Schlüsselwörter
Prävention - Biofilm - Mundhygiene - chemische Plaquekontrolle - Zahnreinigung - Karies - Xylit - Arginin
Einleitung
Seit 1988 hat jedes Kind in Deutschland von der Geburt bis zum 16. Lebensjahr einen gesetzlichen Anspruch auf die Maßnahme der Zahngesundheitsförderung (§ 21 Sozialgesetzbuch [SGB] Fünftes Buch [V]). In der Schweiz sind derartige Maßnahmen schon deutlich länger verankert (§ 58 Gesundheitsgesetz vom 4. November 1962; Verordnung über die Schul- und Volkszahnpflege vom 15. November 1965), was sich auch in den Prävalenzdaten zu Karies vor allem bei Kindern und Jugendlichen deutlich widerspiegelt ([Abb. 1]).
Abb. 1 Kariesprävalenz unter den Zwölfjährigen in Deutschland [2], [3], [4], [5], [6] und in der Schweiz [7], [8], [9]. DMFT-Werte der Zwölfjährigen in Deutschland in den Jahren 1983 (A5-Studie), 1992 (DMS II), 1997 (DMS III), 2000 (DAJ-Studie), 2005 (DMS IV) und 2016 (DMS V) sowie in der Schweiz in den Jahren 1964 (16 Zürcher Landgemeinden*), 1974 (Kanton Glarus), 1992 (*), 1996 (*), 2000 (*), 2006 (*) und 2011 (Kanton Basel). Maßnahmen zur Prävention der Zahngesundheit wurden in der Schweiz in den Jahren 1962 und 1965 gesetzlich verankert, in Deutschland im Jahr 1988. DMFT (decayed, missing, filled teeth) = Abkürzung für die Beurteilung des Gesundheits- bzw. Krankheitszustand eines menschlichen Gebisses; DMS = Deutsche Mundgesundheitsstudie.
Zu den Maßnahmen, die im Rahmen derartiger Präventionsprogramme durchgeführt werden, gehören die regelmäßige Inspektion der Mundhöhle, Ernährungsberatungen, gruppen- oder individualprophylaktische Aufklärungen und Mundhygieneschulungen, sowie Aufklärung und Beratung bzw. Durchführung von Fluoridierungsmaßnahmen. Ergänzt werden diese Bemühungen durch die Applikation von Fissurenversiegelungen entsprechend dem individuellen Risiko.
Auch wenn die Prävalenz von Karies bei Jugendlichen stark rückläufig ist [2], so sind doch andere Kariesformen relevant, beispielsweise Wurzelkaries, die vor allem bei Senioren eine Rolle spielen kann ([Abb. 2]) [2].
Abb. 2 Prävalenz der Wurzelkaries in den Gruppen der 35- bis 44-Jährigen und 65- bis 74-Jährigen. Die Werte haben sich im Zeitraum von 1997 (DMS III [4]) bis 2016 (DMS V [2]) kaum verändert. Allerdings muss festgehalten werden, dass in der älteren Gruppe mehr als jeder Vierte Wurzelkaries zeigt. DMS: Deutsche Mundgesundheitsstudie; RCI: Root Caries Index (prozentualer Anteil der exponierten Wurzeloberflächen, die kariös sind).
Merke
Die Lokalisation und damit die Erreichbarkeit der Wurzeloberflächen, aber auch die Zusammensetzung und damit verbundene leichtere Säurelöslichkeit des Wurzeldentins bewirken, dass herkömmliche Präventionsstrategien mitunter eine schlechtere Effektivität als bei koronaler Karies zeigen.
Eine Grundvoraussetzung für die Entstehung von Karies ist das Vorhandensein des dentalen Biofilms oder der dentalen Plaque auf der Zahnoberfläche. In dieser werden niedermolekulare Kohlenhydrate verstoffwechselt, was zur Säurebildung führt, die eine Demineralisation der Zahnhartsubstanz bewirken kann. Neben der mechanischen Reinigung wird bisweilen zusätzlich die Applikation von bestimmten chemischen Verbindungen empfohlen, die der Unterstützung der Biofilmentfernung dienen soll. Doch welche Maßnahmen sind tatsächlich sinnvoll, und welche versprechen mehr, als sie halten können?
Die seit Juni 2016 gültige S2k-Leitlinie zum Thema „Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen – grundlegende Empfehlungen“ [10] beschäftigt sich eingehend mit diesem Thema, doch werden verständlicherweise in dieser aufgrund ihrer Vielzahl zahlreiche chemische Verbindungen, die potenziell zur Plaquemodifikation anwendbar sind, nicht erwähnt. Zudem bleiben Fragen zur genetischen Prädisposition, zur mechanischen Plaqueentfernung und weitere Aspekte unbeantwortet. Derzeit steht außerdem die Sinnhaftigkeit der Interdentalraumreinigung im Fokus der Diskussion.
Diesen und anderen Themen hat sich ebenfalls eine gemeinsame Konsensus-Konferenz der Europäischen Fachgesellschaft zur Kariesforschung (European Organisation for Caries Research – ORCA) und der Europäischen Gesellschaft für Parodontologische Forschung (European Federation for Periodontology – EFP) im November 2016 gewidmet. Der vorliegende Beitrag greift sowohl Inhalte der genannten S2k-Leitlinie als auch kariologische Aspekte der Konsensus-Konferenz zur mechanischen Plaquekontrolle, zu Ernährungsaspekten [11] sowie zur adjuvanten chemischen Plaquekontrolle auf und erläutert, welche Maßnahmen tatsächlich sinnvoll sind.
Mechanische Plaqueentfernung
Mechanische Plaqueentfernung
Die mechanische Plaqueentfernung ist alltäglicher Gegenstand der häuslichen Körperhygiene, im Regelfall in den täglichen Ablauf gut integriert und Grundbestandteil einer Aufrechterhaltung der Mundgesundheit. Bereits im Kinder- und Jugendalter werden Mundhygienetechniken, -systematiken, die richtige Zahnputzdauer und die Anwendung von Interdentalraumhygieneprodukten vermittelt. Folglich bemühen sich die meisten Personen um eine suffiziente Entfernung des Biofilms, allerdings zum Teil nur mit eingeschränktem Erfolg ([Abb. 3]). Es ist nicht abschließend untersucht, ob Mundhygieneinstruktionen zielführend sind, und wenn nicht, warum. Jedoch gibt es Hinweise aus Beobachtungsstudien darauf, dass nur in wenigen Fällen altersgerechte Techniken angewendet werden [12]. Oft werden auch im Erwachsenenalter Bewegungsmuster, die bereits in der Kindheit erlernt wurden, weiterhin ausgeführt.
Abb. 3 Angefärbte Plaque von verschiedenen Personen bei Erstvorstellung. Deutlich zu erkennen sind die Schwachstellen der Mundhygiene.
Putztechnik
Die in der Literatur am häufigsten empfohlene Mundhygienetechnik ist die modifizierte Bass-Technik (MBT). Diese Technik soll in den individual- und gruppenprophylaktischen Programmen möglichst vermittelt werden. Allerdings zeigt sich, dass nur die Wenigsten am Ende der gesetzlich vorgesehen Präventionsperiode diese Technik tatsächlich beherrschen [13]. Meist wird mit Methoden aus der frühen Kindheit geputzt, wie etwa mit kreisenden Bewegungen (entsprechend der Fones-Technik) [14].
Es stellt sich nun die Frage, ob das Vermitteln einer komplexeren, altersentsprechenden Technik tatsächlich sinnvoll ist. Im Gegensatz zu kreisenden Bewegungen ist die MBT eine sehr komplexe Methode zur Reinigung der Zähne, die aus einer Kombination von horizontalen und vertikal-drehenden Bewegungen besteht [15]. In der Theorie soll sie vor allem den Biofilm im Bereich des Gingivasaums entfernen, da die Borsten hier in einem 45-Grad-Winkel angesetzt und nach einer rüttelnden Bewegung am Gingivarand in Richtung okklusaler Fläche ausgedreht werden sollen. Interessanterweise kann regelmäßig festgestellt werden, dass diese Technik anderen Methoden hinsichtlich der Plaquereduktion nicht überlegen ist [16]. Das liegt sicherlich zum einen daran, dass die Technik komplex und schwer zu erlernen ist. Allerdings konnte eine Studie zeigen, dass Personen, die technisch korrekt mit der modifizierten Bass-Methode ihre Zähne gereinigt haben, auch keine bessere Plaquereduktion erzielen konnten als solche, die diese Technik nicht erlernt haben [17].
Merke
Eine komplizierte Technik ist nicht effektiver als eine einfache Technik.
Es stellt sich daher die Frage, ob die Vermittlung einer bestimmten Technik sinnvoll und zielführend ist. Gewohnheitsmuster sind zumeist tief verankert [18], und viele Patienten haben Schwierigkeiten mit der Veränderung von Gewohnheiten [19]. Ein Aufgreifen und Verbessern der gewohnten Bewegungen unter Schonung der oralen Gewebe scheinen die zielführendere Strategie zu sein. Einzig bei anatomischen oder erworbenen Besonderheiten, wie dem Vorhandensein von freiliegenden Wurzeloberflächen und damit einer Verschiebung des zervikalen Saumes nach apikal, oder dem Vorhandensein von speziellen Plaqueretentionsstellen beispielsweise im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung mit festsitzenden Apparaturen sollten spezielle Techniken in Betracht gezogen werden.
Dauer und Systematik
Es ist wichtig, dass zur Zahnreinigung alle Areale mit einer ausreichenden Dauer erreicht werden. So banal die Aussage klingen mag, so schwierig scheint es für viele Patienten zu sein, diese Empfehlung korrekt umzusetzen. Während die leicht zu erreichenden vestibulären und okklusalen Areale mit ausreichender, bisweilen sogar überproportional hoher Dauer gereinigt werden, vernachlässigen viele Personen die oralen Flächen vor allem der Unterkiefermolaren.
Die Anwendung einer Systematik kann hier Abhilfe schaffen. Im Kindergartenalter wird in der Regel die KAI-Systematik (Kauflächen, Außen-, Innenseiten) vermittelt. Später sind es meist komplexere Systematiken [15], die zum Teil einem starren Muster folgen [20]. Ob die eine Systematik der anderen überlegen ist, mag bezweifelt werden [21]. Es zeigt sich jedoch auch in diesem Zusammenhang, dass sich die meisten Patienten bis zum Ende der Phase der gesetzlich verankerten Präventionsprogramme nicht nur keine altersentsprechende Technik, sondern auch keine vollständige Systematik angeeignet haben. Das hat zur Folge, dass bestimmte Areale in der Mundhöhle nicht erreicht werden und die beste Technik nicht zum Erfolg führen kann.
Merke
Die Systematik ist wichtiger als die Technik.
Über die letzten Jahre hat sich die Zeit, die zum Putzen der Zähne aufgewendet wird, von etwa einer Minute in den 1940er- bis 1970er-Jahren [22], [23] bis zu zwei Minuten und mehr in den 2000er Jahren [12], [24] deutlich verlängert – ein Erfolg der Präventionsbemühungen. Aus Studien ist bekannt, dass eine Verlängerung der Zahnputzdauer in diesen Dimensionen zu einer bis zu 50% besseren Reduktion des Biofilms auf der Zahnoberfläche führt ([Abb. 6]) [25]. Interessanterweise zeigt sich aber auch, dass sich dabei die Putzmuster und -gewohnheiten über die letzten 40 [26] bis 70 Jahre [22] nicht nennenswert verändert haben; sowohl Mitte des letzten Jahrhunderts als auch heute wurden und werden die Oralflächen nicht ausreichend berücksichtigt [12].
Analysen des Putzverhaltens anhand von Videos haben gezeigt, dass zahlreiche Probanden ein stark repetitives Verhalten mit einer regelmäßigen Wiederholung von bestimmten Bewegungszyklen aufweisen [27]. Fehlen in dieser Repetition einzelne Areale, dann führt auch eine Verlängerung der Bürstzeit nicht zu einer Abweichung von den Bewegungszyklen und damit auch nicht zu einer Verbesserung der Plaquereduktion; es werden offensichtlich nur weitere Repetitionszyklen angehängt. Ziel von Interventionsstrategien muss es also sein, diese Repetitionen insoweit zu modifizieren, dass zumindest alle Areale inkludiert sind. Doch nicht nur die Inklusion aller Areale scheint für eine optimale Mundhygiene zielführend zu sein, sondern auch die Verweildauer in einem Areal vermag die Plaquereduktion zu erhöhen. Bei gleichbleibender Gesamtputzdauer sollten also die Anzahl der Repetitionen und damit die Anzahl der Wechsel zwischen den Arealen gesenkt werden [27].
Mundhygienehilfsmittel
Manuelle vs. elektrische Zahnbürsten
Die manuelle Zahnbürste ist nach wie vor das Mittel der Wahl zur Reinigung der Zähne in der allgemeinen Bevölkerung ([Abb. 4]). Für beide Typen, elektrisch und manuell, sind zahlreiche verschiedene Bürsten mit unterschiedlich gestalteten Bürstenköpfen und Indikationen erhältlich. Eine manuelle Zahnbürste sollte einen möglichst kurzen Kopf mit einem planen Bürstenfeld aus mittleren bis weichen Borsten haben. Andere Gestaltungsvariationen zeigen keinen Vorteil hinsichtlich der Plaqueentfernung. Sollte mit einer Handzahnbürste ein gutes Putzergebnis ohne Schädigung der oralen Strukturen erzielt werden, besteht kein Anlass für einen Wechsel zu einer elektrischen Zahnbürste, da diese nicht, wie allgemein angenommen, zu einem grundsätzlich besseren Reinigungsergebnis führt ([Abb. 5]). Bürsten mit verschiedenen Reinigungsmodi, wie rotierend-oszillierende Bürsten, schallgetriebene Bürsten oder sogar ionisierende Bürsten sind erhältlich. Lediglich für die rotierend-oszillierenden Bürsten konnte eine leichte Überlegenheit gegenüber der Handzahnbürste sowohl in Kurzzeit- als auch in Langzeitstudien nachgewiesen werden [28], jedoch mit unklarer klinischer Relevanz.
Abb. 4 Ergebnis einer Befragung von 1000 Personen zur Verwendung von Mundhygieneprodukten zur mechanischen Entfernung von Plaque („Welche Zahnputzgeräte benutzen Sie regelmäßig oder gelegentlich?“, Mehrfachnennungen möglich). Die Handzahnbürste ist mit 67% zuzüglich 9% (Handzahnbürste mit Wechselkopf) mit Abstand das gebräuchlichste Produkt zur mechanischen Plaqueentfernung. Immerhin 57% der Befragten gaben an, gelegentlich oder regelmäßig Zahnseide zu verwenden. Daten erhoben von Dialego, 2006.
Abb. 5 Was ist besser – Handzahnbürste oder elektrische Zahnbürste?
Merke
Eine Handzahnbürste ist einer elektrischen Zahnbürste nicht unterlegen.
Klar ist jedoch, dass auch mit einer elektrischen Zahnbürste Mängel in der Putzsystematik nicht ausgeglichen werden können – Beobachtungsstudien zeigen sogar, dass Personen, die beide Zahnbürsten verwenden, mit beiden Bürstentypen vergleichbare, zum Teil sogar identische Bewegungsmuster ausführen [29], was die fehlende Überlegenheit der einen gegenüber der anderen Zahnbürste erklären mag.
Zahnseide und Interdentalraumbürsten
Selbst die optimale Anwendung einer elektrischen oder manuellen Zahnbürste erlaubt es nicht, alle Flächen am Zahn vollständig zu reinigen. Es werden nur rund 70% der Zahnflächen erreicht. Daher sind ergänzend Hilfsmittel wie Zahnseide oder Interdentalraumbürsten notwendig. Gerade die Sinnhaftigkeit der Anwendung von Zahnseide steht momentan im Fokus der Diskussion. Es ist biologisch plausibel, die Interdentalräume von Plaque zu befreien, um plaqueassoziierte Erkrankungen wie Karies, aber auch Gingivitis und Parodontitis, im Interdentalraum zu vermeiden.
Die Anwendung von Zahnseide ist komplex und erfordert, ähnlich wie eine komplexe Zahnputztechnik, manuelles Geschick und Training. Das professionelle Reinigen von Zahnzwischenräumen durch geschulte Personen hat einen deutlichen kariespräventiven Effekt. Jedoch bleibt dieser Effekt in verschiedenen Studien zur häuslichen Anwendung von Zahnseide aus [30], was höchstwahrscheinlich auf eine nicht korrekte Anwendung zurückgeführt werden kann; vor allem die Reinigung der Molaren ist oft mit Schwierigkeiten verbunden.
Interdentalraumbürsten aus Kunststoff, Silikon oder mit Drahtkern stellen hier eine Alternative dar, müssen aber in ihrer Größe angepasst sein. Ein zu kleiner Durchmesser führt zu einer unzureichenden Reinigungsleistung und suggeriert einen Reinigungseffekt, der mitunter jedoch gar nicht vorhanden ist. Eine zu große Bürste, vor allem mit Drahtkern, kann zu Schäden an Zahnhartsubstanz und Zahnhalteapparat führen. Den besten Effekt in der Reinigung der Zähne bewirkt offensichtlich die Kombination aus Zahnbürste und Interdentalraumbürste oder korrekt angewandter Zahnseide, mit einem geringen Unterschied zwischen Zahnseide und Interdentalraumbürste.
Merke
Auch die Anwendung von Hilfsmitteln zur Interdentalraumhygiene muss trainiert werden. Besondere Schwierigkeiten macht die korrekte Anwendung von Zahnseide. Interdentalraumbürsten können hier eine wirksame Alternative darstellen.
Cave
Zu kleine Interdentalraumbürsten reinigen den Zahnzwischenraum nur unzureichend, zu große können bei falscher Anwendung die Zahnhartsubstanz schädigen. Ebenso kann Zahnseide bei falscher Anwendung die Zahnhartsubstanz schädigen.
Lässt sich die Ökologie der Mundhöhle bzw. die Pathogenität des Biofilms beeinflussen?
Lässt sich die Ökologie der Mundhöhle bzw. die Pathogenität des Biofilms beeinflussen?
Die Mundhygiene der meisten Personen ist trotz oftmals großer Bemühungen nicht immer ausreichend; allerdings muss konstatiert werden, dass selbst professionelles Putzen nicht zu einer vollständigen Plaquefreiheit führt ([Abb. 6]). Aber ist eine exzellente Mundhygiene überhaupt notwendig, oder lassen sich Mängel durch ernährungsassoziierte bzw. chemische Ansätze dauerhaft kompensieren?
Abb. 6 Prozentuale Reduktion des Plaquescores (nicht der Plaque selbst!) nach Putzen für 1, 2 bzw. 3 Minuten durch eine professionelle Person mit einer Handzahnbürste [36] oder durch Patienten selbst, entweder mit einer elektrischen Zahnbürste [37] oder Handzahnbürste [38]. Keine der Putzmethoden führt zu einer vollständigen Plaquefreiheit. Eine Unterstützung der Mundhygiene durch eine chemische Plaquemodifikation kann also durchaus hilfreich sein.
Die wohl verbreitetste Methode zur Verbesserung der Zahngesundheit ist die Applikation von Fluoriden. Es steht außer Frage, dass Fluorid derzeit die wirksamste Methode zur Kariesreduktion ist (z. B. [10], [31]). Allerdings ist die Wirkung vor allem bei stark eingeschränkter Mundhygienefähigkeit, wie etwa durch Behinderungen, kieferorthopädische Geräte oder anatomische Besonderheiten, bisweilen limitiert, ebenso bei freiliegenden Wurzeloberflächen aufgrund der schlechteren Zugänglichkeit, der raueren Oberfläche sowie der erhöhten Säurelöslichkeit des Wurzeldentins. Auch wenn weitere Risikofaktoren hinzukommen, wie beispielsweise ein stark reduzierter Speichelfluss, der oft mit einem erhöhten Konsum niedermolekularer Kohlenhydrate einhergeht, können konventionelle Fluoride, wie Natriumfluorid und Aminfluorid in Konzentrationen, wie sie in Zahnpasten zu finden sind, an ihre Grenzen stoßen ([Abb. 7]). Diese Personen oder solche mit einer nicht weiter zu erklärenden erhöhten Kariesaktivität, eventuell bedingt durch genetische Faktoren [11], können von einer adjuvanten Therapie mit Agenzien zur Modifikation des Biofilms oder von einer Reduktion des Konsums niedermolekularer Kohlenhydrate durchaus profitieren.
Abb. 7 Glattflächenkaries bei einem Patienten mit stark reduziertem Speichelfluss nach Stammzelltransplantation bei Leukämie, Immunsuppression und Glukokortikoidgabe. Der Patient war vor der Tumortherapie kariesfrei. Trotz guter Mundhygiene herrscht aufgrund des stark reduzierten Speichelflusses in der Mundhöhle ein massiv kariogenes Milieu. Hinzu kommt eine stark kohlenhydrathaltige Nahrung aufgrund von vielfältigen Speisenunverträglichkeiten. Um die weitere Kariesprogression zu verlangsamen, verwendet der Patient eine Fluoridzahnpaste mit 5000 ppm Fluorid am Abend sowie zinn- und fluoridhaltige Präparate am Morgen; hochkonzentrierte Gele werden von der Schleimhaut her nicht vertragen.
Ernährung
Zuckerkonsum
Der Konsum niedermolekularer Kohlenhydrate, die entweder natürlicherweise oder zugesetzt in Lebensmitteln zu finden sind, liegt derzeit in Deutschland bei etwa 30 – 35 kg pro Person und Jahr ([Abb. 8], [Abb. 9]), was einer täglichen Verzehrmenge von etwa 85 g entspricht – das ist ein Vielfaches der von der WHO empfohlenen maximalen Menge von 25 g/Tag. Ein hochfrequenter Konsum von kurzkettigen Zuckern führt zu einer Verschiebung der Ökologie der Mundhöhle hin zu einem kariogeneren Milieu. Es erfolgen eine Selektion von säuretoleranten und säurebildenden Bakterien sowie eine Reduktion der Diversität innerhalb der oralen Mikroflora. Bei anhaltendem Zuckerkonsum ist eine Erhöhung des Kariesrisikos die Folge. Diese Verschiebung ist jedoch nach derzeitigem Erkenntnisstand weitestgehend reversibel und kann durch Veränderungen in der Ernährung auch wieder positiv beeinflusst werden [32]. Es zeigte sich zudem, dass eine Reduktion des Konsums von niedermolekularen Kohlenhydraten zu einer reduzierten Entzündungsneigung der parodontalen Gewebe führt [11].
Abb. 8 Weißzuckerkonsum in kg pro Kopf und Jahr, aufgeteilt nach Weltkonsum, Konsum auf den verschiedenen Kontinenten, sowie im Vergleich dazu der Zuckerkonsum in der Schweiz und in Deutschland in den Jahren 1962 – 2015/2016. Für Deutschland liegen Daten nur bis 2014/2015 vor. Der letzte Wert ist ein Schätzwert. Datenquellen: Statistisches Bundesamt (2016), Wirtschaftliche Vereinigung Zucker (2016).
Abb. 9 Konsum von Süßungsmitteln weltweit nach Art im Jahr 2014 (in 1000 Tonnen). Die Verwendung von nichtkariogenen Süßungsmitteln ist zu vernachlässigen (Melasse = hochvisköser, dunkelbrauner Zuckersirup; Nebenerzeugnis in der Zuckerproduktion). Datenquelle: Euromonitor (2015).
Cave
Der regelmäßige Konsum niedermolekularer Kohlenhydrate führt zu einer Verschiebung des ökologischen Gleichgewichts in der Mundhöhle. Es werden vor allem säurebildende und säuretolerante Bakterien selektiert. Dadurch entsteht in der Mundhöhle ein kariogeneres Milieu.
Süßungsmittel
Nicht alle Süßungsmittel sind gleichermaßen kariogen. Der Konsum verschiedener Zuckeralkohole – wie Sorbit, Erythrit oder Xylit – bewirkt keine Säurebildung und keinen pH-Wert-Abfall im dentalen Biofilm. Einigen wird sogar eine kariesprotektive Wirkung zuschrieben, wie Xylit oder Erythrit.
Während die Daten- und Studienlage für Erythrit ausgesprochen gering ist, wurde Xylit bereits in den frühen 1970er- und 1980er-Jahren umfassend untersucht [33]. Xylit ist dem Haushaltszucker in Süßkraft und Füllmenge sehr ähnlich, kann jedoch von kariogenen Bakterien, wie Streptococcus (S.) mutans, nicht verstoffwechselt werden und führt daher nicht zu einer Säurebildung. Vielmehr wird Xylit unter Energieverbrauch in die Zelle hinein- und auch wieder heraustransportiert, was zu einer negativen Energiebilanz und damit zu einer Reduktion von S. mutans führen soll ([Abb. 10]).
Abb. 10 Schematische Darstellung des Xylitstoffwechsels in kariogenen Bakterien, beispielsweise Streptococcus mutans. Es fällt auf, dass Xylit zwar in die Zelle eingeschleust wird, allerdings nicht in den bakteriellen Stoffwechsel. Unter Energieverbrauch wird Xylit zu Xylit-5-Phosphat (Xyl5P) umgewandelt. Diese Verbindung ist in der Lage, die Glykolyse der Bakterien zu hemmen. Anschließend wird Xyl5P durch eine Phosphatase wieder zu Xylit umgewandelt und unter Energieverbrauch nach extrazellulär geschleust. Bei dem gesamten Prozess wird keine Energie gewonnen, sondern verbraucht – ein langfristiger Konsum „hungert“ die Bakterien praktisch aus. PEP: Phosphoenolpyruvat; PEP-PTS: Phosphoenolpyruvat-Phosphotransferasesystem; PI: Phosphat; PYR: Pyruvat. (Modifiziert nach Takahashi 2015 [39]).
Zudem wird diskutiert, dass Xylit zu einer Selektion xylitresistenter, weniger kariogener Bakterien führt. Trotz der Klarheit, dass Xylit nichtkariogen ist, ist die Evidenz für einen kariesprotektiven Effekt nur mäßig; es ist lediglich aus biologischer Sicht plausibel, dass eine Reduktion der Zuckerzufuhr – wahrscheinlich unabhängig davon, durch welchen nichtkariogenen Zuckeraustausch- oder -ersatzstoff – kariesprotektiv ist. Mittlerweile sind zahlreiche Produkte ohne zugesetzte Zucker, lediglich mit Erythrit oder Xylit gesüßt, auf dem Markt erhältlich, die eine nichtkariogene Alternative darstellen ([Abb. 11]).
Abb. 11 Es gibt eine Vielzahl an Produkten, in denen Zucker durch Zuckeralkohole wie Erythrit oder Xylit ausgetauscht wurde. Wenn auch ein kariespräventiver Effekt nicht nachgewiesen ist, so ist es doch plausibel, dass durch die Reduktion von niedermolekularen Kohlenhydraten eine Reduktion des kariogenen Milieus erzielt werden kann.
Auch wenn die kariesprotektive Wirkung von Xylit nicht bewiesen ist, so ist es dennoch denkbar, dass stark mit S. mutans kolonisierte Kinder und Erwachsene vom Konsum beispielsweise xylithaltiger Kaugummis oder Bonbons ([Abb. 12]) profitieren können, zumal das Kauen von Kaugummi aufgrund der Speichelstimulation und der damit verbundenen schnelleren Elimination von kariogenem Substrat und kariogenen Säuren ohnehin empfehlenswert ist [10].
Abb. 12 Prozentuale Verteilung der Anwendung von Zahnpflegekaugummis und -bonbons in verschiedenen Altersgruppen (Befragung von etwa 20 000 Personen). Nur rund ein Drittel der Jugendlichen und jungen Erwachsenen verwendet gelegentlich bis regelmäßig diese Produkte. Unter den Erwachsenen und Senioren wird Kaugummi nur von einem sehr geringen Anteil verwendet. Datenquelle: Burda Community Network GmbH (2008).
Merke
Zuckeralkohole sind eventuell nicht kariesprotektiv, können aber aufgrund einer Reduktion des Zuckeranteils durch Ersatz mit Zuckeralkoholen zu einer geringeren Kariogenität der Nahrung führen.
Probiotika
Eine weitere Möglichkeit, über die Nahrung die Mundgesundheit potenziell positiv zu beeinflussen, ist der Konsum von Probiotika. Probiotika sind – nach Definition der WHO (2001) – „lebende Mikroorganismen, die dem Wirt einen gesundheitlichen Vorteil bringen, wenn sie in ausreichender Menge aufgenommen werden“. Die Idee hinter der Probiotikagabe ist es, eine Reduktion der Pathogenität der oralen Mikroflora zu erzielen. Das soll durch die Gabe weniger virulenter Keime erfolgen, die eine Verschiebung des Bakterienspektrums zu azidurischen (säuretoleranten) und azidogenen (säurebildenden) Keimen verhindern sollen.
Verschiedene Bakterienstämme wurden getestet, die hauptsächlich für gastrointestinale Zwecke isoliert und genutzt wurden. Es zeigte sich jedoch nur bei wenigen Laktobazillenstämmen überhaupt ein Effekt, beispielsweise bei Lactobacillus rhamnosus. Dieser Effekt beschränkt sich allerdings im Wesentlichen auf die Nachweisbarkeit der zugesetzten Bakterien und eine temporäre Reduktion von S. mutans in der Plaque. Lediglich eine Studie mit dem Endpunkt Karies zeigte eine bessere Remineralisation von Wurzelkaries im Vergleich zu keiner Therapie, jedoch sind die Probiotika der Wirkung von Fluoriden nicht überlegen [34]. Hinzu kommt, dass Veränderungen der bakteriellen Flora durch die Probiotikaeinnahme nur in etwa so lange nachweisbar sind, wie die Produkte verwendet werden; eine dauerhafte Kolonisierung mit den zugeführten Bakterien ist nicht zu erwarten.
Merke
Probiotische Bakterien können die Mikroflora in der Mundhöhle nicht dauerhaft verändern. Die Einnahme von Probiotika führt nicht zu einer Kariesreduktion.
Chemische Modifikation des Biofilms
Chemische Modifikation des Biofilms
Die chemische Modifikation des Biofilms ist eine weitere Möglichkeit, dessen Pathogenität zu reduzieren und damit das Kariesrisiko zu senken. Meist werden geeignete Wirkstoffe in Form von Mundspüllösungen verwendet ([Abb. 13], [Abb. 14]), sie können aber auch als Gele, Lacke oder Ähnliches formuliert sein. Verschiedene Verbindungen sind untersucht worden mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Die Evidenz ist jedoch nicht für alle eindeutig belegt, zum Teil fehlt sie für einzelne Wirkstoffe auch gänzlich.
Abb. 13 Befragung zur regelmäßigen Verwendung von Mundpflegeprodukten in der allgemeinen Bevölkerung (Anteil der 23 000 befragten Personen in %, Mehrfachnennungen möglich. Während die Verwendung von Zahnpaste selbstverständlich für nahezu alle Befragten ist, werden andere Mundhygieneprodukte wie Lösungen oder Kaugummis nur von einem kleinen Teil verwendet. Datenquelle: Arbeitsgemeinschaft Verbrauchs- und Medienanalyse (2007).
Abb. 14 Häufigkeit (%) der Verwendung von Mundspülungen in der allgemeinen Bevölkerung in Deutschland im Jahr 2016. Immerhin ein Drittel der etwa 23 000 Befragten verwendet regelmäßig (mehrmals pro Woche bis täglich) eine Mundspüllösung. Im Vergleich zur Befragung im Jahr 2007 ([Abb. 11]) scheint es jedoch nur eine geringfügige Veränderung zu geben. Datenquelle: Arbeitsgemeinschaft für Verbrauchs- und Medienanalyse (2016).
Chemische Therapeutika oder Agenzien zur Plaquemodifikation können an verschiedenen Stellen angreifen. So können sie beispielsweise die initiale oder spätere Kolonisierung der Bakterien hemmen. Ein anderer Weg ist es, die Kommunikation der Bakterien untereinander zu unterbinden. Zudem können bestimmte Therapeutika die Vitalität der Bakterien selbst beeinflussen und – meist konzentrationsabhängig – bakteriostatisch oder bakterizid wirken. Sie können den bakteriellen Metabolismus hemmen oder unterbinden, sodass eine Proliferation der Bakterien nicht oder nur eingeschränkt stattfinden kann. Ebenso kann die Bildung von extrazellulären Glukanen, Proteinen oder extrazellulärer DNA, die essenziell für die Bildung der Plaquematrix sind, durch einen Eingriff in den Metabolismus gehemmt werden. Der Eingriff in die Synthese bestimmter Membranproteine sowie die Synthese der Zellmembran selbst ist eine weitere Möglichkeit, die sogar zum Zelluntergang beitragen kann.
Merke
Chemische Plaquemodifikation kann an verschiedenen Stellen erfolgen: Modifikation des Stoffwechsels der Bakterien des Biofilms, Hemmung der Kolonisierung, der Bildung extrazellulärer Polymere, der bakteriellen Kommunikation sowie der Eingriff in die Bildung von bakteriellen Membranstrukturen. Wirkstoffe können bakteriostatisch oder bakterizid wirken.
Chlorhexidin
Die wohl am besten untersuchte Verbindung zur chemischen Biofilmmodifikation ist Chlorhexidin (CHX). CHX ist eine kationische, positiv geladene Verbindung mit hoher Substantivität, die sehr gut an der oralen Mukosa sowie an der Pellikel bindet, in niedrigen Konzentrationen bakteriostatisch und in höheren Konzentrationen bakterizid wirkt. Die Verbindung greift direkt die Integrität der bakteriellen Membran an und erhöht deren Durchlässigkeit, sodass bei niedrigen Konzentrationen lediglich der Stoffwechsel gestört, bei höheren Konzentrationen hingegen die Integrität des Bakteriums zerstört wird. Besonders S. mutans reagiert sehr sensibel auf CHX. Damit kann es wirksam die Plaqueakkumulation reduzieren. CHX hat jedoch auch Nebenwirkungen, die besonders bei einer Langzeitanwendung zu Tage treten. Dazu zählen neben Verfärbungen von Zähnen, Restaurationen und Zunge vor allem die Beeinträchtigung des Geschmacksempfindens sowie die Desquamation der Mundschleimhaut.
Am häufigsten wird CHX zur Unterstützung der Mundhygiene bei eingeschränkter Hygienefähigkeit eingesetzt, beispielsweise nach einer Operation im Mundbereich und darauffolgend verringerter oder gänzlich fehlender Mundöffnung. Allerdings muss die potenzielle Reduktion der Wundheilung nach CHX-Gabe berücksichtigt werden, da neben der Wirkung des Moleküls auf die bakteriellen Zellwände eine solche auf die Zellmembran der oralen Mukosa- oder Gingivazellen nicht ausgeschlossen ist [32].
Die Evidenz bezüglich der Reduktion des Auftretens von Karies durch die Anwendung von CHX bei Personen mit normaler Mundhygiene und Verwendung von Fluoriden ist nicht vorhanden. Lediglich beim Auftreten von besonderen Risikofaktoren, wie in der Zeit des Zahndurchbruchs oder bei Personen mit freiliegenden Wurzeloberflächen, kann CHX in Form eines Lackes, der für eine längere Zeit am Applikationsort verbleibt, einen Vorteil bringen. Allerdings sollten die Präparate mindestens eine Konzentration von 1% aufweisen, um einen sicheren Effekt erzielen zu können [10].
Merke
Die Anwendung von CHX-Präparaten zur Kariesprophylaxe sollte Patienten mit einem besonderen Risiko vorbehalten bleiben – bei freiliegenden Wurzeloberflächen oder bei Kindern und Jugendlichen während des Zahndurchbruchs.
Triclosan
Triclosan ist im Gegensatz zu CHX anionisch und ein Molekül mit geringer Substantivität. Es wird in der Regel in Kombination mit einem Co-Polymer verwendet, um die Verweildauer in der Mundhöhle zu erhöhen. Triclosan wirkt ebenfalls auf die bakterielle Zellmembran, indem es die Lipidsynthese inhibiert. S. mutans reagiert, ähnlich wie auf CHX, besonders sensibel auf diese Verbindung.
Systematische Reviews zeigen eine dezente Reduktion koronaler Karies und auch von Wurzelkaries durch die Anwendung triclosanhaltiger Fluoridpräparate im Vergleich zu herkömmlichen Fluoridpräparaten [35]. Allerdings ist die klinische Relevanz dieser Reduktion fraglich.
Zudem ist bisher nicht abschließend geklärt, ob die Anwendung von Triclosan Resistenzen in beispielsweise S. mitis verursacht. Diese Resistenzen können potenziell durch Gentransfer auf virulentere Streptokokkenstämme, wie etwa S. pneumoniae, übertragen werden. Eine Anwendung von Triclosan sollte vor allem vor dem Hintergrund der Diskussionen um die Zunahme von Resistenzen vermieden werden (Bundesinstitut für Risikobewertung, 2006 und 2009).
Cave
Es ist nicht abschließend geklärt, ob Triclosan zur Resistenzbildung führt.
Polyvalente Metallionen
Bereits vor vielen Jahrzehnten wurden verschiedene Metallionen zur intraoralen antibakteriellen Therapie verwendet. Dazu zählten Silber-, Kupfer-, Zink- sowie Zinnionen. Aufgrund von eher harmlosen, aber schwer handhabbaren Nebenwirkungen, die zu optischen Einschränkungen wie Zahnverfärbungen oder zu Geschmacks- und Gefühlssensationen wie einem stumpfen Gefühl auf der Mundschleimhaut führten, wurden diese Wirkstoffe weitestgehend durch andere Verbindungen verdrängt. Zudem waren sie nur schwer in Mundhygieneprodukten zu formulieren. Im Kontext der Diskussionen um Resistenzen erleben polyvalente Metallionen, vor allem Silber in Form von Silberdiaminfluorid sowie Zinnverbindungen mit zweiwertigen Zinnionen, erneut eine größere Beachtung auch in der Zahnmedizin.
Metallionen führen innerhalb der Bakterien zu einer gesteigerten Produktion von Peroxiden oder Superoxiden, die über oxidative Prozesse eine Schädigung der bakteriellen DNA bewirken können. Zusätzlich können sie mit verschiedenen Schwefelverbindungen, die auch in bakteriellen Enzymen vorkommen, reagieren, was zu einer Hemmung dieser Enzyme und damit auch der Stoffwechselaktivität der Bakterien führt. Es ist beispielsweise bekannt, dass Fluoride innerhalb der Glykolyse die Enolase hemmen und somit die Laktatbildung in S. mutans reduzieren, allerdings nur in einem eingeschränkten Umfang.
Wird jedoch Fluorid in Kombination mit zweiwertigen Zinnionen verwendet, so kann die Laktatbildung weiter reduziert werden. Zinn wird sehr schnell auch in niedrigen Konzentrationen von Bakterien aufgenommen. Innerhalb des Bakteriums kann das Zinnion zwei weitere Enzyme der Glykolyse, die Aldolase und die P-Glycerin-Aldehyd-Dehydrogenase, hemmen und damit zur deutlichen Einschränkung der Stoffwechselaktivität der Bakterien beitragen sowie die Azidogenität der Plaque reduzieren.
Neben diesen Effekten bewirkt die Anwendung von Zinn in Kombination mit Fluorid eine besonders ausgeprägte Formation von CaF2 auf der Zahnoberfläche, was potenziell kariesprotektiv wirken kann. Die Evidenz hinsichtlich des kariesreduzierenden Effekts ist allerdings auch für Zinn nur gering, da große Studien fehlen. Ein positiver Effekt von zinnhaltigen Mundhygieneprodukten konnte lediglich für Wurzelkaries sowie beim Vorhandensein von schlechter Mundhygiene für koronale Karies gezeigt werden [32].
Merke
Zinnhaltige Produkte können einen Nutzen zur Kariesprävention bei freiliegenden Wurzeloberflächen oder beim Vorliegen einer eingeschränkten Mundhygienefähigkeit, z. B. beim Vorhandensein von kieferorthopädischen Apparaturen, haben.
Silberdiaminfluorid (SDF) ist in Deutschland derzeit nur zur Behandlung von Hypersensibilitäten erhältlich. Allerdings zeigen verschiedene Studien, dass kariöse Läsionen in Milchzähnen nach der Applikation dieses Metallions deutlich besser arretieren. Das wird zum einen der vermehrten CaF2-Bildung auf der Zahnoberfläche zugeschrieben, zum anderen aber auch der antibakteriellen Wirkung des Silberions. Die Applikation von SDF könnte eine vielversprechende Option zur nicht- oder minimalinvasiven Therapie der Milchzahnkaries darstellen. Allerdings kann die Anwendung von SDF zu Schwarzverfärbung der kariösen Zahnhartsubstanz führen, sodass das Anwendungsgebiet sicher auch in Zukunft auf den nicht sichtbaren Bereich oder auf Milchzähne beschränkt bleiben wird.
Weitere Verbindungen und Verfahren
Es sind zahlreiche weitere Verbindungen zur Biofilmmodifikation untersucht worden ([Tab. 1]). Dazu zählen:
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Aminosäuren wie Arginin,
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Polymere wie Tri- oder Hexametaphosphat und Chitosan,
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quartäre Ammoniumsalze wie Cetylpyridinium- oder Benzethoniumchlorid und Natriumlaurylsulfat,
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verschiedene Pflanzenstoffe wie Grüner-Tee-Extrakt, tt-Farnesol und Apigenin, phenol- und terpenhaltige Pflanzenextrakte.
Für fast alle der genannten Stoffe konnte im Labor ein antibakterieller Effekt nachgewiesen werden, allerdings mit unbekannter Wirkung in Bezug auf die Kariesentstehung.
Tab. 1 Wirkungsweise und Angriffspunkte verschiedener chemisch und biochemisch wirkender Agenzien.
Wirkstoff
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Wirkungsweise
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Chlorhexidin
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Triclosan
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Hemmung der Lipidsynthese und Zerstörung der Integrität der bakteriellen Membran
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Reduktion der Plaqueakkumulation
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Cave: Verdacht der Resistenzbildung durch Triclosan
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polyvalente Metallionen (Silber, Zinn)
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intrazelluläre Produktion von Peroxiden und Superoxiden
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Reaktion mit Schwefelverbindungen, wie Thiolen oder Proteinbestandteilen: Hemmung von Proteinfunktionen
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Reaktion mit Lipiden der Bakterienmembran
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Hemmung der Glykolyse
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Arginin
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Chitosan
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Reduktion der Adsorption von S. mutans an die Zahnoberfläche
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Reduktion der Plaquewachstumsrate
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Reduktion der Vitalität des Biofilms
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quartäre Ammoniumsalze
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Zerstörung der Integrität der bakteriellen Membran
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Hemmung des bakteriellen Metabolismus
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Hemmung des Zellwachstums
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sekundäre Pflanzenstoffe
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Inhibition der Polysaccharidsynthese und der Glukansynthese
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Reduktion der Adhäsion von S. mutans
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Reduktion der Aggregation von Bakterien
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Verlangsamung der Replikation von Bakterien
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Zerstörung der Integrität der bakteriellen Membran
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Ozon
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photodynamische Therapie
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Lediglich für Arginin scheint die Datenlage etwas besser zu sein. Arginin ist eine im menschlichen Körper ubiquitär vorkommende Aminosäure und gilt als unbedenklich. Sie kann im Speichel und von verschiedenen Bakterien unter Freisetzung von basischem Ammoniak gespalten werden. Dieses Spaltprodukt ist in der Lage, Säuren im Speichel und im Biofilm zu neutralisieren und eine Verschiebung des Gleichgewichts in Richtung azidogener und azidurischer Bakterien zu verhindern. Erste klinische Studien zeigen in Kombination mit Fluorid sehr positive Ergebnisse; diese Kombination scheint hinsichtlich der Remineralisation und der Arretierung von koronaler wie auch von Wurzelkaries der alleinigen Wirkung von Fluoriden sogar etwas überlegen zu sein. Diese Zahnpaste könnte somit für Patienten mit schlechter Mundhygiene und einem hohen Kariesrisiko durchaus von Interesse sein.
Verschiedene apparative Verfahren, wie die Begasung von kariösen Läsionen mit Ozon oder die photodynamische Therapie, wurden ebenfalls auf ihr kariesinhibierendes Potenzial hin untersucht. Bei beiden Verfahren kann eine Reduktion der Keimlast gemessen werden, was für eine Anwendung im Rahmen parodontologischer Fragestellungen sicher von Interesse ist. Allerdings muss ein dauerhafter Effekt in Bezug auf die Reduktion der Kariesprävalenz derzeit infrage gestellt werden, da schnell wieder eine Neubesiedlung der behandelten keimärmeren Zahnoberflächen stattfindet und die Nachhaltigkeit einer einmaligen Behandlung nicht nachgewiesen ist.
Kernaussagen
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Viele Patienten bemühen sich um eine gute Mundhygiene, mit ganz unterschiedlichem Erfolg. Die einfache Empfehlung, eine bestimmte Technik zu verwenden – wenn nicht eine grundsätzlich traumatische Putztechnik vorliegt –, ist nur selten zielführend und angezeigt.
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Da viele Personen nicht alle Areale in der Mundhöhle erreichen, scheint die Einführung einer Systematik sinnvoller zu sein, um eine Plaqueentfernung auf allen Flächen zu erreichen. Eine Systematik kann zusätzlich dazu führen, dass die Verweildauer in einem Areal verlängert wird, was zu einer Verbesserung der Reduktion des an der Zahnoberfläche anhaftenden Biofilms führt.
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Bei optimaler Ausführung der Interdentalraumhygiene durch geschulte Fachpersonen kann ein kariesprotektiver Effekt erzielt werden. Die Interdentalraumhygiene ist jedoch bei vielen Patienten unzureichend, was die mangelnde Effektivität bei häuslicher Anwendung erklären kann. Daher ist es besonders wichtig, ein intensives Training mit den Patienten durchzuführen und ggf. Zahnzwischenraumbürsten anstelle von Zahnseide zu empfehlen, da deren Anwendung etwas einfacher zu erlernen ist als die der Zahnseide. Es ist biologisch plausibel, dass die Interdentalräume vom dentalen Biofilm befreit werden sollten, um einer Entstehung von Approximalkaries, aber auch von Parodontalerkrankungen entgegenzuwirken.
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Die chemische Modifikation des Biofilms wird die mechanische Entfernung der Plaque nicht ersetzen, sie kann aber zur Unterstützung der Mundhygiene wirksam eingesetzt werden. Vor allem Patienten mit einem erhöhten Risiko für Karies, wie etwa bei freiliegenden Wurzeloberflächen oder Situationen mit festsitzenden kieferorthopädischen Apparaturen, können von einer adjuvanten Therapie profitieren.
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Es ist bekannt, dass Chlorhexidin zu einer Plaquereduktion führen kann. Die Anwendung von CHX-Lacken bei Wurzelkaries oder während des Zahndurchbruchs kann empfohlen werden, genauso wie die Anwendung von zinnhaltigen Produkten bei Wurzelkaries oder bei eingeschränkter Mundhygienefähigkeit.
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Ob Arginin-haltige Zahnpasten tatsächlich die in die Aminosäure gesetzten Erwartungen erfüllen, bleibt abzuwarten. Die ersten Ergebnisse sind sehr vielversprechend und könnten bei kariesaktiven Patienten durchaus Wirkung zeigen. Für alle anderen Verbindungen, die bisher untersucht wurden, ist die Evidenz gering; oftmals fehlen klinische Studien sogar gänzlich.
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Das individuelle Kariesrisiko kann zusätzlich durch eine Reduktion des Konsums niedermolekularer Kohlenhydrate reduziert werden.
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Die Verwendung von Zuckeralkoholen, wie Xylit, stellt eine Option dar. Ein kariesprotektiver Effekt von Xylit konnte zwar nicht endgültig bewiesen werden, aber es gibt Hinweise hinsichtlich einer fördernden Wirkung auf die orale Gesundheit durch eine Reduktion der Stoffwechselaktivität in kariesrelevanten Bakterien.
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Das Kauen von xylithaltigen Kaugummis ist uneingeschränkt zu empfehlen; zum einen wegen der Wirkung des Xylits, zum anderen aufgrund der durch das Kauen provozierten Speichelstimulation mit den daraus resultierenden bekannten Effekten auf die Neutralisation von bakteriellen Säuren in der Plaque.
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen
Wissenschaftlich verantwortlich gemäß Zertifizierungsbestimmungen für diesen Beitrag ist Prof. Dr. med. dent. Nadine Schlüter, Freiburg i. Br.