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DOI: 10.1055/s-0043-116525
Bedeutung psychischer Erkrankungen für das Gesundheitssystem in Deutschland
Die durch psychische Erkrankungen hervorgerufenen stetig steigenden Arbeitsunfähigkeitstage (AU) sowie vermehrt vorkommende vorzeitige Berufsunfähigkeit ([Abb. 1]) belegen deren gesundheitspolitische Bedeutung für Deutschland ausdrücklich. Die jährlichen Kosten psychischer Erkrankungen in Europa belaufen sich nach Berechnungen des European Brain Council auf über 674 Milliarden Euro und allein in Deutschland auf über 152 Milliarden Euro ([Abb. 2]). Vergleichsweise gering sind die direkten Kosten für Diagnostik und Therapie; sie betragen etwa ein Drittel der Gesamtkosten. Ihnen stehen – im Gegensatz zu fast allen anderen somatischen Krankheitsgruppen – überproportional hohe indirekte Kosten durch Arbeitsausfall und Behinderung etc. gegenüber. Im deutlichen Widerspruch dazu lesen sich Zahlen, wonach klinische Studien z. B. auf dem Gebiet der Onkologie oder Infektiologie ein Vielfaches der Studien zu psychischen Erkrankungen ausmachen. Parallel hierzu besteht ein Missverhältnis augenscheinlich in der Zahl zugelassener Präparate für psychische Erkrankungen im Vergleich zu anderen somatischen Indikationen. Im Bereich der Erkrankungen des zentralen Nervensystems ist hier die Multiple Sklerose (MS) ein gutes Beispiel, dass es anders geht. Nach Jahrzehnten intensiver Grundlagenforschung durch die akademische Neurologie ist es gelungen, wichtige Pathomechanismen der MS zu verstehen und darauf aufbauend neue Therapieansätze zu entwickeln. Das Ergebnis ist eine Vielzahl neuer Zulassungen, die die Prognose insbesondere des chronischen Verlaufs der MS jenseits von Cortisol und Methotrexat deutlich verbessern.


Ca. ein Drittel der schweren und mittelgradigen Verlaufsformen psychischer Erkrankungen respondieren schlecht oder gar nicht auf die gängigen Therapieansätze und führen deswegen, oder auch losgelöst davon, zu einer signifikanten Restsymptomatik. Diese ist gekennzeichnet durch überdauernde kognitive Defizite und eine Negativsymptomatik, die durch Störungen des Antriebs und des Affekts charakterisiert ist. Nur ein besseres Verständnis der Pathogenese dieser unzureichenden Genesungsfähigkeit (recovery) wird zu grundlegend neuen Therapieansätzen wie bei der MS führen. Erst das Verständnis molekularer Abläufe jenseits der Katecholamin-Mechanismen wird zu neuen Ansätzen bei nicht-genesungsfähigen Patienten mit affektiven und nicht-affektiven psychotischen Erkrankungen führen.


Um neue Therapieansätze und Möglichkeiten herausarbeiten zu können, müssen sowohl die akademische Psychiatrie als auch die Industrie in die Pflicht genommen werden, ihren Teil zur Weiterentwicklung therapeutischer Ansätze bei psychischen Erkrankungen beizutragen.
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Interessenkonflikte
Keine
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