung der jeweiligen stammbezogenen Resistenzprofile sind nicht nur für die frühe Behandlung und die damit verbundene Vermeidung einer Übertragung der Tuberkulose von Bedeutung. Sie ist auch essenziell für die Bewirtschaftung knapper wirtschaftlicher Ressourcen: In Deutschland gilt seit 1. Januar 2004 für die Vergütung von Krankenhausleistungen das G-DRG-System, in welchem jeder Tuberkulosefall in Abhängigkeit von der Schwere eventueller Begleiterkrankungen dem Relativgewicht einer von zwei Kategorien (E76B oder E 76C) zugeordnet wird. Aus der Multiplikation dieses Relativgewichts mit einem festen länderspezifischen „Basisfallwert“ resultiert – unabhängig von den tatsächlich entstandenen Kosten – der Erlös für das behandelnde Krankenhaus. Sofern eine Krankenhausbehandlung über 13 Tage hinaus erforderlich ist (Kategorie E76A), zahlen die Träger der gesetzlichen Krankenkassen lokal vereinbarte Tagessätze, die jedoch in der Regel unter dem Durchschnitt der täglichen Erstattung für die ersten 13 Tage liegen. Daher sind Krankenhäuser aufgefordert, die Dauer eines Krankenhausaufenthalts pro Tuberkulosepatienten so kurz wie möglich zu halten [74 ]
[75 ]. Insbesondere die Kostenerstattung für die Therapie der MDR-Tuberkulose, bei der je nach Resistenzprofil allein die Medikamentenkosten eines konventionellen MDR-Tuberkulose-Basisregimes durchschnittlich € 51.113 betragen, ist nicht kostendeckend [76 ]. Zusätzliche hohe Kosten für neu oder zukünftig entwickelte Medikamente sind hierbei noch nicht berücksichtigt. So sind z. B. für die 2014 neu zugelassenen Zusatztherapeutika Delamanid und Bedaquilin Tagestherapiekosten von € 150 [77 ]
[78 ] bzw. € 702 [78 ] in Woche 1 und 2, anschließend € 150 pro Tag zu veranschlagen.
Die ökonomische Situation der Krankenhäuser wird zusätzlich belastet durch die unklare Kostenübernahme bei der Behandlung von EU-Bürgern, sofern diese in ihrem Heimatland nicht krankenversichert sind. Dies gilt auch für die stationäre Aufnahme nicht gesetzlich krankenversicherter Immigranten, die mit Tuberkulose-suspekten Röntgenbefunden aus der Untersuchung nach § 36 Abs. 4 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) bzw. nach § 4 des Asylgesetzes (AsylG) zugewiesen werden, und bei denen ein Behandlungsanspruch gemäß §§ 4 und 6 des Asylbewerberleistungsgesetzes besteht. Es empfiehlt sich daher, für jede durch den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) veranlasste Diagnostik und/oder Therapie von Tuberkuloseverdächtigen bzw. an Tuberkulose Erkrankten im Krankenhaus eine Kostenübernahme zu vereinbaren. Dies betrifft auch die alleinige Unterbringung als notwendige Schutzmaßnahme im Sinne des IfSG.
Vor Entlassung sollte eine wirksame antituberkulöse Therapie unter Berücksichtigung bestehender Komorbiditäten und eventuell bekannter Resistenzen vollständig etabliert worden sein, um eine adäquate Behandlung ambulant fortführen zu können. Einen festgelegten Zeitraum bis zur Entlassung gibt es nicht. Über die Entlassung aus der stationären Behandlung entscheiden vor allem klinische Kriterien, wie z. B. Entzündungswerte, Besserung des Hustens bzw. des Auswurfbefunds, der Röntgenverlauf, der Allgemeinzustand des Patienten sowie die Verträglichkeit der Therapie und die Qualität der nach Entlassung organisierten Betreuung.
Nach Entlassung aus der vollstationären Therapie oder im Rahmen der primär ambulanten Behandlung der Tuberkulose kommt dem zuständigen Gesundheitsamt eine wichtige Lenkungs- und Koordinierungsfunktion in der weiteren Therapiebegleitung zu. Das Gesundheitsamt muss daher unverzüglich über die Kontaktdaten von in Frage kommenden Fach- und/oder Hausärzten, eventuellen Betreuern oder ambulanten Pflegediensten in Kenntnis gesetzt werden, um auf eventuelle Therapieunterbrechungen oder -abbrüche frühzeitig reagieren zu können.
Dies betrifft insbesondere die Notwendigkeit einer direkt überwachten Behandlung (DOT = directly observed treatment) bei Anhaltspunkten für eine mangelnde Therapieadhärenz, die nicht auf gesetzlicher Grundlage angeordnet werden kann. Hier ist es die Aufgabe des Gesundheitsamtes und aller weiteren Behandlungspartner, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es dem Patienten ermöglichen, eine überwachte Behandlung bis zu deren geplanter Beendigung zu akzeptieren.
Eine direkt überwachte Behandlung sollte erwogen werden bei Patienten mit:
bekanntem Missbrauch von Alkohol und Drogen (auch in der Vorgeschichte)
schweren psychiatrischen Erkrankungen
erheblichen Gedächtnisstörungen
disziplinarischen Problemen während des Krankenhausaufenthaltes
Therapie bei poly-, multi- oder extensiv-resistenten Erregern [79 ]
Rezidiven nach früherer Therapie oder Therapieversagen aufgrund unzureichender Medikamenteneinnahme [79 ]
ungünstigen Wohn- oder Unterbringungsverhältnissen, fehlendem festem Wohnsitz, Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften, in Alten- und Pflegeheimen, in Justizvollzugsanstalten
Pflegebedürftigkeit
unzureichender ambulanter Betreuungsmöglichkeit und/oder fehlender Krankenversicherung
problematischer Verständigung [79 ]
Die direkt überwachte Medikamenteneinnahme kann außer im Gesundheitsamt in weiteren Institutionen durchgeführt werden:
durch medizinisches oder anderes Fachpersonal in Einrichtungen der stationären Pflege und Betreuung (z. B. Altenpflege-, Behinderten- und Obdachlosenheimen oder Justizvollzugsanstalten)
durch ambulante Pflegedienste im Rahmen der Verordnung häuslicher Krankenpflege gemäß § 37 Abs. 1 und 2 SGB V
im Rahmen einer Substitutionsbehandlung in Schwerpunktpraxen oder Methadon-Ausgabestellen
in Arztpraxen sowie im Rahmen einer spezialärztlichen ambulanten Versorgung nach § 116b Abs. 3 SGB V/ASV im Krankenhaus
Je nach den Umständen des Einzelfalls kann eine direkt überwachte Medikamenteneinnahme zwar angezeigt, aber nicht realisierbar sein. In diesem Fall sind andere Maßnahmen notwendig, die es dem Patienten ermöglichen, die Behandlung erfolgreich abzuschließen. Zur Therapiesicherung ist in erster Linie der Aufbau einer vertrauensvollen professionellen Beziehung zwischen Fallbetreuer und Patient essenziell. Neben dem selbstverständlichen Angebot von muttersprachlichem Informations- und Aufklärungsmaterial (z. B. Explain-TB www.explaintb.org ), ggf. auch eines Dolmetschers, können die folgenden Maßnahmen das Ziel der Behandlungssicherung unterstützen:
sozialdienstliche Betreuung, z. B. zur Klärung des Krankenversicherungsstatus bzw. der Kostenübernahme für die antituberkulöse Therapie (ggf. nach § 19 IfSG)
Klärung der Unterbringung von Patienten ohne festen Wohnsitz
Bereitstellung adäquater krankheitsangemessener Unterbringung in Gemeinschaftseinrichtungen
Hilfe bei Antragsstellungen
Übernahme von Zuzahlungen für Medikamente durch das Gesundheitsamt
Unterstützung bei behördlichen Angelegenheiten
Unterstützung bei der Wohnungssuche
Vermittlung von Spenden- oder Stiftungsgeldern für die Deckung von Grundbedürfnissen und wohnraumbezogene Anschaffungen, solange (noch) kein Anspruch auf Sozialleistungen besteht
persönliche oder telefonische Kontaktaufnahme durch das Gesundheitsamt in regelmäßigen Abständen
praktische Hilfestellungen durch das Gesundheitsamt (wie z. B. kostenlose Fahrkarten)
Bei Patienten mit infektiöser Tuberkulose, die die Therapie verweigern oder unterbrechen, ist als letzte Maßnahme – nach richterlichem Beschluss – eine zwangsweise Absonderung in einer dafür vorgesehenen Abteilung möglich (§ 30 Abs 2 IfSG).
3 Labordiagnostik der Tuberkulose
3 Labordiagnostik der Tuberkulose
Die Diagnose einer Tuberkulose wird durch den Nachweis der Erreger mit mikroskopischen, kulturellen oder molekularbiologischen Verfahren sichergestellt. Der Nachweis einer Immunantwort ermöglicht nicht die Diagnose einer Tuberkulose. Interferon-γ-Release-Assays (IGRA) und Tuberkulin-Hauttest (THT) können allenfalls eine umfassende Diagnostik ergänzen. Als alleinige Untersuchung sind sie nicht geeignet, eine Tuberkulose sicher zu beweisen oder auszuschließen.
Die Erreger der Tuberkulose (Tuberkulosebakterien, M. tuberculosis -Komplex) sind
Mycobacterium tuberculosis
M. africanum
M. bovis ssp. bovis (Synonym M. bovis )
M. bovis ssp. caprae (Synonym M. caprae )
M. microti
M. pinnipedii
M. mungi[3 ]
M. orygis
[3 ]
M. suricattae
[3 ]
M. canettii
[3 ]
Der Impfstamm BCG (Bacille Calmette-Guérin) wird nicht zu den pathogenen Erregern der Tuberkulose gerechnet. Der Stamm wird in Deutschland auch zur Therapie des oberflächlichen Blasenkarzinoms eingesetzt und kann somit im Urin dieser Patienten nachgewiesen werden (S. 342).
3.1 Präanalytik
Die Qualität des Untersuchungsmaterials (Art, Menge, Gewinnung) hat erheblichen Einfluss auf die Aussagekraft der Labordiagnostik [80 ]
[81 ]. Dem behandelnden Arzt kommt somit eine wichtige Rolle bei der Auswahl und der Gewinnung der Proben zu (siehe [Tab. 8 ], S. 346).
Tab. 8
Untersuchungsmaterialien in der Tuberkulosediagnostik, Hinweise zur Entnahme, Aufbereitung und Versand/Transport.
Untersuchungsmaterial
Hinweise zur Entnahme, Aufbereitung und zum Versand
Sputum
2 – 5 ml
Erstes Morgensputum durch Abhusten aus tiefen Atemwegen mit möglichst geringer Speichelkontamination. Keine Mundspülung vor Sputumgewinnung. Kein Sammelsputum (wenn notwendig: max. Zeitraum 1 Std.). Sputuminduktion mit 3 – 6 % NaCl-Inhalation möglich.
Cave : Infektionsgefahr durch Aerosole. Bronchoskopie ist bei Erwachsenen, Magennüchternsekret bei Kindern vorzuziehen.
Bronchialsekret
2 – 5 ml
Bronchoskopisch gewinnen: Trachealsekret von intubierten Patienten oder Trachealtubus ist wegen der Kolonisation von Begleitkeimen weniger sinnvoll.
Cave : Lokalanästhetika bei Bronchoskopie; wegen der möglichen bakteriziden Wirksamkeit kann das Untersuchungsergebnis verfälscht sein.
BAL
mind. 20 – 30 ml
Möglichst gezielt betroffenes Segment lavagieren. Recovery-Flüssigkeit ohne weitere Behandlung gesondert für Tuberkulosediagnostik auffangen.
geschützte Bürste und bronchoskopisch gewonnene Biopsie
Wegen Gefahr der Austrocknung ca. 0,5 ml sterile physiologische NaCl-Lösung zufügen.
Cave : Lokalanästhetika bei Bronchoskopie; wegen der möglichen bakteriziden Wirksamkeit kann das Untersuchungsergebnis verfälscht sein.
Magennüchternsekret/ Magenspülwasser
2 – 5 ml/20 – 30 ml
Bei jüngeren Kindern ist Magennüchternsekret oder -spülwasser der Sputuminduktion vorzuziehen. Bei älteren Kindern und Erwachsenen ist bronchoskopisch gewonnenes Material oder Sputum dem Magensaft vorzuziehen. Magennüchternsekret/-spülwasser müssen mit Phosphatpuffer neutralisiert werden (über das Labor erhältlich).
Urin
mind. 30 ml
Vorzugsweise Morgenurin nach Einschränkung der Flüssigkeitszufuhr am Vorabend. Kein Mittelstrahlurin, kein Sammelurin, nicht aus Urinauffangbeuteln, (Ausnahme Säuglinge, Kleinkinder); Entnahme unter Vermeidung mikrobieller Verunreinigung.
Sperma, Prostatasekret
In sterilem Gefäß auffangen, ohne Zusatz versenden.
Stuhl
1 – 2 g
Stuhlproben nur bei Patienten mit zellulärem Immundefekt untersuchen. Endoskopisch gewonnene Biopsien sind bei Verdacht auf Darm-Tuberkulose vorzuziehen.
Menstrualblut/Lochien/Plazenta
Gynäkologisch gewinnen und zu gleichen Teilen mit sterilem Wasser versetzen.
Blut
5 – 10 ml
Nur Vollblut (Citrat- oder Heparinblut) , Untersuchung nur sinnvoll bei Patienten mit zellulärem Immundefekt, das Vollblut wird im Labor in Blutkulturmedien überführt, Bebrütungsdauer: 8 Wochen. Die Blutprobe muss im Fieberanstieg entnommen werden!
Knochenmark
Knochenmarkbiopsate und -aspirate sind zu behandeln wie Blut (Citrat/Heparinzusatz).
Abstrichtupfer/Wundmaterial
Abstrichtupfer sind im Regelfall nicht geeignet, Alternativen wie Punktion, Biopsie etc. sind zu überlegen und vorzuziehen. Falls kein Eiter eingeschickt werden kann, so viel Material wie möglich mit dem Tupfer aufnehmen, den Tupfer in ein Gefäß mit 1 – 2 ml physiologischer NaCl-Lösung überführen. Für die allgemeine Bakteriologie sollte ein weiterer Abstrich entnommen werden.
Gewebe, Biopsien
So viel Material wie möglich gewinnen, Probe mit Zusatz von steriler, physiologischer NaCl vor Austrocknung schützen. (KEIN Formalin)
Gewebeprobe immer auch histologisch untersuchen lassen!
Liquor
mögl. 3 – 5 ml
Nativ – nicht in Blutkultur-Flaschen ; wiederholte Probengewinnung mit jeweils großen Probenvolumina für die mikrobiologische Diagnostik (Mikroskopie, Kultur, PCR), zusätzlich > 2 – 3 ml für Liquor-analytische Basisuntersuchungen (Zellzahl, Gesamteiweiß, Laktat, zytologische Präparatsbestimmung der Proteine Albumin, Immunglobulin G, A und M in Liquor und Serum und die Auswertung der Quotienten in den Reiber-Felgenhauer-Quotientendiagrammen). Siehe auch: Merkkasten – Typische Liquorbefunde bei Neurotuberkulose (S. 341)
Körperflüssigkeiten (Punktionen, Aspirate, Exsudate) mögl. 30 – 50 ml
Körperflüssigkeiten (Pleuraexsudat, Perikardflüssigkeit, Synovialflüssigkeit, Abszesspunktat) ebenfalls nativ;
Blutige Proben: evt. Zusatz von Citrat erforderlich, so viel wie möglich entnehmen!
Das Untersuchungsmaterial soll möglichst vor Therapiebeginn entnommen werden. Die genaue Art und Herkunft der Probe soll angegeben werden. Bei Patienten mit Verdacht auf Lungentuberkulose ist Morgensputum das wichtigste Untersuchungsmaterial. Davon sollen mindestens drei an unterschiedlichen Tagen gewonnene Proben untersucht werden. Falls ohnehin eine bronchoskopische Untersuchung durchgeführt wird, stellt die Entnahme von Sputum nach der Untersuchung eine wertvolle ergänzende diagnostische Möglichkeit dar [84 ]
[85 ].
Zur Häufigkeit der Untersuchung von Proben zur Verlaufskontrolle unter Therapie verweisen wir auf [Abb. 1 ] im Kapitel Standardtherapie.
Das Untersuchungsgut soll möglichst schnell ins Labor gesandt werden. Ist dies nicht sofort möglich, soll das Material bei 2 – 8 °C gelagert werden.
3.2. Diagnostische Verfahren zum Nachweis von Tuberkulosebakterien
Mikroskopie
Die mikroskopische Untersuchung ist das schnellste und kostengünstigste Verfahren zum Nachweis von Tuberkulosebakterien [86 ]. Durch sie können sehr schnell die hochinfektiösen (da mikroskopisch positiven) Patienten erkannt werden. Die Dauer der Isolierung des Patienten [87 ] sowie der Umfang der Umgebungsuntersuchung [88 ] orientieren sich am mikroskopischen Ergebnis der Sputumuntersuchung, daher soll die mikroskopische Untersuchung des Sputums im Rahmen der Erstuntersuchung bei Tuberkuloseverdacht immer zur Anwendung kommen.
Die Mikroskopie hat eine geringere Sensitivität als die Kultur (20 – 80 %) [89 ]. Die Sensitivität ist am höchsten bei Sputumproben von Patienten mit kavernöser Lungentuberkulose und gering bei Patienten mit wenig ausgeprägter Klinik. Nicht-respiratorische Proben sind im allgemeinen paucibazillär, sodass die mikroskopische Untersuchung häufig negativ ausfällt. Die Wertigkeit eines positiven Befundes in diesen Proben ist dadurch umso höher. Durch die mikroskopische Untersuchung kann nicht zwischen Tuberkulosebakterien und nichttuberkulösen Mykobakterien sowie zwischen vermehrungsfähigen und nicht vermehrungsfähigen Mykobakterien unterschieden werden. Als Methoden stehen lichtmikroskopische (Ziehl-Neelsen- oder Kinyoun-Färbung) oder fluoreszenzmikroskopische (Auramin, Auramin-Rhodamin, Acridinorange) Verfahren zur Verfügung [86 ].
Kultur
Die kulturelle Untersuchung ist der ‚Goldstandard‘ des Erregernachweises und soll daher im Rahmen der Erstuntersuchung bei Tuberkuloseverdacht immer zur Anwendung kommen.
Wachstum von Tuberkulosebakterien in einer Kultur beweist das Vorliegen einer Tuberkulose. In Deutschland sind etwa die Hälfte der Fälle mit offener Lungentuberkulose auch mikroskopisch positiv (46 % im Jahr 2014; [10 ]). Die anderen Patienten werden somit erst mit der positiven Kultur diagnostiziert, sofern parallel zur mikroskopischen Untersuchung keine molekularbiologische Untersuchung durchgeführt wurde. Alle nicht-sterilen Proben müssen vor der Kultivierung durch die Vorbehandlung, z. B. mit N-Acetyl-L-Cystein-NaOH dekontaminiert, homogenisiert und konzentriert [90 ] werden.
Die kulturelle Untersuchung soll mit Hilfe einer Flüssig- und zweier Festkulturen durchgeführt werden.
In der Regel beträgt die Kultivierungszeit bis zu einem positiven Ergebnis mit den modernen Verfahren etwa ein bis drei Wochen. Nur bei negativen Untersuchungsergebnissen muss die Gesamtkulturzeit von acht Wochen, bei keimarmen und schwierig zu gewinnenden Proben bis zu 12 Wochen, abgewartet werden.
Wegen der aufwändigen manuellen Probenverarbeitung kann es, besonders bei mikroskopisch positiven Untersuchungsmaterialien, zu einer Übertragung von Tuberkulosebakterien von einer Probe zur nächsten kommen. Laboratorien müssen deshalb strikte Verfahrensabläufe zum Vermeiden von Laborkontaminationen einhalten [80 ]. Hinweise auf eine mögliche Laborkontamination können sein, wenn nur eine von mehreren Proben positiv wird, wenn die Kultur sehr spät positiv wird oder nur einer der drei Nährböden positiv wird. Einsender sollten den kulturellen Nachweis von Tuberkulosebakterien kritisch hinterfragen, wenn eine Diskrepanz zur klinischen Einschätzung vorliegt und dazu mit dem Labor kommunizieren. Zur Aufklärung können DNA-Typisierungsverfahren (z. B. Spoligo-, MIRU-Typisierung) eingesetzt werden.
Sobald eine Kultur mit Mykobakterien positiv geworden ist, muss unverzüglich untersucht werden, ob Tuberkulosebakterien oder NTM gewachsen sind. Diese Untersuchung kann innerhalb von Minuten mit immunochromatografischen Schnelltests oder innerhalb weniger Stunden mit molekularbiologischen Methoden (z. B. Streifenhybridisierungsverfahren) durchgeführt werden. Das Ergebnis ‚Wachstum von Mykobakterien‘ darf wegen der Möglichkeit des Nachweises von NTM keinesfalls als Befund erstellt werden. Der Befund muss eine eindeutige Aussage enthalten, ob Tuberkulosebakterien nachzuweisen waren oder NTM.
Von jedem Patienten soll von mindestens einer Kultur eine genaue Speziesidentifizierung der Tuberkulosebakterien durchgeführt werden. Neben der epidemiologischen Bedeutung hat dies auch therapeutische Relevanz, da M. bovis PZA-resistent ist und somit eine Anpassung der Therapie erfolgen muss (S. 334). Auch sollte der ‚Impfstamm‘ M. bovis BCG (Siehe auch: Kapitel Entzündliche Reaktionen nach Bacillus Calmette-Guérin (BCG)-Instillation beim Harnblasenkarzinom, S. 342) erkannt und von allen anderen M. tuberculosis -Komplex-Stämmen unterschieden werden, da auch dieser Stamm PZA-resistent ist. Darüber hinaus sind Infektionen durch BCG nach Infektionsschutzgesetz (IfSG) nicht meldepflichtig. Eine BCG-itis kann bei im Ausland geimpften jungen Kindern als Impfkomplikation auftreten. Bei älteren deutschen Patienten kann BCG entweder aus dem Urin oder auch aus anderen Organen isoliert werden, wenn sie nach der Diagnose eines Harnblasenkarzinoms mit Instillationen mit dem BCG-Stamm therapiert wurden.
Molekularbiologische Methoden (Nukleinsäureamplifikationstests, NAT)
Nachweis von Tuberkulosebakterien Mit molekularbiologischen Methoden kann sehr schnell und mit einer höheren Sensitivität als mit der Mikroskopie der Nachweis von Tuberkulosebakterien im Untersuchungsmaterial durchgeführt werden [91 ]
[92 ]. Sensitivität und Spezifität der molekularbiologischen Methoden sind bei mikroskopisch positiven Proben nahezu 100 %. Eine negative PCR aus einem mikroskopisch positiven Untersuchungsmaterial weist somit auf eine Infektion mit NTM hin. Bei mikroskopisch negativen Proben ist die diagnostische Sensitivität (d. h. PCR im Vergleich zu Kultur und klinischer Diagnose) geringer (70 – 90 %). Ein negatives PCR-Ergebnis bei mikroskopisch negativen Materialien schließt somit eine Tuberkulose nicht aus. Die Aussagekraft der PCR kann durch die Untersuchung mehrerer Proben eines Patienten erhöht werden. Durch die PCR können auch nicht vermehrungsfähige Bakterien ein positives Ergebnis erzeugen, sodass die Verfahren nicht zur Therapiekontrolle geeignet sind.
PCR-Verfahren sollen nicht als Screeningmethode eingesetzt werden, sondern nur bei begründetem Verdacht auf eine Tuberkulose, vor allem bei besonders gefährdeten Personen (z. B. Kinder, HIV-infizierte Patienten) oder bei einem schweren Krankheitsbild (z. B. miliare Tuberkulose). Wichtig ist der molekularbiologische Nachweis bei schwer und nicht wiedergewinnbaren Proben wie z. B. Gewebsproben oder Liquor cerebrospinalis . Solche Materialien sind in der Regel keimarm und damit mikroskopisch negativ, sodass hier der DNA-Nachweis eine Diagnose erheblich beschleunigen kann. Bei der Untersuchung von Liquor cerebrospinalis steigert die Untersuchung großer Probenvolumina ( > 5 ml) und die Wiederholung der Liquoranalytik die Sensitivität.
Der Nachweis von Tuberkulosebakterien, mit Ausnahme von M. bovis BCG, ist nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) meldepflichtig.
Molekularbiologischer Nachweis von Antibiotikaresistenzen Neben dem positiven Nachweis von Tuberkulosebakterien können heute mit bestimmten Verfahren zeitgleich im Untersuchungsmaterial auch Mutationen im Genom der Tuberkulosebakterien detektiert werden, die mit Antibiotikaresistenzen korrelieren und es somit ermöglichen, Patienten mit resistenten Stämmen sehr frühzeitig zu erkennen. Besonders bei Patienten, die aus Regionen mit einer hohen Prävalenz resistenter Stämme kommen, sind diese Verfahren sinnvoll und aussagekräftig.
RMP-Resistenz Mit einem Kartuschensystem zum automatisierten Nachweis von Tuberkulosebakterien durch eine RealTime PCR können gleichzeitig Mutationen im rpoB -Gen der Tuberkulosebakterien detektiert werden, die mit einer Resistenz gegen Rifampicin korrelieren [92 ]. Dieser Test kann auch bei mikroskopisch negativen Proben eingesetzt werden. Da mono-RMP-resistente Stämme weltweit sehr selten sind, wird in der Regel bei einem RMP-resistenten Ergebnis von einer MDR-Tuberkulose ausgegangen.
Die Verlässlichkeit eines resistenten Ergebnisses (positiver prädiktiver Wert [PPV]) ist abhängig von der Häufigkeit der Resistenz in der untersuchten Bevölkerung. Je höher die Resistenzrate ist, desto verlässlicher sind die Ergebnisse und umgekehrt (liegt die MDR-Rate in der untersuchten Population unter 5 %, sinkt der positive prädiktive Wert auf unter 70 %). Der Test ist somit gut geeignet bei Patienten aus einer Region mit hoher MDR-Rate. Eine sorgfältige Beurteilung der Patientensituation ist deshalb sehr wichtig für die Bewertung der Ergebnisse.
Wenn der Direktnachweis ein RMP-resistentes Ergebnis bei einem Patienten mit geringem Risiko für Multiresistenz ergibt, sollte eine Kontrolle des Resistenzergebnisses, z. B. durch einen Streifenhybridisierungstest oder eine Sequenzanalyse, wenn möglich noch direkt aus dem Untersuchungsmaterial, erfolgen. Ist dies nicht möglich, sollte die molekularbiologische Untersuchung sofort aus einer bewachsenen Kultur durchgeführt werden.
Beim Nachweis einer genotypischen Resistenz handelt es sich in den meisten Fällen um Mutationen, die mit einer hohen MHK gegen Rifampicin einhergehen (am häufigsten wird die Mutation Ser531Leu im rpoB -Gen beobachtet). In seltenen Fällen (ca. 2 – 3 % der Tuberkulosefälle) verursachen bestimmte Mutationen im rpoB -Gen ein resistentes genotypisches Ergebnis, obwohl diese Mutationen nicht mit einer phänotypischen Resistenz korrelieren (sog. ‚disputed mutations‘ [93 ]
[94 ]). Die Bedeutung dieser Konstellation für die Therapie wird kritisch beobachtet, da Hinweise auf nicht erfolgreiche Therapien bei Patienten mit Tuberkulosestämmen, die solche Mutationen aufwiesen, gefunden wurden [95 ]
[96 ]
[97 ].
Etwa 1 – 2 % RMP-resistenter Stämme werden durch den Direkttest als falsch sensibel detektiert, da die für die Resistenz verantwortlichen Mutationen außerhalb des analysierten Bereichs liegen.
INH- und RMP-Resistenz Mit anderen molekularbiologischen Verfahren (z. B. Streifenhybridisierungstests [98 ]
[99 ]) können direkt im Untersuchungsmaterial Mutationen untersucht werden, die mit Resistenzen gegen INH und RMP einhergehen. Die Teste sind vor allem bei mikroskopisch positiven Proben einsetzbar. Sie haben, im Vergleich zum oben genannten Kartuschen-Verfahren, den Vorteil, dass bestimmte Mutationen, die sicher mit einer hohen MHK korrelieren, eindeutig nachgewiesen werden.
Der Nachweis der INH-Resistenz beruht auf der Analyse einer bestimmten Mutation im kat G-Gen sowie zweier Bereiche in der Promotor-Region des inh A-Gens. Die Sensitivität des Resistenznachweises von INH liegt mit ca. 70 – 90 % geringer als bei RMP, sodass bei einem sensiblen genotypischen Ergebnis eine INH-Resistenz nicht sicher ausgeschlossen werden kann.
Resistenz gegen Fluorchinolone und injizierbare Antibiotika Mit molekularbiologischen Methoden (z. B. Streifenhybridisierungstests [100 ]
[101 ]) können ebenfalls direkt im (mikroskopisch positiven) Untersuchungsmaterial Mutationen, die mit einer Resistenz gegen Fluorchinolone (z. B. Ofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin) (im gyr A/gyr B-Gen) sowie gegen injizierbare Medikamente der Nicht-Standardtherapie (z. B. Capreomycin, Kanamycin oder Amikacin) (im rrs - und eis -Gen) korrelieren, nachgewiesen werden. Auch bei diesen Tests werden nicht alle Mutationen, die Resistenzen verursachen, erfasst, sodass ein sensibles Ergebnis keinen Ausschluss einer Resistenz bedeutet. Ein resistentes genotypisches Ergebnis ist aber ein sicherer Hinweis auf die phänotypische Resistenz. In diesem Fall ist von einem prä-XDR- bzw. XDR-Stamm auszugehen.
3.3 Empfindlichkeitsprüfung
Bei jedem Tuberkulosepatienten soll möglichst von dem ersten Isolat eine Empfindlichkeitsprüfung gegen die Medikamente der Standardtherapie (Isoniazid = INH, Rifampicin = RMP, Ethambutol = EMB, und Pyrazinamid = PZA) durchgeführt werden. Streptomycin wird nicht mehr zu den Medikamenten der Standardtherapie gerechnet. Werden nach mehr als acht Wochen Therapie kulturell immer noch Tuberkulosebakterien nachgewiesen, muss die Empfindlichkeitsprüfung mit einem neuen Isolat wiederholt werden. Auch das Ergebnis der Empfindlichkeitsprüfung muss nach Infektionsschutzgesetz gemeldet werden.
Phänotypische Resistenztestung
Die phänotypische Resistenztestung ist immer noch die Standardmethode zur Überprüfung der Antibiotika-Empfindlichkeit von Tuberkulosebakterien. Dazu wird, anders als bei anderen Bakterien, keine Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration vorgenommen, sondern es werden Empfindlichkeitsprüfungen bei nur jeweils einer bestimmten Konzentration (der kritischen Konzentration) durchgeführt [102 ].
Mit Flüssigkulturverfahren beträgt die Analysezeit dieser Testung etwa 7 bis 10 Tage. Die Methode ist sehr gut standardisiert und umfangreich evaluiert [103 ]. Vor allem die Ergebnisse für INH und RMP sind sehr gut reproduzierbar. Die Testung von EMB ist bei sonst sensiblen Stämmen ebenfalls verlässlich, bei MDR-Stämmen ist die Reproduzierbarkeit geringer. Die Testung von PZA ist im Vergleich zur Testung von INH und RMP fehleranfälliger. Die WHO empfiehlt deshalb, PZA bei MDR-/XDR-Patienten auch bei einem resistenten Ergebnis in der Therapie zu belassen. Bei mono-PZA-resistenten Stämmen (die nicht M. bovis -Stämme sind) sollte das Ergebnis hinterfragt und überprüft werden.
Entscheidend für die phänotypische Resistenztestung ist die Festlegung der Testkonzentration (kritische Konzentration), für die es bei modernen, in der Tuberkulosebehandlung eingesetzten Antibiotika keine Absicherung durch klinische Studien gibt. Eine Empfehlung der WHO gibt Testkonzentrationen für Medikamente der Standard- und der Nicht-Standardtherapie an [104 ]. Die Testung von Fluorchinolonen (Ofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin), injizierbaren Antibiotika (Amikacin, Capreomycin) und Linezolid ist im Flüssigkulturverfahren gut reproduzierbar und verlässlich. Für die Testung von Kanamycin gibt es weniger Daten. Weniger gut reproduzierbar ist die Testung von Protionamid/Ethionamid. Cycloserin kann nur auf Festnährböden getestet werden, sodass die Analysedauer deutlich länger ist, und auch hier ist die Reproduzierbarkeit gering. Für die neuen Antibiotika Delamanid und Bedaquilin liegen erste Veröffentlichungen zur Testung im Flüssigkulturverfahren mit möglichen Testkonzentrationen vor [105 ]
[106 ]
[107 ].
Inzwischen werden vermehrt Verfahren zur MHK-Bestimmung bei M. tuberculosis etabliert und evaluiert, einerseits um Korrelationen zwischen bestimmten Resistenz-Mutationen und der Resistenzhöhe zu bestimmen, aber auch um bei hoch resistenten Stämmen eine individualisierte Therapie zu ermöglichen. Patienten, die mit Stämmen infiziert sind, deren MHK-Werte nicht weit oberhalb der kritischen Testkonzentration liegen, könnten von einer Therapie mit einer höheren Dosis profitieren. Allerdings ist zurzeit die Datenbasis zu MHK-Werten bei M. tuberculosis in weiten Bereichen noch unzureichend und die Erfahrung in der klinischen Umsetzung gering. Eine genauere Ermittlung des Resistenzniveaus, ggf. kombiniert mit Serumspiegelwerten, und zunehmende klinische Erfahrung werden vielleicht in Zukunft die Therapieoptionen bei resistenten Stämmen verbessern.
Genotypische Resistenztestung
Zumindest bei Verdacht auf einen resistenten Stamm (z. B. bei Patienten aus Risikogebieten wie z. B. NUS = Neue Unabhängige Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Kontaktpersonen zu MDR-Tuberkulose-Patienten, vorbehandelte Patienten) sollte bei einer positiven Kultur eine genotypische Resistenztestung für INH und RMP durchgeführt werden, sofern noch keine derartigen Ergebnisse der Untersuchungen direkt aus dem Untersuchungsmaterial vorliegen (s. o.).
Für die Aussagekraft der genotypischen Verfahren gelten ebenfalls die oben genannten Ausführungen. Da nicht alle Mutationen, v. a. bei INH-Resistenz, erfasst werden, muss immer auch eine phänotypische Resistenztestung folgen.
Die beiden Hauptmechanismen der INH-Resistenz, die auch mit den gängigen Streifentests erfasst werden, werden durch Mutationen in einem Gen (kat G-Gen) bzw. einem Gen-Regulationsbereich (inh A-Promotor) verursacht. Die MHK-Werte der INH-Resistenzen sind unterschiedlich hoch, abhängig vom Genort der Mutation. So führen Mutationen im kat G-Gen überwiegend zu einem hohen MHK-Wert, Mutationen im inh A-Regulationsbereich dagegen vorwiegend zu niedrigen MHK-Werten, jedoch gibt es auch Ausnahmen von dieser Korrelation [108 ]
[109 ]. Wird eine Hochdosis-INH-Therapie in Betracht gezogen, sollte möglichst eine phänotypische MHK-Bestimmung angestrebt werden.
Für Thioamide (Protionamid und Ethionamid) besteht eine Kreuzresistenz mit einer INH-Resistenz, wenn diese durch eine Mutation im inh A-Regulationsbereich verursacht wird. Diese Kreuzresistenz gilt nicht für die durch eine Mutation im kat G-Gen verursachte INH-Resistenz. Allerdings können letztere Stämme unter Protionamid-Therapie eine von der INH-Resistenz unabhängige Protionamid-Resistenz entwickeln (z. B. Mutationen im eth A-Gen) [110 ].
Eine Resistenz gegen Pyrazinamid korreliert in den meisten Fällen mit Mutationen im pnc A-Gen. Im Gegensatz zu z. B. INH und RMP können im Fall von pnc A die Mutationen im gesamten Gen (561 Bp) vorkommen. Es gibt also nicht einzelne, definierte Mutationen, die gezielt analysiert werden können, sondern das gesamte Gen muss durch Sequenzierung analysiert und nach Mutationen untersucht werden. Neben bekannten, mit Resistenz korrelierten Mutationen treten auch Mutationen auf, für die eine Resistenz nicht gesichert ist [111 ].
Eine Resistenz gegen Fluorchinolone wird überwiegend durch Mutationen im gyrA -Gen, in seltenen Fällen im gyrB-Gen, verursacht. Eine Korrelation zwischen spezifischen Mutationen und den MHK-Werten ist nicht gesichert [112 ]. Auch eine Sensibilität gegenüber einzelnen Fluorchinolonen (z. B. Moxifloxacin) kann bei spezifischen Mutationen nicht belegt werden [113 ].
Resistenzen gegen die injizierbaren Medikamente der Nicht-Standardtherapie Capreomycin, Kanamycin oder Amikacin werden überwiegend durch Mutationen im rrs -Gen und selten in anderen Genen (z. B. eis -Gen) verursacht. Abhängig von der spezifischen Mutation können Kreuzresistenzen zwischen allen drei oder nur zwischen zwei Antibiotika auftreten [114 ]. Selten ist nur ein Antibiotikum resistent. Die am häufigsten beobachtete Mutation (rrs 1401) führt in der Regel zu Resistenzen gegenüber allen drei Antibiotika. Mutationen im eis -Gen dagegen verursachen überwiegend eine Resistenz gegenüber Kanamycin. Nur durch eine phänotypische Testung der in Frage kommenden Antibiotika kann die Wirksamkeit der Therapie gesichert werden.
Da inzwischen für nahezu alle in der Tuberkulosetherapie eingesetzten Antibiotika Mutationen bekannt sind, die mit Resistenzen korrelieren, kann durch Gesamtgenomanalysen ein umfassendes Bild zur möglichen Resistenzsituation des untersuchten Stammes gewonnen werden [115 ]. Noch sind die Kosten dafür hoch und die Infrastrukturen nicht ausreichend, um diese Methoden umfangreicher anzuwenden. In speziellen Fällen, z. B. mit diskrepanten Ergebnissen (wie phänotypisch resistent – molekularbiologisch sensibel), bei nicht eindeutigen oder grenzwertigen Ergebnissen der phänotypischen Testung oder hochresistenten Stämmen können Gesamtgenomanalysen im Einzelfall hilfreich sein.
4 Chemoprävention und Chemoprophylaxe der latenten Infektion mit M. tuberculosis (LTBI)
4 Chemoprävention und Chemoprophylaxe der latenten Infektion mit M. tuberculosis (LTBI)
Die latente Infektion mit Mycobacterium tuberculosis (fortan gemäß der englischen Abkürzung als LTBI bezeichnet) beschreibt die Persistenz vitaler M. tuberculosis -Bakterien im Organismus nach einer Infektion. Die infizierte Person ist klinisch gesund und nicht ansteckend für ihre Umgebung. Verschiebt sich das Gleichgewicht zwischen immunologischer Kontrolle und bakterieller Aktivität zu Ungunsten der Immunität, kann sich aus der LTBI eine Tuberkulose entwickeln (Reaktivierung).
Unter Chemoprävention (synonym: Präventive Chemotherapie) wird die Therapie einer nachgewiesenen LTBI verstanden, deren Ziel es ist, eine Reaktivierung von persistierenden M. tuberculosis- Bakterien und die konsekutive Tuberkulose zu verhindern.
Im Unterschied zur Chemoprävention handelt es sich bei der Chemoprophylaxe (synonym: Prophylaktische Chemotherapie) um die Einleitung einer medikamentösen Behandlung, bevor eine Infektion mittels Tuberkulin-Hauttest (THT) bzw. Interferon-Gamma-Release-Assay (IGRA) erfasst werden kann, also bevor eine Reaktion des Immunsystems auf den Kontakt mit M. tuberculosis nachweisbar ist.
Klinisch ist die LTBI durch ein positives Ergebnis eines immunologischen Tests (IGRA und/oder THT) definiert, sofern nach eingehender Diagnostik kein Anhalt für das Vorliegen einer Tuberkulose besteht. Da jedoch beide diagnostischen Verfahren falsch positive Resultate liefern können, ist ein positiver Test nicht zwingend Beweis für eine tatsächliche latente Infektion [116 ]. Die Diagnose einer LTBI bedarf daher immer auch einer klinischen Abwägung (siehe weiter unten und [117 ]).
Im Kindesalter unter 5 Jahren wird der THT bevorzugt, zwischen 5 und 14 Jahren alternativ der IGRA oder der THT angewendet (siehe Leitlinie Tuberkulose im Kindes- und Jugendalter). Bei Erwachsenen (ab 15 Jahre) sollte bevorzugt ein IGRA eingesetzt werden. Ein Flussschema zu den möglichen Verlaufsformen und Interventionsmöglichkeiten bei LTBI zeigt die [Abb. 2 ]).
Abb. 2 Schemadarstellung zu möglichen Verlaufsformen und Interventionsmöglichkeiten nach Kontakt bei LTBI, modifiziert nach [120 ].
Personen mit einer LTBI sind ein wichtiges Reservoir für Neuerkrankungen [118 ].
Das pathologische Korrelat der Tuberkuloseinfektion, das Granulom, begrenzt die Infektion lokal. Die immunologische Kontrolle der LTBI wird durch ein komplexes Zusammenspiel der Zellen, die das Granulom bilden, gewährleistet. Geringfügige Störungen in den komplexen immunologischen Regulationsmechanismen können aber auch nach vielen Jahren dazu führen, dass sich die organisierte Struktur des Granuloms, in dem sich in der Regel nur kleine Bakterienpopulationen befinden, auflöst. Es kommt dann zu einer Tuberkulose, die durch eine unkontrollierte Erregerreplikation und Destruktion des den Infektionsherd umgebenden Gewebes gekennzeichnet ist (Reaktivierung). Das Erkrankungsrisiko ist in den ersten zwei Jahren nach der Infektion am höchsten [119 ].
4.1 Diagnose und Indikationen zur Behandlung der latenten Infektion mit M. tuberculosis
Die Diagnostik einer LTBI soll dann durchgeführt werden, wenn Personen ein erhöhtes Risiko haben, eine Tuberkulose zu entwickeln. Die Risikoeinschätzung muss der Infektionsdiagnostik voraus gehen. Die Intention, eine präventive Therapie für eine LTBI einzuleiten, sollte in der Regel einer Untersuchung auf eine LTBI vorgeschaltet sein. Die Indikation zur Behandlung der LTBI wird schließlich auf der Basis eines IGRA und/oder THT und in Abhängigkeit von der klinischen Situation bzw. des Erkrankungsrisikos der infizierten Person gestellt.
Ziel einer präventiven Chemotherapie ist es, ruhende Tuberkuloseerreger zu eliminieren, sodass eine spätere Reaktivierung mit Progression zu einer Tuberkulose verhindert wird. Vor Einleitung einer präventiven Chemotherapie oder einer Chemoprophylaxe ist eine Tuberkulose, die eine Kombinationstherapie mit mehreren antimykobakteriellen Substanzen erfordern würde, auszuschließen.
Bei Vorliegen eines positiven IGRA bzw. THT und sofern nach eingehender Diagnostik kein Anhalt für das Vorliegen einer Tuberkulose besteht, gelten für Personengruppen mit einem erhöhten Risiko für eine Reaktivierung einer LTBI folgende Empfehlungen:
Bei Personen mit engem Kontakt zu einem kulturell oder molekularbiologisch gesicherten, an Lungentuberkulose mit oder ohne mikroskopischem Nachweis säurefester Stäbchen im Sputum-Direktpräparat erkrankten Indexfall (entsprechend den Kriterien der DZK-Empfehlungen zu den Umgebungs-Untersuchungen bei Tuberkulose [88 ]) soll eine präventive Chemotherapie durchgeführt werden.
Bei Patienten vor Einleitung bzw. unter einer Therapie mit TNF-alpha-Inhibitoren soll eine präventive Chemotherapie durchgeführt werden.[4 ]
Bei Patienten mit einer HIV-Infektion soll eine präventive Chemotherapie durchgeführt werden.
Bei Patienten mit einer schwerwiegenden Grunderkrankung wie Diabetes mellitus, malignen Lymphomen, Leukämien oder Kopf-Hals-Karzinomen sollte eine präventive Chemotherapie durchgeführt werden; bei vorbestehender Silikose sollte eine präventive Chemotherapie erwogen werden.
Bei Schwangeren sollte eine präventive Chemotherapie erwogen werden, wenn eine kurz zurückliegende Infektion (Kontakt zu ansteckendem Indexfall) oder eine definierte Immunsuppression (vor allem HIV-Infektion) vorliegt.
Bei Patienten vor geplanter bzw. nach Organ- oder hämatologischer Transplantation sollte wegen der notwendigen iatrogenen Immunsuppression eine präventive Chemotherapie erwogen werden [121 ].
Bei Dialysepatienten kann eine präventive Chemotherapie erwogen werden, insbesondere wenn eine weitere Grunderkrankung neben der Niereninsuffizienz vorliegt [121 ].
Bei Personen mit i. v. Drogenabhängigkeit kann eine präventive Chemotherapie erwogen werden.
Darüber hinaus sollte bei besonderen Personengruppen die Indikation zur präventiven Chemotherapie erwogen werden, bei denen erfahrungsgemäß eine erhöhte Reaktivierungstendenz besteht (z. B. Personen aus Hochinzidenzländern [vgl. Global Tuberculosis Report der WHO http://www.who.int/tb/publications/global_report/en/ ], Personen, die in Justizvollzugsanstalten untergebracht sind oder obdachlose Personen).
Die italienische Arbeitsgruppe SAFEBIO („Italian multidisciplinary task force for screening of tuberculosis before and during biologic therapy“ ) stellte 2015 eine Literaturrecherche zur Verfügung [122 ]. Den Ergebnissen zufolge ist das Tuberkulose-Reaktivierungsrisiko unter Therapie mit dem TNF-alpha-Antagonisten Etanercerpt geringer als unter Adalimumab und Infliximab. Zu Golimumab, Certolizumab und CT-P13 (Infliximab biosimilar) existierten noch zu wenig Daten. Ein niedriges bis nicht vorhandenes Tuberkulose-Reaktivierungsrisiko besteht unter Therapie mit anderen Biologicals wie Rituximab, Abatacept, Tocilizumab, Ustekinumab und Anakinra.
Das Tuberkulose-Reaktivierungsrisiko für die anti-rheumatischen Basistherapeutika wurde aufgrund der hier ausgewerteten Studien wie folgt bewertet: Leflunomid (RR 11,7), Ciclosporin (RR 3,8), Methotrexat (RR 3,4), Sulfasalazin, Azathioprin, Hydroxychloroquin (RR 1,6). In Kombination scheinen die Basistherapeutika das Risiko einer TNF-alpha-Antagonisten-Therapie zu steigern [122 ]. Für die Bewertung des Tuberkulose-Reaktivierungsrisikos unter Therapie mit Kortikosteroiden scheint die Höhe der Steroiddosis entscheidend zu sein.
Die Herkunft einer Person aus einem Tuberkulose-Hochinzidenzland spricht nicht dagegen, eine Chemoprävention z. B. nach Kontakt zu einem Patienten mit einer ansteckenden Tuberkulose durchzuführen. Die Annahme, dass bei solchen Personen grundsätzlich von einer bereits früher erworbenen Infektion mit in der Folge positivem IGRA auszugehen ist und von daher eine Chemoprävention nicht sinnvoll sei, ist nicht zutreffend. Vielmehr zeigte eine Untersuchung [123 ], dass es in einem relevanten Anteil zu frischen Übertragungen und somit zu einem erneut erhöhten Erkrankungsrisiko kommt, auch wenn möglicherweise bereits früher eine Infektion stattgefunden hat.
4.2 Erneute Exposition nach Chemoprävention
In der Regel wird eine Chemoprävention bei Erwachsenen nur einmal durchgeführt. Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es keine hinreichende Evidenz für den Nutzen einer erneuten präventiven Chemotherapie. Eine erneute Chemoprävention bzw. -prophylaxe kann ggf. im individuellen Einzelfall (enger Kontakt zu ansteckender Lungentuberkulose) bei Personen mit besonderem Risiko (z. B. Immunschwäche) erwogen werden.
4.3 Allgemeines zur Entscheidungsfindung zur Einleitung einer präventiven Chemotherapie
Die Entscheidung über die Einleitung einer Chemoprävention muss gemeinsam mit der infizierten Person auf der Grundlage einer individuellen Risikoabwägung getroffen werden. Dabei ist, falls bekannt, die Infektionsanamnese zu berücksichtigen (bereits früher stattgehabte Infektion und/oder eine vorbestehende berufliche Exposition, zeitnahe Exposition zu einem bekannten Indexpatienten). Die Ansteckungsfähigkeit des Indexpatienten sowie mögliche Resistenzen des Erregers sind weitere wichtige Faktoren für die Entscheidungsfindung sowohl für die Testung auf LTBI als auch zur Indikationsstellung für eine präventive Chemotherapie. Ferner sind die wahrscheinliche Therapieadhärenz, das Alter des Patienten und die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Arzneimittelwirkungen, etwa durch Komorbidität oder Medikamenteninteraktionen, bei der Indikationsstellung in Betracht zu ziehen.
Bei zu erwartender geringer Compliance sollte – sofern eine dringende Behandlungsindikation besteht – auf Biologika zurückgegriffen werden, bei denen ein möglichst geringes Risiko der Tuberkulosereaktivierung besteht (Merkkasten SAFEBIO-Studie)
Infizierte Personen sollen – unabhängig von der Durchführung einer Chemoprävention – über mögliche Symptome einer Tuberkulose und die Notwendigkeit einer entsprechenden Diagnostik im Falle des Auftretens von Symptomen hingewiesen werden. Für die Aufklärung von Betroffenen in der Muttersprache eignet sich z. B. die multilinguale Anwendung ExplainTB, die auf Smartphones oder auf dem PC verfügbar ist (www.explaintb.org ).
Es sollte beachtet werden, dass mit steigendem Lebensalter auch das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen steigt.
4.4 Durchführung und Wirksamkeit der präventiven Chemotherapie
Im Gegensatz zur behandlungsbedürftigen Tuberkulose sind die Keimpopulationen bei der LTBI wahrscheinlich sehr klein. Diese Annahme basiert auf den Ergebnissen tierexperimenteller Studien. Es ist jedoch unklar, wie weit die bakterielle Belastung (bacterial burden ) des einzelnen Individuums bei einer LTBI reduziert werden kann, da es keine geeigneten Methoden gibt, die intrazellulären Erreger genau zu quantifizieren. Obwohl eine Studie an Primaten gezeigt hat, dass M. tuberculosis auch im latenten Stadium der Infektion Mutationen akkumulieren kann [124 ], gilt die Wahrscheinlichkeit spontaner Resistenzmutation von M. tuberculosis bei Vorliegen einer LTBI beim Menschen als sehr gering. Daher ist die Monotherapie der LTBI ausreichend sicher [125 ] (Ausnahme: angenommene Infektion durch INH- bzw. RMP-resistente Erreger).
Durchführung der präventiven Chemotherapie
Es stehen vier unterschiedliche Schemata zur Behandlung einer LTBI zur Auswahl, von denen keines im Vergleich zu den anderen hinsichtlich seiner Wirksamkeit eindeutig überlegen ist. Eine Zusammenstellung der verschiedenen Therapiemöglichkeiten zur präventiven Chemotherapie bei Erwachsenen unter Berücksichtigung des Evidenzlevels findet sich in [Tab. 9 ] (S. 352).
Tab. 9
Darstellung der Evidenz, Dosierung und Dauer der möglichen präventiven Therapien für Erwachsene.
Wirkstoff
Evidenzlevel
Dosierung (bei täglicher Gabe)
Dosierung (bei wöchentlicher Gabe)
Therapiedauer
INH-Mono
A
5 mg/kg KG, max. 300 mg
9 Monate
RMP-Mono
A
600 mg
4 Monate
INH und RMP
A
analog zur jeweiligen Monotherapie
3 – 4 Monate
INH und Rifapentin[1 ]
B (Studiendaten bisher nur für überwachte Gabe/DOT)
jeweils 900 mg plus 900 mg einmal wöchentlich
12 Wochen
1 in Deutschland noch nicht zugelassen
Die höchste Evidenz hinsichtlich der Wirksamkeit der präventiven Therapie zeigen randomisierte Studien für Therapieschemata mit 12 Monaten INH oder drei Monaten RMP plus INH [116 ]. Die größten Erfahrungen liegen mit einer INH-Monotherapie vor. Da es keine direkten Vergleichsstudien (6 vs. 9 vs. 12 Monate) gibt, basiert die Äquivalenzprüfung dieser Behandlungsdauern auf einer Re-Analyse früher Daten aus den 1950er und 60er Jahren, die eine Therapiedauer von neun Monaten für eine optimale Protektion favorisiert [126 ].
Die Kombination von INH und RMP täglich über 3 – 4 Monate, eine RMP-Monotherapie über 4 Monate als auch die einmal wöchentliche Gabe von Rifapentin (in Deutschland für diese Indikation bisher nicht zugelassen) und INH in erhöhter Dosierung über drei Monate zeigten in Metaanalysen randomisierter Studien im Vergleich zur mindestens sechsmonatigen täglichen Gabe von INH keine Unterlegenheit hinsichtlich der Wirksamkeit bei ähnlicher oder geringerer Häufigkeit und Schwere einer Hepatotoxizität [127 ]
[128 ].
Wirksamkeit der präventiven Therapie
Zur Beurteilung der Wirksamkeit der präventiven Therapie mit INH liegen in ausreichender Zahl kontrollierte Studien vor, die sowohl für HIV-negative [129 ] als auch für HIV-positive Personen [130 ] jeweils in einer Cochrane-Metaanalyse analysiert wurden. Die Anzahl der chemopräventiv zu behandelnden Personen, um eine Tuberkulose zu verhindern (NNT, number needed to treat ), liegt bei Immunkompetenten zwischen 30 und 89 und bei Immungeschwächten zwischen 14 und 80 [131 ]. Möglicherweise sind Therapieschemata basierend auf Rifamycin-Derivaten sogar effektiver als die INH-Monotherapie für die Behandlung der LTBI [126 ]
[128 ].
4.5 Dauer der protektiven Wirkung nach präventiver Chemotherapie
Basierend auf der bisherigen Datenlage kann bei HIV-negativen Personen von einer langdauernden Protektion (> 5 Jahre bis 19 Jahre) ausgegangen werden [132 ]
[133 ]
[134 ]. Bei HIV-infizierten Patienten ist der Langzeitschutz bei fortbestehendem Immundefekt jedoch unzureichend, sofern es nicht unter antiretroviraler Therapie (ART) zu einer Rekonstitution des Immunsystems kommt [135 ]
[136 ]. Für die Behandlung von Tuberkuloseerkrankungen gilt, dass Rückfälle eher zeitnah nach Abschluss der Behandlung und Reaktivierungen vor allem innerhalb des ersten Jahres nach Therapieende auftreten. Ob dies auch für die Behandlung der LTBI gilt, und wie häufig Reinfektionen nach durchgeführter präventiver Therapie vorkommen, ist bisher nicht hinreichend untersucht.
4.6 Präventive Chemotherapie nach Kontakt mit multiresistenter Tuberkulose
Insgesamt gibt es nur sehr wenige Daten als Grundlage für eine Empfehlung hinsichtlich möglicher chemopräventiver Therapieregime nach Kontakt mit multiresistenter Tuberkulose. Ein systematisches Review des ECDC ergab keine ausreichende Evidenz zugunsten oder Ungunsten einer präventiven Therapie nach Kontakt zu Patienten mit gesicherter MDR-Tuberkulose [137 ].
Wenn im individuellen Fall eine Chemoprävention erwogen wird, soll die Auswahl der präventiven Therapie nach Kontakt zu Patienten mit multiresistenter Tuberkulose nur durch in der Therapie multiresistenter Tuberkulosen erfahrene Behandler und immer gestützt auf die Resistenzergebnisse des Indexfalles erfolgen [138 ]
[139 ].
Die modifizierte Chemoprävention bei Infektion durch einen Indexfall mit MDR-Tuberkulose sollte laut CDC über sechs bzw. bei Immunsupprimierten über 12 Monate erfolgen [140 ].
Da die Wirksamkeit der Schemata sowie auch die Dauer der präventiven Chemotherapie ausschließlich in Hochprävalenz-Ländern untersucht wurde, deren Epidemiologie und Infrastruktur der medizinischen Versorgung sich gravierend von den Umständen in Deutschland unterscheiden, ist es kaum möglich, basierend auf der jetzigen Datenlage, eine Empfehlung für die präventive Therapie nach Kontakt zu einer MDR-Tuberkulose auszusprechen.
Dennoch kann zumindest bei Kontaktpersonen mit hohem Erkrankungsrisiko (Kinder < 5 Jahre), Personen mit Immunschwäche) eine Chemoprävention mit einem Fluorchinolon und einem weiteren vermutlich wirksamen Antibiotikum, z. B. Ethambutol oder Protionamid, erwogen werden. Die Alternative, besonders bei immunkompetenten Kontaktpersonen, ist eine regelmäßige klinische und/oder radiologische Überwachung (z. B. vierteljährlich über 2 Jahre) und Aufklärung der infizierten Personen über die möglichen Symptome einer Tuberkulose.
4.7 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen der präventiven Chemotherapie
Analog zur Therapie der Tuberkuloseerkrankung müssen die behandelten Personen im Rahmen der präventiven Therapie der LTBI insbesondere hinsichtlich des Auftretens einer Hepatotoxizität beobachtet werden (zu den spezifischen unerwünschten Arzneimittelwirkungen von INH und RMP bzw. Rifapentin siehe Kapitel 8, S. 377).
Die weltweit bisher größte prospektive Studie des US Public Health Service (USPHS) dokumentierte eine Häufigkeit schwerwiegender hepatischer UAW bei mit 300 mg INH täglich über 12 Monate behandelten Patienten von 1,7 % [36 ]. Hinsichtlich des Hepatitis-Risikos ist eine Altersabhängigkeit sowie ein erhöhtes Risiko bei Personen mit vorgeschädigter Leber (z. B. bei Alkoholkrankheit) vorhanden, wobei nicht sicher unterschieden werden kann, ob beide Faktoren koinzident sind [36 ]. Für eine Altersbeschränkung liegt für RMP keine Evidenz vor. Unter einer RMP-Monotherapie treten schwerwiegende hepatische UAW mit 1 – 2 % auf. Die Abbruchrate einer präventiven Therapie mit RMP wegen aller UAW liegt bei 1 – 4 % [141 ]
[142 ]
[143 ]. Die Monotherapie mit RMP hat bei vorwiegend HIV-negativen Personen gegenüber einer neunmonatigen INH-Gabe zu einer geringeren Hepatotoxizität und besseren Akzeptanz geführt [141 ]
[142 ]. In der gleichen Größenordnung traten UAW bei chemopräventiver Therapie mit RMP in Kombination mit INH auf [144 ].
4.8 Besondere Personengruppen
Kinder
Zum Vorgehen einer präventiven Therapie im Kindesalter (Chemoprophylaxe und Chemoprävention) wird auf die geltenden Leitlinien verwiesen.
Schwangere
Bei Schwangeren ist die Indikation zur Chemoprävention besonders sorgfältig zu stellen. Die Centers for Disease Control and Prevention (CDC) empfehlen eine präventive Therapie mit unmittelbarem Therapiebeginn in der Schwangerschaft bei kürzlich zurückliegender Ansteckung (nach Kontakt zu einem ansteckenden Tuberkulosefall) und bei HIV-positiven Schwangeren [138 ]
[145 ]. Bei Gabe von Isoniazid wird eine Komedikation mit 10 – 25 mg/Tag Pyridoxin (Vitamin B6 ) empfohlen. Für Schwangere ohne Risikofaktoren (keine HIV-Infektion, keine kürzlich zurückliegende Ansteckung) schlagen die CDC alternativ die Verschiebung der LTBI-Behandlung auf einen Zeitpunkt 2 – 3 Monate post partum unter entsprechender Beobachtung der Schwangeren vor. Für eine erhöhte Hepatotoxizität durch INH, die in einigen Studien angeführt wird, gibt es keine hinreichende Evidenz [146 ]
[147 ].
Beruflich exponierte Personen
Beschäftigte im Gesundheitswesen haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ein erhöhtes Risiko für Tuberkulose [148 ]. Allerdings sind nicht alle Beschäftigten gegenüber M. tuberculosis exponiert. Ein erhöhtes Risiko besteht nur in bestimmten Bereichen oder bei bestimmten Tätigkeiten, z. B. Tuberkulose- und Infektionsstationen, Notaufnahmen, Geriatrie, Bronchoskopie-Einheiten und bei Kontakt zu Risikopatienten [149 ]. Entsprechend wird ein generelles Screening aller im Gesundheitswesen Beschäftigten nicht als sinnvoll erachtet. In der Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV [126 ]) ist daher eine regelmäßige Untersuchung (Pflichtvorsorge) nur bei Beschäftigten in der Pneumologie, im Labor oder Forschungseinrichtungen mit regelmäßigem Kontakt zu Tuberkulosepatienten, infizierten Proben oder Tieren sowie kontaminierten Gegenständen oder Materialien vorgesehen. Bei allen anderen Beschäftigten muss der Arbeitgeber lediglich nach einem Kontakt zu einem Tuberkulosepatienten oder infektiösen Materialien eine Vorsorge anbieten (Angebotsvorsorge). Die Prävalenz positiver THT bzw. positiver IGRA beträgt bei diesen Untersuchungen nach der ArbMedVV rund 20 % bzw. 10 % [150 ].
Die Prävalenz positiver IGRAs ist bei Beschäftigten im deutschen Gesundheitswesen altersabhängig. Bei den bis zu 25-Jährigen liegt sie unter 2 % und bei den über 50-Jährigen liegt sie über 20 % [151 ]. Als Risikofaktoren für einen positiven IGRA wurden das Alter und eine vormals stattgehabte Tuberkulose mit nahezu gleicher Odds-Ratio ermittelt. Ein positiver IGRA ist daher bei älteren Beschäftigten wahrscheinlich auf eine alte LTBI zurückzuführen. Zwei Publikationen, die über ein mögliches Progressionsrisiko bei Beschäftigten im Gesundheitswesen berichten, fanden ein Progressionsrisiko von 0 bis 1 % innerhalb von 2 Jahren nach einem positiven IGRA [151 ]
[152 ]. Die Indikation für eine präventive Chemotherapie muss bei Beschäftigten im Gesundheitswesen deshalb im Einzelfall gestellt werden. Die Kosten für ein pneumologisches Konsil und eine evtl. indizierte Chemoprävention können von den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung im Rahmen eines Berufskrankheitsverfahrens übernommen werden. Die Reversionsrate nach einem positiven IGRA beträgt bei Beschäftigten im Gesundheitswesen etwa 37 % [151 ]. Die klinische Bedeutung einer Reversion ist noch unklar.
4.9 Kontrolle nach der präventiven Chemotherapie
Bei regelmäßiger Medikamenteneinnahme wird eine weitere Röntgenuntersuchung des Thorax nach Therapieabschluss empfohlen, um einen möglichen Progress (bei Versagen der Chemoprävention z. B. bei unbekannter INH-Resistenz) zu einer Tuberkulose auszuschließen. Eine erneute Testung auf LTBI (THT, IGRA) soll nicht stattfinden.
Bei Zweifeln hinsichtlich der Therapieadhärenz des Patienten wird empfohlen, den weiteren Verlauf durch eine weitere Röntgenuntersuchung des Thorax nach einem Jahr erneut zu kontrollieren [88 ]
[153 ]. Die infizierten Personen sind über das verbleibende geringe Restrisiko einer Erkrankung an Tuberkulose und die Möglichkeit einer Reinfektion aufzuklären.
4.10 Chemoprophylaxe
Im Unterschied zur Chemoprävention handelt es sich bei der Chemoprophylaxe um die Einleitung einer medikamentösen Behandlung, bevor eine Infektion mittels THT bzw. IGRA erfasst werden kann, also bevor eine Reaktion des Immunsystems auf den Kontakt mit M. tuberculosis nachweisbar ist. Ziel ist es, eine Infektion zu verhindern bzw. zeitnah eine bereits bestehende, aber noch nicht nachweisbare Infektion effektiv zu behandeln.
Für Kinder unter 5 Jahren besteht ein hohes Progressionsrisiko zu einer Erkrankung an Tuberkulose, noch bevor der THT oder IGRA positiv wird. Daher soll eine Prophylaxe erfolgen.
Eine Chemoprophylaxe kann darüber hinaus bei Erwachsenen indiziert sein, wenn besonders vulnerable Personen, wie Immungeschwächte, exponiert waren [88 ]. Die Chemoprophylaxe sollte (nach Ausschluss einer Tuberkulose) zeitnah nach dem Kontakt mit einem infektiösen, an Tuberkulose erkrankten Patienten begonnen werden. Die Chemoprophylaxe erfolgt beim Erwachsenen mit INH 300 mg/d, sofern beim Indexfall keine Resistenz gegenüber INH bekannt ist. Über die Wirksamkeit anderer Therapien liegen keine sicheren Erkenntnisse vor.
Frühestens acht Wochen nach dem letzten Kontakt zum infektiösen Indexfall muss die Person erneut auf eine LTBI getestet werden (IGRA) [154 ]. Bleibt der Test negativ und die Kontaktperson beschwerdefrei, soll die INH-Therapie beendet werden. Bei positivem IGRA wird die Chemoprophylaxe nach Ausschluss einer Organtuberkulose als präventive Chemotherapie über eine Gesamtdauer von neun Monaten fortgesetzt, um das Fortschreiten zu einer Tuberkulose zu verhindern.
5 Therapie der Tuberkulose bei Vorliegen von Mehrfachresistenzen/Unverträglichkeit gegen Medikamente der Standardtherapie
5 Therapie der Tuberkulose bei Vorliegen von Mehrfachresistenzen/Unverträglichkeit gegen Medikamente der Standardtherapie
5.1 Beratungsmöglichkeiten zur MDR-Tuberkulose in Deutschland
Das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) am Klinischen Tuberkulosezentrum der Medizinischen Klinik des Forschungszentrums Borstel (Nationales Referenzzentrum für Mykobakterien, Tel.: 04537-188-0) und das Deutsche Zentralkomitee zur Bekämpfung der Tuberkulose am Standort der Lungenklinik Heckeshorn in Berlin (Tel.: 030-81490922) bieten einen telefonischen Beratungsservice an. Weitere Zentren mit Erfahrung in der Behandlung der Tuberkulose können beispielsweise über die Studie zum Tuberkuloseengagement in Deutschland in Entwicklungszusammenarbeit, Forschung und Behandlung gefunden werden [155 ].
Schwierige Fälle können auch in einem online MDR-/XDR-TB-Consilium mit Infektiologen, Pneumologen, Mikrobiologen, Kinderärzten, Chirurgen und Ärzten des öffentlichen Gesundheitswesens gemeinsam besprochen werden (http://dzif.fz-borstel.de ) [156 ].
Die Therapie von Patienten mit einer Rifampicin-resistenten Tuberkulose, einer MDR-Tuberkulose oder einer XDR-Tuberkulose ist sehr komplex und führt häufig zu unerwünschten Arzneimittelreaktionen. Die Behandlung betroffener Patienten soll nur in spezialisierten Zentren eingeleitet werden. Eine ambulante Behandlung soll immer durch erfahrene Ärzte eines Behandlungszentrums konsiliarisch begleitet werden. Durch individualisierte Behandlungskonzepte können an spezialisierten Zentren hohe Heilungsraten erzielt werden [157 ]. Aufgrund der umfangreichen Möglichkeiten zur Diagnostik und zur individuellen Therapie weichen die Empfehlungen für Deutschland vielfach von den allgemeinen Empfehlungen der WHO ab. Sie orientieren sich an internationalen Konsensusempfehlungen und aktuellen Übersichtsarbeiten [6 ]
[11 ]
[12 ]
[158 ]
[159 ]
[160 ]
[161 ]
[162 ].
5.2 Resistenzdefinitionen
Das verschiedene Niveau der Antibiotikaresistenz von M. tuberculosis ist wie folgt definiert [11 ]:
Monoresistenz (engl.: mono-resistance): Resistenz gegenüber nur einem Medikament der Standardtherapie.
Polyresistenz (engl.: poly-resistance): Resistenz gegenüber mehr als einem Medikament der Standardtherapie, jedoch nicht gleichzeitig gegenüber Rifampicin und Isoniazid.
Multiresistenz (engl.: multidrug resistance; MDR): Resistenz gegenüber mindestens Rifampicin und Isoniazid.
Prä-extensive Resistenz (engl.: pre-extensive drug resistance; preXDR): MDR plus Resistenz gegenüber mindestens einem Fluorchinolon oder einem der injizierbaren Medikamente Amikacin, Capreomycin oder Kanamycin [163 ].
Extensive Resistenz (engl.: extensive drug resistance; XDR): MDR plus Resistenz gegenüber mindestens einem Fluorchinolon und einem der injizierbaren Medikamente Amikacin, Capreomycin oder Kanamycin.
5.3 Definitionen der MDR-/XDR-TB-Behandlungsergebnisse
Bei Übermittlung der Behandlungsergebnisse einer MDR-/XDR-TB an das RKI werden für die nicht vollständig sensiblen Tuberkulosen prinzipiell die gleichen epidemiologischen Kriterien wie für vollständig sensible Tuberkulosen angewendet ([Tab. 3 ]) [10 ].
Aus infektiologischer Sicht sind allerdings weder diese noch die von der WHO [11 ] oder vom ECDC [164 ] verwendeten Definitionen für die klinische Arbeit optimal, da sie keine Nachbeobachtungszeit nach Behandlungsabschluss vorsehen. Für die klinische Arbeit wurden zusätzliche Definitionen für die Behandlungsergebnisse „Heilung“ und „Therapieversagen“ vorgeschlagen, die vielleicht in Zukunft der epidemiologischen Sicht eine klinische gegenüberstellen können [165 ].
5.4 Epidemiologie der medikamentenresistenten Tuberkulose in Deutschland
Eine aktuelle Darstellung der epidemiologischen Situation der medikamentenresistenten Tuberkulose in Deutschland findet man auf der Webseite des RKI (http://www.rki.de/tuberkulose ).
5.5 Risikofaktoren
Analysen der in Deutschland gemeldeten (multi-) resistenten Tuberkulosefälle zeigen, dass das Risiko für das Vorliegen einer resistenten oder multiresistenten Tuberkulose erhöht ist, wenn Patienten bereits vormals an einer Tuberkulose erkrankt waren und behandelt worden sind. Dies gilt insbesondere für Patienten, die im Ausland geboren sind. So war 2014 der Anteil multiresistenter Stämme bei Patienten, bei denen Angaben zum Geburtsland vorlagen und die im Ausland geboren sind, mit 4,5 % (79 Fälle) neunmal so hoch wie der entsprechende Anteil bei in Deutschland geborenen Patienten (0,5 %; 5 Fälle). Dieser Unterschied wird vornehmlich durch einen sehr hohen Anteil an (multi-) resistenten Fällen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion verursacht [10 ]. Diese Zahlen sind kongruent mit Ergebnissen anderer europäischer Studien, die MDR-Tuberkulose in Niedriginzidenzländern prädominant als eine Erkrankung von Immigranten ausweisen, welche die Epidemiologie von MDR-Tuberkulose im jeweiligen Herkunftsland abbildet [166 ]. Neben dem Risikofaktor einer früher bereits behandelten Tuberkulose weisen größere europäische Studien auch ein Alter < 45 Jahre als unabhängigen Risikofaktor aus [167 ]. Eine moderate Risikoassoziation konnte auch für das männliche Geschlecht und für Obdachlosigkeit gezeigt werden [167 ].
5.6 Therapieempfehlung bei Monoresistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einem Standardmedikament
Die Therapieempfehlungen bei Monoresistenz oder Unverträglichkeit gegenüber einem Standardmedikament sind im Kapitel Standardtherapie dargestellt (S. 333).
5.7 Therapieempfehlung bei Mehrfachresistenz oder Unverträglichkeiten gegenüber mehr als einem Medikament der Standardtherapie
Die Autoren empfehlen den Empfehlungen der WHO zu folgen [11 ]. Fluorchinolone stellen eine wertvolle Ergänzung zu den Standardmedikamenten dar und sollten bei ausgedehnten Erkrankungsformen vorrangig in die Therapie einbezogen werden. Die Empfindlichkeit der Isolate gegenüber Fluorchinolonen muss im Labor geprüft werden. [Tab. 10 ] stellt die Empfehlungen übersichtlich dar.
Tab. 10
Empfehlungen zur Therapie bei Polyresistenzen nach WHO [11 ].
Resistenz
Therapieempfehlung
Mindesttherapiedauer
Kommentar
INH + EMB (+/− SM)
RMP + PZA + FQ[1 ]
9 – 12
Resistenztestung der sensiblen Medikamente nach 2 Monaten empfohlen (S. 332). Bei ausgedehnter Erkrankung sollte eine längere Therapiedauer und/oder Therapie mit SLID[2 ]während der ersten 3 Monate erwogen werden.
INH + EMB + PZA (+/− SM)
RMP + FQ[1 ] + Pto + SLID[2 ] während der ersten 3 Monate
18
Resistenztestung der wirksamen Medikamente wird bei Therapiebeginn und nach zwei Monaten empfohlen. (S. 332) Bei ausgedehnter Erkrankung sollte eine längere Therapiedauer mit SLID[2 ] während der ersten 6 Monate erwogen werden.
RMP + EMB + PZA
MDR-Tuberkulose-Regime
20
Die optimale Therapie bei RMP-Polyresistenz ist unklar. Die WHO empfiehlt, diese Situation der MDR-Tuberkulose-Therapie gleichzustellen. Die Autoren empfehlen eine Rücksprache mit einem erfahrenen Zentrum.
1 Moxifloxacin 400 mg/Tag; Levofloxacin 15 mg/kg/KG: 750 – 1000 mg/Tag; Der Einsatz von Ciprofloxacin wird nicht mehr empfohlen. In Kombination mit Rifampicin wurden verminderte Serumkonzentrationen von Moxifloxacin gemessen, daher sollte diese Kombination mit besonderer Vorsicht angewendet und wenn möglich durch eine therapeutische Serumspiegelbestimmung überwacht werden [13 – 15].
2 SLID = englisch: „second line injectable drugs “ (Amikacin, Kanamycin oder Capreomycin)
5.8 Therapie der MDR-/XDR-Tuberkulose oder bei Medikamentenunverträglichkeiten gegenüber Rifampicin und Isoniazid
Bei einer Unverträglichkeit gegenüber Rifampicin und Isoniazid besteht de facto eine Behandlungssituation wie bei einer MDR-Tuberkulose.
Einleitung, Basis für Therapieentscheidungen
Aufgrund des sehr langsamen Wachstums und der damit verbundenen zeitlichen Verzögerung werden im klinischen Alltag fast ausschließlich molekularbiologische Verfahren der genotypischen Resistenztestung zur initialen Therapieentscheidung genutzt [168 ]. Hierbei sind die molekularbiologisch ermittelten Ergebnisse für Rifampicin, Isoniazid, die Fluorchinolone und die injizierbaren Medikamente als weitgehend verlässlich aufzufassen (siehe Kapitel 3, S. 345). Für die genotypische Resistenzbestimmung gegenüber Pyrazinamid ist die Sequenzierung des Pyrazinamidase-Gens notwendig. Diese Methode wird in der klinischen Routine nicht durchgeführt. Die molekularbiologische Resistenzbestimmung für Ethambutol und eine Reihe von Medikamenten der Nicht-Standardtherapie ist aktuell als nicht ausreichend verlässlich einzustufen, da hier bereits die Standards differieren [103 ].
Als Therapieprinzip gilt, dass eine Tuberkulosetherapie aufgrund der molekularbiologisch identifizierten Resistenzen begonnen werden sollte („rule-in“ -Kriterium), letztere aber im weiteren Verlauf mit den Kulturergebnissen abgeglichen werden müssen, da die Ergebnisse nicht immer deckungsgleich sind. Die Präzision der schnelleren molekularbiologischen Verfahren wird wahrscheinlich in Zukunft auch in Niedriginzidenzländern durch die Einführung der Gesamt-Genom-Sequenzierung weiter verbessert werden [169 ].
Die MDR-/XDR-Tuberkulose stellt eine große Herausforderung für die Tuberkulosekontrolle in Deutschland dar, und die Interpretation der mikrobiologischen Ergebnisse ist komplex. Deshalb werden im nachfolgenden Abschnitt lediglich die Prinzipien einer Therapiefindung unter optimalen Bedingungen skizziert. Das derzeit von der WHO empfohlene Kurzzeit-Therapieregime für MDR-Tuberkulose kann für Deutschland nicht allgemein empfohlen werden, da nur wenige Patienten in Europa für diese Therapie in Frage kommen [170 ]. Die Leitlinienkommission empfiehlt daher, dass die Behandlung von Patienten mit MDR-/XDR-Tuberkulose in Zentren mit entsprechender Erfahrung und Infrastruktur durchgeführt wird.
Beispiel für das schrittweise Vorgehen zum Design eines MDR-/XDR-Tuberkulose-Therapieregimes
Für die Therapie der MDR-Tuberkulose sollten mindestens vier wahrscheinlich wirksame Medikamente,
für die Therapie der XDR-Tuberkulose mindestens fünf wahrscheinlich wirksame Medikamente als
Kombinationstherapie gewählt werden. Ein mögliches schrittweises Vorgehen bei der
Zusammenstellung einer MDR- oder XDR-Tuberkulose-Therapie ist in der [Abb. 3 ] dargestellt (S. 356–357) [6 ].
Abb. 3 Beispiel für das schrittweise Vorgehen zum Design eines MDR-/XDR-Tuberkulose-Therapieregimes [6 ].
5.9 Chirurgische Therapie
Aufgrund fehlender randomisierter, kontrollierter Studien existieren keine eindeutigen evidenzbasierten Empfehlungen, wann ein operatives Vorgehen indiziert ist. Insgesamt kann man jedoch das Indikationsspektrum wie folgt zusammenfassen.
Operationen zur histologischen Sicherung oder Diagnosefindung
Operationen zur Beseitigung eines Keimreservoirs bei persistierendem Erregernachweis trotz medikamentöser Therapie und
Operationen bei Komplikationen einer Tuberkulose.
Am häufigsten werden Patienten operiert, bei denen im Rahmen einer anderweitigen Diagnostik ein pulmonaler Rundherd oder ein Infiltrat nachgewiesen wurde. Ist der Rundherd bzw. das Infiltrat bei einem sonst pulmonal asymptomatischen Patienten durch anderweitige Diagnostik nicht zu sichern, sollte eine operative Sicherung angestrebt werden. Meistens geschieht dies zum Tumornachweis oder -ausschluss. Hierfür kann sowohl ein thorakoskopisches als auch ein offen-chirurgisches Vorgehen gewählt werden. Wichtig ist, dass neben einer Gewebeentnahme für die histopathologische Untersuchung auch natives (nicht Formalin-fixiertes) Material zur mikrobiologischen und kulturellen Untersuchung auf Tuberkulose asserviert wird. Sollte die postoperative Diagnostik eine Tuberkulose nachweisen, so besteht die Indikation zur Therapie.
Die Gruppe von persistierend Sputum-positiven Patienten ist sehr heterogen und umfasst Patienten, welche nach einer erfolgreichen medikamentösen Therapie ein Rezidiv erleiden, ebenso wie Patienten mit einem Ausfall der Tuberkulosetherapie oder einem Progress der Krankheit trotz Therapie.
Die WHO hat 2008 eine Empfehlung zur Therapie von Patienten mit MDR-/XDR-Tuberkulose ausgesprochen, in der die Operation als additives adjuvantes Therapieverfahren anzusehen ist und die Indikation zur operativen Therapie interdisziplinär gestellt werden soll. Ziel der operativen Therapie ist die Reduktion der Erregerlast im erkrankten Gewebe. Somit profitieren besonders Patienten mit lokalisiertem Befund (z. B. häufig sehr dickwandige Kavernen) von einer operativen Therapie, wobei ein möglichst parenchymsparendes Operationsverfahren zu bevorzugen ist. Der operativen Therapie sollte laut WHO-Leitlinien eine mindestens zweimonatige adäquate medikamentöse Therapie vorausgegangen sein und auch im Anschluss an die Operation sollte eine mehrmonatige medikamentöse Therapie vorgenommen werden. Diese Operationsindikation kommt nur bei sehr wenigen Patienten zur Anwendung. Es gibt keine vergleichenden Studien zur Wirksamkeit einer solchen adjuvanten Resektion in dem Sinn, dass die Rezidivhäufigkeit der Erkrankung durch eine Operation herabgesetzt wird [178 ].
Nichtsdestoweniger kann als individueller Heilversuch die Resektion eines umschriebenen tuberkulösen Herdgebiets, z. B. wenn es in der Bildgebung (Computertomografie) auf einen Lappen beschränkt ist, bei guter Lungenfunktion in Betracht gezogen werden.
In einer Metaanalyse deutet sich ein gewisser Nutzen begrenzter Resektionen (Lobektomie), nicht aber von Pneumonektomien bei Patienten mit multiresistenten Tuberkulosen nach kultureller Sputumkonversion an [179 ]. Die Selektion in den berichteten Fallstudien wird von den Autoren der Metaanalyse jedoch klar hervorgehoben. Insofern empfiehlt die vorliegende Leitlinie, bei Patienten mit multiresistenter Tuberkulose, die nach kultureller Sputumkonversion noch mindestens sechs Monate leitliniengerecht medikamentös therapiert wurden, die Möglichkeit einer Resektionsbehandlung unter funktionellen Gesichtspunkten zu prüfen. Hierbei bietet es sich an, den Empfehlungen zur funktionellen Evaluation von Lungenkrebspatienten zu folgen [180 ].
Auch hier soll das native Resektat stets kulturell auf Mykobakterienwachstum hin untersucht. Die präoperative medikamentöse Therapie sollte postoperativ wenigstens so lange weitergeführt werden, bis ein kulturelles Endergebnis vorliegt. Für eine Verkürzung der Therapie nach erfolgreicher operativer Intervention gibt es derzeit keine Belege.
Tuberkulöse Kavernen, Aspergillome sowie Bronchiektasen sind Komplikationen der Tuberkulose, welche häufig die Ursache für rezidivierende Hämoptysen und Hämoptoe darstellen. Das Auftreten einer Hämoptoe stellt immer eine Operationsindikation dar. Kritischer muss die Indikation zur Operation bei Hämoptysen gestellt werden. Anhaltende Hämoptysen können auch interventionell mittels Embolisation von Bronchialarterien behandelt werden [181 ].
Tuberkulöse Kavernen sind mit flüssigem oder käsigem Material gefüllte, abgekapselte Höhlen, die zu Blutungen führen können und somit operiert werden sollten.
Aspergillome entstehen in Kavernen nach stattgehabter Tuberkulose. CT-morphologisch zeigen sie das typische Bild aus kompaktem Pilz sowie typischer Luftsichel in einer – häufig in den Oberlappen lokalisierten – Höhle. Eine lokale Resektion im Gesunden ist ausreichend und sollte – bei rezidivierenden Hämoptysen und vertretbarem allgemeinen OP-Risiko – durchgeführt werden. Präoperativ ist eine zweiwöchige Therapie mit einem Antimykotikum zu empfehlen [182 ]. Nach kompletter Resektion ist eine adjuvante antimykotische Therapie nicht empfohlen [183 ].
Bronchiektasen sind irreversible sackförmige Erweiterungen der Bronchien, welche ebenfalls Ursache für Hämoptysen, aber auch für rezidivierende pulmonale Infekte sein können. Sofern es sich um lokalisierte Formen handelt, sollte eine operative Therapie (Segment- bzw. Lobektomie) beim Auftreten von Symptomen durchgeführt werden.
Die sog. destroyed lung/bzw. destroyed lobe ist streng genommen kein Krankheitsbild, sondern die radiologische Umschreibung einer durch die Tuberkulose zerstörten und somit funktionslosen Lunge mit Hohlraumbildung, Bronchiektasien sowie atelektatischen Bezirken. Beim Auftreten von Symptomen (z. B. Hämoptysen, rezidivierende Infektionen) besteht die Indikation zur Lob- bzw. Pneumektomie, wobei – besonders bei einer Pneumonektomie – der Bronchusstumpf durch gut durchblutetes Gewebe (z. B. Interkostalmuskellappen o. ä.) gedeckt werden sollte. Zu beachten ist weiterhin, dass vor jeder geplanten anatomischen Resektion (z. B. Lob- oder Pneumonektomie) eine Bronchoskopie mit endobronchialer PE zum Ausschluss von Granulomen der Bronchusschleimhaut erfolgen muss.
Die Therapie des tuberkulösen Ergusses bzw. Pleuraempyems orientiert sich am stadienadaptierten Vorgehen des nicht spezifischen Pleuraempyems. Parallel zur medikamentösen Therapie sollte ein tuberkulöser Erguss zunächst durch die Anlage einer Thoraxdrainage behandelt werden. Bei gekammerten Ergüssen, bzw. bei nicht suffizienter Drainagetherapie empfiehlt sich eine thorakoskopische Empyemausräumung mit Debridement. Hierbei kann auch bei einer beginnenden Schwartenbildung eine Frühdekortikation durchgeführt werden. Ein thorakoskopisches Vorgehen ist bei bereits ausgebildeter Schwartenbildung mit folgender Fesselung der Lunge nicht mehr möglich, hier besteht die Indikation zur offen chirurgischen Dekortikation und Pleurektomie. Beim tuberkulösen Pleuraempyem kommt es häufiger zur Schrumpfung der Lunge als beim nicht spezifischen Empyem. Sollte es trotz Dekortikation und Pleurektomie nicht zu einer kompletten Entfaltung der Lunge mit Ausbildung einer Resthöhle kommen, besteht die Indikation zur Thorakoplastik.
5.10 Adjuvante Therapie
Die Tuberkulose als chronisch konsumierende Erkrankung führt häufig zu Gewichts- und Substanzverlust. Das gilt auch und insbesondere für schwer behandelbare, multiresistente Tuberkulosen. Die Evidenz für die Wirksamkeit diätetischer Maßnahmen wurde im Hinblick sowohl auf eine schnellere Sputumkonversion als auch auf eine Gewichtszunahme für Tuberkulosekranke generell in einer jüngsten Metaanalyse dargelegt [184 ]. Insofern empfiehlt die vorliegende Leitlinie gezielte, individuelle diätetische Maßnahmen nach eingehender Untersuchung (Anamnese zu Gewichtsverlust, Bestimmung des Body Mass Index).
Der therapeutische Nutzen einer Substitution mit Vitamin D (Nahrungsergänzung) ist bisher nicht ausreichend nachgewiesen worden [185 ]. Zu berücksichtigen ist aber, dass aufgrund der Phototoxizität mehrerer antituberkulöser Medikamente (Rifampicin, Fluorchinolone, Pyrazinamid) die UVB-Exposition auch jüngerer Patienten insbesondere mit einer multiresistenten Tuberkulose herabgesetzt ist. Insofern wird empfohlen, im Fall eines zu niedrig bestimmten Serumspiegels von Vitamin D (25-OH-Vitamin D) eine gezielte Substitution gemäß den aktuellen Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährung vorzunehmen [186 ].
Therapeutische Vakzinationen haben bisher noch keine klinische Reife erreicht und können daher zurzeit nicht empfohlen werden [187 ].
Aufgrund einer besonders langdauernden Hospitalisierung und Immobilisierung liegt es nahe, Patienten mit multiresistenter Tuberkulose einer Physiotherapie und auch Ergotherapie zuzuführen. Auch wenn bisher nur erste Studienergebnisse dazu publiziert wurden, empfiehlt die vorliegende Leitlinie, solche Therapiemaßnahmen regelhaft anzubieten [188 ].
Angesichts der hohen Zahl von Patienten mit Migrationshintergrund unter den Patienten mit multiresistenter Tuberkulose kann von einer hohen Prävalenz posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS) ausgegangen werden [189 ]. Deswegen empfiehlt die vorliegende Leitlinie die regelhafte fachkundige Evaluation der Patienten im Hinblick auf eine PTBS, Depression und andere psychiatrische Erkrankungen und eine entsprechende Therapie.
5.11 Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAWs)
Bei Auftreten von UAWs ist die entscheidende Frage zu klären: Zwingt die UAW zum Abbruch der Therapie oder kann sie fortgesetzt und die entsprechende UAW toleriert bzw. behandelt werden. Zur Klärung dieser Frage sind im Bedarfsfall entsprechende Fachärzte einzubeziehen.
Einzelne, häufig auftretende UAW und deren Management werden im folgenden Abschnitt behandelt.
Gastrointestinale unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Übelkeit und Erbrechen sind die häufigsten UAW im Rahmen der Tuberkulosetherapie bei MDR-/XDR-Tuberkulose und beginnen oft schon wenige Tage nach Beginn der Therapie [190 ]. Begleitmedikationen, die Magenreizungen verursachen, sollten vermieden werden (z. B. nicht-steroidale Entzündungshemmer). Bei einer Gastritis ist der Einsatz von Protonenpumpen-Inhibitoren indiziert. Falls der Patient innerhalb der ersten 30 min nach Medikamenteneinnahme erbrochen hat, soll die Medikation nach Einnahme eines Antiemetikums neuerlich gegeben werden.
Einzelne Medikamente, bevorzugt PAS, können direkt Diarrhö verursachen. Bei Diarrhö sollte der Stuhl auf Clostridium difficile untersucht werden. Aufgrund der Hepatotoxizität vieler Tuberkulosemedikamente ist es erforderlich, die Leberfunktionsparameter regelmäßig zu kontrollieren ([Tab. 11 ]) (S. 360). Bei Ansteigen der Transaminasen über das Drei- bis Fünffache des oberen Normwertes sollen hepatotoxische Medikamente bis zur Normalisierung pausiert werden. Geringere Anstiege sollten bis zur Normalisierung im Wochenrhythmus kontrolliert werden. Eine Virushepatitis soll ausgeschlossen werden. Hepatotoxische Begleitmedikationen und Alkoholkonsum sollen strikt gemieden werden [32 ]
[191 ] (siehe auch: Management wichtiger unerwünschter Arzneimittelwirkungen, Hepatotoxizität, S. 337).
Tab. 11
Therapie-Monitoring. Baseline (BL) und Follow-up-Tests während und nach der Therapie einer MDR-/XDR-TB [196 ].
Name:
Datum des Therapiebeginns:
Wohnanschrift:
Krankenhaus ID:
BL
2 W
1 M
2 M
3 M
4 M
5 M
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Sputum[1 ]
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Molekularbiologischer Test zur Resistenzbestimmung
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Antibiogramm aus der Kultur (engl.: drug susceptibility testing, DST):
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Großes Blutbild
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Nieren- und Leberwerte, Elektrolyte
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TSH-Test (Schilddrüsenwerte)
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Hepatitis B & C-Serologie
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Schwangerschaftstest
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Gewicht
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Audiometrie (Hörtest)
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Sehtest
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Thorax-Röntgen
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Thorax-CT (vorzugsweise low dose)
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EKG[7 ]
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Medikamentenspiegel im Blut
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1 Sputumproben sollten, wenn möglich, in monatlichen Abständen für mikrobiologische Untersuchungen entnommen werden. Wenn spontan kein Sputum gewonnen werden kann, sollte erwogen werden, induziertes Sputum zu gewinnen. Das ist besonders am Ende der ersten Phase (8 Monate) und bei Abschluss der Behandlung wichtig, um eine Heilung zu bestätigen. Wenn möglich, sollten Sputumproben zur Mikroskopie und Kultur auch während der Follow-up-Periode der Behandlung gewonnen werden. Aktuell werden in vielen Ländern Sputumproben nur noch selten gewonnen, nachdem eine Konversion der Sputumkulturen stattgefunden hat. Damit ein Therapieversagen frühzeitig identifiziert werden kann wird es dringend empfohlen, während des gesamten Behandlungsverlaufs regelmäßig Sputumproben zu untersuchen.
2 Eine Überprüfung der Medikamentenempfindlichkeit/-wirksamkeit sollte dann wiederholt werden, wenn die Kultur nach 2 Monaten noch positiv ist.
3 Bei Behandlung mit Ethionamid/Protionamid oder PAS sollte die Funktion der Schilddrüse überwacht werden.
4 Regelmäßige Hörtests sollten durchgeführt werden, wenn injizierbare Medikamente (WHO Gruppe 2) zur Therapie verwendet werden.
5 Augenarztkontrollen sollten bei allen Patienten, die Ethambutol (Dosis nicht > 15 mg/kg) oder Linezolid erhalten, regelmäßig durchgeführt werden.
6 Thorax-CTs (vorzugsweise low dose ohne Kontrastmittel) können besser zur Therapieüberwachung geeignet sein als Thorax-Röntgenbilder. Ein (low dose) Thorax-CT als Referenzaufnahme zum Zeitpunkt des Therapieendes ist bei späterer Fragestellung einer Reinfektion oder eines Rückfalls sehr hilfreich.
7 Wenn das (Herzfrequenz-korrigierte) QT-Intervall (QTc) > 450 ms beträgt, sollte zum Ausschluss eines Drogenmissbrauchs ein Urintest durchgeführt werden. Außerdem muss die Therapie aller Medikamente, welche die QTc-Zeit verlängern können (z. B. Moxifloxacin, Delamanid, Bedaquillin, PA-824, Clarithromycin, Azithromycin), kritisch hinterfragt werden. Unter Therapie mit Bedaquilin wird ein EKG in den Behandlungswochen 0, 2, 12 und 24 empfohlen. Bei Kombinationstherapie mit Fluorchinolonen, Makroliden und Clofazimin kann es notwendig sein, dass EKGs in kürzeren Intervallen durchgeführt werden müssen als hier angegeben. Wenn der QTc > 500 ms beträgt, sollte die Therapie nicht mit der aktuell verwendeten Kombination von Medikamenten fortgeführt werden.
8 Wenn möglich, sollten die Serumkonzentrationen der Medikamente überwacht werden. Dies geschieht vor allem, um die Toxizität der Therapie mit Aminoglykosiden zu reduzieren und eine Unterdosierung der Fluorchinolone in der Therapie zu vermeiden (siehe auch Kapitel: Therapeutisches Medikamentenmanagement, S. 374).
Dermatologische unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Juckreiz und Hautausschläge sind in der frühen Phase der MDR-/XDR-Tuberkulosetherapie häufig. Bei milden Formen kann die Therapie unter Lokaltherapie (Hautpflegeprodukte, juckreizstillende oder kortikosteroidhaltige Cremes) und/oder den Einsatz von Antihistaminika fortgesetzt werden. Bei anhaltenden Beschwerden oder systemischen Auswirkungen wie Blasenbildung oder Schleimhautbeteiligung, Fieber oder Urtikaria soll die Therapie pausiert werden. Nach Facharztkonsultation kann eventuell mit einschleichender Dosierung und Begleitmedikation ein neuerlicher Therapieversuch unternommen werden. Ausgenommen davon sind anaphylaktische Reaktionen [192 ]. Aufgrund der potenziellen Phototoxizität von Fluorchinolonen und Clofazimin sollte übermäßige Sonnenlichtexposition gemieden und Sonnenschutz verwendet werden. Unter Clofazimin kann es zu einer deutlichen rötlichen Hyperpigmentation kommen, die auch nach Absetzen des Präparates andauern kann.
Neurologische unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Vor allem bei Patienten mit Diabetes mellitus, Unterernährung, chronischem Alkoholabusus und HIV-Infektion tritt häufig eine periphere Neuropathie auf. Bei Therapie mit Hochdosis-Isoniazid, Terizidon/Cycloserin, Thionamid oder Linezolid sollte prophylaktisch 50 – 100 mg/d Pyridoxin gegeben werden. Zentralnervöse unerwünschte Arzneimittelwirkungen können sich in Kopfschmerzen, epileptischen Anfällen oder Psychosen äußern. Eine erweiterte Diagnostik sollte andere Ursachen ausschließen und eine ZNS-Mitbeteiligung im Rahmen der Grundkrankheit ausschließen [193 ].
Unerwünschte Arzneimittelwirkungen im HNO-Bereich
Bei Anwendung ototoxischer Medikamente (Aminoglykoside und Capreomycin) sollte der Patient besonders für das mögliche Auftreten von Tinnitus und Hörverlust sensibilisiert werden und zur unmittelbaren Meldung angehalten werden. Die Therapie mit diesen Medikamenten muss in diesem Fall unmittelbar abgebrochen werden. Regelmäßige Hörteste (Audiometrie vor Beginn der Therapie und in monatlichen Abständen) werden empfohlen (siehe [Tab. 11 ], S. 360) [194 ].
Ophthalmologische unerwünschte Arzneimittelwirkungen
Vor allem unter Therapie mit Ethambutol, aber auch bei Linezolid kann eine Optikusneuritits auftreten. Im Falle einer Visusminderung, induziert durch einen Optikusprozess, und/oder einer Farbsinnänderung sollte dringend die Therapie überdacht, meist jedoch abgesetzt werden. Monatliche augenfachärztliche Kontrollen der Farbsehdiskriminierung werden empfohlen (Ishihara-Test, Farnsworth-Test; auch bei Analphabeten anwendbar) [195 ]. Aus neurologisch-fachärztlicher Sicht wird prinzipiell auch die Durchführung von visuell evozierten Potentialen (VEP) zur frühzeitigen Erfassung noch subklinischer Affektionen des N. opticus (paraklinische Erfassung einer Afferenzstörung der Sehbahn) vor Beginn und regelmäßig während einer Therapie mit Ethambutol empfohlen. Wir empfehlen die Durchführung von VEPs bei unklaren Befunden.
5.12 Besonderheiten der stationären Therapie
Bei MDR-/XDR-Tuberkulose muss die Therapie im stationären Bereich begonnen und bis zum Erhalt negativer Sputumkulturen durchgeführt werden. Bereits bei Verdacht auf MDR-/XDR-Tuberkulose (Anamnese früherer Tuberkuloseerkrankung, Herkunft aus Risikogebiet, molekularbiologische Hinweise) sollte der Patient bis zur Klärung der Infektiösität konsequent isoliert werden. Die Therapie sollte in qualifizierten und adäquat ausgestatteten Abteilungen erfolgen.
Wenn injizierbare Medikamente über einen längeren Zeitraum in die Therapie einbezogen werden, sollte ein zentraler Venenkatheter mit einem subkutanen Reservoir (Port) für Injektionszwecke implantiert werden [196 ].
Wenn die Diagnose gesichert ist, muss eine intensive und für den Patienten gut verständliche Aufklärung erfolgen. Dafür sollen alle Hilfsmittel, wie Informationsbroschüren, Dolmetscherdienste oder Videoaufklärung (z. B. ExplainTB www.explaintb.org ) ausgeschöpft werden. Der Patient ist vor allem über die langwierige und nebenwirkungsreiche Therapie zu informieren.
Viele Patienten haben einen Migrationshintergrund oder sind nicht ausreichend im Sozialsystem abgesichert. Im Zuge des Aufenthaltes soll die psychosoziale Situation des Patienten geklärt und entsprechende psychologische und soziale Hilfestellungen angeboten werden (siehe auch: Kapitel Versorgungsaspekte, S. 343).
Während des Aufenthaltes kann es durch die Isolation zu psychischen Belastungen und depressiven Verstimmungen kommen. Neben psychologischer Betreuung sollen Ergotherapie und Physiotherapie den Patienten nicht vorenthalten werden. Möglichkeiten für regelmäßige körperliche Aktivität (z. B. Bewegung im Freien oder Ergometertraining) und geistige Aktivität (z. B. Sprachkurs) sollen angeboten werden. Soziale Medien können hilfreich sein, die Isolation zu verringern und die geistige Aktivität anzuregen.
Für die Entlassung des Patienten müssen mehrere Voraussetzungen geklärt sein. Eine Ansteckung
weiterer Personen muss verhindert werden und die Fortsetzung der Therapie muss gewährleistet
sein. Die Entlassung sollte dem zuständigen Gesundheitsamt gemeldet werden. Zur Dokumentation am
Ende des stationären Aufenthalts dient eine Checkliste ([Abb. 4 ], S. 362–363) [196 ].
Abb. 4 Checkliste für die Beendigung der stationären Behandlung von MDR-/XDR-Patienten [196 ].
Ernährung
Zu beachten ist, dass Fluorchinolone nicht zusammen (Mindestabstand 2 h) mit Milch und Milchprodukten, mineralischen Antazida oder anderen Arzneimitteln mit zwei- oder dreiwertigen Ionen (wie Eisen, Zink, Calcium oder Aluminium) eingenommen werden sollen [197 ]. Einige Medikamente der Nicht-Standardtherapie erreichen höhere Serumspiegel, wenn sie mit der Nahrung aufgenommen werden (z. B. Bedaquilin, Clofazimin, Delamanid) (siehe [Tab. 2 ], S. 329)
Zusätzlich müssen bei komplexen Störungen der Nahrungsaufnahme und -verwertung zusätzliche hochkalorische Trinknahrung, parenterale Kalorienzufuhr oder Nahrungszufuhr über eine perkutane Gastrostomie erwogen werden.
5.13 Besondere Therapiesituationen
Tuberkulosemedikamente in Schwangerschaft und Stillzeit
Daten zur Anwendung von Nicht-Standard-Medikamenten in der Schwangerschaft enthält die [Tab. 12 ] (S. 364).
Tab. 12
Medikamente zur Therapie der resistenten Tuberkulose in der Schwangerschaft [146 ]
[198 ]
[199 ]
[200 ].
Medikament
WHO Gruppe
Toxizität Fetus
Teratogen (T = Tierstudie)
Gatifloxacin
A
unklar
nein
Levofloxacin
A
unklar
nein
Moxifloxacin
A
nein
Amikacin
B
Ototoxizität
unklar
Capreomycin
B
Ototoxizität
ja (T)
Streptomycin
B
Ototoxizität
nein
Clofazimin
C
reversible dermale Diskolorationen
nein
Cycloserin
C
selten: sideroblastische Anämie post partum
unklar
Terizidon
C
unklar
unklar
Ethionamid/Protionamid
C
Entwicklungsretardierung
ja
Linezolid
C
unklar
nein
Ethambutol
D1
keine
nein
Pyrazinamid
D1
selten: Ikterus
unklar
Hochdosis-Isoniazid
D1
Pyridoxin-Substitution, sonst selten ZNS-Defekte, Hepatotoxizität
nein
Bedaquilin
D2
unklar
nein
Delamanid
D2
unklar
ja (T)
p-Aminosalicylsäure
D3
Diarrhö (postpartum)
ja 1. Trimenon
Amoxicillin/Clavulansäure
D3
selten: nekrotisierende Enterocolitis post partum
nein
Meropenem/Imipenem
D3
unklar
nein
HIV-MDR-/XDR-Tuberkulose
Wie auch bei HIV-negativen Patienten ist die Zusammensetzung der Therapie und die Therapiedauer einer MDR-/XDR-Tuberkulose vom individuellen Resistenzprofil des Erregers und von der individuellen Morbidität des Patienten abhängig. Dazu gehören insbesondere die Ausdehnung des Befundes und das Therapieansprechen im Verlauf der Erkrankung. Bei der Zusammenstellung der antiretroviralen Therapie (ART) müssen die Interaktionen und additive Toxizitäten mit der MDR-/XDR-Tuberkulose-Therapie berücksichtigt werden (siehe auch: 6. Patienten mit HIV-Infektion und Tuberkulose, S. 366). Die Bestimmung der Serumspiegel einzelner Medikamente sollte in Betracht gezogen werden (siehe auch: Kapitel Therapeutisches Medikamentenmanagement, S. 374). Die Therapie und Betreuung von HIV-MDR-/XDR-Tuberkulose-Patienten sollte Experten vorbehalten sein.
Niereninsuffizienz
Im Falle einer Niereninsuffizienz können Patienten mit einer MDR-Tuberkulose auch Aminoglykoside erhalten, allerdings nur unter strengster Überwachung der Nierenfunktion. Bei einer GFR < 30 mL/min kann die Therapie nach einer Startdosis von 750 mg mit einer täglichen Einmalgabe von 500 mg fortgesetzt werden, aber nur unter Spiegelkontrolle (Talspiegel < 5 mg/l) [201 ]. Bei dialysepflichtigen Patienten (Hämodialyse dreimal pro Woche) kann das Vorgehen wie bei anderen harnpflichtigen Substanzen gewählt werden, indem vor der Dialyse eine normale Dosis gegeben wird [202 ]. Angesichts der seltenen Konstellation wird für solche Einzelfälle ein pharmakologisches Konsil empfohlen.
Für Linezolid ist keine Dosiseinschränkung bei Niereninsuffizienz erforderlich. Allerdings fehlen Daten aus der Langzeittherapie der Tuberkulose, die explizit auf diese Fragestellung hin erhoben worden wären [203 ].
Para-Aminosalicylsäure (PAS) kann unter engmaschiger Kontrolle der Nierenfunktion in normaler Dosis verabreicht werden, nicht aber bei einer GFR < 10 mL/min [204 ].
Terizidon ist nach Angaben des Herstellers bei Niereninsuffizienz kontraindiziert [205 ]. Eine Studie bei Hämodialysepatienten ergab eine gute Verträglichkeit bei normaler Tagesdosis [206 ].
Für das nicht wasserlösliche Clofazimin wird vom Hersteller ohne nähere Angaben eine niedrige Tagesdosis bei Patienten mit eingeschränkter Nierenfunktion empfohlen [207 ].
Für Moxifloxacin und Protionamid ist keine Dosisanpassung bei Niereninsuffizienz erforderlich. Gleiches gilt für Bedaquilin und Delamanid bei mittelschwerer Niereninsuffizienz, für Dialysefälle sind Einzelentscheidungen zu treffen.
Eingeschränkte Leberfunktion
Als selten hepatotoxisch und einsatzfähig bei eingeschränkter Leberfunktion können für die Initialtherapie einer resistenten Tuberkulose die Medikamente Ethambutol, Aminoglykoside und Levofloxacin gelten.
Für weitere Medikamente bedarf es ganz generell eines stufenweisen Aufbaus der Therapie unter engmaschiger Kontrolle der Leberwerte. Protionamid, Pyrazinamid und p-Aminosalicylsäure (selten) besitzen ein hepatotoxisches Potenzial, das die Verabreichung vom Einzelfall abhängig macht [196 ]. Clofazimin wird zwar hepatisch eliminiert, hepatotoxische unerwünschte Arzneimittelwirkungen sind aber praktisch nicht aufgefallen.
Delamanid hat trotz seiner erheblichen Lipophilie offenbar ein nur geringes hepatotoxisches Potenzial, dennoch wird der Einsatz bei Leberinsuffizienz wegen fehlender Daten nicht empfohlen, womit Einzelentscheidungen getroffen werden müssen [208 ]. Auch unter einer Bedaquilin enthaltenden Therapie wurden Leberwerterhöhungen und Leberinsuffizienz beschrieben, jedoch lässt sich auch hier keine generelle Empfehlung geben, sodass Einzelentscheidungen getroffen werden müssen [209 ].
5.14 Therapiedauer
Die optimale Dauer der MDR-/XDR-Therapie wurde bisher in keiner randomisiert-kontrollierten Studie untersucht. In Anlehnung an eine Metaanalyse mit Einschluss von > 9000 Fällen empfahl die WHO bisher eine standardisierte Therapiedauer von mindestens 20 Monaten [11 ]
[210 ]. Es wird empfohlen, die initiale intensive Therapie-Phase für mindestens 7 – 8,5 Monate durchzuführen.
Aufgrund erfolgreicher Behandlungsergebnisse mit spezifischen Kombinationsbehandlungen in Bangladesch [211 ], Kamerun [212 ] und Niger [213 ] empfiehlt die WHO seit 2016 eine standardisierte Kombinationsbehandlung der MDR-Tuberkulose mit sieben Medikamenten über 9 – 12 Monate (Kanamycin, Moxifloxacin, Protionamid, Clofazimin, Pyrazinamid, Hochdosis-Isoniazid und Ethambutol über 4 – 6 Monate, gefolgt von Moxifloxacin, Clofazimin, Pyrazinamid und Ethambutol über 5 Monate) [12 ]. Zwingende Voraussetzung für diese Therapie ist aber, dass alle Medikamente als sensibel getestet sind und auch über die gesamte Therapiedauer eingesetzt werden können. Für Patienten mit einer MDR-Tuberkulose in Europa bestehen aber in mehr als 90 % der Fälle Kontraindikationen für diese standardisierte Kurzzeittherapie, vor allem wegen Antibiotikaresistenzen der Bakterien gegen mindestens eines der eingesetzten Medikamente [170 ]. Für Patienten in Deutschland stellt daher die standardisierte Therapie der MDR-Tuberkulose über 9 – 12 Monate in aller Regel keine Therapieoption dar. Wenn dennoch die Einleitung einer standardisierten Kurzzeittherapie der MDR-Tuberkulose erwogen wird, sollte zuvor Rücksprache mit einem erfahrenen Zentrum gehalten werden.
In Zukunft könnten Biomarker zur Individualisierung der Therapiedauer eine wichtige Rolle spielen [214 ].
5.15 Therapiemonitoring
Für das Monitoring im Verlauf der Therapie einer MDR-/XDR-Tuberkulose werden die Untersuchungen der [Tab. 11 ] (S. 360) empfohlen [196 ].
Dokumentation am Ende der MDR-/XDR-Tuberkulose-Therapie
Am Ende der MDR-/XDR-Tuberkulose-Therapie sollte das Behandlungsergebnis bis zu diesem Zeitpunkt dokumentiert und an das zuständige Gesundheitsamt gemeldet werden, welches es über die Landesstelle an das RKI zur epidemiologischen Erfassung übermittelt. Für die weitere medizinische Nachbeobachtung sollten aber ambulante Untersuchungen festgelegt werden [196 ]. Hierzu können standardisierte Dokumentationsbögen verwendet werden (siehe Beispiel: [Abb. 4 ], S. 362–363). Das abschließende medizinische Behandlungsergebnis wird bei ausbleibendem Rückfall 12 Monate nach Therapieende dokumentiert.
5.16 Therapieversagen
Therapieversagen nach der WHO ist in [Tab. 13 ] definiert. Im Falle eines Therapieversagens sollte unbedingt die Expertise eines spezialisierten Zentrums hinzugezogen werden. Niemals sollten einzelne Medikamente bei Therapieversagen der bestehenden Therapie hinzugefügt werden (M. Iseman: „Never add a single drug to a failing regimen“).
Tab. 13
Definitionen der Behandlungsergebnisse für eine MDR-/XDR-Tuberkulose nach Behandlung mit Medikamenten der Nicht-Standardtherapie (nach WHO [215 ]).
1. Heilung (engl.: cure)
Die Therapie wurde nach einer Behandlungsdauer wie in den nationalen Richtlinien vorgeschlagen ohne Therapieversagen abgeschlossen UND die Ergebnisse von mindestens 3 aufeinanderfolgenden Kulturen im Abstand von mind. 30 Tagen nach der Intensivphase der Therapie sind negativ (wenn nicht anders definiert, liegt die Grenze zwischen der Intensivphase und Erhaltungsphase bei 8 Monaten Therapie).
2. Therapie abgeschlossen (engl.: therapy completed)
Die Therapie wurde nach einer Behandlungsdauer wie in den nationalen Richtlinien vorgeschlagen ohne Therapieversagen abgeschlossen, ABER die Ergebnisse von mindestens 3 aufeinanderfolgenden Kulturen im Abstand von mind. 30 Tagen nach der Intensivphase der Therapie liegen nicht vor (wenn nicht anders definiert, liegt die Grenze zwischen der Intensivphase und Erhaltungsphase bei 8 Monaten Therapie).
3. Therapieerfolg (engl.: therapy success)
Die Summe aus Heilung und Therapie abgeschlossen .
4. Therapieversagen (engl.: therapy failed)
Beendigung der Therapie oder Änderung von mind. 2 Medikamenten in der Therapie wegen
fehlender Konversion am Ende der Intensivphase der Therapie, oder
bakteriologischer Reversion in der Kontinuitätsphase der Therapie nach Konversion, oder
Hinweise für das Vorliegen zusätzlicher Resistenzen gegenüber Fluorchinolonen oder Zweitlinien injizierbaren Medikamenten (Am, Cm, Km), oder
Nebenwirkungen
5. Verstorben (engl.: died)
Ein Patient, der während der Therapie[1 ] verstorben ist.
6. Behandlungsabbruch (engl.: default)
Ein Patient, dessen Behandlung für mindestens 2 Monate unterbrochen wurde.
7. Der Nachbeobachtung verlorengegangen (engl.: lost to follow-up)
Trotz Nachforschens unbekanntes Behandlungsergebnis, da der Patient ins Ausland oder unbekannt verzogen ist.
8. Nicht evaluiert (engl.: not evaluated)
Ein Patient, dem kein anderes Therapieergebnis zugeordnet werden kann (dazu gehören auch Patienten, die in andere Behandlungseinheiten verlegt wurden oder deren Behandlungsergebnis nicht bekannt ist).
1 nach ECDC: „vor oder während der Therapie“ [164]
5.17 Palliative Therapie
Die WHO definiert „Palliative Care“ als eine Haltung und Behandlung, welche die Lebensqualität von Patienten und ihren Angehörigen verbessern soll, wenn eine lebensbedrohliche Krankheit vorliegt. Sie erreicht das, indem sie Schmerzen und andere physische, psychosoziale und spirituelle Probleme frühzeitig und aktiv sucht, immer wieder erfasst und angemessen behandelt.
Es bleibt eine Individualentscheidung, die Tuberkulosetherapie fortzusetzen, wenn nach Therapieversagen und trotz Ausschöpfung aller Möglichkeiten eine voraussichtlich kurative Therapie nicht mehr möglich ist. In diesem Fall soll eine palliative Versorgung des Patienten erwogen und geplant werden. Der Zugang zu Angeboten der Palliativmedizin und eine Sterbebegleitung sollen jedem Patienten zur Verfügung stehen. Konsequenter Infektionsschutz darf dabei nicht vernachlässigt werden [216 ]
[217 ]
[218 ].
5.18 Infektionskontrolle
Die Infektionsverhütungsmaßnahmen entsprechen denen bei der Tuberkulose, wie sie vom DZK bereits publiziert wurden [87 ]. Aufgrund der besonderen Konsequenzen einer Erkrankung mit MDR-Tuberkulose ist die strikte Einhaltung der aufgestellten Hygiene-/Infektionsschutzregeln besonders wichtig. Die durchschnittlich besonders lange Verweildauer im Krankenhaus und Therapiedauer insgesamt bei multiresistenter Tuberkulose erfordern, dass alle Maßnahmen ergriffen werden, die zur Kooperation, d. h. zum Verständnis, zur Einhaltung und Aufrechterhaltung seitens der erforderlichen Maßnahmen durch den Patienten beitragen (Sprachmittler, Vereinbarungen, psychologische und soziale Betreuung).
5.19 Präventive Therapie für Kontaktpersonen von MDR-/XDR-Tuberkulose-Patienten
Aufgrund der unzureichenden Datenlage wird eine präventive Therapie für Kontaktpersonen von MDR-/XDR-Tuberkulose-Patienten in Deutschland zu diesem Zeitpunkt nicht allgemein empfohlen (siehe S. 352).
6 Patienten mit HIV-Infektion und Tuberkulose
6 Patienten mit HIV-Infektion und Tuberkulose
Zahlreiche epidemiologische Studien zeigen, dass eine HIV-Infektion die Entwicklung einer Tuberkulose (TB) begünstigt [219 ]. Das Risiko, eine Tuberkulose zu entwickeln, ist bei HIV-infizierten gegenüber HIV-negativen Personen, die im selben Land leben, bis zu 30-fach erhöht [220 ]. In 2014 waren 1,2 Millionen (12 %) der weltweit geschätzten 9,6 Millionen Menschen mit Tuberkulose HIV-koinfiziert [221 ]. Die HIV-Koinfektion erhöht die Tuberkulose-assoziierte Morbidität und Mortalität, und obwohl die Tuberkulose-assoziierte Mortalität bei HIV-infizierten in der Zeit von 2004 – 2014 um 32 % gesenkt werden konnte [221 ], ist die Tuberkulose weltweit noch immer die Haupttodesursache bei HIV-infizierten Patienten. Hohe HIV-Prävalenz korreliert stark mit einer hohen Inzidenz für Tuberkulose, eine Syndemie von HIV und Tuberkulose zeigt sich entsprechend vor allem in den Sub-Sahara-Ländern des afrikanischen Kontinents. In Deutschland sind basierend auf einer Schätzung des Robert Koch-Instituts von 2002 – 2009 ca. 4,5 % der Tuberkulosepatienten mit HIV infiziert gewesen [222 ].
Ein HIV-Test soll daher allen Patienten bei Erstdiagnose einer Tuberkulose angeboten werden (siehe [Abb. 1 ], S. 332). Ebenso soll bei allen Patienten im Rahmen der Erstdiagnose einer HIV-Infektion ein Screening für das Vorliegen einer latenten Tuberkuloseinfektion durchgeführt werden (siehe [Abb. 2 ], S. 350).
6.1 Klinik und Diagnostik der Tuberkulose bei HIV-Infektion
In Abhängigkeit der Ausprägung des HIV-assoziierten Immundefektes ist das klinische Bild der Tuberkulose bei HIV-infizierten Patienten sehr unterschiedlich. Besonders bei niedrigen CD4 + T-Zellen ( < 200 /µl) sind die radiologischen Befunde des Röntgen-Thorax häufig „uncharakteristisch“. Hier finden sich vermehrt Unter- und Mittellappeninfiltrate, Pleuraergüsse, mediastinale Lymphadenopathie sowie intestinale Lymphknoten unterhalb der Zwerchfellgrenze. Häufig findet sich aber auch ein pulmonaler Normalbefund vor dem Hintergrund eines höheren Anteils extrapulmonaler und disseminierter Tuberkulosen bei HIV-Patienten mit weit fortgeschrittenem Immundefekt. Entsprechend muss hier bei klinischem Verdacht auf das Vorliegen einer Tuberkulose eine intensivierte radiologische Diagnostik (CT, MRT), die weitere Organe über die Lunge hinaus erfasst, veranlasst werden. Bei Patienten mit CD4 + T-Zellen > 200/µl finden sich eher Oberlappeninfiltrate und eine Kavernenbildung ist etwa viermal häufiger als bei Patienten mit weiter fortgeschrittenem Immundefekt [223 ]. Folglich nimmt auch die Verlässlichkeit der Sputumdiagnostik mit fortschreitendem Immundefekt ab. Trotz Vorliegens einer Lungentuberkulose können Sputumproben in bis zu 40 % der Fälle negativ sein [224 ]
[225 ]. Daher ist eine besonders sorgfältige und wiederholte mikrobiologische und bildgebende Diagnostik ggf. unter Einschluss invasiver Methoden geboten. Differenzialdiagnostisch müssen die bei AIDS häufig als opportunistische Erreger vorkommenden nichttuberkulösen Mykobakterien abgegrenzt werden. Auch die Sensitivität der immunologischen Diagnostik ist bei HIV-Patienten mit fortgeschrittenem Immundefekt herabgesetzt. Dies kann zu falsch negativen bzw. intermediären Ergebnissen im IGRA führen [226 ]. Insgesamt ist die Diagnose einer Tuberkulose bei gleichzeitig vorliegender HIV-Infektion häufig auch dadurch erschwert, dass Symptome wie Fieber und Gewichtsverlust der HIV-Infektion zugeschrieben werden.
6.2 Beginn der antiretroviralen Therapie (ART) bei Tuberkulosepatienten
Studien, die den geeigneten Zeitpunkt für den Start der antiretroviralen Therapie (ART) bei therapienaiven HIV-TB-koinfizierten Patienten untersucht haben, zeigen in der Tendenz einen Überlebensvorteil für diejenigen, bei denen die ART zeitnah nach dem Beginn der Tuberkulosetherapie gestartet wird (2 – 4 Wochen nach Beginn der Tuberkulosetherapie) [227 ]
[228 ]. Dieser Überlebensvorteil zeigte sich deutlicher bei HIV-Patienten mit schlechtem Immunstatus und war bei Patienten mit weniger als 50 CD4 + T-Zellen/µl bei Therapiebeginn signifikant [229 ]
[230 ]
[231 ].
Die kumulative Toxizität der Medikamente kann den simultanen Therapiebeginn erschweren. Eine Metaanalyse zeigte allerdings keine Unterschiede zwischen frühem und späterem Therapiebeginn bezüglich schwerer unerwünschter Arzneimittelwirkungen und Todesfällen durch Medikamententoxizität [228 ]. Eine Ausnahme stellt das paradoxe Tuberkulose-Immunrekonstitutionssyndrom (TB-IRIS) dar (IRIS, engl.: immune reconstitution inflammatory syndrome ), S. 367), für dessen Entwicklung bei frühem ART-Beginn ein signifikant erhöhtes Risiko besteht. Die dem IRIS zugeschriebene Mortalität muss daher der Reduktion der Gesamtmortalität bei frühem Therapiebeginn gegenüber gestellt werden. In einer Situation mit schwerer Immunsuppression (Patienten mit weniger als 50 CD4 + T-Zellen/µl) überwiegt der Nutzen eines frühen ART-Beginns. Bei HIV-Patienten mit über 220 CD4 + T-Zellen/µl zeigten sich in einer prospektiven Studie keine Mortalitätsunterschiede beim Vergleich des frühen ART-Beginns (2 Wochen nach Tuberkulosetherapie) mit einem ART-Beginn nach 6 Monaten Tuberkulosetherapie [232 ].
Die Daten zum ART-Beginn unter Tuberkulosetherapie wurden überwiegend bei Patienten mit Lungentuberkulose und mit einem mikroskopisch oder kulturell positiven Sputumbefund erhoben. Bei HIV-assoziierter tuberkulöser Meningitis verbesserte ein früher ART-Beginn die Mortalität in einer randomisierten Studie nicht, es traten jedoch vermehrt schwere unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf, sodass bei dieser extrapulmonalen Manifestation der Tuberkulose kein früher ART-Beginn erfolgen soll [5 ]
[233 ].
Daten zum ART-Beginn bei Patienten mit einer MDR- und XDR-Tuberkulose liegen nicht vor. Die ART scheint jedoch insbesondere bei XDR-Tuberkulose einen positiven Einfluss auf das Therapieergebnis zu haben [234 ], auch wenn man die Langzeitergebnisse nach 2 Jahren betrachtet [235 ].
Über den Beginn der ART soll auf Grundlage des Immunstatus (CD4 + T-Zellen) entschieden werden. Neben dem Immunstatus müssen bei der Entscheidung über den Beginn der ART in jedem Fall auch der individuelle Therapieverlauf und begleitende Risikofaktoren berücksichtigt werden.
Bei schlechtem Helferzellstatus von weniger als 50 CD4 + T-Zellen/µl soll ein früher ART-Beginn innerhalb von zwei Wochen nach Beginn der Tuberkulosetherapie erfolgen. Eine Ausnahme stellt hier die tuberkulöse Meningitis dar.
Bei HIV-infizierten Patienten mit einer Tuberkulose des zentralen Nervensystems, insbesondere bei einer tuberkulösen Meningitis, soll innerhalb der ersten 8 Wochen der Tuberkulosetherapie – unabhängig vom Immunstatus der Patienten – keine ART begonnen werden [233 ].
Bei Patienten mit ≥ 50 CD4 + T-Zellen/µl schließt sich die Leitliniengruppe den CDC-Empfehlungen an, dass eine ART möglichst nach 8 bis 12 Wochen Tuberkulosetherapie begonnen werden sollte [5 ].
Bei Patienten mit mehr als 220 CD4 + T-Zellen/µl ist der Überlebensvorteil der frühen ART nicht gesichert, daher sollte insbesondere in dieser Situation ein früher ART-Beginn (nach 8 – 12 Wochen Tuberkulosetherapie) gegen die potenziellen Risiken (z. B. IRIS, kumulative Toxizität) abgewogen werden.
6.3 Immunrekonstitutionssyndrom (IRIS)
Es ist bekannt, dass sich unter antituberkulöser Therapie die Symptome oder radiologischen Zeichen der Tuberkulose durch immunologische Effekte verschlechtern können [236 ]. Ist dies nach Beginn der ART der Fall, wird es als Immunrekonstitutionssyndrom (IRIS) bezeichnet [237 ]. Abhängig von der zeitlichen Abfolge unterscheidet man die paradoxe von der demaskierenden Form des IRIS. Beim paradoxen IRIS wird die Tuberkulose zunächst behandelt und es kommt zu einer Besserung oder Stabilisierung unter Therapie. Nach Beginn der ART kommt es zu neuen Symptomen oder einem Wiederauftreten bzw. einer Verschlechterung der zunächst gebesserten Zeichen der Tuberkulose, wie zum Beispiel einer erneuten Lymphknotenschwellung, Abszedierungen oder einer Serositis [237 ]. Beim demaskierenden IRIS tritt eine zuvor subklinische oder maskierte Infektion durch die Erholung des Immunsystems nach ART als Erkrankung in Erscheinung. Bei der demaskierten Erkrankung kann es sich neben Tuberkulose auch um nichttuberkulöse Mykobakterien, andere Infektionen oder andere Erkrankungen handeln.
Epidemiologie
Den Daten einer Metaanalyse mit 54 Studien und 13 103 Patienten zufolge tritt jegliche Form des IRIS in 16,1 % der Fälle nach Beginn der ART auf. 4,5 % der Patienten mit jeglicher Form von IRIS verstarben, von den Patienten mit Tuberkulose und IRIS verstarben 3,2 % [238 ]. In einer anderen Metaanalyse mit 40 Studien trat in 18 % der Tuberkulosefälle ein paradoxes IRIS auf. Lungen- und Lymphknotenbeteiligung waren hierbei häufig. Die dem IRIS zugeschriebene Mortalität betrug 2 %. In einer prospektiven südafrikanischen Studie trat das paradoxe IRIS bei tuberkulöser Meningitis in 47 % der Fälle auf [239 ] und scheint mit einer deutlich erhöhten Mortalität (bis 30 %) einherzugehen [239 ]
[240 ].
Pathogenese
Die Ursache für IRIS ist eine überschießende Immunreaktion gegen Mycobacterium tuberculosis- Antigene, die durch die Erholung des Immunsystems nach Beginn der ART verursacht wird. Es resultiert eine vorübergehende, schwere systemische oder lokalisierte Immunreaktion. Die Beteiligung der zellulären Immunantwort sowie pro- und antiinflammatorischer Zytokine sind zwar beschrieben, der zugrundeliegende Mechanismus ist jedoch derzeit noch nicht vollständig geklärt [241 ].
Risikofaktoren
Als Risikofaktoren für ein IRIS gelten vor allem:
niedrige CD4 + T-Zellen und eine hohe HI-Viruslast bei Beginn der ART,
ein schneller Anstieg der CD4 + T-Zellen nach Beginn der ART,
ein kurzes Zeitintervall zwischen Beginn der ART und Beginn der Tuberkulosetherapie (siehe Therapiebeginn, S. 366),
extrapulmonale Disseminierung der Tuberkulose.
Definition
IRIS ist schwer von einem Nichtansprechen der Tuberkulosetherapie oder unerwünschten Arzneimittelwirkungen zu unterscheiden. Es existiert bislang keine allgemein gültige Definition, was die einheitliche Bewertung von Studien in diesem Gebiet erschwert. Es handelt sich um eine Diagnose, die den Ausschluss
anderer opportunistischer Infektionen,
eines Versagens der Tuberkulosetherapie z. B. durch Medikamentenresistenzen oder schlechte Therapietreue
und unerwünschter Arzneimittelwirkungen voraussetzt.
Für ressourcenschwächere Länder wurde von einem Forscher-Netzwerk eine ausführliche Definition entwickelt, die auch in anderen Ländern genutzt werden kann [237 ].
Behandlung
Paradoxes IRIS Die hyperinflammatorische Reaktion im Rahmen des IRIS kann sich ohne Therapie bessern, in vielen Fällen ist jedoch auch vor dem Hintergrund der dem IRIS zugeschriebenen Mortalität eine antiinflammatorische Therapie notwendig. Bei milden Verläufen können nicht-steroidale Entzündungshemmer (NSAID) zur Symptomkontrolle eingesetzt werden. Bei der mittelschweren und schweren Ausprägung von IRIS werden Steroide eingesetzt. In einer randomisierten Plazebo-kontrollierten Studie hat sich Prednisolon mit 1,5 mg/kg KG über 14 Tage gefolgt von 0,75 mg/kg KG für zwei Wochen bei paradoxem IRIS als wirksam erwiesen [242 ]. Durch die Behandlung wurde eine schnellere Besserung der Symptome und der Lebensqualität erreicht. Es konnten Krankenhauseinweisungen und therapeutische Interventionen vermieden werden. Ein Einfluss auf die Mortalität wurde nicht nachgewiesen. Der klinische Effekt der Prednisolontherapie scheint durch die Suppression vorwiegend proinflammatorischer Zytokine vermittelt zu sein [243 ]. Eine erhöhte Rate an schweren unerwünschten Arzneimittelwirkungen wurde in dieser Studie nicht gefunden, dennoch gibt es Hinweise für lebensbedrohliche Exazerbationen von Kaposi-Sarkomen unter Kortikosteroiden [244 ] und andere unerwünschte Arzneimittelwirkungen von Kortikosteroiden bei HIV-Patienten [245 ]. Ein Therapieversagen bei resistenter Tuberkulose ist klinisch schwer vom IRIS zu unterscheiden, daher sollte der sichere Ausschluss einer Medikamentenresistenz immer zur Diagnostik bei Verdacht auf IRIS gehören [246 ].
Die CDC empfiehlt Prednison (äquipotent zu Prednisolon) 1,25 mg/kg KG (50 – 80 mg/Tag) für 2 – 4 Wochen, dies soll danach über 6 – 12 Wochen oder länger schrittweise reduziert und abgesetzt werden [5 ]. Die Leitliniengruppe schließt sich den CDC-Empfehlungen an.
Ein paradoxes IRIS unter Beteiligung des zentralen Nervensystems mit einer tuberkulösen Meningitis ist mit einer Mortalität bis zu 30 % assoziiert. Bei tuberkulöser Meningitis ohne IRIS zeigte sich ein verbessertes Überleben durch adjuvante Dexamethasongabe [247 ]. Auch bei einem paradoxen IRIS und tuberkulöser Meningitis wie auch bei Hirnabszess, zerebralem Tuberkulom oder Radikulomyelitis zeigte sich in Einzelfällen eine Besserung durch Steroide. Daher ist es gängige Praxis, Patienten mit IRIS und Beteiligung des zentralen Nervensystems mit systemischen Steroiden zu behandeln [245 ]. Über die Dauer der Gabe oder Dosierungsschemata gibt es keine verbindlichen Empfehlungen. Nach Reduktion und/oder Beendigung der Steroide kann es zu Rückfällen kommen, sodass sich die Steroidtherapie am klinischen Verlauf orientieren sollte. Auch die temporäre Unterbrechung der ART, die in der Regel bei IRIS weitergeführt werden sollte, ist bei schwerer Erkrankung ohne Ansprechen auf Steroide als Option beschrieben [248 ].
Andere Therapeutika wurden im Zusammenhang mit IRIS beschrieben. Thalidomid, der Leukotrienantagonist Montelukast, Pentoxyphyllin, Hydroxychloroquin und Tumornekrosefaktor (TNF)-alpha Antagonisten wie Adalimumab, Infliximab oder Etanercept wurden bei Steroid-refraktären Fällen von IRIS erfolgreich eingesetzt [241 ]
[245 ]. Die Anwendung dieser Therapeutika ist jedoch nicht durch klinische Studien belegt und kann nur nach sehr sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiken mit entsprechender Vorsicht erfolgen.
Demaskierendes IRIS Sollte sich bei HIV-infizierten Patienten nach Beginn der ART ein IRIS entwickeln, das eine bis dahin unentdeckte Tuberkulose „demaskiert“, ist der zeitnahe Beginn der Tuberkulosetherapie die bestmögliche Behandlung für die Symptome des IRIS. Vor allem bei einer Herkunft aus Gebieten mit hoher Tuberkuloseprävalenz sollte einem Tuberkuloseverdacht in den ersten drei Monaten nach Beginn der ART konsequent nachgegangen werden [245 ]. Für den Einsatz von Steroiden gibt es keine Evidenz, sodass sie im Falle lebensbedrohlicher Komplikationen nur als individueller Heilversuch angewandt werden können.
6.4 Therapie der HIV-TB-Koinfektion
Ebenso wichtig wie der Zeitpunkt, zu dem im Verlauf einer HIV-TB-Koinfektion die antiretrovirale Therapie (ART) begonnen wird, ist die Wahl der antiretroviralen Medikamente mit Hinblick auf zahlreiche mögliche Interaktionen zwischen den antiretroviralen Medikamenten und den antituberkulösen Medikamenten. Die Autoren der Leitlinie weisen darauf hin, dass die Behandlung von HIV-TB-Koinfektionen wegen der komplexen Medikamenteninteraktionen der ART mit den Medikamenten gegen die Tuberkulose und des damit verbundenen Risikos der Potenzierung von Toxizitäten in der Hand von Spezialisten liegen sollte.
Die Wechselwirkungen der ART mit den Medikamenten gegen die Tuberkulose führen für einzelne Substanzen beider Gruppen zu erheblichen Veränderungen hinsichtlich des pharmakodynamischen und pharmakokinetischen Verhaltens. Entsprechend ist die Therapieadhärenz der Patienten von besonderer Bedeutung. Die Steuerung der Wirkspiegel einzelner Substanzen ist am besten durch das therapeutische Medikamentenmanagement bzw. Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM) gewährleistet (siehe auch: Kapitel 7, S. 274).
Die CDC hat detaillierte Empfehlungen zur gemeinsamen Verabreichung von ART und Medikamenten gegen Tuberkulose veröffentlicht, die von den Verfassern der deutschen Leitlinie unterstützt werden [249 ].
Im Folgenden soll auf besondere pharmakodynamische und pharmakokinetische Zusammenhänge aufmerksam gemacht werden und es werden Entscheidungshilfen in Tabellenform aufgezeigt. Die [Abb. 5 ] veranschaulicht die unweigerliche Einschränkung der Möglichkeiten hinsichtlich der antiretroviralen Therapie durch die Verabreichung einer Rifampicin beinhaltenden Standardtherapie gegen eine Tuberkulose und zeigt schematisch die Kombinationsmöglichkeiten auf. Die [Tab. 14 ] (S. 370–372) erläutert die pharmakokinetischen Interaktionen und kumulativen Toxizitäten einiger Substanzen ausführlicher.
Abb. 5 Behandlung von Menschen mit HIV und Tuberkulose oder latenter Tuberkuloseinfektion: Zusammenfassung der (Un-)Bedenklichkeiten für die gemeinsame Anwendung von HIV-Medikamenten und First-Line-Anti-Tuberkulosemedikamenten (modifiziert aus: NICE Guidelines 2016 [250 ]).
Tab. 14
Pharmakologische Erwägungen für die Behandlung von Patienten mit HIV-Infektion, die gegen aktive oder latente Tuberkulose behandelt werden – auf Basis von Informationen des British National Formulary (BNF) und der Empfehlungen der CDC [5 ]. Zusammenfassung von relevanten Produkteigenschaften der Medikamente für die Behandlung der HIV-Infektion.
Medikament
Pharmakologische Probleme
Vorgeschlagene Maßnahme
Entry-Inhibitoren
Enfuvirtid
keine bedeutenden Probleme bekannt
Integrase-Hemmer/Inhibitoren
Dolutegravir
UGT 1A1-Stoffwechsel: Verabreichung mit UGT 1A1-Induktoren reduziert die Plasmaspiegel von Dolutegravir.
Koadministration mit UGT 1A1-Induktoren sollte mit Vorsicht geschehen.
Rifampicin: Bei Koadministration mit Rifampicin doppelte Dosis von Dolutegravir, wenn keine Resistenz innerhalb der Klasse der Integrase-Inhibitoren vorliegt. Koadministration bei einer Resistenz gegenüber einer Substanz in der Klasse der Integrase-Inhibitoren nicht empfohlen. Cave: bisher wenig Evidenz für antivirale Wirksamkeit von Dolutegravir in Kombination mit Rifampicin
Rifabutin: keine Dosisanpassung notwendig
Elvitegravir
CYP3A4-Stoffwechsel: Koadministration mit CYP3A4-Induktoren kann Elvitegravir-Plasmakonzentrationen signifikant senken und Konzentrationen von CYP3A4-Induktoren erhöhen.
Rifampicin: Koadministration nicht empfohlen.
Rifabutin: Koadministration nicht empfohlen. Sollte eine Kombination notwendig sein, dann sollte die Rifabutin-Dosis reduziert werden und auf das Auftreten von Rifabutin-assoziierten UAWs einschließlich Arthralgie, erhöhter Leberenzyme, Neutropenie und Uveitis sowie auf die Entwicklung einer Rifabutin-Resistenz oder eines Therapieversagens geachtet werden.
Raltegravir
UGT 1A1-Stoffwechsel: Koadministration mit UGT 1A1-Induktoren reduziert die Plasmaspiegel von Raltegravir; der Effekt auf die Wirkung von Raltegravir ist nicht bekannt.
Koadministration mit UGT 1A1-Induktoren sollte mit Vorsicht geschehen.
Rifampicin: Bei Koadministration mit Rifampicin doppelte Dosis von Raltegravir, wenn keine Resistenz innerhalb der Klasse der Integrase-Inhibitoren vorliegt. Koadministration bei einer Resistenz gegenüber einer Substanz in der Klasse der Integrase-Inhibitoren nicht empfohlen. Cave: bisher wenig Evidenz für antivirale Wirksamkeit von Raltegravir in Kombination mit Rifampicin
Rifabutin: keine Dosisanpassung notwendig
NRTI – Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer/-Inhibitoren
Abacavir
UGT 1A1-Stoffwechsel: Koadministration mit UGT 1A1-Induktoren reduziert die Plasmaspiegel von Abacavir.
Rifampicin: Bei Koadministration von Abacavir mit UGT 1A1-Induktoren ist die virologische Wirksamkeit von Abacavir unklar, dennoch kann die Standard-Dosis eingesetzt werden. Monitoring empfohlen.
Rifabutin: Koadministration von Abacavir mit UGT 1A1-Induktoren sollte mit Vorsicht geschehen. Vermutlich geringere Senkung der Abacavir-Plasmaspiegel bei Koadministration mit Rifabutin im Vergleich zu Rifampicin, folglich kann die Standard-Dosis eingesetzt werden.
Didanosin
Risiko einer peripheren Neuropathie
Isoniazid: Koadministration nicht empfohlen
Emtricitabin
keine wesentlichen Probleme bekannt
Lamivudin
keine wesentlichen Probleme bekannt
Stavudin
Risiko einer peripheren Neuropathie
Isoniazid: Koadministration nicht empfohlen
Tenofovir
Risiko eines Nierenversagens
Streptomycin: Koadministration nicht empfohlen
Zidovudin
keine wesentlichen Probleme bekannt
NNRTI – Nicht-Nukleosidische Reverse-Transkriptase-Hemmer/-Inhibitoren
Efavirenz
CYP3A4 Stoffwechsel: Koadministration mit CYP3A4-Induktoren kann möglicherweise die Efavirenz- oder CYP3A4-Induktor-Konzentration im Plasma signifikant senken.
Rifampicin: Die Standard-Dosis von Efavirenz (600 mg/d) kann beibehalten werden; Anpassung der Rifampicin-Dosis nicht erforderlich (CDC). Cave: Rifampicin reduziert die Efavirenz-Serumspiegel; Therapieversagen wurde bei einigen Patienten berichtet. Monitoring der virologischen Wirksamkeit empfohlen, wenn möglich therapeutisches Drug Monitoring (TDM).
Rifabutin: Efavirenz sollte möglichst nicht in Kombination mit Rifabutin (RFB) eingesetzt werden. Da Efavirenz ebenfalls ein CYP3A4-Induktor ist, müsste die RFB-Dosis auf 600 mg/d erhöht werden, damit keine subtherapeutischen RFB-Spiegel entstehen. Cave: Versagen der Tuberkulosetherapie und Resistenzbildung möglich!
Etravirin
CYP3A4-Stoffwechsel: Koadministration mit CYP3A4-Induktoren kann möglicherweise die Etravirin-Plasmakonzentrationen signifikant senken. Erforderliche Zusatzbehandlung: soll in Kombination mit einem geboosterten Protease-Hemmer angewendet werden.
Rifampicin: Rifampicin ist kontraindiziert in einer Kombination mit geboosterten Proteaseinhibitoren.
Rifabutin: Kombination nur bedingt empfohlen! Eine initiale Dosierungsanpassung beider Medikamente ist nicht erforderlich, aber Monitoring der virologischen Wirksamkeit von Etravirin sowie engmaschige Kontrolle des Ansprechens der Tuberkulosetherapie empfohlen. Wenn möglich therapeutisches Drug Monitoring (TDM)
Nevirapin
CYP3A4-Stoffwechsel: Koadministration mit CYP3A4-Induktoren kann möglicherweise die Nevirapin-Plasmakonzentrationen signifikant senken.
Rifampicin: Nevirapin induziert seinen eigenen Metabolismus über CYP3A44, und entsprechend reduziert eine zeitgleiche Gabe von RMP die Nevirapin-Spiegel im Serum. Nevirapin sollte von Beginn an mit 400 mg/d verabreicht werden (ohne die übliche „Einschleichphase“ mit 200 mg/d!). Cave: subtherapeutische Konzentrationen von Nevirapin unter Einbuße der antiviralen Wirksamkeit möglich!
Rifabutin: Rifabutin und Nevirapin können ohne Dosierungsanpassung gemeinsam verabreicht werden. Cave: Steigerung der Rifabutin-Spiegel und höheres Risiko für Rifabutin-Toxizität.
Rilpivirin
CYP3A4-Stoffwechsel: Koadministration mit CYP3A4-Induktoren könnte zu einer signifikanten Absenkung der Rilpivirin-Plasmakonzentrationen führen.
Koadministration mit Rifampicin oder Rifabutin nicht empfohlen
PI – Protease-Hemmer/-Inhibitoren (PIs)
Atazanavir, Darunavir, Fosamprenavir, Indinavir, Lopinavir/Ritonavir, Ritonavir, Saquinavir, Tipranavir
CYP3A4-Stoffwechsel: Koadministration mit Rifampicin, einem CYP3A4-Induktor, kann die Plasmakonzentration von Protease-Inhibitoren signifikant senken. Da Rifabutin ebenfalls ein Substrat des CYP3A4-Enzyms ist, kann eine Koadministration mit Protease-Inhibitoren zu erhöhten Rifabutin-Plasmakonzentrationen führen.
Rifampicin: Eine Koadministration mit Protease-Inhibitoren wird grundsätzlich nicht empfohlen. Wenn unvermeidbar ist die Kombination von Rifampicin und Lopinavir/Ritonavir eine Option. Die Dosis von Lopinavir/Ritonavir muss in diesem Fall auf 800 mg/200 mg 2-mal täglich für einen Zeitraum von zwei Wochen erhöht werden, danach kann mit der Standarddosis 400 mg/100 mg 2-mal täglich weiterbehandelt werden. Cave: Hepatotoxizität
Rifabutin: bei Koadministration mit Atazanavir, Darunavir, Fosamprenavir, Lopinavir/Ritonavir
Dosierungsanpassung: Reduzierung der Rifabutin-Dosis auf 150 mg Cave: erhöhtes Risiko für Rifabutin-assoziierte UAWs, einschließlich Arthralgie, erhöhte Leberenzyme, Uveitis und Leukopenie. Monitoring des Ansprechens der Tuberkulosetherapie empfohlen. Cave: Therapieadhärenz wichtig. Bei Auslassen der Protease-Inhibitor-Einnahme kommt es zu subtherapeutischen RFB-Plasmakonzentrationen und die Entstehung von RFB-Resistenzen ist möglich. Für den Protease-Inhibitor ist keine Dosierungsanpassung erforderlich.
Indinavir, Ritonavir, Tipranavir und nicht-geboostertes Saquinavir sollten nicht mit Rifabutin verwendet werden. Für geboostertes Saquinavir muss die Rifabutindosis reduziert werden und es gelten die genannten Vorsichtsmaßnahmen.
Andere
Maraviroc
CYP3A4-Stoffwechsel: Koadministration mit CYP3A4-Induktoren können die Maraviroc-Plasmakonzentrationen signifikant senken. CYP3A4-Stoffwechsel: Wenn Rifabutin mit Protease-Inhibitoren kombiniert wird, die potente CYP3A44-Hemmer sind, wird in der Bilanz der Verstoffwechselung dieser Substanzen ein hemmender Effekt für den Maraviroc-Metabolismus erwartet.
Rifampicin: Erhöhung der Maraviroc-Dosis
Rifabutin + Protease-Hemmer: Senkung der Maraviroc-Dosis
Cobicistat
Cobicistat ist ein potenter Inhibitor von Cytochrome P450 3A-Enzymen, die den Subtyp CYP3A44 einschließen. Es inhibiert auch intestinale Transportproteine und gewährleistet so eine bessere Absorption von verschiedenen antiretroviralen Medikamenten wie Atazanavir, Darunavir und Tenofovir.
Koadministration mit Rifampicin oder Rifabutin nicht empfohlen
Kombinationspräparate Single-Tablet Regimen (STR)
Siehe unter den Einzelsubstanzen:
Atripla: Efavirenz/Emtricitabin/Tenofovir-Disoproxil
Eviplera: Tenofovir-Disoproxil/Emtricitabin/Rilpivirin
Genvoya: Elvitegravir/Cobicistat/Emtricitabin/Tenofovir-Alafenamid
Odefsey: Emtricitabin/Tenofovir-Alafenamid/Rilpivirin
Stribild: Elvitegravir/Cobicistat/Emtricitabin/Tenofovir-Disoproxil
Triumeq: Dolutegravir/ Abacavir/Lamivudin
Eine Wechselwirkung mit Rifamycinen ist zu erwarten. Hinsichtlich der hier angeführten Kombinationspräparate gibt es keine ausreichenden Erfahrungen für die Ko-Administration mit Rifamycinen.
Rifampicin: Sollte ein Kombinationspräparat gewählt werden, so scheint unter Beachtung der Hinweise bei den jeweiligen Einzelsubstanzen der Einsatz von Atripla oder Triumeq möglich. Triumeq sollte in Kombination mit Rifampicin durch eine zusätzliche Standard-Dosis Dolutegravir ergänzt werden.
Rifabutin: sollte nicht mit Atripla verabreicht werden (siehe Efavirenz). Die Kombination mit Triumeq scheint unter Beachtung der Hinweise bei den jeweiligen Einzelsubstanzen möglich. Eine zusätzliche Dosis Dolutegravir ist in dem Fall nicht notwendig.
Zeitgleiche Verabreichung von antiretroviraler Therapie und Rifamycinen
Die Interaktion von Rifamycinen und antiretroviralen Medikamenten ist eine der großen Herausforderungen in der Therapie von HIV-TB-Koinfizierten.
Rifamycine induzieren:
Enzyme der Cytochrom P450 (CYP) Familie, die zahlreiche Substanzen metabolisieren
Transportermoleküle wie das P-Glycoprotein [251 ]
Die gemeinsame Verabreichung von Rifamycinen und Medikamenten, die durch diese Komplexe metabolisiert oder transportiert werden, kann zu einer herabgesetzten Verfügbarkeit und/oder Wirksamkeit der Medikamente führen [252 ].
Bei den antiretroviralen Medikamenten ist die Stoffklasse der Protease-Inhibitoren (PIs) besonders betroffen. HIV-Protease-Inhibitoren werden in der Leber über CYP3A4 metabolisiert. Die gleichzeitige Verabreichung von Protease-Inhibitoren und Rifampicin verursacht eine bis zu 80 %-tige Reduktion des Serumspiegels des Protease-Inhibitors, die zulasten des therapeutischen Effektes geht und eine Gefahr für die Entstehung von HIV-Resistenzen darstellt. Rifampicin führt auch zu einer schnelleren Metabolisierung von Nichtnukleosidischen-Reverse-Transkriptase-Hemmern (NNRTI s), Integrase Strangtransfer-Inhibitoren (INSTI s) und CCR-5-Inhibitoren
[251 ].
Die INSTI s haben aktuell ihre Position in der Erstlinientherapie für die HIV-Infektion in den USA und Europa behauptet. Ihre Hauptvertreter, Raltegravir und Dolutegravir, unterliegen einem durch die Uridin-5’-diphospho (UDP) -glucuronosyltransferase 1A1 katalysierten Metabolismus und die zeitgleiche Verabreichung von RMP führt zu einer signifikanten Reduktion der Talspiegel dieser INSTIs [253 ]
[254 ]
[255 ].
Die Kombination von RMP und Raltegravir 400 mg/d führt zu einer Talspiegelreduktion von 30 – 60 %, dennoch zeigte die REFLATE TB Studie eine ähnliche antivirale Wirksamkeit für RMP/Raltegravir 400 mg/d verglichen mit RMP/Raltegravir 800 mg/d. Beide Dosierungen zeigten eine etwas bessere antivirale Wirksamkeit als RMP/Efavirenz 600 mg/d [256 ]. Eine Expertenempfehlung basierend auf Studien aus den USA favorisiert dennoch die höhere Dosierung von Raltegravir mit 800 mg/d in Kombination mit RMP. Die Autoren dieser Leitlinie schließen sich dieser Empfehlung an [5 ]
[254 ]
[256 ].
Basierend auf pharmakokinetischen Studien für Dolutegravir werden bei einer Dosierung von 2 × 50 mg/d in Kombination mit RMP ausreichende Talspiegel erreicht [255 ]. Klinische Studien hinsichtlich der antiviralen Wirksamkeit von Dolutegravir in Kombination mit RMP werden durchgeführt.
Efavirenz (NNRTI) ist eine Substanz, für deren Verwendung als Kombinationspartner in Erstlinien-Regimen zur Behandlung einer HIV-Infektion jahrzehntelange Erfahrungen bestehen. Entsprechend solide sind auch die Erfahrungen mit Efavirenz im Einsatz für die Therapie der HIV-TB-Koinfektion. Die zeitgleiche Verabreichung von Kombinationsregimen gegen Tuberkulose, die Rifampicin enthalten, führt zu einer Absenkung der Efavirenz-Talspiegel, ohne dass die antivirale Wirksamkeit beeinträchtigt würde [257 ]
[258 ]. Es gilt jedoch zu beachten, dass INH als ein Inhibitor eines alternativen, sekundären CYP-Reaktionsweges ebenfalls in den Metabolismus von Efavirenz involviert ist. Für einige Patienten wurde ein distinkter genetischer Polymorphismus beschrieben, der mit einer verzögerten Ausscheidung von Efavirenz assoziiert ist. Die Verabreichung von RMP und INH kann demnach bei diesen Patienten zu supratherapeutischen Spiegeln von Efavirenz führen. Dies muss mit Hinblick auf Efavirenz-typische unerwünschte Arzneimittelwirkungen beachtet werden (siehe Fachinformation). Entsprechend der CDC-Empfehlungen und nach den Erkenntnissen aus der STRIDE-Studie soll Efavirenz auch in Kombination mit RMP und INH in der Standarddosierung von 600 mg/d gegeben werden [257 ]
[259 ].
Nevirapin (NNRTI) als Alternative zu Efavirenz oder Protease-Inhibitoren in der Kombinationstherapie von HIV-TB-Koinfizierten ist ebenfalls in Studien hinsichtlich pharmakokinetischer Wechselwirkungen untersucht worden [260 ]. Nevirapin induziert seinen eigenen Metabolismus über CYP3A4, und entsprechend reduziert eine zeitgleiche Gabe von RMP die Nevirapinspiegel im Serum. Aufgrund der Autoinduktion wird Nevirapin in den ersten 2 Wochen der Verabreichung mit 200 mg/d dosiert, bevor die Dosierung auf 400 mg/d erhöht wird. Bei einer zeitgleichen Gabe von Nevirapin und Rifampicin soll auf die „Einschleichphase“ verzichtet werden und die Therapie mit Nevirapin von Beginn an mit 400 mg/d verabreicht werden. Die Empfehlung dieses Vorgehens basiert auf der Tatsache, dass bei einer Dosierung von nur 200 mg/d subtherapeutische Konzentrationen von Nevirapin unter Einbußen der antiviralen Wirksamkeit festgestellt wurden [261 ]
[262 ]
[263 ].
Rifabutin als Alternative zu Rifampicin Rifabutin (RFB) ist deutlich weniger potent hinsichtlich der Induktion von CYP-Isoenzymen, was seine Anwendung für die Therapie von HIV-TB-Koinfizierten in Kombination mit ART nahelegt. Allerdings wird RFB selbst durch CYP3A4-Enzyme metabolisiert, und Ritonavir in seiner Eigenschaft als Booster für den Protease-Inhibitor-Spiegel hemmt CYP3A4-Enzyme mit der Folge, dass die Konzentration von RFB im Serum steigt. Entsprechend ist das Risiko für RFB-assoziierte toxische unerwünschte Arzneimittelwirkungen erhöht. Eine Dosisanpassung soll für alle Protease-Inhibitoren gleichermaßen auf die Hälfte der Standarddosierung von 300 mg/d auf 150 mg/d erfolgen, wenn RFB mit Protease-Inhibitoren eingesetzt wird. Dabei wird mit 150 mg/d eine gute antibakterielle Wirksamkeit ohne eine erhöhte Ausbildung von RFB Resistenzen erreicht [249 ]
[264 ]. Die gemeinsame Verabreichung von Rifabutin in angepasster Dosierung (150 mg) und ART erfordert eine besonders strikte Therapieadhärenz der betroffenen Patienten, da bei unregelmäßiger Einnahme des Protease-Inhibitors subtherapeutische Spiegel von RFB unvermeidlich sind.
Da Efavirenz ebenfalls ein CYP3A4-Induktor ist, müsste die RFB-Dosis auf 600 mg/d erhöht werden, damit für RFB keine subtherapeutischen Spiegel entstehen. Efavirenz sollte möglichst nicht in Kombination mit RFB eingesetzt werden.
Wenn Rifabutin nicht verfügbar ist, und die Behandlung mit einem Protease-Inhibitor bei einem Patienten notwendig ist – z. B. im Falle von Resistenzen gegen INSTIs oder NNRTIs – ist die Kombination von RMP und Lopinavir/Ritonavir eine Option. Die Dosis von Lopinavir/Ritonavir muss in diesem Fall auf 800 mg/200 mg 2-mal täglich für einen Zeitraum von zwei Wochen erhöht werden (Cave: Hepatotoxizität), danach kann mit der Standarddosis 400 mg/100 mg 2-mal täglich weiterbehandelt werden [249 ]
[265 ].
6.5 Therapiedauer bei HIV-TB-Koinfektion
Es gibt wenig Belege für eine starke Empfehlung hinsichtlich der Dauer der Tuberkulosetherapie bei HIV-infizierten Patienten, da die meisten Studien zur Therapiedauer bei HIV-TB-Koinfektion in der Ära vor Einführung der aktuellen antiretroviralen Kombinationstherapien durchgeführt wurden. Im Falle einer pulmonalen Tuberkulose ist das derzeit am meisten verwendete Therapieregime das Standardregime mit INH, RMP, PZA und EMB für zwei Monate gefolgt von einer viermonatigen Phase mit INH und RMP (siehe Kapitel 1, S. 328) [265 ]. Hinsichtlich der Therapiedauer für HIV-TB-Koinfizierte unter ART ist basierend auf der TB-HAART-Studie davon auszugehen, dass bei Patienten mit CD4 + T-Zellen > 220 /µl eine Therapiedauer von 6 Monaten mit dem Standardregime zu vergleichbaren Heilungsraten wie bei HIV-negativen Personen führt [232 ].
Alle Patienten mit HIV-TB-Koinfektion sollen zusätzlich zur Tuberkulosetherapie eine ART erhalten, der Zeitpunkt für den Therapiestart für die ART ist abhängig vom Immunstatus des Patienten und anderen klinischen Kriterien (siehe Kapitel 6.2, S. 366).
Alle Patienten unter ART mit pulmonaler Tuberkulose ohne Medikamentenresistenzen sollten eine Tuberkulosetherapie mit der Standardtherapie für 6 Monate erhalten.
Bei Kriterien für ein besonders hohes Rückfallrisiko, z. B. extrapulmonale Tuberkulose (insbesondere ZNS- und/oder Knochen- und Gelenkmanifestationen) sollte wie auch bei HIV-negativen Patienten mit Tuberkulose eine Verlängerung der Kontinuitätsphase auf eine Gesamttherapiedauer von 9 – 12 Monaten erwogen werden [266 ].
Bei Patienten, die keine ART erhalten, kann die Therapiedauer auf 9 Monate verlängert werden (2 Monate Intensivphase, 7 Monate Kontinuitätsphase) [267 ].
Bei Patienten unter ART mit schlechtem immunologischen Ansprechen (CD4 + T-Zellen < 100 /µl) nach sechs Monaten ART sollte eine längere Therapiedauer (9 – 12 Monate) in Abhängigkeit vom klinischen Ansprechen der Tuberkulosetherapie erwogen werden [268 ].
7 Therapeutisches Medikamentenmanagement
7 Therapeutisches Medikamentenmanagement
Die in der Tuberkulosetherapie verwendeten Medikamente können zu medikamentösen Wechselwirkungen untereinander und mit anderen Medikamenten sowie zu unerwünschten Arzneimittelwirkungen (UAWs) führen. Vor der Einleitung einer medikamentösen Therapie sollten möglicherweise auftretende Wechselwirkungen und zu erwartende UAWs in die Therapieplanung einbezogen werden. Neben der Kenntnis und dem Monitoring unerwünschter Arzneimittelwirkungen sind die pharmakologische Spiegelbestimmung und das Management medikamentöser Wechselwirkungen (z. B. durch internetbasierte Analyse zu erwartender Wechselwirkungen: http://www.hiv-druginteractions.org/checker ; https://www.drugs.com/drug_interactions.html ) wichtige Instrumente des Medikamentenmanagements.
7.1 Therapeutisches Drug-Monitoring (TDM)/Bestimmung der Serumspiegel von Tuberkulosemedikamenten
Die Serumspiegel der Tuberkulosemedikamente variieren erheblich von Patient zu Patient und können Einfluss auf den Therapieerfolg und die Entwicklung von Medikamentenresistenzen haben [269 ]
[270 ]
[271 ].
Beeinflusst werden die Serumspiegel unter anderem
vom Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme im Verhältnis zur Einnahme der Medikamente,
von der Einnahme weiterer Medikamente,
von Begleiterkrankungen (z. B. HIV, Diabetes)
und von individuellen Besonderheiten, die Auswirkungen auf die Pharmakokinetik haben.
Auch die Eigenschaften der Medikamente selbst können Einfluss auf die Variabilität haben, so können die Serumspiegel von Rifampicin durch Autoinduktion im Verlauf der Therapie um bis zu 40 % sinken [272 ].
Da die zu erwartenden pharmakologischen Spiegel schwer vorherzusagen sind, kann die Bestimmung der Serumkonzentrationen helfen, Unter- und Überdosierungen zu erkennen, um die Medikation anzupassen.
Die Leitliniengruppe empfiehlt, dass eine Spiegelbestimmung vor allem
bei fraglicher Adhärenz,
nach 2 – 3 Monaten Therapie bei Verdacht auf Therapieversagen,
bei der Behandlung multiresistenter Tuberkulose,
bei HIV-TB-Koinfektion,
bei Risiken für Aufnahmestörungen oder medikamentöse Interaktionen (z. B. Niereninsuffizienz, Dialysepatienten, Peritonealdialysepatienten, kritisch kranken Patienten oder bei Diabetes mellitus) [5 ]
und bei erhöhtem Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen (z. B. Hepatotoxizität) [273 ]
in Erwägung gezogen werden sollte.
Die Datenlage zur Überwachung der therapeutischen Medikamentenspiegel ist aktuell noch nicht ausreichend für eine starke Empfehlung. Wegen des Potenzials zur Verbesserung des Therapieerfolges und zur Vermeidung von Medikamentenresistenzen wird die Anwendung bei den oben erwähnten Konstellationen dennoch empfohlen.
Die Proben sollten so bald wie möglich nach der Blutentnahme zentrifugiert und eingefroren werden. Insbesondere gilt dies für die Testung der Medikamente Isoniazid und Ethionamid, die unter Raumtemperatur im Vollblut oder Serum nur kurz stabil bleiben. Auch Tests aus Vollblut auf getrocknetem Filterpapier sind möglich und bieten eine kostengünstige Alternative mit logistischen Vorteilen [273 ]. Die genauen Modalitäten müssen vor Bestimmung der Serumkonzentrationen mit einem sachkundigen Experten des jeweiligen Labors vor Ort abgestimmt werden. Die Labors sollten ihre Methodik internen und wenn möglich auch externen Qualitätskontrollen unterziehen [274 ].
Die beste Vorhersage der Wirksamkeit scheint über die AUC0 – 24 /MHK und Cmax /MHK möglich [271 ]. Aus den vorhandenen Daten kann geschlossen werden, dass die Wirksamkeit der Medikamente der Standardtherapie und von Moxifloxacin besser durch die Bestimmung der AUC0 – 24 /MHK vorhergesagt werden kann. Eine Übersicht über die relevanten pharmakologischen Indizes liefert [Tab. 15 ].
Tab. 15
Medikamente zur Behandlung der Tuberkulose gruppiert nach alter WHO-Klassifikation mit maximalen Serumkonzentrationen (Cmax) und einer Auswahl von pharmakokinetischen/pharmakodynamischen (PK/PD) Indizes zur Abschätzung der Wirksamkeit [15 ]
[196 ].
Wirkstoff
Cmax
PK/PD
Gruppe I
Isoniazid
3 – 6 mg/L
AUC0 – 24 /MHK
Rifampicin
8 – 24 mg/L
AUC0 – 24 /MHK
Ethambutol
3 – 5 mg/L
AUC0 – 24 /MHK
Pyrazinamid
40 – 50 mg/L
AUC0 – 24 /MHK
Gruppe II
Amikacin
30 – 40 mg/L
Cmax/MHK
Capreomycin
30 – 40 mg/L
Cmax/MHK
Kanamycin
30 – 40 mg/L
Cmax/MHK
Gruppe III
Levofloxacin
10 – 20 mg/L
AUC0 – 24 /MHK
Moxifloxacin
3 – 5 mg/L
AUC0 – 24 /MHK
Gruppe IV
PAS i. v./oral
400/20 – 60 mg/L
k. A.
Protionamid/Ethionamid
2 mg/L
k. A.
Terizidon/Cycloserin
20 – 30 mg/L
k. A.
Gruppe V
Amoxicillin/Clavulansäure
15 – 25 mg/L
T > MHK
Clarithromycin
2 – 4 mg/L
AUC0 – 24 /MHK
Clofazimin
0,7 – 1 mg/L
k. A.
Imipenem
30 – 40 mg/L
T > MHK
Meropenem
20 – 25 mg/L
T > MHK
Linezolid
15 – 20 mg/L
AUC0 – 24 /MHK
T > MHK
INH (Hochdosis)
9 – 15 mg/L
AUC0 – 24 /MHK
k. A. – keine Angabe Cmax – maximale Serumkonzentration PK – Pharmakokinetik PD – Pharmakodynamik AUC – Area Under the Curve MHK – Minimale Hemmkonzentration T – Zeit
Um die AUC0 – 24 ermitteln zu können, müssen mehrzeitige Messungen der Serumkonzentration eines Medikamentes erfolgen. Die optimalen Messzeitpunkte können sich von Medikament zu Medikament unterscheiden. Anstelle dieser sehr aufwändigen Methode kann eine sogenannte „limited sampling“ Strategie mit weniger Messungen eine Annäherung an die tatsächliche AUC liefern [275 ].
Da eine Verzögerung der Cmax beispielsweise durch Aufnahmestörungen möglich ist, sind auch zur Bestimmung der Cmax Mehrfachanalysen notwendig. Die Zeitpunkte zur Bestimmung der Cmax sind ebenfalls medikamentenspezifisch. Simultane Bestimmungen mehrerer Medikamente können dabei sinnvoll sein.
Bei der Anpassung der Medikamentenspiegel sollte immer auch die MHK des zu behandelnden Bakterienstammes beachtet werden, um unnötige Dosisanpassungen zu vermeiden. 1 – 2 Wochen nach Dosisanpassung sollte der Effekt durch eine erneute Spiegelbestimmung des Medikamentes überprüft werden. Wird kein ausreichender Medikamentenspiegel erreicht, so kann durch Umstellung von oraler auf intravenöse Medikamentengabe versucht werden, diesen zu erreichen [273 ].
steht für „area under the concentration-time curve“ und bezeichnet die Fläche unter der Konzentrations-Zeit-Kurve des Medikaments im Blut. Sie ist die Größe, durch welche die Bioverfügbarkeit eines Medikaments ausgedrückt wird.
bezeichnet den Zeitraum während 24 Stunden, in dem sich die Konzentrations-Zeit-Kurve des Medikaments im Blut über der Minimalen Hemmkonzentration (MHK) befindet.
Unter Cmax versteht man die maximale Plasmakonzentration, die ein Medikament im Plasma erreicht.
bezeichnet die Spanne zwischen der maximalen Plasmakonzentration und der Minimalen Hemmkonzentration.
8 Arzneimittel zur Behandlung der Tuberkulose[* ]
[# ]
8 Arzneimittel zur Behandlung der Tuberkulose[* ]
[# ]
Die niedrigste Konzentration einer Prüfsubstanz im Kulturmedium, bei der das Wachstum von Tuberkulosebakterien Resistenz gegen das entsprechende Chemotherapeutikum anzeigt [102 ].
Geringste Medikamentenkonzentration, bei der aus mikrobiologischer, aber auch aus klinischer und pharmakologischer (Pharmakokinetik und Pharmakodynamik) Sicht eine Hemmung des Bakterienwachstums in vivo zu erwarten ist. Dieser komplexere Grenzwert wird in interdisziplinären Prozessen vor allem auf Initiative des European Committee on Antimicrobial Susceptibility Testing (EUCAST) erarbeitet. Eine Einigung auf klinische MHK Breakpoints bei M. tuberculosis für Tuberkulosemedikamente ist aufgrund der existierenden Datenlage schwierig und bei den meisten Medikamenten noch nicht erfolgt. Für wenige bei der Tuberkulosetherapie eingesetzte Antibiotika der Nicht-Standardtherapie gibt es Breakpoint-Empfehlungen, die nicht auf bestimmte Bakterien-Spezies bezogen sind (non-species related breakpoints).
Minimale Hemmkonzentration
Die niedrigste Konzentration eines Antibiotikums, die noch in der Lage ist, das Wachstum der Bakterien vollständig zu hemmen.
Die Pharmakokinetik beschreibt die Konzentrationsveränderungen von Arzneistoffen im Organismus in Abhängigkeit von der Zeit. Als Resorption bezeichnet man die Aufnahme des Stoffes in den Organismus, unter Verteilung versteht man den Stofftransport vom Blut in die Gewebe. Das Pharmakon kann im Plasma und im Gewebe gebunden oder gespeichert werden. Schließlich kommt es durch Biotransformation und Exkretion, zusammen als Elimination bezeichnet, zur Konzentrationsabnahme des Wirkstoffes.
Unter dem Begriff Pharmakodynamik werden die Wirkungen von Arzneistoffen und ihre Wirkungsmechanismen zusammengefasst. Die Stoffe können sowohl auf den menschlichen Organismus als auch auf Krankheitserreger wirken.
Die pharmakologischen Indizes T > MHK, Cmax > MHK, AUC0 – 24 /MHK werden angewandt, um den Therapieerfolg mit einer antimikrobiell wirksamen Substanz abzuschätzen ([Tab. 15 ], S. 375). Sie stellen jeweils eine Kombination aus einem pharmakokinetischen Parameter und der minimalen Hemmkonzentration dar. Die Zuordnung eines Index zu einem Wirkstoff ist nicht immer eindeutig, da es Mischformen gibt und die Datenbasis für die einzelnen Wirkstoffe sehr unterschiedlich ist.
Schwangerschaft und Stillzeit
Alle Medikamente, die in der Therapie der Tuberkulose verwendet werden, gehen in unterschiedlichem Maße auf den fetalen Kreislauf und in die Muttermilch über. Für die Medikamente der Standardtherapie Isoniazid, Rifampicin, Pyrazinamid und Ethambutol existieren ausreichende Daten, um sie auch während der Schwangerschaft und Stillzeit als sicher zu bewerten [146 ]. Die Indikation sollte jedoch sorgfältig geprüft werden. Eine Erkrankung muss behandelt werden, da sie ein Risiko für Mutter und Kind darstellt. Eine präventive Therapie kann nach sorgfältiger Abwägung von Risiko und Nutzen erfolgen. Isoniazid sollte in der Schwangerschaft immer durch Vitamin B6 (Pyridoxin) ergänzt werden. Die Kontraindikationen bei vielen Medikamenten der Nicht-Standardtherapie beruhen eher auf theoretischen Überlegungen und sind in der Regel nicht durch umfangreiche klinische Erfahrungen abgesichert. Da eine Tuberkuloseerkrankung das Leben von Mutter und Kind gefährden kann, wird die Risiko-Nutzen-Abwägung in der Regel zugunsten einer Therapie ausfallen.
In den Informationen für Fachkreise sind meist auch kurze Zusammenfassungen der tierexperimentellen Daten verfügbar. Praxisrelevante Informationen zur Sicherheit der Anwendung und zu möglichen Risiken sind über die Internetseite www.embryotox.de verfügbar.
Medikamente in der Pädiatrie
Viele der in der Therapie der Tuberkulose verwendeten Antibiotika unterliegen im Kindesalter nicht nur besonderen Anforderungen an Dosierung und Zubereitung, sondern sind aufgrund altersabhängiger unerwünschter Arzneimittelwirkungen oder fehlender Studien für bestimmte Altersgruppen oder alle Kinder und Jugendlichen nicht zugelassen. Die Indikation einer „Off-Label“-Verordnung ist individuell zu prüfen und die Familien sind über diese sowie unerwünschte Arzneimittelwirkungen und Alternativen schriftlich aufzuklären und deren Einwilligung ist zu dokumentieren.
Als QT-Zeit bezeichnet man das Intervall im Elektrokardiogramm (EKG) vom Beginn der Q- bis zum Ende der T-Welle, das die Erregungsausbreitung und -rückbildung der Ventrikel darstellt. Da die Länge des Zeitintervalls von der Herzfrequenz abhängig ist, wird die QT-Zeit auf die Herzfrequenz korrigiert angegeben (QTc). Hierzu existieren verschiedene Formeln. Zur Einschätzung von unerwünschten Arzneimittelwirkungen wird in der Regel die Formel nach Fredericia (QTcF) verwendet, beim Linksschenkelblock nach Bogossian. Es sollte das jeweils längste Intervall aller beurteilbaren Ableitungen dokumentiert werden.
Eine verlängerte QT-Zeit wird mit Torsades de Point (TdP) und malignen Herzrhythmusstörungen in Verbindung gebracht. Ein stabiler Patient mit dokumentierten TdP sollte in erster Linie mit Magnesium i. v. behandelt werden, ein hämodynamisch instabiler Patient mit TdP muss sofort nicht-synchronisiert kardiovertiert werden. Kontraindikationen für die Gabe von QT-Zeit-verlängernden Medikamenten, wie beispielsweise das Long-QT-Syndrom, müssen streng beachtet werden. Medikamente, die die QT-Zeit verlängern, sollten nach Möglichkeit nicht kombiniert werden (siehe Fachinformationen, z. B. Makrolide, Clofazimin, Fluorchinolone, Delamanid oder Bedaquilin). Eine QT-Zeit-Verlängerung kann auch über die Dauer der Einnahme eines Medikamentes hinaus bestehen.
Bei einigen Medikamenten ist eine QT-Zeit-Verlängerung bereits kurz nach der Gabe messbar (z. B. Makrolide und Fluorchinolone). Bei anderen ist die QT-Verlängerung erst nach einer gewissen Therapiedauer voll ausgeprägt, weil mit ihnen bei Mehrfachdosierung ansteigende Konzentrationen erreicht werden (z. B. Bedaquilin und Delamanid).
Die WHO empfiehlt bei der Anwendung von Delamanid und Bedaquilin EKG-Kontrollen zumindest 2, 4, 8, 12 und 24 Wochen nach Therapiebeginn. Bei Anwendung anderer QT-Zeit-verlängernder Medikamente (z. B. Moxifloxacin, Clofazimin) werden zumindest monatliche EKG-Kontrollen empfohlen [11 ]. Es existieren keine validierten Daten zur Festlegung von EKG-Kontrollintervallen, daher verweist die Leitlinienguppe diesbezüglich auf die jeweiligen Herstellerangaben.
Die üblichen Grenzwerte sollten streng eingehalten werden. Eine QTc-Zeit von über 450 ms (Männer) bzw. 470 ms (Frauen) oder eine QT-Zeit-Verlängerung von 60 ms über den Ausgangswert gilt als verlängert und sollte zur Überprüfung der Medikation führen. Vor der nächsten zeitnahen Kontrolle sollten die Elektrolytkonzentrationen im Serum überprüft und korrigiert werden. Bei einer QTc-Zeit über 500 ms sollten alle QT-Zeit-verlängernden Medikamente sofort beendet werden. Die Indikation zur stationären telemetrischen Überwachung sollte vor allem bei Synkopen oder instabilen EKG-Veränderungen durch einen Kardiologen geprüft werden [276 ].
Amikacin (Am)
siehe Aminoglykoside
Kritische Konzentration: in MGIT 1,0 mg/l, auf LJ-Festmedium 30 mg/l
Resistenz: Wichtigstes Resistenz-vermittelndes Gen ist rrs . Kreuzresistenzen zwischen den Aminoglykosiden sind beschrieben.
Empfohlene Dosierung: 15 mg/kg Maximaldosis 1 × 1000 mg
Empfohlene pädiatrische Dosierung: 15 – 30 mg/kg in 1 ED, Maximaldosis 1 × 1000 mg [11 ]
[277 ].
Art der Anwendung: intravenös, intramuskulär
Aminoglykoside (AG)
siehe Streptomycin, Amikacin, Kanamycin
Systematik: Medikamente der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 2, WHO (2016): Gruppe B
Wirkmechanismus: bakterizid
Kritische Konzentration: siehe Einzelsubstanzen
Resistenz: siehe Einzelsubstanzen. Kreuzresistenzen zwischen den Einzelsubstanzen sind beschrieben.
Empfohlene Dosierung: siehe Einzelsubstanzen
Empfohlene pädiatrische Dosierung: siehe Einzelsubstanzen
Art der Anwendung: intravenös, intramuskulär
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Aminoglykoside sind hydrophile Stoffe und haben ein kleines Verteilungsvolumen, das ungefähr dem Extrazellulärraum entspricht. Die erreichbaren Gewebekonzentrationen sind relativ niedrig, ausreichende ZNS-Konzentrationen werden nur bei entzündeten Meningen erreicht.
Elimination: Die Elimination findet als unveränderte Substanz überwiegend renal statt, wo sie das 25 – 100-Fache der Serumkonzentration erreichen können.
Schwangerschaft und Stillzeit: kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit
Absolute Kontraindikationen*: Myasthenia gravis. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile
Wichtige Wechselwirkungen*: Die wichtigste Arzneimittelinteraktion betrifft die Oto- und Nephrotoxizität der Aminoglykoside. Die Gabe weiterer potenziell oto- oder nephrotoxischer Substanzen, z. B. andere Aminoglykoside, Makrolide, Amphotericin B, Vancomycin, Kanamycin, Polymyxin B, Colistin, Carboplatin (in hohen Dosierungen), Cisplatin, Oxaliplatin (besonders bei Patienten mit vorbestehender Niereninsuffizienz), Ciclosporin, Tacrolismus sowie schnell wirkender Diuretika (z. B. Furosemid) sollte nach Möglichkeit vermieden werden.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: toxische Schädigungen des VIII. Hirnnervs (bevorzugt der vestibulären Funktion) und die Induktion einer Niereninsuffizienz durch eine diffuse tubuläre Schädigung. Das Risiko für toxische Wirkungen nimmt vor allem mit der Zeitdauer der Therapie zu. Bekannte Risikofaktoren darüber hinaus sind ein höheres Lebensalter, eine vorbestehende Nierenfunktionseinschränkung oder eine vorbestehende Innenohrschädigung sowie die Gabe anderer toxischer Medikamente. Nephrotoxizität und vor allem Ototoxizität können irreversibel sein. Die Feststellung einer möglichen Ototoxizität erfolgt klinisch (Tinnitus, Hörverlust, evt. Schwindel) und durch ein Audiogramm. Letzteres erlaubt es, einen Hörschaden objektiv und quantitativ zu dokumentieren. Damit dies möglich ist, sollte das erste Audiogramm unbedingt vor Beginn der Therapie mit ototoxischen Medikamenten erfolgen.
Die früher übliche Angabe einer kumulativen Höchstdosis für die Gabe von Aminoglykosiden gilt heute nicht mehr absolut. Unter der Voraussetzung engmaschiger Kontrollen kann es notwendig sein, die Höchstdosis zum Beispiel bei der Therapie der multiresistenten Tuberkulose zu überschreiten. Bei unerwünschten Arzneimittelwirkungen muss die Therapie sofort beendet werden. Mehrere Studien weisen auf einen protektiven Effekt von N-Acetylcystein (ACC) bei gleichzeitiger Gabe mit Aminoglykosiden hin [278 ].
Wegen der nephro- und ototoxischen unerwünschten Arzneimittelwirkungen sollen engmaschige Kontrollen unter Therapie erfolgen, z. B. Kreatinin, Audiogramm. Die Bestimmung der Serumspiegel kann hilfreich sein, um erhöhte Toxizität durch Überdosierung zu vermeiden. Dabei haben vor allem die Talspiegel eine Bedeutung.
Aminopenicilline/β-Laktamase-Inhibitoren
siehe Amoxicillin/Clavulansäure
Amoxicillin/Clavulansäure (Amx/Clv)
Mykobakterien verfügen über potente β-Laktamasen, welche allerdings durch Clavulansäure gehemmt werden können [279 ]. Es gibt Hinweise, dass Amoxicillin in Kombination mit β-Laktamase-Inhibitoren gegen Mykobakterien wirksam ist [280 ], prospektive Studien existieren jedoch nicht.
Systematik: Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 5, WHO (2016): Gruppe D3
Wirkmechanismus: bakterizid
Kritische Konzentration: nicht etabliert
Empfohlene Dosierung: 875/125 mg zweimal täglich
Empfohlene pädiatrische Dosierung: < 45 kg 80 mg/kg in 2 ED basierend auf dem Amoxicillinanteil, Maximaldosis 4000/500 mg/Tag [11 ]
[277 ] (siehe Fachinformation).
Art der Anwendung: oral, intravenös
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: variable Bioverfügbarkeit der Clavulansäure, Amoxicillin wird gut resorbiert. Im Falle gastrointestinaler unerwünschter Arzneimittelwirkungen wird möglicherweise eine intravenöse Verabreichung besser toleriert.
Elimination: Amoxicillin wird hauptsächlich über die Nieren ausgeschieden, während Clavulansäure sowohl über renale als auch über nicht-renale Mechanismen ausgeschieden wird.
Schwangerschaft und Stillzeit: Kann in der Schwangerschaft und Stillzeit nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko angewendet werden. Weitere Informationen unter https://www.embryotox.de .
Absolute Kontraindikationen*: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige Wechselwirkungen*: Penicilline können die Ausscheidung von Methotrexat verringern; Dosisanpassungen bei oralen Antikoagulantien können notwendig werden; die gleichzeitige Anwendung von Probenecid kann erhöhte und länger anhaltende Blutspiegel von Amoxicillin (aber nicht von Clavulansäure) zur Folge haben und wird nicht empfohlen. Reduktion der Talspiegel von Mycophenolsäure.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: Exanthem, Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, pseudomembranöse Kolitis, cholestatischer Ikterus, Leberfunktionsstörungen.
Leberwerte kontrollieren.
Bedaquilin (Bdq)
Systematik: Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 5, WHO (2016): Gruppe D2
Wirkmechanismus: bakterizid
Kritische Konzentration: Minimale Hemmkonzentrationen in Studien < 0,12 mg/L (Agarmedium).
Klinischer MHK Breakpoint: 0,25 mg/l (EUCAST, siehe Merkkasten S. 376)
Empfohlene Dosierung: 400 mg täglich (Woche 1 – 2), 200 mg dreimal wöchentlich mit mindestens 48 Stunden Abstand zwischen den Dosen (Woche 3 – 24)
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : noch nicht festgelegt
Art der Anwendung: oral
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Die orale Bioverfügbarkeit ist gut, Einnahme mit Nahrung erhöht die Plasmaspiegel um das 2-Fache. Sehr lange Halbwertszeit von 172 h. Die reduzierte Dosierung nach 2 Wochen soll ausreichende Plasma- und Gewebekonzentrationen gewährleisten. Bedaquilin sollte 4 – 5 Monate vor der antituberkulösen Komedikation beendet werden, da ansonsten wegen des langsamen Abbaus der Wirkspiegel eine Monotherapie resultieren könnte [281 ]. Im Mausmodell gute Gewebepenetration und schlechte Liquorgängigkeit. Beim Menschen werden im Sputum mit den Serumspiegeln vergleichbare Konzentrationen gefunden. Daten zur Penetration in Knochen oder andere Gewebe existieren nicht [282 ].
Elimination: sehr langsam, überwiegend über den Stuhl
Schwangerschaft und Stillzeit: kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit
Absolute Kontraindikationen*: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile
Wichtige Wechselwirkungen*: Metabolisierung über Cytochrom P450 – 3A4 (CYP3A4), daher Reduktion des Serumspiegels um etwa die Hälfte bei gleichzeitiger Gabe von Rifamycinen [11 ]. Die gleichzeitige Gabe von moderaten bis starken Induktoren des CYP3A4 wie Efavirenz, Etravirin, Rifampicin, Rifapentin, Rifabutin, Carbamazepin, Phenytoin oder Johanniskraut (Hypericum perforatum) sollte vermieden werden. Eine gleichzeitige Behandlung über 14 Tage hinaus mit moderaten bis starken Inhibitoren des CYP3A4 wie zum Beispiel Erythromycin, Clarithromycin, Fluconazol und andere Azole oder Ritonavir und andere Protease-Inhibitoren sollte ebenfalls vermieden werden. Es sollte in jedem Fall eine Nutzen-Risiko-Bewertung der Komedikation erfolgen. Pharmakologische Spiegelbestimmungen können bei der Bewertung von Interaktionen helfen.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: Kopfschmerzen, Übelkeit und Gelenkschmerzen. Lebertoxizität, daher sollten die Leberwerte zumindest alle 4 Wochen kontrolliert werden. Bei einer Erhöhung der Leberwerte über das 5-Fache sollte die Therapie abgebrochen werden. QT-Zeit-Verlängerung, daher Kontrolle der Elektrolyte und des EKG. Bei gleichzeitiger Gabe von anderen QT-Zeit-verlängernden Medikamenten, insbesondere bei Kombination mit Delamanid, Fluorchinolonen, Clofazimin und Clarithromycin, ist eine besonders sorgfältige Überwachung von EKG-Veränderungen notwendig (Merkkasten QT-Zeit und Bedaquilin).
Es existieren wenig Studiendaten (siehe Merkkasten Bedaquilin). Die Anwendung ist auf Fälle mit fehlenden Therapiealternativen beschränkt und an eine intensive Anwendungsbeobachtung gebunden. QT-Zeit-Verlängerung vor allem in Kombination mit anderen QT-Zeit-verlängernden Medikamenten. Immer regelmäßige EKG-Kontrollen notwendig (Merkkasten QT-Zeit).
10 von 79 Patienten (13 %) unter Bedaquilin-Therapie verstarben im Vergleich zu 2 von 81 in der Plazebogruppe (2 %, p = 0,02) in einer Phase 2b-Studie [171 ]. Die Todesfälle traten ganz überwiegend erst nach Abschluss der Behandlung auf. Das beobachtete Ungleichgewicht der Todesfälle zwischen den Behandlungsgruppen ist unter Umständen nicht durch den neuen Wirkstoff verursacht, sondern eher zufällig aufgetreten. Die Rate von 2 % Todesfällen in der Plazebogruppe ist ungewöhnlich niedrig und liegt deutlich unter den Resultaten früherer Untersuchungen bei Patienten mit pulmonaler multiresistenter Tuberkulose. Bei den mit Bedaquilin behandelten Patienten traten 5 Tuberkulose-assoziierte Todesfälle bei Patienten ohne Sputumkonversion auf. Die Todesursachen bei den verbliebenen Patienten dieser Gruppe waren Alkoholintoxikation, Leberzirrhose, Peritonitis, ein zerebrovaskuläres Ereignis und ein Kraftfahrzeugunfall. Während der Studie gab es bei keinem der verstorbenen Patienten einen Hinweis auf eine zugrunde liegende signifikante QT-Zeit-Verlängerung oder klinisch signifikante Herzrhythmusstörungen.
Capreomycin (Cm)
siehe Polypeptide
Keine strukturelle Verwandtschaft zu Aminoglykosiden, aber ähnliches Wirkspektrum und ähnliches Spektrum an unerwünschten Arzneimittelwirkungen.
Systematik: Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 2, WHO (2016): Gruppe B
Wirkmechanismus: bakterizid.
Kritische Konzentration: in MGIT 2,5 mg/l, auf LJ-Festmedium 40 mg/l
Resistenz: Die wichtigsten Resistenz-vermittelnde Gene sind rrs und tly A. Kreuzresistenzen mit Aminoglykosiden sind beschrieben.
Empfohlene Dosierung: 15 mg/kg, Maximaldosis 1 × 1000 mg
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : Körpergewicht ≤ 40 kg: 15 – 30 mg/kg in 1 ED, > 40 kg: 15 mg/kg in 1 ED, Maximaldosis 1 × 1000 mg/Tag [11 ]
[277 ]
Art der Anwendung: intravenös, intramuskulär
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: diffundiert nur mäßig gut in Gewebe und Körperflüssigkeiten.
Elimination: Die Elimination findet als unveränderte Substanz überwiegend renal statt.
Schwangerschaft und Stillzeit: kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit
Absolute Kontraindikationen*: Myasthenia gravis, Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile
Wichtige Wechselwirkungen*: Die wichtigste Arzneimittelinteraktion betrifft die Oto- und Nephrotoxizität. Die Gabe weiterer potenziell oto- oder nephrotoxischer Substanzen, z. B. andere Aminoglykoside, Amphotericin B, Vancomycin, Kanamycin, Polymyxin B, Colistin, Carboplatin, Cisplatin, Oxaliplatin (besonders bei Patienten mit vorbestehender Niereninsuffizienz), Ciclosporin, Tacrolismus sowie schnell wirkender Diuretika (z. B. Furosemid) sollte nach Möglichkeit vermieden werden.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: Toxische Schädigungen des VIII. Hirnnerven (bevorzugt der vestibulären Funktion) und die Induktion einer Niereninsuffizienz durch eine diffuse tubuläre Schädigung. Das Risiko steigt neben der Dosis mit dem Lebensalter, dem Ausmaß einer vorbestehenden Nierenfunktionseinschränkung oder einer vorbestehenden Innenohrschädigung sowie durch die Gabe anderer toxischer Medikamente. Nephrotoxizität und vor allem Ototoxizität können irreversibel sein.
Capreomycin ist im deutschen Handel nicht verfügbar, aber über internationale Apotheken oder Importeure erhältlich.
Carbapeneme/Clavulansäure
siehe Imipenem, Meropenem (MP)
Die Kombination mit Clavulansäure scheint bei MDR- und XDR-Tuberkulose einen zusätzlichen Nutzen zu bringen. Carbapeneme können nach mikrobiologischer Testung zur Behandlung der MDR- und XDR-Tuberkulose eingesetzt werden [283 ]
[284 ]
[285 ], Meropenem/Clavulansäure zeigte etwas bessere mikrobiologische Ergebnisse als Imipenem [286 ] bei geringerer ZNS-Toxizität. Zum Einsatz von Ertapenem existieren zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieser Leitlinie keine ausreichenden Daten. Meropenem/Clavulansäure sollte bevorzugt eingesetzt werden.
Systematik: Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 5, WHO (2016): Gruppe D3
Wirkmechanismus : Betalaktam-Antibiotikum, wenig Daten zu Mykobakterien
Kritische Konzentration: siehe Einzelsubstanzen
Serumspiegel : siehe Einzelsubstanzen
Empfohlene Dosierung: siehe Einzelsubstanzen
Empfohlene pädiatrische Dosierung: siehe Einzelsubstanzen
Art der Anwendung: intravenös (Meropenem und Imipenem)
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik : keine orale Resorption (Meropenem und Imipenem). Daten zu Ertapenem nicht ausreichend. Ausreichende Penetration ins ZNS
Elimination: hauptsachlich in unveränderter Form über die Nieren
Schwangerschaft und Stillzeit: Es liegen keine oder nur begrenzte Daten für die Anwendung von Carbapenemen in der Schwangerschaft vor. Aus Sicherheitsgründen wird eine Anwendung nicht empfohlen (Merkkasten (S. 380)
Absolute Kontraindikationen*: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der Bestandteile eines der Carbapeneme. Schwere Überempfindlichkeit (z. B. anaphylaktische Reaktion, schwere Hautreaktion) gegen andere Betalaktam-Antibiotika (z. B. Penicilline oder Cephalosporine)
Wichtige Wechselwirkungen*: Verminderungen der Valproinsäure-Konzentration im Serum bei gleichzeitiger Einnahme, diese wird daher nicht empfohlen. Epileptische Anfälle („Grand mal“) sind bei Patienten möglich, die Ganciclovir und Imipenem erhalten. Die gerinnungshemmende Wirkung von Warfarin kann verstärkt werden. Die INR sollte während und im Anschluss an eine gemeinsame Anwendung mit einem oralen Antikoagulans engmaschig überwacht werden. Probenecid hemmt die renale Ausscheidung von Meropenem.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: Übelkeit, Erbrechen, Durchfälle, Thrombophlebitis, Eosinophilie, Thrombozythämie, Erhöhung der Transaminasen, der alkalischen Phosphatase, der Laktatdehydrogenase. Ausschlag, Juckreiz, Entzündungen und Schmerzen. ZNS-Toxizität (Imipenem > Meropenem)
Schwerwiegende und gelegentlich tödlich verlaufende Überempfindlichkeitsreaktionen sind möglich. Kontrolle der Leberenzyme und der Nierenfunktion, vor allem bei Imipenem (ZNS-Toxizität).
Clarithromycin (Clr)
Makrolide haben keinen bewiesenen Nutzen in der Therapie der Tuberkulose. Sie sind gegen einige nichttuberkulöse Mykobakterien wirksam.
Systematik: Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 5, WHO (2016): nicht gelistet
Wirkmechanismus: bakteriostatisch
Kritische Konzentration: nicht etabliert
Empfohlene Dosierung: 2 × 500 mg/Tag
Empfohlene pädiatrische Dosierung: 15 mg/kg in 2 ED, Maximaldosis 1000 mg/Tag [277 ]
Art der Anwendung: oral und intravenös
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: mäßige orale Bioverfügbarkeit von ca. 50 %. Gute Gewebepenetration
Elimination: überwiegend hepatische Metabolisierung, Ausscheidung über den Stuhl, zum Teil über den Urin
Schwangerschaft und Stillzeit: kann in der Schwangerschaft nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko eingesetzt werden. Weitere Informationen unter www.embryotox.de
Absolute Kontraindikationen: keine gemeinsame Einnahme mit HMG-CoA-Reduktase-Inhibitoren (Statinen wie Lovastatin, Simvastatin oder Atorvastatin): Gefahr der Rhabdomyolyse. Hypokaliämie (Verlängerung der QT-Zeit). Angeborene oder erworbene QT-Zeit-Verlängerungen oder ventrikuläre Arrhythmien. Keine Einnahme bei schweren Leberfunktionsstörungen in Kombination mit Nierenversagen. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile
Wichtige Wechselwirkungen*: Die Gabe der folgenden Arzneimittel ist wegen der Gefahr schwerer Arzneimittelwechselwirkungen streng kontraindiziert: Cisaprid, Pimozid, Astemizol und Terfenadin. Gleichzeitige Gabe von Clarithromycin und Ergotamin oder Dihydroergotamin kann zu akuter Toxizität führen. Starke Induktoren des Cytochrom-P450-Stoffwechselsystems, wie z. B. Nevirapin, Rifampicin, Rifabutin, Rifapentin und Efavirenz können die Metabolisierung von Clarithromycin beschleunigen und damit die Plasmaspiegel und Bioverfügbarkeit von Clarithromycin senken. Bei gleichzeitiger Verabreichung von Clarithromycin mit anderen ototoxischen Arzneimitteln, vor allem mit Aminoglykosiden, sollten während und im Anschluss an die Behandlung Gleichgewichtssinn und Hörfähigkeit kontrolliert werden.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: Übelkeit, Erbrechen, Geschmacksstörungen, Bauchschmerzen, Durchfall, Blähungen, Verstopfung, Kopfschmerzen, Hautausschlag, Ototoxizität, Transaminasenerhöhungen. QT-Zeit-Verlängerung
Nutzen nicht belegt, daher 2016 nicht mehr von der WHO gelistet. QT-Zeit-Verlängerung möglich, daher EKG-Kontrollen – insbesondere bei Gabe in Kombination mit anderen QT-Zeit-verlängernden Medikamenten.
Clofazimin (Cfz)
Systematik: Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 5, WHO (2016): Gruppe C
Wirkmechanismus : bakteriostatisch
Kritische Konzentration: keine Angabe
Empfohlene Dosierung: 100 mg täglich, Maximaldosis 200 mg täglich
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : 1– 3 mg/kg in 1 ED, unter 25 kg 100 mg alle 48 h, Maximaldosis 200 mg/Tag [11 ]
[277 ]
Art der Anwendung: oral
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Clofazimin wird relativ langsam resorbiert. Die Verabreichung des Medikaments zusammen mit Nahrung erhöht die Bioverfügbarkeit. Clofazimin ist stark lipophil und reichert sich hauptsächlich im Fettgewebe und in den Makrophagen des retikulo-endothelialen Systems und in Organen an.
Elimination: Clofazimin wird sehr langsam aus dem Plasma eliminiert und unverändert über die Galle ausgeschieden.
Schwangerschaft und Stillzeit: Clofazimin passiert die Plazentaschranke, es wurden Hautverfärbungen bei Neugeborenen beobachtet. Clofazimin kann eine Verfärbung der Muttermilch bewirken. Beim Säugling kann diese Muttermilch zu Hautverfärbung führen.
Absolute Kontraindikationen*: Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile
Wichtige Wechselwirkungen*: Clofazimin vermindert die Resorption von Rifampicin, verlängert die Zeit bis zum Erreichen maximaler Serumkonzentrationen und die Halbwertszeit.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: QT-Zeit-Verlängerung. Nach längerer Therapiedauer kommt es zu lang anhaltenden rötlich-bräunlichen Verfärbungen der Haut, Verfärbungen von Bindehaut, Tränenflüssigkeit, Schweiß, Sputum, Urin, Faeces, Nasenschleim, Sperma und der Muttermilch. Die Hautverfärbungen sind zwar meist reversibel, unter Umständen jedoch erst Monate oder Jahre nach Beendigung der Therapie.
Durchfall, Übelkeit, Erbrechen, Bauchschmerzen. Bei längerer Anwendung in hoher Dosierung kann es zur Akkumulation und Präzipitation von Clofazimin im Gewebe kommen, z. B. in der Dünndarmwand. Eine Enteropathie kann sich entwickeln, die in manchen Fällen einen Darmverschluss zur Folge haben kann. Treten unter der Behandlung gastrointestinale Beschwerden auf, soll die Dosis herabgesetzt oder das Einnahmeintervall verlängert werden.
Irreversible Hautverfärbungen möglich. QT-Zeit-Verlängerung möglich, daher EKG-Kontrollen – insbesondere bei Gabe in Kombination mit anderen QT-Zeit-verlängernden Medikamenten.
Cycloserin (Cs)
siehe Terizidon
Delamanid (Dlm)
Systematik: Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 5, WHO (2016): Gruppe D2
Wirkmechanismus: bakterizid
Kritische Konzentration: nicht etabliert, in Studien 0,2 mg/l (Agarmedium)
Klinischer MHK Breakpoint: 0,06 mg/l (EUCAST, siehe Merkkasten S. 376).
Resistenz: Mutationen in einem der 5 Coenzym-F420-Gene (fgd1, ddn, fbiA, fbiB and fbiC) scheinen mit einer Resistenz assoziiert zu sein [287 ].
Empfohlene Dosierung: 100 mg zweimal täglich über 24 Wochen
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : noch nicht festgelegt
Art der Anwendung: oral
Schwangerschaft und Stillzeit: Es liegen nur sehr begrenzte Daten für die Anwendung von Delamanid bei Schwangeren vor. Die Anwendung bei Schwangeren wird nicht empfohlen. Da ein potenzielles Risiko für den gestillten Säugling nicht ausgeschlossen werden kann, wird empfohlen, während der Behandlung mit Delamanid nicht zu stillen.
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Die orale Bioverfügbarkeit von Delamanid nimmt, im Vergleich zur Einnahme auf nüchternen Magen, um das ca. 2,7-Fache zu, wenn es mit einer Standard-Mahlzeit eingenommen wird. Daher wird die Einnahme von Delamanid mit Nahrung empfohlen. Delamanid bindet zu ≥ 99,5 % an Plasmaproteine, vor allem (etwa 95 %) an Albumin [288 ]. Bisher wurde der Metabolismus von Delamanid noch nicht komplett aufgeklärt. Die identifizierten Metaboliten zeigen keine antimykobakterielle Aktivität, aber einige tragen zur QT-Zeit-Verlängerung bei. Die Konzentrationen der identifizierten Metaboliten steigen fortschreitend an bis zum Erreichen eines Steady-State nach 6 bis 10 Wochen.
Elimination: Delamanid wird aus dem Plasma mit einer Eliminations-Halbwertszeit (t1 /2 ) von 30 – 38 Stunden eliminiert und nicht im Urin ausgeschieden – der Mechanismus ist nicht vollständig geklärt.
Absolute Kontraindikationen*: Serum-Albumin < 2,8 g/dl (Merkkasten Delamanid). Einnahme von Arzneimitteln, die starke Induktoren von Cytochrom P450 (CYP) 3A4 sind (z. B. Carbamazepin). Vorbestehende QT-Zeit-Verlängerung. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder einen der Bestandteile
Wichtige Wechselwirkungen*: Bei gleichzeitiger Gabe von Delamanid mit starken Induktoren von CYP3A4 wird die Exposition gegenüber Delamanid um bis zu 45 % reduziert. Mit dem schwachen Induktor Efavirenz (600 mg täglich für 10 Tage) wurde bei gleichzeitiger Anwendung mit Delamanid (100 mg zweimal täglich) keine klinisch relevante Reduktion der Delamanid-Exposition beobachtet. Die gleichzeitige Gabe von Delamanid mit einem starken CYP3A4-Inhibitor (Lopinavir/Ritonavir) ging mit einer 30 % höheren Exposition mit dem Metaboliten DM-6705 einher, der mit einer QT-Zeit-Verlängerung in Zusammenhang gebracht wird. Bei gleichzeitiger Anwendung sind engmaschige EKG-Kontrollen notwendig. In Studien waren alle QT-Zeit-Verlängerungen über 60 ms mit der gleichzeitigen Anwendung von Fluorchinolonen assoziiert. Bei gleichzeitiger Anwendung mit Delamanid sollen häufige EKG-Kontrollen durchgeführt werden.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, QT-Zeit-Verlängerung, Parästhesien, Tremor, Angstzustände
QT-Zeit-Verlängerung möglich (Merkkasten Delamanid), daher EKG-Kontrollen – insbesondere bei Gabe in Kombination mit anderen QT-Zeit-verlängernden Medikamenten.
Eine Verlängerung des QT-Intervalls im EKG wurde als Sicherheitsproblem bei Therapie mit Delamanid identifiziert. Für die zugelassene Dosierung von zweimal täglich 100 mg Delamanid betrug der mittlere, Plazebo-korrigierte Anstieg vom QTc-Ausgangswert 7,6 ms nach 1 Monat und 12,1 ms nach 2 Monaten. Die Verlängerung nimmt in den ersten 6 – 10 Wochen der Behandlung langsam zu und stabilisiert sich danach. Ein wichtiger Faktor, der zu einer Verlängerung des QTc-Intervalls beiträgt, ist eine Hypoalbuminämie (insbesondere unter 2,8 g/dl).
Ethambutol (EMB, E)
Systematik: Medikament der Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 1, WHO (2016): Gruppe D1
Wirkmechanismus: bakteriostatisch gegenüber proliferierenden Keimen
Kritische Konzentration: in MGIT 5,0 mg/l, auf LJ-Festmedium 2 mg/l
Resistenz: wichtiges Resistenz-vermittelndes Gen ist emb B
Empfohlene Dosierung: 15 mg/kg Maximaldosis 1600 mg
Empfohlene pädiatrische Dosierung: 20 mg/kg (15 – 25 mg/kg) in 1 ED, Maximaldosis 2000 mg [11 ]
Art der Anwendung: oral, intravenös
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: wird zu ca. 80 – 85 % aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert, gute Diffusion in Gewebe und Körperflüssigkeiten. Ethambutol überwindet die Blut-Hirn-Schranke bei Gesunden eher schlecht, bei Patienten mit tuberkulöser Meningitis können ausreichende Liquorkonzentrationen gefunden werden.
Elimination: geringe hepatische Metabolisierung und überwiegend renale Elimination
Schwangerschaft und Stillzeit: tritt in den Fetalkreislauf über
Absolute Kontraindikationen*: vorbestehende schwerwiegende Augenerkrankungen (z. B. Vorschädigung des Nervus opticus, ausgeprägte diabetische Retinopathie, u. a.), Unvermögen, über Sehstörungen zu berichten (z. B. hohes Alter, komatöse Patienten), schwere Nierenfunktionsstörungen. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile
Wichtige Wechselwirkungen*: verminderte Resorption und Senkung des Serumspiegels durch Aluminiumhydroxid und ähnliche Antazida. Erhöhtes Risiko für Sehschäden bei Behandlung mit Disulfiram bei Alkoholabhängigkeit
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: Die wichtigste unerwünschte Arzneimittelwirkung ist die einseitige oder beidseitige axiale retrobulbäre Neuritis des Nervus opticus. Sie kann sich als Rot-Grün-Schwäche, Visusminderung oder Zentralskotom äußern, die periaxiale Neuritis als Einschränkung der Gesichtsfeldaußengrenzen. Es müssen daher regelmäßige augenärztliche Kontrolluntersuchungen, mindestens vor Therapiebeginn und in 4-wöchigen Abständen während der Gesamtdauer der Therapie erfolgen – bei Risikofaktoren wie Niereninsuffizienz häufiger. Aus neurologisch-fachärztlicher Sicht wird prinzipiell auch die Durchführung von visuell evozierten Potentialen zur frühzeitigen Erfassung noch subklinischer Affektionen des N. opticus (paraklinische Erfassung einer Afferenzstörung der Sehbahn) vor Beginn und regelmäßig während einer Therapie mit Ethambutol empfohlen. Wir empfehlen die Durchführung von VEPs bei unklaren Befunden. EMB-assoziierte Retrobulbär-Neuropathien können über Monate persistieren, sind jedoch in der Regel reversibel [289 ]. Arthralgien, kutane Reaktionen, Polyneuropathien
Mindestens alle vier Wochen augenärztliche Kontrolluntersuchung.
Ethionamid (Eto)
siehe Protionamid
Fluorchinolone (FQ)
siehe Levofloxacin, Moxifloxacin
Fluorchinolone sollten bei Resistenzen oder bei Unverträglichkeiten gegen die Medikamente der Standardtherapie eingesetzt werden. Zugelassen sind sie jedoch nicht für die Therapie über mehrere Monate, wie bei Tuberkulose notwendig. Vorrangig wird in Deutschland Moxifloxacin zur Behandlung der Tuberkulose eingesetzt. Levofloxacin kann aber zum Beispiel wegen der vorwiegend renalen Elimination Vorteile haben. Ciprofloxacin und Ofloxacin werden in Deutschland in der Tuberkulosetherapie nicht eingesetzt. Gatifloxacin ist in Deutschland nicht zugelassen und nicht verfügbar, hat aber in Studien gute Wirksamkeit gezeigt [211 ].
Systematik: Medikamente der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 3, WHO (2016): Gruppe A
Wirkmechanismus: bakterizid
Kritische Konzentration: siehe Einzelsubstanzen
Resistenz: wichtigstes Resistenz-vermittelndes Gen ist gyr A
Empfohlene Dosierung: siehe Einzelsubstanzen
Empfohlene pädiatrische Dosierung: siehe Einzelsubstanzen
Art der Anwendung: oral, intravenös
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: gute orale Bioverfügbarkeit, erreicht hohe Konzentrationen im Gewebe
Elimination : siehe Einzelsubstanzen
Schwangerschaft und Stillzeit: kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit
Absolute Kontraindikationen*: vorbestehende QT-Zeit-Verlängerung, vorbestehende Sehnenerkrankungen/-schäden infolge einer Chinolontherapie. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile
Wichtige Wechselwirkungen*: Moxifloxacin wird überwiegend glucuronidiert und sulfatiert (Phase-II-Reaktionen). Bei gleichzeitiger Gabe von Rifampicin und INH resultieren wegen des Phase-II-Metabolismus erniedrigte Plasmakonzentrationen. In Kombination mit Rifampicin und Rifapentin wurden verminderte Serumkonzentrationen von Moxifloxacin gemessen, daher sollte diese Kombination mit besonderer Vorsicht angewendet und wenn möglich durch eine therapeutische Serumspiegelbestimmung überwacht werden [13 ]
[14 ]
[15 ].
Eine QT-Zeit-Verlängerung kann durch begleitende Gabe anderer QT-Zeit-verlängernder Medikamente verstärkt werden. Enterale Komplexbindung mit di- oder trivalenten Kationen, wie Eisen, Magnesium, Calcium, Zink, Aluminium, Sucralfat, dadurch starke Verminderung der Resorption. Die gleichzeitige Gabe der genannten Medikamente oder Nahrungsmittel, die hohe Konzentrationen von mehrwertigen Kationen aufweisen, muss daher unterbleiben oder es muss ein mehrstündiger Abstand eingehalten werden [197 ].
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: Störungen des Zentralnervensystems (Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit, schlechte Träume), in seltenen Fällen kann es zu epileptischen Anfällen kommen, gastrointestinale Reaktionen (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhö), Sehnenentzündungen und Sehnenrupturen (Risiko erhöht bei gleichzeitiger Gabe von Kortikosteroiden), periphere Neuropathie, QT-Zeit-Verlängerung, Herzrhythmusstörungen. Eine Photosensibilisierung kann vorkommen.
QT-Zeit-Verlängerung möglich, daher EKG Kontrollen – insbesondere bei Gabe in Kombination mit anderen QT-Zeit-verlängernden Medikamenten. Bei der Therapie von Kindern und Jugendlichen muss über das Risiko von Schäden am Gelenkknorpel aufgeklärt werden.#
Imipenem (Ipm)
siehe Carbapeneme
Meropenem/Clavulansäure zeigte etwas bessere mikrobiologische Ergebnisse als Imipenem [286 ] bei geringerer ZNS-Toxizität. Meropenem/Clavulansäure sollte bevorzugt eingesetzt werden.
Kritische Konzentration: nicht etabliert
Empfohlene Dosierung: 500 mg 3-mal täglich mit je 125 mg Clavulansäure als Amoxicillin/Clavulansäure
Empfohlene pädiatrische Dosierung: bevorzugte Gabe von Meropenem
Art der Anwendung: intravenös
Die Leitliniengruppe empfiehlt die Anwendung von Meropenem/Clavulansäure sofern verfügbar.
Isoniazid (INH, H)
Systematik: Medikament der Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 1
Wirkmechanismus: bakterizid
Kritische Konzentration: in MGIT 0,1 mg/l (low level), 0,4 mg/l (high level); auf LJ-Festmedium 0,25 mg/l (low level), 1 mg/l (high level) [290 ]. Von der WHO wird nur die jeweils geringere Konzentration zur Testung empfohlen.
Resistenz: wichtigste Resistenz-vermittelnde Gene: inh A, in der Regel assoziiert mit einer Resistenz mit niedriger Minimaler Hemmkonzentration (MHK), Kreuzresistenz zu Thioamiden (Protionamid und Ethionamid); kat G, in der Regel assoziiert mit Resistenz mit mittlerer bis hoher MHK [109 ]
[291 ]
Empfohlene Dosierung: 5 mg/kg KG (4 – 6 mg/kg KG), Maximaldosis 300 mg. Hochdosistherapie bis 20 mg/kg KG [196 ], ggf. zusätzlich Vitamin B6 (siehe z. B. Wechselwirkungen)
Empfohlene pädiatrische Dosierung: 10 mg/kg (7 – 15 mg/kg) in 1 ED, Maximaldosis 300 mg/Tag + Vitamin B6 1 – 2 mg/kg [11 ]
Art der Anwendung: oral, intravenös
Schwangerschaft und Stillzeit: kann in der Schwangerschaft nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko eingesetzt werden. Weitere Informationen unter www.embryotox.de
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Das Medikament wird fast vollständig aus dem Gastrointestinaltrakt resorbiert, die Einnahme vor allem mit fetthaltiger Nahrung kann die Resorption um ca. 50 % reduzieren [292 ]. Es diffundiert schnell in Gewebe und Körperflüssigkeiten und passiert die Blut-Hirn-Schranke. Isoniazid ist eine Vorstufe (Prodrug) und wird durch das Enzym Katalase in die wirksame Form überführt. Die hepatische Metabolisierung (80 %) erfolgt mittels des Enzyms N-Acetyltransferase 2 (NAT 2). Aufgrund von genetischen Polymorphismen der NAT 2 werden schnelle und langsame Acetylierer unterschieden. Langsame Acetylierer zeigen ein erhöhtes Risiko für Hepatotoxizität [293 ]
[294 ]. Schnelle Acetylierer haben ein erhöhtes Risiko für Therapieversagen und Rezidive [270 ]. Die Bestimmung des Polymorphismus hat bisher noch nicht Einzug in die klinische Routine gefunden. Eine Anpassung der INH-Dosis an den Acetylatorstatus wird diskutiert [295 ], kann aber bislang noch nicht empfohlen werden.
Elimination: Nach Hydrolyse und Konjugation werden die Metaboliten überwiegend renal eliminiert.
Absolute Kontraindikationen*: akute Hepatitis, schwerwiegende Störungen der Hämostase und Hämatopoese. Relative Kontraindikationen: zerebrale Anfallsleiden, Psychosen, klinisch relevante periphere Neuropathien. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile
Wichtige Wechselwirkungen*: Serumspiegel wird erhöht durch Prednisolon, PAS, Protionamid. Erhöht den Serumspiegel von Cumarinen, Phenytoin, Valproat, Theophyllin, Carbamazepin und Diazepam. Senkt den Serumspiegel von Azolen.
Isoniazid interagiert mit Pyridoxin (Vitamin B6 ) und kann somit einen entsprechenden Mangel mit der Folge einer Neuropathie induzieren. Bei Patienten mit erhöhtem Risiko oder bei manifester Polyneuropathie, perniziöser Anämie und/oder in der Schwangerschaft wird die zusätzliche Gabe von Pyridoxin (50 mg/d) empfohlen [296 ]. Isoniazid und Pyridoxin sind auch als Fixkombination erhältlich. Der Einsatz dieser Kombinationspräparate wird ausdrücklich nur bei entsprechender Indikation zur Pyridoxingabe empfohlen. Eine Pyridoxin-Überdosierung (z. B. durch Selbstmedikation eines Vielfachen der empfohlenen Dosis) kann ebenfalls zu einer Polyneuropathie führen [42 ].
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: Hepatotoxizität, allergische Hautreaktionen, Akne, Konzentrationsstörungen, Verwirrtheitszustände (selten Psychosyndrom und Delir), Depression (Cave: Suizidalität vor allem in höherer Dosierung möglich), Polyneuropathie, Senkung der Krampfschwelle, sehr selten Blutbildveränderungen (aplastische und hämolytische Anämie, Agranulozytose)
Kanamycin (Km)
siehe Aminoglykoside
Kritische Konzentration: in MGIT 2,5 mg/l, auf LJ-Festmedium 30 mg/l
Resistenz: wichtigste Resistenz-vermittelnde Gene sind rrs und eis . Kreuzresistenzen zwischen den Aminoglykosiden sind beschrieben.
Empfohlene Dosierung: 15 mg/kg, Maximaldosis 1 × 1000 mg
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : 15 – 30 mg/kg in 1 ED, Maximaldosis 1 × 1000 mg/Tag [11 ]
[277 ]
Art der Anwendung : intravenös
Kanamycin ist im deutschen Handel nicht verfügbar, aber über internationale Apotheken aus Japan zu beziehen.
Levofloxacin (Lfx)
siehe Fluorchinolone
Kritische Konzentration: in MGIT 1,5 mg/l.
Empfohlene Dosierung: 750 mg ≤ 45 kg, 1000 mg > 45 kg einmal täglich
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : Alter < 5 Jahre: 15 – 20 mg/kg KG in 2 ED, Alter > 5 Jahre 7,5 – 10 mg/kg in 1 ED, Maximaldosis 500 mg/Tag [277 ]
Art der Anwendung: oral, intravenös
Elimination: überwiegend renal
Linezolid (Lzd)
Linezolid ist nicht zur Behandlung der Tuberkulose und nicht für eine Therapiedauer von mehr als 28 Tagen zugelassen, kann aber bei komplex resistenter Tuberkulose im Rahmen eines Heilversuchs eingesetzt werden. Eine gute Effektivität bei MDR- und XDR-Tuberkulose scheint belegt, in der Langzeittherapie treten jedoch häufig unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf [297 ]
[298 ]
[299 ].
Systematik: Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 5, WHO (2016): Gruppe C
Wirkmechanismus: bakteriostatisch
Kritische Konzentration: in MGIT 1,0 mg/l
Empfohlene Dosierung: 600 mg 1 × täglich empfohlen, Wirksamkeit von 300 mg 1 × täglich wird diskutiert. Maximaldosis 1200 mg täglich
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : < 10 Jahre: 20 mg/kg in 2 ED, ≥ 10 Jahre: 300 mg/d in 1 ED + Vitamin B6 1 – 2 mg/kg/d [11 ]
Art der Anwendung: oral, intravenös
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: 100 % Bioverfügbarkeit, sehr gute Verteilung ins Gewebe
Elimination: zu 30 % unverändert und zu 70 % in metabolisierter Form über die Nieren, die Konzentration von Linezolid wird durch eine reduzierte Nierenfunktion nicht relevant beeinflusst, die Konzentration der Metabolite ist deutlich erhöht.
Schwangerschaft und Stillzeit: kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit
Absolute Kontraindikationen*: gleichzeitige Einnahme oder Einnahme innerhalb der letzten 2 Wochen von Arzneimitteln, die die Monoaminooxidase A oder B hemmen (z. B. Phenelzin, Isocarboxazid, Selegilin, Moclobemid), Einnahme von Serotonin-Wiederaufnahmehemmern. Unkontrollierte Hypertonie, Phäochromozytom, Karzinoid, Thyreotoxikose, bipolare Depression, schizoaffektive Psychose, akute Verwirrtheitszustände. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile
Wichtige Wechselwirkungen*: Maximale Serumkonzentration und AUC von Linezolid können durch Rifampicin vermindert werden. Linezolid ist ein reversibler, nichtselektiver Monoaminooxidase-Hemmer, dies kann Interaktionen mit adrenergen und serotonergen Wirkstoffen bedingen. Medikamente, die ebenfalls die Monoaminooxidase hemmen, sollten vermieden werden. Es kann zu einer verstärkten Wirkung von Pseudoephedrin oder Phenylpropanolaminhydrochlorid und in der Folge zu einem Anstieg des Blutdrucks kommen. Bei gleichzeitiger Einnahme von serotonergen Medikamenten, z. B. Serotonin-Wiederaufnahmehemmer, kann es zu einem Serotonin-Syndrom (Verwirrtheit, Delirium, Unruhe, Tremor, Erröten, Diaphorese, Hyperpyrexie) kommen. Die Aufnahme übermäßiger Mengen von Nahrungsmitteln und Getränke, die einen hohen Tyramingehalt aufweisen (z. B. reifer Käse, Hefeextrakte, nicht destillierte alkoholische Getränke oder fermentierte Sojabohnenprodukte wie z. B. Sojasoße) sollte vermieden werden.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: Diarrhö, Kopfschmerzen, Übelkeit und Erbrechen. Myelosuppression (einschließlich Anämie, Leukopenie, Thrombozytopenie oder Panzytopenie) vor allem bei Anwendung über die empfohlene maximale Therapiedauer von 28 Tagen hinaus. Ebenfalls bei längerer Anwendung kann eine periphere Neuropathie oder optische Neuropathie auftreten, die progredient bis zum Verlust des Sehvermögens verlaufen kann.
Es gibt Hinweise, dass Patienten mit geringerer Dosierung von 300 mg täglich seltener eine Anämie entwickeln, dies scheint allerdings nicht für die periphere Neuropathie zu gelten [299 ]. Linezolid scheint auch in einer Dosis von 300 mg wirksam zu sein [297 ]
[298 ]
[299 ]
[300 ], sodass bei nicht tolerierbaren unerwünschten Arzneimittelwirkungen ein Wechsel auf 300 mg erfolgen kann.
Blutbildkontrollen und augenärztliche Untersuchung bei verlängerter Therapiedauer erforderlich. Dosisreduktion auf 300 mg täglich bei unerwünschten Arzneimittelwirkungen möglich. Keine gleichzeitige Einnahme von Monoaminooxidase-Hemmern oder Serotonin-Wiederaufnahmehemmern.
Makrolide
siehe Clarithromycin
Makrolide haben keinen bewiesenen Nutzen in der Therapie der Tuberkulose. Sie sind gegen einige nichttuberkulöse Mykobakterien wirksam.
Meropenem (Mpm)
siehe Carbapeneme
Kritische Konzentration: nicht etabliert
Empfohlene Dosierung: 1000 – 2000 mg 3-mal täglich, maximal 6000 mg/Tag mit je 125 mg Clavulansäure als Amoxicillin/Clavulansäure [196 ]
[301 ]
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : 60 – 120 mg/kg in 3 ED Maximaldosis 6000 mg/Tag [11 ]
[277 ]
Art der Anwendung: intravenös
Moxifloxacin (Mfx)
siehe Fluorchinolone
Kritische Konzentrationen: in MGIT 0,5 und 2,0 mg/l (eine Änderung auf 0,25 mg/l wird geprüft)
Empfohlene Dosierung: 400 mg einmal täglich
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : 7,5 – 10 mg/kg KG in 1 ED, Maximaldosis 400 mg/Tag [11 ]
Art der Anwendung: oral, intravenös
Elimination : vorwiegend hepatisch durch Phase-2-Metabolismus (Glucuronidierung, Sulfatierung)
In Kombination mit Rifampicin und Rifapentin wurden verminderte Serumkonzentrationen von Moxifloxacin gemessen, daher sollte diese Kombination mit besonderer Vorsicht angewendet und wenn möglich durch eine therapeutische Serumspiegelbestimmung überwacht werden [13 ]
[14 ]
[15 ].
Para-Aminosalicylsäure (PAS)
Seit 2014 ist mit Granupas eine magensaftresistente orale Form des Medikamentes in Europa zugelassen und kann als Alternative der Infusionstherapie genutzt werden.
Systematik: Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 4, WHO (2016): Gruppe D3
Wirkmechanismus: bakteriostatisch
Kritische Konzentration: in MGIT 4,0 mg/l, auf LJ-Festmedium 1,0 mg/l
Empfohlene Dosierung: intravenös: 11,82 g in 500 ml 1 × täglich (Infusion über 4 h). Oral: 4 g 3 × täglich
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : intravenös: 200 – 300 mg/kg in 2 – 3 ED, Maximaldosis: 8 g/Tag; oral: 150 mg/kg KG in 2 ED, max.12 g [11 ]
Art der Anwendung: intravenös, oral
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Wegen der großen Substanzmengen und der Azidität erfolgt die Gabe in Deutschland überwiegend parenteral. Dabei ist auf die durch die Infusion verabreichten hohen Natriummengen zu achten. Die Resorption bei oraler Gabe ist gut. Die Gewebspenetration und die Liquorgängigkeit sind nur mäßig.
Elimination: Metabolisierung in Leber und Darm, Metabolite werden renal eliminiert.
Schwangerschaft und Stillzeit: kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit
Absolute Kontraindikationen*: Herzinsuffizienz bzw. Hypertonie und Ödeme aufgrund des Natriumgehalts, Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase-Mangel. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige Wechselwirkungen*: Die Absorption von Digoxin aus dem Magen-Darm-Trakt kann reduziert werden. Patienten sollten daraufhin überwacht werden. Die Absorption von Cyanocobalamin (Vitamin B12 ) wurde durch 5 g orale 4-Amino-2-hydroxybenzoesäure (4-Aminosalicylsäure) um mehr als 50 % reduziert, woraufhin klinisch relevante Erythrozytenanomalien auftraten. Die Acetylierung von Isoniazid kann reduziert werden und zu erhöhten Isoniazid-Serumspiegeln führen. Bei gleichzeitiger Verabreichung von Ethionamid können die unerwünschten Arzneimittelwirkungen von PAS verstärkt sein. Die gleichzeitige Gabe von Phenytoin kann zu erhöhten Phenytoin-Blutspiegeln führen. Die Toxizität von Folatantagonisten wie Methotrexat kann verstärkt werden.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: gastrointestinale Unverträglichkeit, Lebertoxizität (Vorsicht bei vorbestehender Leberschädigung) und Blutbildveränderungen toxischer und allergischer Natur. Beschrieben sind auch allergische Hautreaktionen. Eine einschleichende Dosierung kann die Verträglichkeit bessern. Auf die klinischen Zeichen einer Hypothyreose soll geachtet werden. Bei längerer Therapiedauer werden Kontrollen der Schilddrüsenfunktion empfohlen. Bei der Gabe großer Mengen kann der Kationenverlust, der mit der Nierenausscheidung organischer Säuren verbunden ist, zur Azidose führen. Besonders betroffen können hiervon Kinder sein. Bei Elektrolytstörungen sollte unter Anwendung von PAS-Infusionen der Kationengehalt überwacht werden.
Einschleichende Dosierung kann die Verträglichkeit bessern. Hypernatriämie bei intravenöser Gabe möglich.
Polypeptide
siehe Capreomycin
Protionamid (Pto)
Protionamid und Ethionamid sind eng verwandt und kreuzresistent. Ethionamid ist in Deutschland nicht im Handel und nur über internationale Apotheken verfügbar.
Systematik: Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 4, WHO (2016): Gruppe C
Wirkmechanismus: vorwiegend bakterizid
Kritische Konzentrationen: Protionamid: in MGIT 2,5 mg/l, auf LJ-Festmedium 40 mg/l. Ethionamid: in MGIT 5,0 mg/l, auf LJ-Festmedium 40 mg/l
Resistenz: Wichtigste Resistenz-vermittelnde Gene sind inh A (Kreuzresistenz mit INH) und eth A.
Empfohlene Dosierung: 15 mg/kg KG in 1 ED, wenn nicht verträglich auf 2 ED verteilt, Maximaldosis 1000 mg, bei gleichzeitiger Gabe von INH Halbierung der Dosis erforderlich
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : 15 – 20 mg/kg KG in 1 ED, Maximaldosis 1000 mg/Tag + Vitamin B6 1 – 2 mg/kg [11 ]
Art der Anwendung: oral
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: orale Bioverfügbarkeit zirka 70 %, gute Anreicherung in Geweben und Liquor
Elimination: Metabolismus hepatisch, die Metaboliten werden renal eliminiert.
Schwangerschaft und Stillzeit: kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit
Absolute Kontraindikationen*: schwere Hepatopathien und akute Hepatitis, zerebrale Anfallsleiden und Psychosen. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige Wechselwirkungen*: Blutzuckersenkung möglich, daher muss bei der Behandlung von Diabetes mellitus die medikamentöse Einstellung überprüft werden, um Hypoglykämien zu vermeiden. Erhöhung der Protionamid-Serumspiegel durch gleichzeitige Isoniazid-Gabe
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: ausgeprägte gastrointestinale Unverträglichkeit. Lebertoxizität, Blutzuckersenkung, Funktionsstörungen des ZNS (Cave: Suizidalität möglich), Schilddrüsenfunktionsstörungen und Allergien.
Hypoglykämien und Suizidalität möglich.
Pyrazinamid (PZA, Z)
Systematik: -Medikament der Standardtherapie, WHO (2014) Gruppe 1, WHO (2016): Gruppe D1
Wirkmechanismus: wirkt im sauren Milieu (pH-Optimum 5,5) intra- und extrazellulär bakterizid und sterilisierend
Kritische Konzentration in MGIT 100 mg/l.
Resistenz: Wichtigstes Resistenz-vermittelndes Gen ist pnc A.
Empfohlene Dosierung: 25 mg/kg KG (20 – 30 mg/kg KG), Maximaldosis 2500 mg
Empfohlene pädiatrische Dosierung: 35 mg/kg (30 – 40 mg/kg) in 1 ED, Maximaldosis 2000 mg/Tag [11 ]
Art der Anwendung: oral, intravenös
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Die Resorption nach oraler Gabe ist gut, diffundiert schnell in Gewebe und Körperflüssigkeiten mit guter Penetration der Blut-Hirn-Schranke.
Elimination: Metabolisierung vorwiegend hepatisch. Elimination der Metabolite renal.
Schwangerschaft und Stillzeit: kann in der Schwangerschaft nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko eingesetzt werden. Weitere Informationen unter http://www.embryotox.de
Absolute Kontraindikationen*: akute Hepatitis, schwere Leberfunktionsstörungen (Child Pugh C), Arthritis urica. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige Wechselwirkungen*: Gichtmittel, welche die Ausscheidung von Harnsäure beeinflussen, wie z. B. Probenecid (Harnsäureausscheidung vermindert, Ausscheidung von Probenecid verzögert). Blutzuckersenkende Mittel (Blutzuckersenkung beschleunigt). Alkohol kann eine Leberschädigung verstärken und das Reaktionsvermögen erheblich beeinträchtigen.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: Hepatotoxizität. Hemmung der tubulären renalen Harnsäureausscheidung mit der Folge einer Hyperurikämie. Eine Therapie der Hyperurikämie (z. B. mit dem Urikosurikum Benzbromaron) ist nur bei klinischen Zeichen einer Gicht erforderlich und am ehesten bei Patienten mit Niereninsuffizienz und Gichtanamnese erforderlich. Instabile Serum-Blutzuckerwerte, Übelkeit (dosisabhängig, bei empfohlener Dosierung in 10 – 20 % der Fälle), Erbrechen, Myopathien besonders in der Muskulatur des Schultergürtels, Gelenkschmerzen (keine Gichtanfälle), Histamin-bedingter Flush (keine Allergie! Vermeidbar durch langsame Dosissteigerung über 3 – 6 Tage)
Rifabutin (Rfb)
siehe Rifamycine
Kritische Konzentration: in MGIT 0,5 mg/l.
Empfohlene Dosierung: 5 mg/kg/KG, Maximaldosis 300 mg
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : 10 mg/kg KG in 1 ED, Maximaldosis 450 mg/Tag [11 ]
Art der Anwendung: oral
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Die Resorption nach oraler Gabe von Rifabutin ist eher gering, es werden jedoch im Gewebe höhere Spiegel als im Serum erreicht.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: ähnliches Spektrum an unerwünschten Arzneimittelwirkungen wie alle Rifamycine, selten kann eine dosisabhängige Uveitis auftreten [302 ]. Diese muss zumindest vorübergehend zum Absetzen des Medikamentes führen. Eine Re-exposition ist bei leichter Uveitis unter augenärztlicher Überwachung möglich.
Dosisänderungen bei gleichzeitiger HIV-Therapie möglich. Dosisabhängig Uveitis möglich.
Rifampicin (RMP, R, RIF)
siehe Rifamycine
Kritische Konzentration: in MGIT 1,0 mg/l, auf LJ-Festmedium 32 /40 mg/l
Resistenz: wichtigstes Resistenz-vermittelndes Gen: rpo B
Empfohlene Dosierung: 10 mg/kg KG maximal 600 mg, höhere Dosen werden in Studien geprüft.
Empfohlene pädiatrische Dosierung: 15 mg/kg KG (10 – 20 mg/kg) in 1 ED, Maximaldosis 600 mg/Tag [11 ]
Art der Anwendung: oral, intravenös
Veränderte Wirkspiegel in Kombination mit diversen Medikamenten möglich, unbedingt Interaktionen prüfen. Bei renaler Toxizität und einigen Blutbildveränderungen (hämolytische Anämie, Thrombozytopenie) handelt es sich möglicherweise um immunologische Unverträglichkeitsreaktionen. Rifampicin muss dann sofort abgesetzt werden und darf nicht wieder verwendet werden. Das „flu-like-syndrome“ mit Fieber und Gliederschmerzen tritt 1 – 2 Stunden nach der Einnahme auf und hält unbehandelt 6 – 8 Stunden an. Es tritt häufiger bei einer intermittierenden Gabe auf und sistiert häufig nach der Umstellung auf die tägliche Gabe.
Rifamycine
siehe Rifampicin, Rifabutin, Rifapentin
Systematik: Medikamente der Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 1
Wirkmechanismus: bakterizid, sterilisierend intra- und extrazellulär
Kritische Konzentration: siehe Einzelsubstanzen
Resistenz: siehe Einzelsubstanzen
Empfohlene Dosierung: siehe Einzelsubstanzen
Empfohlene pädiatrische Dosierung: siehe Einzelsubstanzen
Art der Anwendung: oral, intravenös
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: nahezu vollständige Resorption aus dem Gastrointestinaltrakt und schnelle Diffusion in Gewebe und Körperflüssigkeiten mit mäßiger Penetration der Blut-Hirn-Schranke.
Elimination: hepatische Metabolisierung, bis zu 95 % biliäre Eliminierung
Schwangerschaft und Stillzeit: kann in der Schwangerschaft nach sorgfältiger Abwägung von Nutzen und Risiko eingesetzt werden. Weitere Informationen unter www.embryotox.de
Absolute Kontraindikationen*: Hepatitis, Gallengangsobstruktion, schwerwiegende Leberfunktionsstörungen. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile.
Wichtige Wechselwirkungen*: Autoinduktion abbauender Enzyme. Es sind vielfältige Wechselwirkungen durch Induktion mikrosomaler Enzyme der Leber, insbesondere der Cytochrom-P450-abhängigen Monooxygenasen, zu beachten. Die wichtigste Interaktion besteht mit systemisch wirkenden hormonellen Kontrazeptiva, die bei gleichzeitiger Gabe aufgrund der beschleunigten Elimination der hormonellen Wirkstoffe nicht ausreichend wirksam sind. Zur Einschätzung der Wirksamkeit anderer Verhütungsmethoden (z. B. Spirale) während der Therapie mit Rifamycinen sollte der behandelnde Gynäkologe hinzugezogen werden.
Serumspiegel von beispielsweise Cumarinen, Rivaroxaban, Apixiban, Dabigatran, Glukokortikoiden, Tamoxifen, L-Thyroxin, Sulfonylharnstoffen, Diazepam, Zolpidem, Methadon, Digoxin, Digitoxin, Verapamil, Nifedipin, Betablockern, ACE-Inhibitoren, Sartanen, Statinen, Theophyllin, Ciclosporin, Azolen, Clarithromycin, Doxycyclin, Atovaquon und Chloramphenicol werden gesenkt (ausführliche tabellarische Übersicht in der Fachinformation). Die gleichzeitige Gabe neuer Antikoagulantien (Rivaroxaban, Apixiban, Dabigatran) wird nicht empfohlen, da beispielsweise für Rivaroxaban eine Dosiserhöhung notwendig wäre. Ein Wirkungsverlust von Phenprocoumon, Warfarin und anderen Cumarinen ist möglich, sodass engmaschige Kontrollen der Quick- und INR-Werte notwendig sind.
Auch die Wirkspiegel antiretroviraler Medikamente können so stark beeinflusst werden, dass Dosisanpassungen notwendig sind. Die Enzyminduktion und das damit verbundene Interaktionspotenzial kann im Vergleich unter Therapie wie folgt bewertet werden: Rifampicin > Rifapentin > Rifabutin. Vor allem bei gleichzeitiger antiretroviraler Therapie mit Protease-Inhibitoren sollte vorzugsweise Rifabutin eingesetzt werden. Durch pharmakologische Spiegelkontrollen können die Wirkspiegel bei Medikamentenkombinationen mit Interaktionspotenzial kontrolliert werden.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: Rotfärbung von Körpersekreten (Urin, Stuhl, Tränen – Cave: weiche Kontaktlinsen können sich verfärben). Lebertoxizität, Lebertoxizität nach Rifamycinen allein ist eher selten, im Vergleich kann das Risiko bei Isoniazid 3-fach und bei Pyrazinamid 10-fach höher sein. In der Kombinationstherapie erhöht sich jedoch auch das Risiko für eine Lebertoxizität unter Rifamycinen [303 ]. Allergische Reaktionen, gastrointestinale Unverträglichkeit, „flu-like-syndrom“ (Grippe-ähnliche Symptome) vor allem bei intermittierender Gabe möglich. Thrombozytopenie, seltener hämolytische Anämie (sofort absetzen und nicht wieder in die Therapie einführen), zentralnervöse unerwünschte Arzneimittelwirkungen (Müdigkeit, Kopfschmerzen, Benommenheit, Vertigo, Ataxie, Verwirrtheit, Sehstörungen, Adynamie) und Nierenversagen.
Rifapentin (Rfp)
siehe Rifamycine
Kritische Konzentration: keine Angabe
Empfohlene Dosierung: 900 mg einmal wöchentlich für die dreimonatige präventive Therapie
Empfohlene pädiatrische Dosierung# : 10 – 14 kg: 300 mg, 14.1 – 25 kg: 450 mg, 25.1 – 32 kg: 600 mg, 32.1 – 50 kg: 760 mg, > 50 kg: 900 mg in 1 ED/Woche. Maximaldosis 900 mg/Woche [11 ]
Art der Anwendung : oral
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: 5-fach längere Halbwertszeit im Vergleich zu Rifampicin [302 ]
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: ähnliches Spektrum an unerwünschten Arzneimittelwirkungen wie andere Rifamycine, Grippe-ähnliches Syndrom etwas häufiger als bei Rifampicin [304 ]
Bislang nur zur präventiven Therapie der latenten Tuberkulose in Kombination mit Isoniazid in den USA, aber nicht in Deutschland zugelassen. Lange Halbwertszeit.
Streptomycin (SM,S)
siehe Aminoglykoside
Kritische Konzentration : in MGIT: 1,0 mg/l, auf LJ-Festmedium: 4 mg/l
Resistenz: Wichtigste Resistenz-vermittelnde Gene sind rpsL und rrs (andere Basenpaare als bei Amikacin und Kanamycin). Kreuzresistenzen zwischen den Aminoglykosiden sind beschrieben.
Empfohlene Dosierung: 15 mg/kg KG Maximaldosis 1 × 1000 mg
Empfohlene pädiatrische Dosierung: 20 – 40 mg/kg in 1 ED, Maximaldosis 1000 mg/Tag
Art der Anwendung: intravenös, intramuskulär
Eingeschränkte Lieferbarkeit.
Terizidon (Trd)
Terizidon ist ein Cycloserin-Abkömmling (Cycloserin-Doppelmolekül) mit weniger unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Cycloserin ist in Deutschland nicht mehr im Handel.
Systematik: Medikament der Nicht-Standardtherapie, WHO (2014): Gruppe 4, WHO (2016): Gruppe C
Wirkmechanismus: bakteriostatisch
Kritische Konzentration: in MGIT nicht etabliert, auf LJ-Festmedium 30 mg/l
Empfohlene Dosierung: 10 – 15 mg/kg KG in 3 ED, Maximaldosis 1000 mg. 50 mg Vitamin B6 /250 mg Terizidon [11 ]
Empfohlene pädiatrische Dosierung: 10 – 20 mg/kg KG in 1 – 2 ED, Maximaldosis 1000 mg/Tag + Vitamin B6 1 – 2 mg/kg KG
Art der Anwendung: oral
Relevante Aspekte der Pharmakokinetik: Nach oraler Gabe ist die Resorption gut. Konzentration im ZNS ähnlich den Serumkonzentrationen
Elimination: Die Ausscheidung erfolgt renal.
Schwangerschaft und Stillzeit: kontraindiziert in Schwangerschaft und Stillzeit
Absolute Kontraindikationen*: schwere Niereninsuffizienz (Serumkreatinin > 2 mg/dl), hochgradige Zerebralsklerose, Alkoholismus, psychische Störungen (Depression, schwere Angstzustände, Psychosen), Epilepsie, Infektionen mit Mycobacterium bovis BCG. Überempfindlichkeit gegen den Wirkstoff oder sonstige Bestandteile
Wichtige Wechselwirkungen*: Bei gleichzeitiger Anwendung mit Isoniazid, Protionamid und Ethionamid können unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf das zentrale Nervensystem verstärkt werden. Verstärkung der Wirksamkeit oraler Antikoagulantien, z. B. Cumarine. Verzögerte hepatische Elimination von Phenytoin. Verlängerung der Wirksamkeit von Succinylcholin. Erhöhtes Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf das zentrale Nervensystem (Krämpfe, epileptoide Anfälle) durch Alkohol.
Wichtige unerwünschte Arzneimittelwirkungen*: unter Umständen ausgeprägte Psychosen oder andere zentralnervöse unerwünschte Arzneimittelwirkungen. Seltener Visusstörungen und gastrointestinale Unverträglichkeit
Kann erhebliche zentralnervöse unerwünschte Arzneimittelwirkungen haben und Psychosen auslösen. Gleichzeitige Einnahme von Pyridoxin (Vitamin B6 ) empfohlen.