Einführung
Botulinumtoxin A wird seit über 20 Jahren in der Behandlung der fokalen Hyperhidrose
und der hyperkinetischen Muskulatur verwendet [1]. Die verwendeten Präparate, Injektionstechniken und Dosierungen sind gut bekannt
[2]
[3]. Jedoch ist die Behandlung im Laufe der Jahre differenzierter geworden, neue Indikationen
sind dazu gekommen [4].
Methodik
Der Artikel ist mehr eminenz- als evidenzbasiert. Jedoch wurde versucht, einzelne
Aussagen durch wissenschaftliche Quellen zu untermauern.
Zulassungsstatus
Der Zulassungsstatus spiegelt das Engagement der einzelnen Firmen wider, weitere Indikationen
im Bereich der Ästhetischen Medizin durch klinische Studien zu überprüfen. Eine Zulassung
für Glabella, Stirn und Lachfalten gibt es nur für Bocouture®. Vistabel® hat die Zulassung für die Glabella und die Lachfalten, Azzalure® nur für die Glabella ([Tab. 1]).
Tab. 1
Botulinumtoxin A-Präparate in Deutschland und Europa.
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Handelsname
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US-Akronym
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Einheiten[1] pro Fläschchen
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Zugelassene ästhetische Indikation(en)
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Hersteller
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Azzalure®
[2]/Dysport®
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Abo-botulinumtoxin A (Abo-BoNT-A)
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125[2]/300[3] oder 500
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Glabella
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IPSEN
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Bocouture®/Xeomin®
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Inco-botulinumtoxin A (Inco-BoNT-A)
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50/100/100
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Glabella, Stirn und Lachfalten
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Merz
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Vistabel®/Botox®
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Ona-botulinumtoxin A (Ona-BoNT-A)
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50/100
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Glabella und Lachfalten
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Allergan
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1 1 E Azzalure®/Dysport® entspricht in etwa 2,5 E von Vistabel®/Botox®. 1 E von Bocouture®/Xeomin® entspricht ungefähr einer 1 E von Vistabel®/Botox®.
2 vertrieben durch Galderma.
3 nur in den USA erhältlich.
Spielt dies eine Rolle? In der täglichen Praxis ist die Anwendung von Botulinumtoxin
A für alle drei Toxine so individuell, dass der Zulassungsstatus nur zur Orientierung
dient. Wo er relevant ist, ist bei Firmenfortbildungen. Hier dürfen die Firmen nur
über die zugelassenen Indikationen sprechen. Damit sind die meisten dieser Firmenfortbildungen
für einen erfahrenen Anwender uninteressant, da sie nur ein Standardvorgehen mit Standardergebnissen
vermitteln (notabene: Im Bereich der Glabella steht dann nur das 5-Punkte-Schema in
der Verteilung der Zulassungsstudien zur Debatte).
Neue Toxine
Die Zeit der drei bekannten Toxine in Europa und den Vereinigten Staaten geht vorbei.
Neue Toxine drängen auf den Markt. Bei den neuen Toxinen handelt es sich vor allem
um Toxine aus Asien wie z. B. das DWP-450 [5] aus Südkorea. Erste Ergebnisse aus neuen europäischen und US-Studien mit diesem
Toxin wurden im Frühjahr 2017 auf der ASAPS (American Society of Aesthetic Plastic
Surgery) vorgestellt (http://www.prnewswire.com/news-releases/alphaeon-announces-results-from-two-phase-iii-trials-of-dwp-450-botulinum-toxin-type-a-300247622.html). Im Mai 2017 wurde für dieses Präparat die Zulassung bei der FDA beantragt (http://www.prnewswire.com/news-releases/alphaeon-submits-biologics-license-application-for-dwp-450-neuromodulator-300458255.html).
Wie werden diese Toxine einzuschätzen sein? Im Gegensatz zu dem überwiegenden Teil
der injizierbaren Füllmaterialien liegen den neuen Präparaten gute klinische Studien
zugrunde. Diese Studien werden Plazebo-kontrolliert bzw. gegen ein Vergleichspräparat
kontrolliert und geben damit die Möglichkeit, Wirksamkeit und Sicherheit der untersuchten
Präparate abschätzen zu können.
Sollten die neuen Toxine vergleichbar bzw. etwas weniger wirksam sein, wird sich dies
wahrscheinlich auch im Preis bemerkbar machen. D. h. die Botulinumtoxine werden günstiger
werden. 2016 erfolgten in Deutschland bereits Preissenkungen für alle drei in der
Ästhetischen Medizin verwendeten Präparate.
Vorgelöste Toxine
Alle zurzeit auf dem Markt vorhandenen Toxine müssen mit physiologischer Kochsalzlösung
vor der Injektion aufgelöst werden. Dieser Vorgang dauert nur ein paar Sekunden –
kann aber dazu führen, dass mehr physiologische Kochsalzlösung als vom Hersteller
empfohlen verwendet wird. Wird dann das empfohlene Volumen pro Injektionspunkt, z. B.
0,05 oder 0,1 ml, injiziert, werden pro Injektionspunkt weniger Einheiten injiziert,
d. h. die Wirkung pro Injektionspunkt ist schwächer. Vorgelöste Toxine werden die
Anwendung von Botulinumtoxin A deshalb weiter standardisieren. Sie werden sie aber
auch unflexibler machen. Individuelle Lösungen werden nur noch dann möglich sein,
wenn die Toxine höher verdünnt werden sollen. Konzentriertere Lösungen werden sich
nicht mehr herstellen lassen. D. h. Kollegen, die z. B. Bocouture®/Vistabel® wie Azzalure® mit 0,625 ml verdünnen, um 4 Bocouture®/Vistabel®-E in 0,05 ml pro Injektionspunkt zu erhalten, werden dies, wenn ein in 1,25 ml vorgelöstes
Toxin vorliegen sollte, nicht mehr können. Sie müssen dann das Standardlösungsvolumen
von 0,1 ml pro Injektionspunkt verwenden. Notabene: Dieser Unterschied ändert nichts
an der Wirksamkeit und Sicherheit, nur an der Sichtbarkeit der Injektionsstellen.
Injektionsstellen, die mit 0,05 ml injiziert wurden, sind schneller nicht mehr sichtbar
als solche, die mit 0,1 ml injiziert wurden ([Abb. 1]). Zurzeit ist noch kein vorgelöstes Toxin auf dem europäischen Markt erhältlich.
Jedoch liegen bereits größere Studien zu einem koreanischen Toxin [6] und zu Dysport® vor [7].
Abb. 1 Sofortbild nach Standardinjektion von z. B. Bocouture®/Vistabel® im Bereich der Glabella. Pro Injektionspunkt wurden 0,1 ml (entsprechen 4 Einheiten)
injiziert. Je nach Hauttyp zeigen sich die Volumendepots mehr oder weniger deutlich
für eine kurze Zeit. Bei Verwendung von Azzalure® pro Injektionspunkt in der Standarddosierung (0,05 ml entsprechen 10 sE) sind die
Volumendepots kleiner und weniger sichtbar.
Standarddosierung versus individuelle Dosierung
Standarddosierung versus individuelle Dosierung
Klinische Studien sind wichtig. Jedoch bilden sie nur Standardsituationen ab, die
individuelle Dosierungen in den überwiegenden Fällen nicht berücksichtigen. Eine Ausnahme
stellen die Studien von M. Kane et al. [8] zu Azzalure®/Dysport® und M. Kerscher et al. [9] zu Bocouture®/Xeomin® dar. M. Kane konnte in seiner Glabellastudie nachweisen, dass eine an die Muskelmasse
adaptierte Dosierung die Wirkdauer verbessern kann. Kurz gesagt, wer dicke, aktivere
Muskeln mit mehr Toxin behandelt, wird eine bessere Wirksamkeit erhalten. M. Kerscher
verwendete in ihrer Studie individuelle Dosierungen für die Stirn und konnte so den
Anteil der Patienten mit einer Augenbrauenptosis reduzieren – jedoch um den Preis
einer verminderten Wirksamkeit im Bereich der durch den M. frontalis induzierten Stirnquerfalten.
Die individuelle Dosierung im Alltag geht über die individuelle Dosierung in den klinischen
Studien hinaus. Ein Grund hierfür ist, dass durch die Standarddosierungen zumeist
nur ein Standardergebnis erreicht wird ([Abb. 2]). D. h. im klinischen Alltag werden nicht nur die Dosierungen pro Injektionspunkt
modifiziert, sondern auch die Injektionspunkte selbst, um das für den jeweiligen Patienten
bestmögliche Ergebnis zu erhalten.
Abb. 2 Ergebnis nach Injektion eines Botulinumtoxins in fünf Punkten (empfohlene Zulassungspunkte,
empfohlene Verdünnung). Durch die laterale Frontalisaktivität entstehen nur noch im
lateralen Bereich Horizontalfalten, die häufig unnatürlich wirken – jedoch von einem
Teil der Patienten auch so gewünscht werden.
Wobei für das bestmögliche Ergebnis nicht nur die Anatomie, die Injektionspunkte und
die Dosierung zählen – sondern auch die Wünsche des Patienten. Der Wunsch des Patienten
kann sehr variieren. Die meisten unserer Patienten wollen nur eine leichte Reduktion
der Mimik. Jedoch gibt es auch Patienten, die so wenig Bewegung wie möglich wollen.
Hier ist die Nichtbeweglichkeit ein Muss – sogar das leichte Zucken eines M. depressor
supercillii in einem sonst unbeweglichen Gesicht will reduziert werden. Ein kleiner
Teil der Patienten wünscht einen ‚Botox look‘, d. h. im Glabellabereich medial abgesenkte
und lateral angehobene (mephistoartige) Augenbrauen ([Abb. 2]).
Wichtig: Die Patienten sprechen nicht immer die gleiche Sprache wie der behandelnde
Arzt. Ein natürliches Ergebnis kann auch im Einzelfall ein unbewegliches Gesicht bedeuten.
Um sicher zu sein, dass man den Patienten richtig verstanden und behandelt hat, empfiehlt
es sich, neue Patienten 2 – 3 Wochen nach Erstbehandlung zur Kontrolle wieder einzubestellen,
um ggf. dann kleinere Korrekturen – wenn möglich – durchzuführen.
Injektionstechniken
Die Injektionstechnik spielt eine untergeordnete Rolle bei der Anwendung von Botulinumtoxin.
Es gibt eine neuere Studie, die zeigt, dass bei der Verwendung von Standarddosierungen
die Injektionstiefe (also oberflächige oder tiefe Injektion im Augenbrauenbereich)
keine Rolle spielt [10]. Dies lässt sich gut durch das Wirkfeld des Botulinumtoxins erklären, das primär
von der Dosierung abhängt. D. h. bei einer Standarddosis von 10 Azzalure®- oder 4 Bocouture®/Vistabel®-Einheiten spielt es keine Rolle, ob mit der Nadel in 3 oder 7 mm Tiefe injiziert
wird.
Aus diesem Grund machen bei der Behandlung der Glabella Injektionen, die tief und
dicht zum Orbitarand gesetzt werden, wenig Sinn. Die Idee dieser Injektionstechnik,
die von einigen Kollegen propagiert wird, ist, durch die tiefe und Orbitarand-nahe
Injektion die Behandlung der Corrugatoren zu maximieren und die Behandlung des Frontalis
zu minimieren (also gute Glabellawirkung bei weniger Augenbrauenptosis). Dabei wird
vergessen, dass Botulinumtoxin A, wenn injiziert, ein dreidimensionales Wirkfeld aufweist.
Liegt der Injektionspunkt bei der Verwendung einer Standarddosierung mehr im Bereich
des Orbitarandes, steigt das Risiko einer Augenlidptosis an. D. h. man tauscht eine
theoretische Verminderung des Risikos einer Augenbrauenptosis (falls diese überhaupt
durch einen tieferen Injektionspunkt vermindert werden kann) durch ein reales Risiko
einer Augenlidptosis ein ([Abb. 3]).
Abb. 3 Darstellung der Injektionspunkte und des Wirkfeldes bei einer Standarddosierung von
4 Bocouture®/Vistabel®-Einheiten bzw. 10 Azzalure®-Einheiten. Je näher zum Orbitarand die Injektionspunkte gesetzt werden (rechte Seite),
desto tiefer geht auch das Wirkfeld. D. h. das Risiko einer Augenlidptosis steigt.
Unabhängig von der Injektionstiefe sollte eine Injektion von Botulinumtoxin A so schmerzarm
wie möglich durchgeführt werden. Wichtig ist, dass in keinem Fall das Periost touchiert
wird, wie es vor 20 Jahren und mehr bei der Behandlung der Glabella empfohlen wurde
(unter der Hypothese, dass nur so die tiefliegenden Mm. corrugatores optimal behandelt
werden können). Aus kleineren Studien gibt es Hinweise, dass die Verwendung von konservierter
Kochsalzlösung (Bacteriostatic 0,9 % Sodium Chloride, Abbott Laboratories, North Chicago,
IL 60064, USA) [11] und kleinere Nadeln (33 G statt 30 G) die Schmerzhaftigkeit weiter vermindern [12].
Unerwünschte Wirkungen
Relevante unerwünschte Wirkungen auf Botulinumtoxin A sind selten und meist nur von
temporärer Dauer. Eine Augenlidptosis ist zumeist auf wenige Wochen begrenzt. Steinsapir
et al. [13] berichten jedoch auch über 7 Patienten mit zum Teil mehrmonatiger Augenlidptosis,
die nur teilweise durch Apraclonidin kompensiert werden konnte. Dies verdeutlicht
die Notwendigkeit, bei Injektionen im Glabellabereich einen Abstand zum Orbitarand
zu halten. Eine unerwünschte Wirkung ist auch ein Wirkverlust. Jedoch liegt nach meiner
Erfahrung bei einem Wirkverlust meist eine Unterdosierung vor. D. h. ein Mann mit
starken Glabellamuskeln wurde initial mit z. B. 20 Bocouture®/Vistabel®-E oder 40 Azzalure®-E behandelt. Behandelt man diesen Mann mit 40 Bocouture®/Vistabel®-E oder 80 Azzalure®-E, lässt sich in den meisten Fällen die gewünschte Wirkung erzielen. Jedoch gibt
es auch bei ästhetischen Indikationen einen absoluten Wirkverlust, der zumeist von
einer Antikörperbildung begleitet wird. Dieser Wirkverlust ist bei allen drei Präparaten
beschrieben worden [14].
Keine Injektion ohne Dokumentation
Keine Injektion ohne Dokumentation
Bei jeder Erstvorstellung ist neben der Dokumentation der Injektionspunkte oder der Dosierung der
Injektionspunkte eine fotografische Dokumentation der aktuellen Muskelaktivität (entspannt
und angespannt) ein Muss. Diese Baselinedokumentation objektiviert die Erstellung
des Behandlungsplans und die Dokumentation des Behandlungsergebnisses.
Ausblick
Große Überraschungen sind bei den Botulinumtoxinen nicht zu erwarten. Sollten – wie
zu erwarten – durch den Markteintritt der asiatischen Präparate die Toxine günstiger
werden, wird sich der Kreis der mit Botulinumtoxin behandelten Patienten weiter erhöhen.
Dies gilt sicher nicht nur für die ästhetischen Indikationen, sondern auch für medizinische
Indikationen wie die fokale Hyperhidrose, die aufgrund der noch hohen Medikamentenkosten
bisher vielen Patienten vorenthalten bleibt.