Schlüsselwörter Arbeitsbelastung - Weiterbildung - Geburtsmedizin - Work Life Balance - Dienstmodelle - Perinatalzentrum
Einleitung
Alle Perinatalzentren (PNZ) werden seit 2005 auf der Basis des Behandlungsspektrums und der Versorgungsstruktur in 4 Versorgungsstufen gegliedert: Perinatalzentrum Level I (PNZ I), Level II (PNZ II), Perinataler Schwerpunkt (PS) und Geburtsklinik der Regelversorgung (RV), um flächendeckend eine qualitativ hochwertige geburtshilfliche Versorgung in Deutschland zu gewährleisten [1 ]. Die zugrunde liegende „Qualitätssicherungs-Richtlinie Früh- und Reifgeborene“ wurde in der Zwischenzeit mehrfach überarbeitet, zuletzt am 20.11.2014 [2 ], und legt Kriterien für die ärztliche Versorgung fest. So muss in PNZ I mindestens eine permanente 24-Stunden-Arztpräsenz im Entbindungsbereich sowie ein zusätzlicher Rufbereitschaftsdienst (RD) vorgehalten werden. Dabei muss entweder einer dieser Ärzte die Schwerpunktbezeichnung „Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin“ innehaben oder ein solcher telefonisch erreichbar sein. Konkretere Angaben zur Arbeitsverteilung und zu den Dienstsystemen der Geburtshelfer sind nicht vorgegeben; sowohl Vollarbeitszeit als auch Bereitschaftsdienst (BD) sind möglich. PNZ I sollen zudem als Weiterbildungsstätte für den Schwerpunkt „Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin“ anerkannt sein, um das Fortbestehen der ärztlichen Versorgungsqualität zu gewährleisten. Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz [3 ] darf eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 h sowie eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 60 h nicht überschritten werden. Hierbei werden Arbeitszeiten im BD wie Arbeitszeit bewertet, um den Gesundheitsschutz zu gewährleisten [4 ], [5 ]. Nur im Rahmen sogenannter „Opt-Out“-Regelungen dürfen sich Angestellte auf eigenen Wunsch von diesem Schutz ausnehmen und durchschnittlich bis zu einer tarifvertraglich geregelten höheren Grenze ohne Freizeitausgleich arbeiten.
Die fachlichen und rechtlichen Anforderungen an geburtshilfliche Abteilungen und die arbeitsschutzrechtlichen Rahmenbedingungen sind eine besondere Herausforderung für Dienstmodelle. Die zunehmende Feminisierung in der Gynäkologie und Geburtshilfe mit einem Ärztinnenanteil von 64,8%, in der Altersgruppe bis 34 Jahre sogar 82,3% [6 ], [7 ] und die familiären Verpflichtungen einiger Mütter sind Gründe für einen zunehmenden Anteil an Teilzeittätigkeit. Dies stellt die Tagesplanung vor zusätzliche Herausforderungen [8 ].
Ziel der vorliegenden nationalen Befragung geburtshilflich tätiger Ärzte ist, ein realitätsnahes Abbild der angewendeten Dienstmodelle in verschiedenen Kliniken zu generieren. Zudem sollen als Sekundärziele die derzeitige Arbeitsbelastung in der Geburtshilfe in Deutschland in Abhängigkeit von der Versorgungsstufe sowie die daraus resultierenden Unterschiede in der Dienstplanung erhoben werden.
Methoden
Fragebogeninstrument
Ein selbst entwickelter Online-Fragebogen mit 95 Items (Supplement 1), davon 93 Fragen und 2 Kommentarfelder, evaluiert mit dem 1. Abschnitt (20 Fragen) Basisdaten zur Demografie und beruflichen Tätigkeit. Der 2. Abschnitt erhebt Angaben zur Teilzeittätigkeit [9 ], Arbeitszeit und Dienststruktur. Ein 3. Bereich evaluiert die Zufriedenheit der Befragten. Es wurden für die Ziele der Umfrage essenzielle Fragen als Pflichtfragen gekennzeichnet. Die Umfrage wurde über www.surveymonkey.de erstellt und mit seinem URL-Link über den Newsletter des Jungen Forums der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG e. V.) an 2770 Mitglieder in Gebiets- und Zusatzweiterbildung versandt. Darüber hinaus wurde die Umfrage in der Thieme Fachzeitschrift „Geburtshilfe und Frauenheilkunde“ sowie im Thieme Online-Netzwerk „Thieme Gyn-Community“ veröffentlicht. Die Möglichkeit zur Teilnahme und Datenerfassung erfolgte über 3 Monate vom 17.02.2015 bis zum 16.05.2015. Jeder Teilnehmer musste zu Beginn der Studie der Auswertung aktiv einwilligen und eine zum Zeitpunkt der Umfrage bestehende Tätigkeit in der Geburtsmedizin bestätigen, ansonsten erfolgte der Ausschluss.
Statistische Auswertung
Die statistische Auswertung erfolgte mit der Open Source Software GNU PSPP Version 0.8.5 sowie GraphPad Software Inc, San Diego US, Prism 5.0a. Bei unverbundenen und nicht normalverteilten Stichproben erfolgte die Berechnung mittels Mann-Whitney-Test und t-Test bei verbundenen Stichproben. Der χ2 -Test kam für kategoriale Variablen zum Einsatz.
Ergebnisse
Datensatzselektion
481 der 2770 Adressaten (17%) nahmen an der Befragung teil. Hiervon arbeiteten 437 aktuell in der Geburtsmedizin und stimmten der Datenschutzeinwilligung zu. Diese sind im Folgenden als Gesamtkollektiv gesehen und als 100% gesetzt. Die Beantwortung aller weiteren Fragen wird im Folgenden dazu in Relation gesetzt und die Anzahl der nicht beantwortenden Teilnehmer pro Frage angegeben (k. A. = keine Angabe).
Teilnehmercharakteristika
Die Mehrheit der Teilnehmer war deutscher Nationalität (89%, n = 392, k. A. = 61), weiblich (77%, n = 326, k. A. = 59) und befand sich zum Erhebungszeitpunkt in der Gebietsweiterbildung zum Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe (52%, n = 230, k. A. = 78). Die detaillierten Teilnehmercharakteristika sind in [Tab. 1 ] zusammengefasst. Die Mehrheit der Teilnehmer arbeitet in Vollzeitbeschäftigung (VZ; 64%, n = 297, k. A. = 80). Ausführliche Daten zur Teilzeitbeschäftigung (TZ) sind Teil einer Subgruppenanalyse und wurden andernorts bereits publiziert [9 ]. Die Verteilung hinsichtlich der perinatologischen Versorgungsstufe der Einrichtung ist in [Abb. 1 ] dargestellt.
Tab. 1 Teilnehmercharakteristika.
gesamt
Frauen
Männer
437 Teilnehmer in geburtshilflichen Abteilungen mit Zustimmung zur Auswertung der Daten
Geschlecht
n =
437
326
74,60%
96
21,97%
15
3,43%
Alter
n =
437
n =
326
n =
96
83
18,99%
73
22,39%
10
10,42%
201
46,00%
155
47,55%
46
47,92%
66
15,10%
54
16,56%
12
12,50%
44
10,07%
32
9,82%
12
12,50%
20
4,58%
11
3,37%
9
9,38%
8
1,83%
1
0,31%
7
7,29%
15
3,43%
Nationalität (n = 438; 1 × doppelte Staatsbürgerschaft, dadurch 101%)
n =
437
n =
326
n =
96
392
89,70%
307
94,17%
85
88,54%
29
6,64%
19
5,83%
11
11,46%
16
3,66%
Wie viele Kinder bis höchstens 17 Jahre leben in Ihrem Haushalt?
n =
437
n =
326
n =
96
250
57,21%
190
58,28%
60
62,50%
74
16,93%
55
16,87%
19
19,79%
74
16,93%
61
18,71%
13
13,54%
19
4,35%
16
4,91%
3
3,13%
3
0,69%
2
0,61%
1
1,04%
2
0,46%
2
0,61%
0
0,00%
15
3,43%
Beschäftigungsumfang
n =
437
n =
312
n =
89
104
23,80%
100
32,05%
4
4,49%
297
67,96%
212
67,95%
85
95,51%
36
8,24%
Ihre berufliche Position
n =
437
n =
313
n =
90
230
52,63%
199
63,58%
31
34,44%
81
18,54%
63
20,13%
18
20,00%
3
0,69%
1
0,32%
2
2,22%
57
13,04%
34
10,86%
23
25,56%
12
2,75%
7
2,24%
5
5,56%
17
3,89%
7
2,24%
10
11,11%
3
0,69%
2
0,64%
1
1,11%
34
7,78%
Assistenzärzte (n = 230): Auf welchem Stand Ihrer aktuellen Weiterbildung befinden Sie sich?
n =
230
n =
199
n =
31
Jahr der Facharztweiterbildung:
20
8,70%
18
9,05%
2
6,45%
38
16,52%
29
14,57%
9
29,03%
40
17,39%
37
18,59%
3
9,68%
62
26,96%
51
25,63%
11
35,48%
56
24,35%
50
25,13%
6
19,35%
6
2,61%
6
3,02%
0
0,00%
8
3,48%
8
4,02%
0
0,00%
0
0,00%
Versorgungsstufe
n =
437
n =
302
n =
83
82
18,76%
69
22,85%
13
15,66%
22
5,03%
17
5,63%
5
6,02%
54
12,36%
45
14,90%
9
10,84%
225
51,49%
170
56,29%
55
66,27%
1
0,23%
0
0,00%
1
1,20%
1
0,23%
1
0,33%
0
0,00%
52
11,90%
Abb. 1 Teilnehmerverteilung in Abhängigkeit von Versorgungsstufe.
Dienstmodelle
In der Geburtsmedizin wurden alle denkbaren Kombinationen aus Vollarbeit mit und ohne Schichtdienst (SD), Bereitschaftsdienst (BD) und Rufbereitschaftsdienst (RD) – und zwar in allen Versorgungsstufen – angegeben. Die Verteilung der Anwesenheitsdienste und der Dienstformen in Abhängigkeit von der Versorgungsstufe zeigt [Abb. 2 ]. Insgesamt wurde in 21 Fällen (5%) angegeben, dass weder SD noch BD zur Abdeckung der Nachtdienste geleistet wird. Über alle Versorgungsformen hinweg wurde aufgezeigt, dass der Anwesenheitsdienst außerhalb der Regelarbeitszeit am häufigsten als reiner BD oder durch eine Kombination aus Regeldienst und BD organisiert ist. BD ist in dieser Umfrage die am häufigsten genannte Arbeitsform zur Abdeckung der Nachtdienste unter der Woche sowie der (Tag- und Nacht-)Dienste am Wochenende. So notierten insgesamt 75% (n = 329, k. A. = 56), ihr Dienstmodell beinhalte für die Abdeckung der Nachtdienste BD. Gleichzeitig gaben 63% (n = 277, k. A. = 113) an, alle BD umfassten Nachtdiensttätigkeit zwischen 21 und 6 Uhr.
Abb. 2 Organisation der Dienste außerhalb der Regeldienstzeit nach Versorgungsstufe (Anteil je Stufe). 359 Teilnehmer mit verwertbaren Angaben = 100%. Angabe „weder SD (Schichtdienst), noch BD (Bereitschaftsdienst)“ ist nicht abgebildet, n = 21. Keine Angaben (k. A.) = 57.
Demgegenüber ist SD deutlich seltener: Ein Schichtsystem (reiner SD oder eine Kombination aus BD und SD) war bei 20% (n = 88, k. A. = 71) der Befragten etabliert. Eine klare Abhängigkeit der SD-Häufigkeit von der Versorgungsstufe zeigte sich dabei nicht. Demgegenüber nahmen Kombinationen beider Systeme mit der Anzahl der im Haus anwesenden Ärzte zu. Ebenso korrelierte eine hohe Geburtenzahl mit dem Vorhandensein eines SD: Die Teilnehmer (n = 366, k. A. = 71) gaben über alle Gruppen durchschnittlich zu 20% ein Schichtsystem an. Bei jährlich > 1500 Geburten (n = 207), wurde in 29% bei > 2000 Geburten (n = 114) pro Jahr in 43% im SD gearbeitet. Weiter wurde angegeben, dass signifikant häufiger im SD gearbeitet wird, wenn zuvor eine Arbeitszeitanalyse vorgenommen wurde (p < 0,01).
RD wurde von 30% (n = 132) der Teilnehmer (n = 362, k. A. = 75) als Bestandteil des Dienstmodells genannt. Innerhalb dieser Gruppe (n = 132) wird RD häufig zur Organisation des sogenannten Hintergrunddienstes (n = 168), seltener zur Organisation eines (zusätzlichen) Vordergrunddienstes (n = 71) eingesetzt.
Die Teilnehmer konnten Unterschiede zwischen den Arbeitsformen am Wochenende und denen unter der Woche (hier definiert als Montag bis Freitag) notieren: Die Dauer der Dienste am Wochenende war signifikant länger als an Wochentagen. Dieser Unterschied fiel in Abteilungen mit reinem SD (n = 31) geringer aus als in Abteilungen mit reinem BD oder Kombinationen aus SD und BD (n = 324).
In Abteilungen mit reinem SD wurde am Wochenende fast ausschließlich in 2-Schicht-Systemen mit je 12-stündigen Schichten gearbeitet (n = 27). Unter der Woche ist dieses ebenfalls am häufigsten (n = 22) der Fall. Aufgrund der geringen Fallzahl war eine statistisch belastbare weitere Differenzierung nicht möglich.
Beim BD (n = 324) wurde ein Unterschied zwischen Wochenende und Woche angegeben: Dienste mit 20 – 24 h Dauer waren am häufigsten (n = 162), gefolgt von 12 – 14-stündigem BD (n = 62) und allen anderen zeitlichen Längen (je n < 7). Unter der Woche wurden kürzere Dienste geleistet (n = 99 für 20 – 24-h-Dienste).
329 aller Teilnehmer gaben an, dass ihr Dienstmodell BD anteilig enthalte: In 192 Fällen (58% dieser Teilnehmer) wird die höchste verfügbare BD-Stufe des jeweiligen Tarifvertrags angeordnet. 104 der Teilnehmer (24%) gaben an, bis zu 4, 203 Teilnehmer (46%) 5 – 9, und 5 Teilnehmer 10 und mehr BD je Monat zu leisten. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer (55%) verzeichneten, dass die in ihrer BD-Stufe vorgesehene Arbeitsleistung durchschnittlich nicht eingehalten wird: Am auffälligsten war diese Abweichung in PNZ I. Dies unterscheidet sich signifikant von Abteilungen der Regelversorgung (p = 0,01) und solchen mit Schwerpunktversorgung (p = 0,03). 90% (n = 290) aller Antwortenden (n = 324, k. A. = 113) berichteten, dass regelmäßig Tätigkeiten, die im Tagesverlauf verrichtet werden sollten (Regeldiensttätigkeiten), im BD erledigt würden.
Arbeitszeit
Die tatsächliche Wochenarbeitszeit (abgefragt als Summe Vollarbeit inkl. Überstunden und Bereitschaftsdienst, exklusive Rufdiensten) im Vergleich zu den Angaben des Marburger Bund-(MB-)Monitor 2015 zeigt [Abb. 3 ]
[10 ]. Einer Opt-out-Regelung wurde in 43% (n = 189) zugestimmt, 34% (n = 150) lehnten eine solche ab, 11% (n = 48) wussten nicht, ob sie einer solchen Regelung zugestimmt hatten (k. A. = 49; 11%).
Abb. 3 Durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Stunden. Vergleich dieser Umfrage des Jungen Forums (JF) (377 Teilnehmer, die die Frage beantwortet haben = 100%, keine Angaben [k. A.] = 60) mit dem Marburger Bund (MB) Monitor 2015.
Eine systematische Arbeitszeiterfassung durch den Arbeitgeber, ob als manuelle (Online-)Dokumentation oder als elektronische Arbeitszeiterfassung, erfolgte bei fast der Hälfte (48%, n = 207, k. A. = 76). 11% (n = 49) der Teilnehmer gaben an, nicht alle Arbeitszeiten wie geleistet dokumentieren zu können, wobei mit 53% (n = 230) die Mehrheit hierzu keine Angaben machte. In Freitextantworten (n = 22) wurde aufgeführt, dass über die Sollzeit hinaus dokumentierte Arbeitszeiten von Erfassungssystemen nicht gebucht werden können oder systembedingt ein automatisches Ausloggen nach der erlaubten Höchstarbeitszeit erfolgt. Die Mehrheit der Befragten (71%, n = 311, k. A. = 121) gab unabhängig von der Versorgungsform an, regelmäßig Überstunden zu leisten; in 24% (n = 104, k. A. = 77) geschah dies auf Anordnung. Bei bis zu 1000 Geburten wurden signifikant seltener Überstunden absolviert als an Zentren mit > 1000 Geburten (74 vs. 89%, p < 0,01). Zwischen den Gruppen „1001 – 2000 Geburten“ und „> 2000 Geburten“ bestand kein signifikanter Unterschied. Ebenso wurde kein signifikanter Unterschied in Abhängigkeit von Art und Trägerschaft des Arbeitgebers, der Versorgungsstufe, der Ableistung von Schichtdienst, der Anzahl der sogenannten Vordergrunddienste, der Durchführung einer Arbeitszeiterfassung vor Festlegung des Dienstmodells sowie der Anzahl der im Haushalt lebenden Kinder bis höchstens 17 Jahre verzeichnet. Eine explizite Abfrage der Gründe für Überstunden erfolgte nicht. In den Freitextantworten wurden unbesetzte Stellen oder Personalmangel als häufige Gründe erwähnt.
Personalplanung im jeweiligen Versorgungsmodell
Die überwiegende Mehrheit der Teilnehmer gab an, dass außerhalb der Regeldienstzeiten mindestens ein Arzt in der Abteilung anwesend sei; ein reiner RD wurde nur in einem Fall angegeben. Die Anzahl der anwesenden Ärzte variierte stark in Abhängigkeit von der Geburtenanzahl und von der Versorgungsform ([Abb. 4 ]). Die höhere Anzahl der anwesenden Ärzte in Einrichtungen der Schwerpunktversorgung sowie der PNZ im Vergleich zur RV war statistisch signifikant (p ≤ 0,0001). Eine Subanalyse der PNZ nach Level zeigt eine signifikant höhere Anzahl im Dienst anwesender Ärzte im PNZ I gegenüber PS und PNZ II (p = 0,0002 und p = 0,0001). Kein signifikanter Unterschied war beim Vergleich der PS mit den PNZ II festzustellen (p = 0,42). 31% aller Teilnehmer (n = 137) gaben an, dass im Nachtdienst kein Facharzt im Krankenhaus anwesend sei. Von 44 Teilnehmern, die über weniger als ein Jahr Erfahrung in der Geburtshilfe verfügten, arbeiten zehn nachts ohne anwesenden Facharzt, sechs davon im PNZ I. 269 Teilnehmer (62%) fühlen sich durch die Gestaltung der Arbeitszeiten in ihrem Krankenhaus gesundheitlich beeinträchtigt.
Abb. 4 Personalplanung in Abhängigkeit von Geburtenzahl und Versorgungsstufe.
Diskussion
Die vorliegende Befragung untersuchte die Arbeitsform und Arbeitsbelastung in geburtshilflichen Abteilungen in Deutschland. Dabei konnte gezeigt werden, dass die unterschiedlichen Dienstmodelle maßgeblich durch Geburtenzahl und perinatologische Versorgungsstufe bestimmt werden. Dienstmodelle an Wochentagen und Wochenenden unterscheiden sich, wobei Kombinationen mit Bereitschaftsdiensten am häufigsten zum Einsatz kommen. Die wichtigsten Prädiktoren für ein Schichtsystem sind eine hohe Geburtenzahl sowie eine stattgehabte Arbeitszeiterfassung. Weiter wurden in den Freitextkommentaren finanzielle Einbußen durch ein Schichtsystem befürchtet, was zu einer Zurückhaltung bezüglich der Implementierung führen könnte. Demgegenüber nehmen Kombinationen beider Systeme mit der Anzahl der im Haus anwesenden Ärzte zu. Freitextkommentare legen nahe, dass der tatsächliche Personalbedarf sich besser durch unterschiedliche Dienstformen abbilden lässt.
Die überwiegende Anwendung von Systemen mit einer geringen Anzahl am Wochenende zu besetzender Dienste (2-Schicht-System, lange Bereitschaftsdienste) wirft die Frage auf, ob nicht der tatsächliche Arbeitsbedarf, sondern vielmehr der Wunsch nach einer Reduktion der Anzahl an Wochenenddiensten das Dienstmodell am Wochenende bestimmen könnte. Das legen die Freitextkommentare nahe. Im Gegensatz dazu scheint die Dienstdauer unter der Woche eher dem tatsächlichen Bedarf zu entsprechen.
Mehrheitlich gaben die Teilnehmer an, die in ihrer Bereitschaftsdienststufe vorgesehene Arbeitsleistung zu überschreiten. Dies ist bei Vorliegen der höchsten Bereitschaftsdienststufe als rechtswidrig einzustufen, denn definitionsgemäß muss der Anteil ohne Arbeitsleistung überwiegen, damit Bereitschaftsdienst angeordnet werden darf. Hier scheint es in der Praxis Schwierigkeiten mit der Differenzierung zwischen zulässiger Inanspruchnahme (bis zu durchschnittlich 50%) und Vergütungssystematik (Bewertung als Arbeitszeit bis zu 100% je Stunde) zu geben. Selbst in Abteilungen mit nur einem im Krankenhaus anwesenden Arzt an Wochenenden wurde angegeben, dass mitunter reiner Bereitschaftsdienst angeordnet wird. Diese Angaben sind kritisch zu bewerten und deuten auf ein mögliches Missverständnis hin. Neben Regeldiensttätigkeiten wie geplanten Visiten oder Einbestellungen zu etwaigen Kontrolluntersuchungen oder Operationen muss für ungeplante Tätigkeiten noch ausreichend Zeit zur Verfügung stehen, um eine durchschnittliche Inanspruchnahme von < 50% während des Bereitschaftsdienstes nicht zu überschreiten [11 ]. Wie den Freitextkommentaren zu entnehmen ist, werden solche Tätigkeiten aber dennoch regelmäßig verrichtet. Hier wäre die Einführung eines Schichtdienstes oder eine Kombination von (Voll-)Arbeitszeit und Bereitschaftsdienst lege artis.
Die Angaben zur durchschnittlichen Wochenarbeitszeit entsprechen im Wesentlichen den Erhebungen des Marburger Bundes aus dem gleichen Jahr, liegen aber tendenziell eher darüber [10 ]. Die Unterschiede sind möglicherweise durch einen höheren Teilnehmeranteil aus universitären Einrichtungen (30% n = 133, k. A. = 96, vs. 18% Marburger Bund-Monitor 2015) sowie an Assistenzärzten (53% vs. 40% MB-Monitor 2015) zu erklären. Der hohe Anteil geleisteter Überstunden lässt eine nicht bedarfsgerechte Personalplanung in den geburtshilflichen Abteilungen vermuten.
Erstaunlich ist, dass trotz der zunehmenden Verbreitung elektronischer Arbeitszeiterfassung und aufgrund tariflicher Vorgaben sowie trotz empfindlicher Sanktionen bei Verstößen gegen das ArbZG nur 47% (n = 207, k. A. = 121) der Arbeitgeber in der Geburtsmedizin systematisch sämtliche Arbeitszeiten zu erfassen scheinen (im Vergleich MB-Monitor: 73%). Hierdurch könnte aber ein geänderter Personalbedarf frühzeitig erkannt und ggf. kompensiert werden. Diesen Effekt legen die vorliegenden Ergebnisse nahe: Wurde eine Tätigkeitsanalyse vorgenommen, lag signifikant häufiger ein SD vor.
Neben den bereits zuvor geschilderten arbeitsrechtlichen Überlegungen werden in der vorliegenden Umfrage auch sicherheitsrelevante Probleme offensichtlich: Gerade die Geburtshilfe verlangt höchste Konzentration, um innerhalb von Minuten lebensverändernde Entscheidungen zur Sicherheit von Mutter und Kind korrekt treffen zu können. Die langen durchschnittlichen Arbeitszeiten, häufigen Überstunden und inadäquat gewählten Dienstformen können daher weitreichende Folgen haben. Es ist bekannt, dass Arbeitsverdichtungen zu einer höheren Transmissionsrate multiresistenter Keime [12 ] und eine Verlängerung der Arbeitsdauer zu einem Anstieg der Unfallhäufigkeit und Fehlerwahrscheinlichkeit führen [13 ]. Neuere arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse belegen eine Modellierung des Patientenrisikos in Bezug auf Fehlbehandlungen und Unfällen in Abhängigkeit vom praktizierten ärztlichen Dienst- bzw. Schichtsystem und legen die Optimierung der Sicherheit in allen Aus- und Weiterbildungsstufen nahe [14 ]. Auch erhöht eine hohe nächtliche Arbeitsbelastung langfristig das individuelle Gesundheitsrisiko [15 ]. So zeigte die vorliegende Umfrage eine hohe subjektiv empfundene gesundheitliche Beeinträchtigung aufgrund der Dienstgestaltung. Dies ist vergleichbar mit den Daten des MB-Monitors 2015 (61% [n = 269, k. A.=132] vs. 72%).
Die Behandlung im Krankenhaus muss jederzeit zumindest den Facharztstandard erfüllen können, für PNZ wird sogar das Vorhalten von Fachkenntnissen in spezieller Geburtshilfe in den Qualitätsanforderungen des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) gefordert. In unserer Umfrage ist bei 17% (n = 37) der PNZ I kein Facharzt im Krankenhaus anwesend.
Zumindest ist festzuhalten, dass in Zeiten eines relativen Ärztemangels die Weiterbildung in der Geburtsmedizin sowie im Schwerpunkt „Spezielle Geburtshilfe und Perinatalmedizin“ sicherzustellen ist, um ein flächendeckendes Angebot einer spezialisierten Geburtsmedizin zukünftig sicherstellen zu können.
Stärken und Limitationen der vorliegenden Umfrage
Die vorliegende Umfrage ist die erste bundesweite Erfassung zu Arbeitsformen und Arbeitsbelastung in der Geburtsmedizin in der Bundesrepublik Deutschland. Es haben Ärzte aller Positionen in geburtshilflichen Abteilungen teilgenommen. Primär sollte diese Umfrage Ärzte in Fach- oder Schwerpunktweiterbildung erreichen, dennoch waren weitere Subgruppen vertreten und demzufolge sehr klein (z. B. Chefärzte). Dadurch können einzelne Ergebnisse nur mit äußerster Vorsicht als Grundlage weiterführender Überlegungen interpretiert werden. Trotzdem ist die Verteilung sowohl über alle Versorgungsarten und Positionen ausreichend homogen und spiegelt mit 437 Teilnehmern eine übliche Gruppengröße einer Kohorte im Vergleich zu den für die Einordnung recherchierten Arbeiten zur Arbeitsbelastung wider [16 ], [17 ], [18 ], [19 ]. Durch kleine Stichproben sind Verzerrungen möglich. Die vorliegenden Daten zu Dienstmodellen und Arbeitsbelastung decken sich zwar sowohl mit den durch den Arbeitskreis des Jungen Forums in der Konzeption der Umfrage erwarteten Ergebnissen als auch mit der alltäglichen Erfahrung der Autoren. Der Anteil der Teilnehmer aus PNZ Level I erscheint den Autoren aber überproportional hoch. Eine mögliche Ursache könnte in der Zusammensetzung des Arbeitskreises des Jungen Forums liegen, eine weitere Ursache in der Mitgliederstruktur der DGGG als wissenschaftliche Fachgesellschaft, in der eher wissenschaftliche tätige Ärzte organisiert sind. Dies könnte zu einer Negativselektion geführt haben. Ein personalisierter Umfragecode wurde nicht versandt. Es ist eine Mehrfachteilnahme daher theoretisch nicht ausgeschlossen. Bei der manuellen Durchsicht der Datensätze wurden aber keine Doppeleinträge (> 90% Übereinstimmung) gefunden.
Die Angabe weniger, ihr Dienstmodell umfasse weder Schicht-, noch Bereitschaftsdienst (n = 21), ist für die Autoren nicht plausibel. Die Abgrenzung zwischen Schicht- und Bereitschaftsdienst erfolgt aufgrund teilweise stark variierender tariflicher Regelungen. In Abwägung der Freitextkommentare gehen die Autoren daher davon aus, dass für einige Teilnehmer der Unterschied der Dienststrukturen – trotz entsprechender erläuternder Hinweise neben den Fragen – nicht klar genug war, um korrekte Antworten abzugeben. Dies könnte zu einer leichten Unterrepräsentierung von SD-Modellen geführt haben. Würde man eine Zuordnung der Teilnehmer ohne Angabe zur Dienstform zu der Gruppe der SD durchführen, gäbe es keine signifikanten Veränderungen bez. der dargestellten Verteilungen.
Ähnliches gilt für den Begriff „Facharzt“. Einerseits wird darunter der Facharztstatus verstanden, andererseits die Organisationsstruktur der Abteilungen. Hier sind unterschiedliche Verständnisse insbesondere bez. des „Assistenzarztes“ möglich. Zukünftige Untersuchungen sollten klar zwischen Facharztstatus und Assistenzarztfunktion mit/ohne Facharztniveau differenzieren, um Missverständnisse und Unklarheiten zu vermeiden.
Bei einer anonymisierten Umfrage wurden keine Daten zum Standort und Anzahl der Ärzte in der jeweiligen Versorgungsstufe erfasst. Anhand des Fragebogens kann auf der Basis der Dienstform nicht auf die Tätigkeit geschlossen werden. Ob die Tätigkeit in der Geburtmedizin dem BD oder dem SD zugeordnet wurde, kann so nicht festgestellt werden. Dazu wäre eine nach Tätigkeit differenzierende Abfrage nötig. Der mehrere Themen umfassende Fragenkatalog sowie die in Aussicht gestellte Bearbeitungsdauer von ca. 15 Minuten kann Adressaten von einer tatsächlichen Teilnahme abgehalten haben.
Ausblick
Die Ergebnisse unserer Umfrage weisen auf einige evidente Mängel in der Struktur und Organisation geburtshilflicher Abteilungen mit potenziell schwerwiegenden Folgen für die Behandlungsqualität hin. Vor dem Hintergrund der Zentralisierung und vermehrter Schließungen geburtsmedizinischer Abteilungen aufgrund der ungünstigen Aufwand-Erlös-Relation sowie bekannten fluktuierenden Patientenströmen in der Geburtsmedizin, sollte der Personalbedarf regelmäßig auf Grundlage der tatsächlich anfallenden Arbeit (Tätigkeitsaufzeichnungen) ermittelt werden. Durch die Identifizierung einiger (Problem-)Schwerpunkte können die Dienstmodelle geburtshilflicher Abteilungen so angepasst werden, dass unter Berücksichtigung der rechtlichen, medizinisch-fachlichen und strukturellen Voraussetzungen neben einer Verbesserung des Gesundheitsschutzes der dort tätigen Ärzte auch die Haftungsrisiken für die Dienstplanverantwortlichen gemindert würden. Dabei wird die Verantwortung für die Dienstplanung i. d. R. durch die Geschäftsführungen an die Abteilungsleitungen delegiert. Die persönliche Haftung aufgrund von Verstößen gegen das ArbSchG und ArbZG liegt daher zumeist bei den ärztlichen Direktoren oder Chefärzten, die letztverantwortlich Dienstpläne anordnen und Abweichungen von der Planung, z. B. Überstunden, dulden.
Da regional, strukturell und traditionell sehr unterschiedliche Anforderungen an geburtsmedizinische Abteilungen gestellt werden, wird es die eine, generell übertragbare Lösung für einen geburtsmedizinischen Arbeitsplatz nicht geben. Ein ideales Dienstmodell für die Geburtsmedizin kann aus unseren Daten nicht abgeleitet werden. Es gibt unterschiedliche, inhaltlich gleichwertige und ebenso gesetz- und tarifkonforme Antworten auf die organisatorischen Fragen. So können 100% Arztbedarf beispielsweise durch 1 Arzt im Schichtdienst oder 2 Ärzte im Bereitschaftsdienst abgedeckt werden.
Es erscheint ebenfalls sinnvoll, auch vorhersehbare Einflussgrößen wie Krankheit und schwangerschafts-/elternzeitbedingte Abwesenheiten bei der Bedarfsplanung einzubeziehen. Dabei müssen zunächst das medizinisch-fachliche Soll (Festlegung des Serviceangebots) und das arbeitsrechtliche Soll (zulässiges Dienstmodell) überprüft und mit dem betrieblichen Istzustand (Tätigkeitsanalyse) in Einklang gebracht werden. So kann es gelingen, die Sicherheit des Behandlungsumfelds für die uns anvertrauten Patientinnen und deren Kinder nachhaltig sicherzustellen.