Psychiatr Prax 2017; 44(04): 188-189
DOI: 10.1055/s-0043-106118
Editorial
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die systemische und die subjektive Seite der Schizophrenie oder wie weit weg sind wir von einer patientenorientierten Psychiatrie?

The Systemic and the Subjective Perspective on Schizophrenia or how far Away are we from a Patient Centred Psychiatry?
R. M. Krausz
1   Institute of Mental Health at UBC, Vancouver
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Korrespondenzadresse

Michael Krausz MD, PhD, FRCPC
Institute of Mental Health at UBC
David Strangway Building room 430
5950 University Boulevard
Vancouver, BC
V6T 1Z3

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Publication Date:
10 May 2017 (online)

 

Irgendwie ist der Umgang mit Schizophrenie immer noch der Lakmustest zum Seelenzustand der Psychiaterinnen und Psychiater oder zur Frage, wo verläuft der Mainstream in Klinik und Forschung der Psychiatrie. Wo ist der Mittelpunkt des psychiatrischen Universums? Wahrscheinlich ziemlich weit entfernt von dem, was sich die Betroffenen so wünschen.

Gut im Gedächtnis von den nicht mehr ganz so Jungen sind die großartigen Ankündigungen unserer in der Genetikforschung involvierten Kollegen, z. B. um Robin Murray vom Institute for Psychiatry in London es werde keine 10 Jahre mehr dauern bis die Pathogenese der Schizophrenie durch die moderne Genetik aufgeklärt sei [1]. Das ist dummerweise über 20 Jahre her und hat sich nicht materialisiert trotz der großzügigsten Forschungsförderung und großem Enthusiasmus unter der biopsychosozialen Forschungselite.

Das andere Forschungsfeld von Relevanz um einen psychiatrischen Lehrstuhl zu bekommen, die Bildgebung, hat sich auch intensiv um Modellbildung bemüht und bis heute nicht zu einer einzigen klinischen Anwendung geführt, die signifikant zur Verbesserung der Versorgung beigetragen hat und dass bei Milliarden Investitionen und Ausdruck der Hoffnung etwas Sichtbares zu finden, das als Erklärung dienen kann. Die Masse aller Forschungsmittel z. B. in der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) wurden und werden für Methoden aufgewendet, die bisher keinen Nutzen für die Betroffenen beisteuern konnten.

Das muss man schon als Verzweiflung interpretieren als Anrennen gegen die eigenen Vorsätze, dass Forschung und Modellbildung der Verbesserung der Hilfen dienen sollen. Verzweiflung mit schwerwiegenden Konsequenzen.

Die letzten 20 Jahre Erfahrungen mit der Neuroleptikatherapie als größter Sektor klinischer Forschung und zentrale Interventionsstrategie in der Behandlung der Schizophrenie ist heute auch an einem Punkt, wo renommierte Kolleginnen und Kollegen die Entwicklung sehr kritisch reflektieren und viele Befürchtungen sich bestätigen [2]. Die Euphorie der frühen Jahre der „Atypika“ ist dahin, ohne dass sich unsere Praxis in den meisten Institutionen radikal verändert hat [3].

Als einer der wenigen unserer Zunft hat Murray immerhin selbstkritisch [4] die Praxis der Langzeitprophylaxe und andere Praktiken der Behandlung inklusive der begrenzten Verfügbarkeit psychosozialer Interventionen kritisiert.

Mit jahrzehntelanger Latenz müssen wir substanzielle Fehlentwicklungen sowohl in einer sehr einseitigen Forschungsförderung wie einer sehr einseitigen therapeutischen Ausrichtung der Psychiatrie in dem Umgang mit der Schizophrenie konzedieren, die bis heute großenteils nicht korrigiert sind.

Auf der Tagung zur subjektiven Seite der Schizophrenie in Stralsund (2017) wurden die Professionellen von den Psychiatrieerfahrenen kritisch gefragt, warum ihre „subjektive Seite“ überwiegend im Dunkeln bleibt? Warum sie selbst nur ausnahmsweise Gegenstand des Trialogs sind? Eine wichtige Frage, vielleicht sind Scham und Enttäuschung Teil der Erklärung? Scham darüber, wie wenig wir es geschafft haben, die guten Erfahrungen und zum Standard zu erheben und uns von überholten Forschungsparadigmen zu verabschieden.

Gefühle, die bekannterweise schwer zu thematisieren sind gerade von Persönlichkeiten, deren Erfolgskriterium es ist Recht zu behalten und deren Karrieren von z. B. Forschungsförderung abhängt und nicht von dem Impact ihrer Arbeit auf die Qualität der Versorgung?

Wir haben gemeinsam begonnen, die subjektiven Erfahrungen als zentrales Kriterium im Umgang mit psychischen Krisen wertzuschätzen als essenziell zu akzeptieren. Aber das ist noch nicht im Alltag angekommen. Diese Wertschätzung muss sich auch in der Bereitschaft reflektieren, selbstkritisch und offen das eigene Denken und die zugrunde liegenden Motive, Konzepte und Werte zur Diskussion zu stellen.

Auf systemischer Ebene könnte das zu einer Veränderung unserer Erfolgskriterien führen und den Modus wie diese zu kontrollieren sind. Kriterien sowohl dafür wie begrenzte Forschungsmittel auszugeben und knappe Forschungsstellen zu besetzen sind, wer die Lehrinhalte bestimmt aber auch für das was mit knappen Mitteln der Gesundheitsversorgung passieren soll. Das könnte man als Umdenken und Paradigmenwechsel verstehen.

Eine Veränderung, die ohne Systemwechsel bei der Art wie Entscheidungen zustande kommen und wer sie fällt, bleibt nicht dauerhaft. Wäre es nicht großartig, wenn mehr Menschen mit gelebten Erfahrungen bezahlt in der psychosozialen Versorgung engagiert werden könnten, was gut funktionieren kann, wie Projekte mit Peers als Genesungsbegleitern demonstrieren. Und wäre es nicht angemessen, wenn Psychotherapeuten ihr Herz für Menschen mit Psychosen entdecken würden anstatt sie auszusperren?

Wäre es nicht wunderbar, wenn die wenigen Ressourcen für die Behandlung wirklich bei den Betroffenen ankommen würden und nicht zuallererst 15 % Rendite privater Krankenhauskonzerne wie Asklepius [5] finanzieren müssten oder noch höhere Gewinne der Pharmaindustrie [6], die sich noch dazu aus der klinischen Forschung in der Psychiatrie weltweit verabschiedet hat? Und wäre es nicht eine Revolution, wenn in reichen Ländern wie Deutschland die Mehrheit derjenigen, die Hilfe von der Psychiatrie benötigen, auch Zugang dazu hätten?

Ganz subjektiv drängt sich der Eindruck auf, dass wir Psychiaterinnen und Psychiater besser anfangen darüber nachzudenken, wie sich unser Fach neu positionieren kann.

Wir haben ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn wir nicht substanziell zum Verstehen und der Behandlung der Psychiatrischen Praxis beitragen und sicherstellen, dass Hilfe zugänglich ist, sodass niemand auf uns verzichten möchte.


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Michael Krausz

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Michael Krausz MD, PhD, FRCPC
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