Schlüsselwörter
Fertilitätserhalt - Mammakarzinom - chemotherapieinduzierte Amenorrhö - vorzeitige Ovarialinsuffizienz - gynäkologische Malignome
Einleitung
Durch die zunehmende Applikation von Chemotherapie bei Kindern, Teenagern und prämenopausalen Patientinnen wurden die Heilungsraten onkologischer Erkrankungen über die letzten Jahre deutlich verbessert. Neben einer Verschiebung der Familienplanung ins höhere Alter und den langfristigen Folgen der vorzeitigen Ovarialinsuffizienz besteht heute ein berechtigtes Interesse an der Erhaltung der ovariellen Funktion unabhängig von der Art der Tumorerkrankung. Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Erhalt der Ovarialfunktion (Hormonproduktion) und dem Erhalt der Fertilität (Möglichkeit des Kinderbekommens). So leiden die von einer vorzeitigen Ovarialinsuffizienz betroffenen Frauen unter subjektiven (Hitzewallungen, Schweißausbrüche, Schlafstörungen, Libidoverlust etc.) und objektiven Begleiterscheinungen (Osteoporose, kardiovaskuläre Ereignisse, Genitalatrophie, mentale Leistungsminderung, kognitive Dysfunktionen, labile Psyche, Vaginalatrophie, Dyspareunien, Vitalitätsverlust etc.), welche die Lebensqualität langfristig und irreversibel vermindern [1], [2].
Die histologisch nachweisbaren Veränderungen einer Chemotherapie am Ovar reichen von einer reduzierten Follikelzahl über völliges Fehlen bis zur Fibrose.
Nach der Definition der WHO ist das Ausbleiben von Menstruationen über 1 Jahr als Amenorrhö bzw. Menopause definiert. Synonyme für die Ovarialinsuffizienz sind: chemotherapieinduzierte Amenorrhö (CIA), Premature ovarian Failure (POF) und Amenorrhö. Im Rahmen der Fertilitätsprotektion können folgende Methoden Anwendung finden: medikamentöse Ovarsuppression vor onkologischen Systemtherapien, Kryokonservierung von Eizellen und Ovargewebe sowie vor geplanter Radiatio des Beckens die operative Verlagerung der Ovarien aus dem Bestrahlungsfeld. In der operativen Therapie gynäkologischer Malignome ist bei potenziell vorhandenem Kinderwunsch stadienabhängig ein organschonendes bzw. organerhaltendes Vorgehen möglich. Das differenzierte Vorgehen bei den verschiedenen Organerkrankungen ist ein Schwerpunkt der aktuellen Übersicht. Alle prämenopausalen, insbesondere „sehr junge“ Frauen und Frauen ohne Kinder sollten so früh wie möglich über fertilitäts- und ovarfunktionserhaltende Maßnahmen informiert werden. Hilfe bei der Beratung können hier zusammengeschlossene Verbünde aus onkologischen und reproduktionsmedizinischen Zentren des Netzwerkes „Fertiprotekt“ (http://fertiprotekt.com) geben.
Prävalenz und Risikofaktoren
Prävalenz und Risikofaktoren
Die Prävalenz einer permanenten Gonadenschädigung (Infertilität) ist bei folgenden Regimen [3], [4], [5], [6]:
-
hoch (> 80%):
-
Beckenbestrahlung (Dosis Ovar > 10 Gy, Testis > 4 Gy)
-
Ganzkörperbestrahlung [7]
-
Hochdosis-Chemotherapie mit Stammzelltransplantationen und Cyclophosphamid/Busulfan
-
CMF, FEC, FAC (jeweils 6 Zyklen bei Frauen > 40 Jahre)
-
intermediär:
-
CMF, FEC, FAC (jeweils 6 Zyklen bei Frauen 30 – 39 Jahre)
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AC, EC (jeweils 4 Zyklen bei Frauen > 40 Jahre)
-
taxanhaltige Kombinationen
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gering (< 20%):
-
ABVD (Doxorubicin, Bleomycin, Vinblastin, Dacarbazin)
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CHOP (Cyclophosphamid, Doxorubicin, Vincristin, Prednisolon)
-
Therapie der akuten myeloischen Leukämie
-
Therapie der akuten lymphatischen Leukämie
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CMF, FEC, FAC, (jeweils 6 Zyklen bei Frauen < 30 Jahre)
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AC, EC (jeweils 4 Zyklen bei Frauen < 40 Jahre)
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unbekannt/fraglich
-
Taxane, Vincristin, MTX, 5-FU, Oxaliplatin, Irinotectan, Capecitabin
Unabhängig von der möglichen ovarschädigenden Wirkung sollte immer die in Leitlinien empfohlene Therapie mit der höchsten Heilungsrate angewandt werden. Eine relevante Verzögerung der onkologischen Therapie wegen fertilitätserhaltender Maßnahmen sollte vermieden werden [8].
Erhalt der Ovarialfunktion bei Patientinnen mit einem Mammakarzinom
Erhalt der Ovarialfunktion bei Patientinnen mit einem Mammakarzinom
Rund 25% aller Brustkrebserkrankungen treten bei prämenopausalen Patientinnen und 12% bei Frauen unter 40 Jahren auf [18], [19].
Ist die wiedereinsetzende Ovarialfunktion sicher?
Östrogene sind in der Tumorgenese des Mammakarzinoms sehr bedeutsam. Umgekehrt ist die Ausschaltung der Hormonproduktion (= Ovarfunktionssuppression; OFS) bei hormonsensitiven Tumoren therapeutisch sehr wirksam [1]. Für hormonrezeptorpositive Frauen mit einem High-Risk-Mammakarzinom, erfolgter Chemotherapie und zusätzlicher OFS konnte eine signifikante Verbesserung des brustkrebsspezifischen Überlebens von 5 – 10% erreicht werden [20], [21]. So waren das krankheitsfreie 10-Jahres-Überleben (78,4 vs. 67%, p = 0,022) wie auch das Gesamtüberleben (90,8 vs. 79,7%, p = 0,041) für Frauen mit CIA signifikant besser als bei denen ohne CIA [22]. Insgesamt lassen die vorliegenden Daten den Schluss zu, dass eine Amenorrhö (CIA, GnRH-Therapie) nach Chemotherapie die Prognose verbessert. Über die notwendige Dauer der Amenorrhö besteht derzeit keine Klarheit.
Je nach Alter der Patientin und den verwendeten Zytostatika bzw. deren Dosierung resultiert mit den derzeit gebräuchlichen Chemotherapiekombinationen eine CIA in 50 – 60%, die reversibel oder irreversibel sein kann [5]. Für Patientinnen < 35, 35 – 40 und > 40 Jahre betrug die CIA-Rate 26% (95%-KI 12 – 43%), 39% (95%-KI 31 – 58%) und 77% (95%-KI 71 – 83%) [23]. Als unabhängige Risikofaktoren für eine CIA wurden ein höheres Alter (> 40 Jahre) und die Einnahme von Tamoxifen bestätigt.
Bei hormonrezeptornegativen Tumoren gibt es gegen eine wiedereinsetzende Menstruation keine Bedenken.
Gibt es Parameter, die eine chemotherapieinduzierte Amenorrhö (CIA) vorhersagen?
Allgemein gilt, je jünger die Patientin, desto geringer ist das Risiko einer CIA. Obwohl die Datenlage nicht konklusiv ist, scheint die Vorhersage des Risikos einer CIA mittels Anti-Müller-Hormon (AMH), Inhibin und follikelstimulierendem Hormon (FSH) möglich [24], [25], [26], [27]. Die Bestimmung der Follikelanzahl und -größe kann weiterhin hilfreich sein, ist aber subjektiv [28]. AMH, Follikelzahl und andere Hormone sind aber wiederum stark altersabhängig.
Anthracyclin-Taxan-haltige Chemotherapieregime sind heute Standard. Obwohl taxanhaltige Schemata eine etwas höhere Amenorrhörate aufweisen sollen, unterschieden sich die CIA-Rate nicht signifikant vom FAC/FEC-Schema [29], [30]. In allen Untersuchungen war das Alter der entscheidende Prädiktor für das Auftreten einer CIA. Neuerdings werden auch genetische Polymorphismen als Ursache für eine CIA diskutiert [31], [32], [33]. So hatten laut Reimer et al. (2016) Frauen mit einer heterozygoten Variante des Drug Metabolism Enzymes SLCO1B1*5 eine signifikant geringere CIA-Rate.
Im Vorfeld einer Chemotherapie sollte die Indikation kritisch geprüft werden, ggf. auch unter Einsatz eines Multigenassays [34], [35], [36]. Eine alleinige endokrine Therapie kann auch ausreichend sein.
GnRH-Analoga zum Ovarschutz unter einer Chemotherapie?
Unklar ist noch, wie die Zytostatika ihre schädigende Wirkung an den Ovarien entfalten. Da die Entwicklung vom Primordialfollikel bis zum kleinen präantralen Follikel GnRH-unabhängig verläuft, können zytotoxische Auswirkungen auf proliferierende Zellen nur eine untergeordnete Rolle spielen. Während die Ataya-Hypothese davon ausgeht, dass die primär schädigende Wirkung die proliferierenden Granulosazellen trifft, postuliert die Meirow-Hypothese, dass die alkylierenden Substanzen primär die ruhenden Prägranulosazellen und die von diesen umgebenen Oozyten durch Induktion apoptotischer Vorgänge zerstört [37].
Mehrere randomisierte Studien haben den Effekt einer Chemotherapie auf die Ovarfunktion mit und ohne GnRH-Analoga untersucht ([Tab. 1]). In 4 Studien zeigte sich ein Benefit der GnRHa-Gabe auf die CIA-Rate, während in 3 Studien kein Vorteil gesehen wurde. In der größten Studie (POEMS [38]) zeigte sich bei hormonrezeptornegativen Patientinnen unter anderem ein nicht erklärbarer signifikanter Vorteil für das krankheitsfreie Überleben und auch Gesamtüberleben unter der zusätzlichen GnRHa-Gabe. Wegen des Bias im Follow-up (nur 135 von 218 Patientinnen), der unklaren Hormonrezeptordefinition und der unterschiedlichen Wirkung der Chemotherapie muss diese Studie kritisch gesehen werden [39]. Aus [Tab. 1] wird zudem ersichtlich, dass die Schwangerschaftsrate insgesamt sehr niedrig ist.
Tab. 1 Randomisierte klinische Studien zum Ovarschutz mit GnRHa während einer Chemotherapie.
Autor
|
Patienten (n)
|
mittleres Alter (Jahre)
|
hormonrezeptorpositiv (%)
|
% POF*
GnRH/kein GnRH
|
Schwangerschaften (n)
|
* POF = Premature ovarian Failure
|
Badawy [42]
|
78
|
30
|
k. A.
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10/67 p < 0,001
|
k. A.
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Sverrisdottir [43]
|
285
|
45
|
45
|
64/90 p = 0,006
|
k. A.
|
Del Mastro [44]
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281
|
39
|
81
|
9/26 p < 0,001
|
3/1
|
Gerber [45]
|
60
|
37
|
0
|
30/43 n. s.
|
1/1
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Munster [46]
|
49
|
39
|
73
|
12/10 n. s.
|
1/1
|
Elgindy [47]
|
100
|
33
|
0
|
24/48 n. s.
|
2/1
|
Moore [38]
|
218
|
38
|
0 (≤ 10%)
|
8/22 p = 0,02
|
22/12
|
Aktuelle Metaanalysen kommen jedoch zu dem Ergebnis, dass die Gabe von GnRHa bei prämenopausalen Patientinnen mit Indikation zu einer Chemotherapie und Wunsch nach Erhaltung der Ovarfunktion empfohlen werden kann [40], [41]. So führte die zusätzliche GnRHa-Gabe zu einer signifikant höheren Rate wiedereinsetzender Menstruation nach 6 Monaten (OR = 2,41; 95%-KI 1,40 – 4,15; p = 0,002) und 12 (OR 1,85; 95%-KI 1,33 – 2,59; p = 0,0003) und einer höheren Schwangerschaftsrate (OR 1,85; 95%-KI 1,02 – 3,36; p = 0,04) [2].
Andere Möglichkeiten zum Fertilitätserhalt
Die Fortschritte in der Reproduktionsmedizin (= ART) haben zu einem Umdenken beim Fertilitätserhalt vor einer Chemotherapie geführt. Derzeit sind die Kryokonservierungen von befruchteten Eizellen und reifen Eizellen etablierte Verfahren, während die Kryokonservierung unreifer Oozyten noch als experimentell angesehen werden muss [48], [49]. Die Kryokonservierung von Ovarialgewebe stellt ein weiteres Verfahren zum Fertilitätserhalt dar [17], [50]. Bei allen ART-Verfahren entstehen Kosten von über 2000 €, die in der Regel nicht von der Krankenkasse getragen werden.
Die höchsten Erfolgsraten hinsichtlich Geburt eines gesunden Kindes hat die Kryokonservierung von Embryonen oder von befruchteten Eizellen im Vorkernstadium (2PN) [51]. Dies setzt allerdings einen festen Partner voraus.
Bei fehlendem Partner kommen die Kryokonservierung von reifen Oozyten und Ovarialgewebe in Betracht. Die Follikelstimulation mit Gonadotropinen kann unter gleichzeitiger Gabe von Tamoxifen oder einem Aromatasehemmer (Letrozol) erfolgen. Bei Beginn der Stimulationsbehandlung in der Lutealphase mit rekombinantem FSH unter zeitgleicher Gabe von GnRH-Antagonisten reduziert sich der Zeitraum bis zur Follikelpunktion auf maximal 14 Tage. Diese Zeit ist onkologisch auch vertretbar. Durch die Ovulationsinduktion vor Eizellentnahme mittels GnRH-Agonisten („agonist trigger“) lässt sich eine ovarielle Überstimulation (OHSS) meist vermeiden. Durch Gabe eines GnRH-Depotpräparats direkt am Tag der Eizellentnahme wird rasch die für die Zeit der Chemotherapie gewünschte ovarielle Ruhe hergestellt.
Die Methode der Vitrifikation ist heute Standard für die Kryokonservierung unbefruchteter Eizellen, da trotz des gegenüber der Kristallbildung vulnerablen Spindelapparats sehr hohe Überlebensraten erzielt werden. Das früher verwendete langsame Einfrierprotokoll („slow freezing“) wurde wegen geringer Kryosurvivalraten von nur ca. 30% bei unbefruchteten Eizellen verlassen. Mit dem „slow freezing“ lassen sich zwar bei 2PN und Embryonen Überlebensraten von > 85% erreichen, aber auch hier setzt sich die Vitrifikation zunehmend durch.
Die laparoskopische Gewinnung von Ovarialgewebe (bis hin zu einem ganzen Ovar) und nachfolgende Kryokonservierung gewinnt zunehmend an Bedeutung. Mittlerweile sind weltweit mehr als 86 erfolgreich ausgetragene Schwangerschaften nach Transplantation von zuvor kryokonserviertem Ovargewebe beschrieben [49], [52], [53]. Die Methode des „slow freezings“ scheint hierbei der Vitrifikation überlegen zu sein. Nach der Chemotherapie werden dann Cortex-Chips entweder orthotop in Perforationen des (kontralateralen) Ovars, subperitoneal in die Beckenwand oder heterotop z. B. in das subkutane Fettgewebe transplantiert [54]. Von Vorteil ist die kurze Zeitdauer der Durchführung bis zum Therapiebeginn. Die ermutigenden Resultate der verschiedenen Arbeitsgruppen zeigen, dass die Methode der Kryokonservierung von Ovargewebe mit nachfolgender Transplantation auf dem Weg zu einer etablierten Methode des Fertilitätserhaltes ist. Problematisch ist das Risiko der Tumorzellverschleppung z. B. bei Leukämien und die Ovargewebe-Re-Transplantation bei BRCA-1/2-Mutationsträgerinnnen [8], [55], [56].
Erhalt der Ovarialfunktion bei Patientinnen mit einem Tumor von Zervix, Ovar und Uterus
Erhalt der Ovarialfunktion bei Patientinnen mit einem Tumor von Zervix, Ovar und Uterus
Ovar
Bei unilateralem Borderline-Tumor des Ovars (BTO) und selbst bei einem frühen Ovarialkarzinom (EOC, FIGO I) kann nach einem adäquaten Staging (Spülzytologie, Omentektomie, Appendektomie und ggf. Peritoneal-PE) ein fertilitätserhaltendes operatives Vorgehen gewählt werden [55], [57], [58], [59], [60]. Dabei ist der unauffällige Uterus sowie das unauffällige kontralaterale Ovar Voraussetzung für ein organerhaltendes Vorgehen. Eine Biopsie des Ovars ist nur bei makroskopischen Auffälligkeiten zu empfehlen. Allerdings zeigten Kohortenstudien für beide Krankheitsbilder ein erhöhtes Rezidivrisiko nach Fertilitätserhaltung.
Nach BTO mit einem medianen Follow-up von 88 Monaten (Range: 14 – 205) kam es in 16% zu einem zumeist invasiven Rezidiv, das im Median nach 22 Monaten (Range: 3 – 74) auftrat [61]. Als unabhängige Prognosefaktoren für ein Rezidiv gelten invasive Implantate, FIGO Ic, G3 und „junge“ Patientinnen. Aktuell wird das Rezidivrisiko je nach FIGO-Stadium, Einschlusskriterien, Systemtherapie und Follow-up mit 12 – 29% und Schwangerschaftsraten mit 30% angegeben [60], [62], [63]. Allerdings zeigte sich hinsichtlich des Überlebens kein Unterschied zwischen fertilitätserhaltend und radikal operierten Patientinnen im Stadium FIGO I [63], [64]. Rezidive nach Fertilitätserhalt treten in ⅔ extraovariell auf und verlaufen zumeist letal. Deshalb sollten die Patientinnen ausführlich über das individuelle Rezidivrisiko aufgeklärt werden.
Keimzelltumoren (Maligner Müllerʼscher-Mischtumor = MMMT) werden in 80% bei Frauen unter 30 Jahren diagnostiziert, wovon wiederum 70 – 75% auf das Stadium I entfallen. Eine konservative Vorgehensweise kann in den allermeisten Fällen mit guter Prognose erfolgen [65]. Das Rezidivrisiko wird in der Literatur mit 9,8 – 27,4% angegeben [66].
Inwieweit Unterschiede zwischen den BRCA-1/2-Mutationsträgerinnen und nicht mutierten Frauen hinsichtlich der Rezidive bestehen, ist nicht bekannt. In Skandinavien wird die Kryokonservierung und Retransplantation von Ovarialgewebe anstelle einer fertilitätserhaltenden Operation bereits als „sicher“ angesehen [50], [67].
Derzeit gibt es keine gesicherten Daten über einen möglichen Zusammenhang von Ovulationsinduktion und Rezidiv. Spontanschwangerschaften nach fertilitätserhaltenden Adnexoperationen werden zwischen 33 – 100% angegeben [68].
Aus „Sicherheitsgründen“ kann nach Abschluss der reproduktiven Phase immer noch die definitive Adnexexstirpation ± Hysterektomie erfolgen. Ob diese allerdings das Gesamtüberleben verbessert, ist derzeit unklar.
Zervixkarzinom
Die Früherkennung und adäquate Behandlung von zervikalen Dysplasien sichert am besten den Erhalt der Fertilität. Entsprechend der S3-Leitlinie „Zervixkarzinom“ ist im Stadium Ia (Synonym: frühe Stromainvasion, Mikrokarzinom) mit bis zu 1 Risikofaktor (L1, V1, G3) und Wunsch nach Fertilitätserhalt die Konisation (bei L1 ggf. mit laparoskopischer pelviner Lymphonodektomie) ausreichend.
Derzeit stehen verschiedene Techniken für den Fertilitätserhalt beim frühen Zervixkarzinom zur Verfügung:
Im FIGO-Stadium Ib1 (Tumor ≤ 4,0 cm) und Wunsch nach Fertilitätserhalt kann die von Dargent publizierte vaginale radikale Trachelektomie (VRT) – eine Kombination aus laparoskopischer Lymphonodektomie und vaginaler Resektion von Zervix mit proximalem Vaginalanteil und Parametrien/Parakolpien – erfolgen [69]. Eine deutsche Multicenterstudie mit 100 Patientinnen konnte nach median 29 Monaten bei frühen Zervixkarzinomen (≤ 2 cm) ein rezidivfreies Überleben von 90% aufzeigen [70]. Die Ergebnisse von 6 Arbeitsgruppen mit 379 Patientinnen zeigen eine 4%ige Beckenrezidivrate [71], [72]. Aktuelle Metaanalysen zur VRT bestätigen Rezidiv- bzw. Mortalitätsraten von 5 bzw. 2% (Tumorgröße ≤ 2 cm) und 11 bzw. 4% (Tumorgröße > 2 cm) [73], [74], [75]. Bei Patientinnen mit einem Adenokarzinom ist das Rezidivrisiko mit 13% und auch die Mortalität gegenüber Platttenepithelkarzinomen höher [76].
Die radikale Trachelektomie kann auch von abdominal (ART) erfolgen [77].
Da Tumorgröße (≤ 2 cm vs. > 2 cm), Nodalbefall und Lymphgefäßinvasion die bedeutsamsten Faktoren für oder gegen ein fertilitätserhaltendes Vorgehen sind, sollte als erster Schritt eine pelvine und paraaortale Lymphonodektomie erfolgen [78].
Zur Vermeidung von „sehr frühen Frühgeburten“ – deren Anteil beträgt nach VRT/ART bis zu 50% – sollte ein frühzeitiger Muttermundsverschluss erfolgen [79]. Andererseits findet sich nach Trachelektomie auch ein hoher Anteil infertiler Frauen aufgrund von Zervikalstenosen (> 15%) [80].
Eine weniger etablierte fertilitätserhaltene Therapieoption beim Zervixkarzinom ist die laparoskopische Lymphonodektomie gefolgt von einer neoadjuvanten (Radio-)Chemotherapie bei gleichzeitiger Ovarprotektion durch GnRH-Analoga und nachfolgender Konisation. Diese Option kann durch zusätzliche Kryokonservierung von Ovargewebe oder Eizellen erweitert werden [73].
Bei fortgeschrittenen Fällen mit Radikaloperation können die Ovarien belassen werden. Diese sollten dann gestielt mit einem Metall-Clip markiert und nach kranial außerhalb des kleinen Beckens fixiert werden ([Abb. 1]). Damit sind diese im Falle einer Radiochemotherapie geschützt. So steigt mit der Strahlendosis über 10 Gy auch das Risiko eines Ovarversagens signifikant an. Bei Dosen über 20 Gy erlitten mehr als 70% der Patientinnen eine Ovarialinsuffizienz [81]. Für einen zusätzlichen GnRH-Schutz fehlen Daten, um bereits von einem etablierten Verfahren zu sprechen.
Abb. 1 Bestrahlungsplanung bei 29-jähriger Patientin mit Zervixkarzinom und Indikation zur Radio-Chemotherapie. CT Abdomen mit (a) Frontalebene und (b) Sagittalebene demonstrieren die Lage der Ovarien außerhalb des kleinen Beckens. c, d Ovarien außerhalb des Bestrahlungsgebietes, innerhalb der 10%-Isodosen (Bilder wurden freundlicherweise von Herrn Prof. Dr. G. Hildebrandt, Direktor der Klinik für Strahlentherapie der Universitätsmedizin Rostock überlassen).
Korpuskarzinom
Die Frage des Organerhaltes bei einer histologisch gesicherten komplexen Hyperplasie (CHP) oder frühem Endometriumkarzinom (EEMC) stellt sich selten. Hierbei handelt es sich dann zumeist um adipöse Frauen. Bei jungen prämenopausalen Patientinnen mit CHP/gut differenzierten EEMC und fehlender Myometriuminfiltration kann eine Gestagentherapie (z. B. 400 – 600 mg/d Medroxyprogesteronacetat oder 160 mg/d Megestrolacetat für 3 – 6 Monate) erfolgen. Bei einem levonorgestrelhaltigen IUD sollen die Remissionsraten vergleichbar, aber die Gewichtszunahme wesentlich geringer ausfallen [82]. Die Remissionsraten sind mit 81% und einer Remissionsdauer von 6 Monaten unter Gestagenen hoch, jedoch kommt es in 50% zu Rezidiven [83]. Deshalb sollte nach einer pathologischen Remission (Hysteroskopie und Abrasio) der Kinderwunsch möglichst zeitnah realisiert werden. Zusätzlich sollten Lifestylefaktoren (Ernährung, Diabeteseinstellung, Gewichtsreduktion) optimiert werden. Zur Bestimmung der Myometriuminfiltration durch das EMC kann neben dem Ultraschall auch ein MRT ([Abb. 2]) hilfreich sein.
Abb. 2 MRT bei 27-jähriger Patientin mit gut differenziertem endometrioiden Adenokarzinom und Infiltration des Myometriums. Nach histologischer Diagnosesicherung durch Hysteroskopie und fraktionierte Abrasio erfolgte präoperativ das Staging mittels MRT zur Einschätzung der Möglichkeit des Uteruserhaltes.
Eine hysteroskopische Resektion des EEMC zusammen mit dem darunter liegenden Myometrium, angrenzenden Endometrium und nachfolgender 6-monatiger Gestagentherapie resultierte in einer kompletten pathologischen Regression in 89%. Es traten 2 (8%) Rezidive auf, während die mediane Dauer der Response immerhin 95 (8 – 175) Monate betrug. Von Frauen mit Kinderwunsch entbanden 87% gesunde Kinder [84]. Diese Daten sind ermutigend, aber noch kein Standard.
Erhalt der Ovarialfunktion bei Patientinnen mit onkologischen Erkrankungen im Kindes-/Jugendalter und jungen Erwachsenenalter (children, adolescents, and young adults; CAYAs)
Erhalt der Ovarialfunktion bei Patientinnen mit onkologischen Erkrankungen im Kindes-/Jugendalter und jungen Erwachsenenalter (children, adolescents, and young adults; CAYAs)
CAYAs mit einer Chemotherapie wegen Lymphomen, Leukämien, Myelomen, Wilms-Tumor, Sarkomen etc.) haben im fertilen Alter ein erhöhtes Risiko (RR: 1,48 [95%-KI 1,23 – 1,78]; p < 0,0001) für Infertilität und häufiger Sterilitätsbehandlungen als nicht chemotherapierte Personen [10]. Eine Beckenbestrahlung, Alkylanzien oder Hochdosischemotherapie waren besonders starke Prädiktoren für Infertilität [11]. Problematisch sind allerdings die richtigen Empfehlungen zum Fertilitätserhalt. Ein Vergleich von 25 verschiedenen Empfehlungen zum Fertilitätserhalt bei CAYAs zeigt eine erhebliche Breite und zum Teil Divergenzen der Empfehlungen, was auf fehlende Evidenzen schließen lässt [12], [13]. Aktuell werden alters- und chemotherapieabhängig die Kryokonservierung von Ovarialgewebe und Oozyten empfohlen [14], [15], [16], [17].
Fertilitätserhaltende Maßnahmen bei männlichen Krebserkrankten
Fertilitätserhaltende Maßnahmen bei männlichen Krebserkrankten
Vor Therapiebeginn ist eine Kryokonservierung von Spermien bei postpubertären Jugendlichen ab dem 13. Lebensjahr, einem Tanner-Stadium ≥ 3 und einem Hodenvolumen ab 10 ml möglich. Die Gewinnung der Samenzellen kann durch Ejakulation, Elektrostimulation oder testikuläre Spermienextraktion durch mikrochirurgische Hodenbiopsie (TESE) erfolgen. Auch die Kryokonservierung von reifem Hodengewebe ist möglich, wobei das Risiko einer testikulären Metastasierung und die daraus resultierende Gefahr der Retransplantation maligner Zellen zu beachten ist [9].
Nach Therapie ist bei persistierender Azoospermie durch TESE in bis zu 50% der Patienten die Gewinnung vitaler Spermien möglich. Jedoch sollte nach Abschluss der Behandlung mindestens 2 Jahre gewartet werden, ob eine Erholung der Spermatogenese eintritt, es sei denn, es liegen weitere Pathologien wie Hypogonadismus oder Ejakulationsstörungen vor. Bei Hypogonadismus ist eine Hormonersatztherapie mittels Testosteron indiziert [6].
Zusammenfassung
Aufgrund deutlich verbesserter Heilungschancen von Krebserkrankungen im Kindes-, Jugend- und frühen Erwachsenenalter stellt der Erhalt der Fertilität und Gonadenfunktion ein zentrales Thema in der Therapieplanung dar.
Reproduktionsmedizinisch ist bei postpubertären Mädchen und Jungen die Kryokonservierung von Eizellen und Spermien möglich, des Weiteren die Kryokonservierung von Ovar- (auch bei präpubertären Mädchen) und Hodengewebe. Die höchsten Schwangerschaftsraten werden durch Kryokonservierung von Embryonen erzielt, dies setzt jedoch eine feste Partnerschaft voraus.
Bei prämenopausalen Patientinnen mit hormonrezeptorpositivem Mammakarzinom ist die (zeitweise) chemotherapieinduzierte Amenorrhö mit einer verbesserten Prognose assoziiert. Die CIA ist alterabhängig reversibel, bei Wunsch nach Erhalt der Ovarfunktion ist die Gabe von GnRHa vor Chemotherapiebeginn möglich [40], [41].
Bei Frauen im reproduktiven Alter mit Erstdiagnose eines Zervixkarzinoms, Endometriumkarzinoms oder Ovarialkarzinoms kann bei Kinderwunsch stadienabhängig ein fertilitätserhaltendes operatives Vorgehen gewählt werden.
Alle Patienten sollten vor Therapiebeginn über die Folgen bezüglich der Reproduktion aufgeklärt und über Möglichkeiten des Fertilitätserhaltes z. B. im Rahmen von Fertiprotekt informiert werden.