Schlüsselwörter alloplastisches Netz - Beckenbodensenkung - Lebensqualität - Sexualität - POP-Q
Einleitung
Ein Descensus genitalis kann die Lebensqualität einer Frau erheblich einschränken [1 ]. Hierbei stehen die Beeinträchtigungen der Blasen- und Darmfunktion mit Inkontinenz oder Entleerungsstörungen meist im Vordergrund [2 ], [3 ]. Auch das allgemeine Wohlbefinden, die persönlichen Beziehungen, insbesondere die Sexualität [4 ], die körperliche und die soziale Aktivität leiden oft unter der Senkung [5 ], [6 ]. Die Inzidenz eines Descensus genitalis der Frau steigt mit der allgemein verbesserten Lebenserwartung, sodass das Risiko für Frauen im Alter von 80 Jahren, sich einer chirurgischen Intervention (z. B. Hysterektomie, Beckenbodenrekonstruktion) unterziehen zu müssen, bei 12,2% liegt [7 ]. Jede 9. Frau ist von einer Senkung betroffen [8 ]. Bis zu 30% der Patientinnen benötigen aufgrund einer Rezidivsituation eine erneute Operation innerhalb von 5 Jahren [9 ], [10 ], [11 ], [12 ]. Eine Operation eines Deszensus sollte nicht nur die Lage der gesenkten Beckenorgane rekonstruieren, sondern auch die Lebensqualität wiederherstellen bzw. mindestens verbessern. Da die Rezidivrate der konventionellen anterioren Kolporrhaphie mit Eigengewebe erheblich ist [1 ], [13 ], soll die Langzeitstabilität durch die Implantation eines alloplastischen Netzes verbessert werden. Die Daten für alloplastische Netze in der Deszensuschirurgie zeigen in der Cochrane-Analyse signifikant bessere Ergebnisse bezüglich des anatomischen Resultats [14 ]. Vor allem bei den Implantaten der 1. Generation traten jedoch neuartige unerwünschte Ereignisse wie Erosionen durch die Vagina, Schmerzen und Dyspareunie auf [15 ]. Deshalb wird der Einsatz alloplastischer Materialien in der Deszensuschirurgie trotz guter Daten für die Langzeitstabilität in der Cochrane-Analyse angesichts der netzinduzierten Risiken [16 ] für die Patientinnen weiterhin kontrovers diskutiert. Durch die Weiterentwicklung des Verfahrens mit leichtgewichtigeren Netzen, Optimierung der Präparationstechniken, besserer apikaler Fixation und zunehmender Erfahrung der Operateure gelang es, die Komplikationsquote deutlich zu reduzieren [1 ]. Dies bestätigen bereits veröffentlichte Ergebnisse der vorliegenden Studie [5 ], [6 ]. In dieser prospektiven Studie zur Implantation eines alloplastischen Netzes wurde neben dem anatomischen Resultat auch der Einfluss auf die Lebensqualität über einen Zeitraum von 36 Monaten untersucht. Die finalen Ergebnisse zur Lebensqualität, Sexualität und dem anatomischen Resultat liegen nun vor.
Material und Methode
Patienten und Studiendesign
Diese prospektive Studie wurde an 9 deutschen Kliniken durchgeführt (clinicaltrials.gov, NCT01084889). 292 Patientinnen mit einer Zystozele bzw. einem Descensus genitalis ≥ Grad II (ICS-[International-Continence-Society-]Klassifikation nach Pelvic-Organ-Prolapse-Quantification-[POP-Q-]System) oder Grad I mit einer Symptomatik, die einen Eingriff erforderlich macht, wurden in die Studie eingeschlossen. Sowohl Primär- als auch Rezidiveingriffe waren zugelassen. Als Ausschlusskriterien wurden Zustand nach Bestrahlung im Becken, nach Netzimplantationen im anterioren Kompartiment und eine systemische Steroidtherapie definiert. Die Patientinnen wurden über das Studienvorhaben ausführlich aufgeklärt und waren dazu in der Lage, Wesen, Ziele, Nutzen, Folgen und Risiken der Studie zu verstehen. Die Studienteilnehmerinnen konnten zu jeder Zeit ihre Einwilligung widerrufen. Gemäß Datenschutzgesetz wurden die Patientendaten anonymisiert, sodass eine Identifizierung durch Dritte nicht möglich ist. Die multizentrische Studie startete nach öffentlicher Anzeige beim Register der National Institutes of Health (NIH) und Vorliegen der Ethikvoten nach Standesrecht für jedes Studienzentrum. Es erfolgte ein 100%iges Monitoring und eine Überwachung durch ein externes Audit.
Die Patientinnen wurden 6, 12 und 36 Monate postoperativ nachuntersucht. Das anatomische Resultat wurde mittels POP-Q-System bewertet [17 ]. Die Lebensqualität wurde mit dem Prolapse Quality-of-Life-(P-QoL-)Fragebogen erfasst [18 ], [19 ].
Neben den primären (Erosionsrate nach 12 Monaten, Lebensqualität nach 6 Monaten) und sekundären Studienzielen (unerwünschte Ereignisse nach 6, 12 und 36 Monaten, Lebensqualität nach 12 und 36 Monaten, Durchführbarkeit der Netzimplantation) wurden auch die Entwicklung der Sexualität und das anatomische Ergebnis im Verlauf der Studie analysiert.
Operationsmethode und Netzimplantat
Die Zystozelenkorrektur erfolgte über einen vaginalen Zugang durch Implantation eines titanisierten Polypropylennetzes (TiLOOP® Total 6, pfm medical ag) mit einer Porengröße > 1 mm. Das 6-armige Netz wurde nach Längsinzision der anterioren Vaginalwand und Präparation der Zystozele mithilfe eines Tunnelers durch einen transobturatorischen und ischiorektalen Zugang distal, lateral und apikal fixiert ([Abb. 1 ]). Die apikale Fixierung erfolgte an den Ligg. sacrospinalia. Eine vaginale Östrogenisierung und eine Einmal-Antibiose wurden verordnet bzw. verabreicht. Die ergänzenden Begleitoperationen, z. B. Korrektur des posterioren Kompartiments, Hysterektomie oder suburethrale Schlingen, waren zugelassen und wurden ebenfalls erfasst.
Abb. 1 Schaubild zur Sechs-Punkt-Fixation des TiLOOP® Total 6-Netzimplantats. Das Netz wird durch einen transobturatorischen und ischiorectalen Zugang spannungsfrei distal, lateral und apikal fixiert. Die apikale Fixierung erfolgt an den Ligamenta sacrospinalia.(Quelle: pfm medical ag)
Prolapse Quality of Life-Fragebogen zur Ermittlung der Lebensqualität und Sexualität
Die Lebensqualität wurde mit der validierten deutschen Version des Fragebogens P-QoL [18 ], [19 ] präoperativ, sowie nach 6, 12 und 36 Monaten erfasst. Der Fragebogen enthält 40 Fragen. Unter anderem werden Fragen zur allgemeinen Gesundheitswahrnehmung, zur Beeinträchtigung durch den Prolaps, zur Rollen- und körperlichen Einschränkung, Fragen zu persönlichen Beziehungen inklusive Sexualität, zu Emotionen, Schlaf und weiteren Beeinträchtigungen gestellt. Die Ergebnisskala reicht von null (keine Beeinträchtigung) bis 100 (maximale Einschränkung der Lebensqualität). Um den Einfluss der Netzimplantation auf das Sexualleben der Patientinnen zu untersuchen, wurden die folgenden 3 Fragen des Lebensqualitätsfragebogens gesondert ausgewertet:
Beeinträchtigt Ihre Senkung Ihre Partnerschaft?
Beeinträchtigt Ihre Senkung Ihr Sexualleben?
Haben Sie eine Scheidenvorwölbung, die beim Geschlechtsverkehr stört?
Den Patientinnen stand es frei, einzelne oder alle Fragen zu ihrer Lebensqualität nicht zu beantworten. Patientinnen, die z. B. aufgrund eines fehlenden Partners oder ihres Alters zu den Untersuchungszeitpunkten sexuell nicht aktiv waren, beantworteten diese Fragen mit „keine Angabe möglich“.
Anatomisches Resultat
Das anatomische Resultat wurde präoperativ und im Verlauf der Studie mittels des POP-Q-Systems bestimmt. Die ICS hat diese, zwischenzeitlich gängige, internationale Einteilung in der Deszensuschirurgie 1996 publiziert [17 ]. Zum einen wird die Lokalisation der defekten Strukturen und zum anderen die Quantifizierung des Schweregrades des Deszensus bestimmt. Definierte Punkte des anterioren (Aa, Ba), apikalen (C, D; Zervix bzw. Scheidenabschluss) und posterioren Kompartiments (Ap, Bp) werden in Relation zum Hymenalsaum gemessen. Mittels dieses validierten Systems ist eine standardisierte, quantitative und reproduzierbare Gradeinteilung des Descensus genitalis möglich [20 ].
Clinical Event Committee
Alle unerwünschten Ereignisse der Studie wurden einem unabhängigen externen Clinical Event Committee (CEC) vorgestellt und unter Zuhilfenahme der Common Terminology Criteria for Adverse Events (CTCAE, Version 0.4) bewertet [21 ]. Die Experten wurden auf Basis ihrer medizinischen und wissenschaftlichen Erfahrungen ausgewählt und haben durch Offenlegung ihrer (finanziellen) Interessen ihre Unabhängigkeit bestätigt.
Statistik
Die statistische Analyse erfolgte mit IBM SPSS, Version 22. Der Wilcoxon-Test wurde für die statistische Analyse der Veränderung der Lebensqualität, inkl. Sexualität, zwischen dem prä- und postoperativen Zeitpunkt angewandt. Darüber hinaus wurden der Chi-Quadrat-Test für Subgruppenanalysen hinsichtlich des Redeszensus eingesetzt und der Mann-Whitney-U-Test auf Subgruppenanalysen in Bezug auf Erosionen, POP-Q-Werte und Lebensqualität angewandt.
Ergebnisse
Demografie
Zwischen 2010 und 2012 wurden von 292 eingeschlossenen Patientinnen 289 operiert. Zwei Patientinnen zogen ihre Einwilligung vor der Operation zurück. Bei einer Patientin stellte sich nach Einschluss in die Studie intraoperativ heraus, dass eine Implantation eines Netzes nicht erforderlich war. Vor dem 6-Monats-Follow-up entzog eine Patientin ihre Einwilligung zur Teilnahme an der Studie, zwischen dem 6- und 12-Monats-Follow-up eine weitere. Fünf Patientinnen revidierten ihre Einwilligung zur Teilnahme an der Studie zwischen dem 12- und 36-Monats-Follow-up. Zwei Patientinnen verstarben ohne kausalen Bezug während der Studie. Nach 6 Monaten konnten die Daten von 280 Patientinnen erhoben werden, nach 12 Monaten die von 286 und nach 36 Monaten wurden die Daten von 269 Patientinnen erfasst. Die Patientenkohorte ist in [Abb. 2 ] in einem Schaubild nach dem CONSORT 2010 Statement erläutert [22 ].
Abb. 2 Schaubild der Studienteilnehmer nach dem CONSORT Statement, 2010 [22 ].
Das Durchschnittsalter betrug 67 ± 8 Jahre (43 – 87 Jahre) und der BMI 27 ± 4 kg/m2 (17 – 37 kg/m2 ). Die Patientinnen haben durchschnittlich 2,3 ± 1,2 Kinder geboren. Die demografischen Daten der behandelten Patientinnen entsprechen dem Durchschnitt des Zensus [23 ] bzw. der DRG-(Diagnosis-Related-Groups-)Daten deutscher Kliniken [24 ]. 31,8% (92/289) der Patientinnen waren hysterektomiert, 14,9% (43/289) aufgrund einer Senkung voroperiert. 34,9% (101/289) erhielten simultan eine konventionelle posteriore Kolporrhaphie zur Rektozelenkorrektur, 25,6% (74/289) ein posteriores Netz und 36,3% (105/289) eine Hysterektomie.
Lebensqualität und Sexualität
Im Verlauf der Studie wurde eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität beobachtet (p < 0,001, Wilcoxon-Test, [Abb. 3 ]). Bezüglich der Lebensbeeinträchtigung (73,5 von 100 Punkten), der Rollen- und körperlichen Einschränkung (58,5 bzw. 55,0 von 100 Punkten), sowie der Beeinträchtigung der persönlichen Beziehungen (43,8 von 100 Punkten) waren die Patientinnen präoperativ am stärksten betroffen ([Tab. 1 ], [Abb. 3 ]). Bereits nach 6 Monaten war sowohl in diesen 4 (19,4, 15,8 bzw. 16,6, 16,5, jeweils von 100 Punkten) als auch in den weiteren 5 untersuchten Bereichen (allgemeiner Gesundheitszustand, 39,3 vs. 27,2; soziale Einschränkung, 20,6 vs. 6,0; Stimmung, 29,6 vs. 9,3; Schlaf/Vitalität, 32,4 vs. 18,5; Grad der Symptomatik, 40,8 vs. 17,1) eine signifikante Verbesserung festzustellen (p < 0,001, Wilcoxon-Test, [Tab. 1 ], [Abb. 3 ]). Sowohl nach 12 als auch nach 36 Monaten ergab die Patientenbefragung weiterhin eine signifikant bessere Lebensqualität im Vergleich zur Kondition vor der Beckenbodenrekonstruktion (p < 0,001, Wilcoxon-Test, [Tab. 1 ]). Die Ergebnisse sind in [Tab. 1 ] zusammengefasst.
Tab. 1 Lebensqualität vor und nach Implantation eines alloplastischen Netzes auf Basis des validierten P-QoL-Fragebogens [19 ]. Je höher der Wert, desto mehr ist die Lebensqualität beeinträchtigt. Angegeben sind der Mittelwert (MW) und die Standardabweichung (SD) jeweils präoperativ, 6, 12 und 36 Monate nach der Implantation.
präoperativ
6 Monate
p-Wert
12 Monate
p-Wert
36 Monate
p-Wert
MW
SD
MW
SD
MW
SD
MW
SD
allg. Gesundheitszustand
39,3
21,0
27,2
17,0
< 0,001
25,5
16,3
< 0,001
26,5
18,2
< 0,001
Lebensbeeinträchtigung
73,5
26,7
19,4
27,6
< 0,001
16,2
24,8
< 0,001
14,7
25,1
< 0,001
Rolleneinschränkung
58,5
29,2
15,8
24,9
< 0,001
11,3
20,1
< 0,001
11,6
21,4
< 0,001
körperliche Einschränkung
55,0
30,2
16,6
26,0
< 0,001
10,9
19,9
< 0,001
11,1
21,0
< 0,001
soziale Einschränkung
20,6
26,5
6,0
16,7
< 0,001
3,9
12,8
< 0,001
4,2
12,7
< 0,001
persönliche Beziehungen
43,8
37,5
16,5
26,8
< 0,001
11,0
22,2
< 0,001
10,4
19,5
< 0,001
Stimmung
29,6
27,7
9,3
18,6
< 0,001
6,5
15,9
< 0,001
5,4
13,7
< 0,001
Schlaf/Vitalität
32,4
22,4
18,5
18,5
< 0,001
16,7
16,3
< 0,001
17,7
17,9
< 0,001
Grad der Symptomatik
40,8
19,8
17,1
16,4
< 0,001
14,4
16,0
< 0,001
13,5
15,5
< 0,001
Abb. 3 Lebensqualität vor und nach Implantation eines alloplastischen Netzes. Angegeben ist der Wert der Einschränkung der Lebensqualität 6, 12 und 36 Monate nach der Implantation im Vergleich zur Einschränkung vor der Implantation, wobei 100 der maximalen Einschränkung entspricht. Die Erfassung der Lebensqualität erfolgt aufgegliedert in verschiedene Bereiche.
Die Sexualität und Beziehung zum Partner wurden auf Basis der Auswertung von 3 Fragen des P-QoL bewertet (Beeinträchtigt Ihre Senkung Ihre Partnerschaft?, Beeinträchtigt Ihre Senkung Ihr Sexualleben?, Haben Sie eine Scheidenvorwölbung, die beim Geschlechtsverkehr stört?) ([Abb. 4 ]). Bezüglich der Beeinträchtigung der Partnerschaft durch die Senkung verringerte sich die Anzahl der betroffenen Patientinnen von 37,9% (106/280) präoperativ zu 11,4% (30/264) nach 36 Monaten (p < 0,001, Wilcoxon-Test). Präoperativ beantworteten 31,8% (89/280) der Patientinnen diese Frage mit „keine Angabe möglich“, nach 36 Monaten waren es 44,7% (118/264). Vor der Operation beklagten 48,6% (137/282) der Patientinnen eine Beeinträchtigung ihres Sexuallebens, nach 36 Monaten waren 14,4% (38/264) betroffen (p < 0,001, Wilcoxon-Test). 37,9% (107/282) konnten präoperativ und 52,3% (138/264) 36 Monate postoperativ keine Angaben zur Beeinträchtigung ihres Sexuallebens machen. Darüber hinaus berichteten signifikant weniger Patientinnen postoperativ von einer Scheidenvorwölbung, die beim Geschlechtsverkehr stört (43,5% (117/269) präoperativ, 6,6% (17/256) nach 36 Monaten, p < 0,001, Wilcoxon-Test; „keine Angabe möglich“: 39,0% (105/269) präoperativ und 60,2% (154/256) 36 Monate postoperativ) ([Abb. 4 ]).
Abb. 4 Verbesserung der sexuellen Funktionalität nach 36 Monaten. Auswertung der Fragen zur Beeinträchtigung der Beziehung zum Partner durch die Senkung, Beeinträchtigung des Sexuallebens durch die Senkung und ob die Scheidenwölbung beim Geschlechtsverkehrt stört. Als Antwortmöglichkeiten standen zur Verfügung: „gar nicht“, „beeinträchtigt“ und „keine Angabe möglich“. Die Auswertung erfolgte vor der Implantation, sowie sechs, zwölf und 36 Monate nach der Implantation.
Unter einer Dyspareunie litten präoperativ 15,6% (45/289) der Patientinnen. Zur Nachuntersuchung 36 Monate postoperativ waren 6,4% (17/266) der behandelten Patientinnen durch eine Dyspareunie beeinträchtigt, wobei 4,5% (12/266) der Patientinnen unter einer De-novo- bzw. 1,9% (5/266) unter einer persistierenden Dyspareunie litten.
Anatomisches Resultat
Die Ausprägung des Deszensus wurde prä- und postoperativ mittels des POP-Q-Systems bestimmt [17 ]. Präoperativ wurde bei 47,1% (136/289) der Patientinnen ein Deszensus II. Grades diagnostiziert, 49,8% (144/289) hatten einen Grad-III- und 3,1% (9/289) der Patientinnen einen Grad-IV-Deszensus. Nach 36 Monaten hatten 21,8% (55/252) der Patientinnen keinen Deszensus (Grad 0), 62,7% (158/252) einen Deszensus I. Grades, bei 15,1% (38/252) der Patientinnen wurde ein Grad-II-Deszensus und bei 0,4% (1/252) ein Grad-IV-Deszensus diagnostiziert ([Abb. 5 ]).
Abb. 5 Descensus genitalis präoperativ und nach 36 Monaten. Dargestellt ist die Anzahl von Patientinnen mit einem Descensus genitalis Grad 0, I, II, III oder IV jeweils präoperativ und 36 Monate nach der Implantation.
Im operierten anterioren Kompartiment wurde nach 12 Monaten bei 2,4% (7/286) und im Verlauf nach 36 Monaten bei weiteren 1,9% (5/269) ein Rezidiv beobachtet. Fünf Patientinnen wiesen gleichzeitig eine Senkung im posterioren Kompartiment auf, bei 2 Patientinnen trat zunächst ein posteriorer Deszensus, zu einem späteren Untersuchungszeitpunkt ein anteriorer Defekt auf. Die anterioren Rezidivfälle sind demnach in Kombination mit posterioren Defekten aufgetreten.
Bis zur Nachuntersuchung nach 12 Monaten entwickelten 10,1% (29/286) der Patientinnen eine erneute Senkung im posterioren Kompartiment, bis zur Nachuntersuchung 36 Monate postoperativ 3,7% (10/269). Im apikalen Kompartiment waren nach 12 Monaten 2,8% (8/286), nach 36 Monaten 1,9% (5/269) der Patientinnen betroffen.
Bei 34,9% (101/289) wurde eine posteriore Kolporrhaphie, bei 25,6% (74/289) eine netzgestützte Reparatur des posterioren Kompartiments durchgeführt. In einzelnen Fällen wurden mehrere Eingriffe begleitend durchgeführt. Bei 42,9% (124/289) der Patientinnen wurde keine simultane Intervention im posterioren Kompartiment vorgenommen. Eine begleitende posteriore Kolporrhaphie senkte das Rezidivrisiko von 28% ohne simultane posteriore Rekonstruktion auf 11,1% (p < 0,004, χ2 -Test). Das geringste Rezidivrisiko (6,3%) wurde bei Patientinnen mit begleitender posteriorer netzgestützter Plastik festgestellt (p < 0,001, χ2 -Test). Bezogen auf alle Kompartimente betrug die Rezidivrate nach 12 Monaten 14,0% (40/286). Zwischen der 12- und 36-Monats-Nachuntersuchung waren 5,2% (14/269) der Patientinnen von einer erneuten Senkung betroffen.
In der Anamnese gaben 31,8% (92/289) der Patientinnen an, hysterektomiert zu sein. Bei 36,3% (105/289) wurde begleitend zur Zystozelenkorrektur eine Hysterektomie durchgeführt. Eine begleitend durchgeführte oder vorbestehende Hysterektomie erhöhte das Senkungsrisiko für das posteriore Kompartiment um das 2,8-Fache.
Unerwünschte Ereignisse
Im Verlauf der Studie wurden zu jedem Zeitpunkt unerwünschte Ereignisse dokumentiert und von einem unabhängigen CEC unter Verwendung der CTCAE-Codierung bewertet. Wie bereits in früheren Publikationen beschrieben, waren intra- und perioperative Komplikationen selten [5 ], [6 ]: in 1,7% (5/289) der Fälle wurde eine Blasenläsion und in jeweils 0,3% (1/289) eine Ureterverletzung bzw. transfusionsbedürftige Blutung (1/289) beschrieben. Darüber hinaus wurde in jeweils 0,3% (1/289) eine Harnwegsinfektion bzw. ein infiziertes Hämatom nach Entlassung diagnostiziert. Die Infektionen wurden in beiden Fällen konservativ behandelt. Bei 0,3% (1/289) der Patientinnen kam es zu lagerungsbedingten Schmerzen.
Zwischen den Untersuchungen nach 12 und 36 Monaten wurden 22 unerwünschte Ereignisse bei 21 Patientinnen dokumentiert, wobei keines der Ereignisse sicher mit dem Netzimplantat zusammenhing. Bei 8 Meldungen bestand jedoch ein sicherer Bezug zur Operationsmethode: 1 Patientin hatte Schmerzen im Netzbereich, bei 7 Patientinnen wurde eine Erosion dokumentiert (Erstmeldungen). Bei der Schmerzpatientin wurde während eines stationären Eingriffs das Netzimplantat mobilisiert, 3 Erosionspatientinnen wurden ambulant unter Lokalanästhesie behandelt, bei 4 Erosionen war keine Therapie indiziert. Patientinnen, die begleitend zur Zystozelenkorrektur hysterektomiert wurden, hatten ein 2,25-fach höheres Risiko, eine Erosion zu entwickeln. Bei den übrigen Komplikationen handelte es sich um jeweils 1 Fall eines Harnwegsinfekts, einer Hämaturie, einer Thrombose und einer Hernie und des Weiteren Fäkalinkontinenz (n = 2), Harninkontinenz (n = 3), Schmerzen (n = 4), sowie Rezidive im operierten Kompartiment (n = 5, siehe auch Abschnitt „Anatomisches Resultat“).
Die bereits veröffentlichten Studiendaten zeigen auf, dass bis zur Untersuchung nach 12 Monaten 10,5% (30/286) der Patientinnen eine Erosion gemäß des primären Prüfziels aufwiesen [5 ], [6 ]. In 56,7% (17/30) dieser prüfzielrelevanten Erosionen war eine medikamentöse oder ambulante Maßnahme unter Lokalanästhesie ausreichend. In 43,3% (13/30) der Fälle war ein chirurgischer Eingriff unter Narkose indiziert, wobei bei keiner Patientin eine Explantation erforderlich war. 46,7% (14/30) aller Erosionen wurden als asymptomatisch beschrieben.
Diskussion
Während dieser prospektiven, multizentrischen Langzeitstudie mit 289 Patientinnen wurde der Einfluss einer Implantation eines alloplastischen Netzes zur Zystozelenkorrektur auf die Lebensqualität, Sexualität und das anatomische Resultat untersucht. Bekannte Risiken aller Methoden zur Beckenbodenrekonstruktion sind unter anderem chronische Schmerzen, Dyspareunie oder ein rezidivierender Deszensus [1 ], [14 ], [25 ]. Diese Faktoren können die Lebensqualität betroffener Patientinnen auch nach erfolgter Operation erheblich einschränken. Darüber hinaus stehen alloplastische Implantate der 1. Generation, die seit den frühen 2000er-Jahren eingesetzt werden, im Verdacht, die Lebensqualität, vor allem aber die Sexualität, negativ zu beeinflussen [16 ]. Durch die stetige Weiterentwicklung von Netzimplantaten und die entsprechende Qualifikation der Operateure ist eine Reduktion netzinduzierter Nebenwirkungen zu beobachten [1 ].
Die Patientenkohorte dieser Studie spiegelt gemäß aktueller Zensus- und DRG-Daten das typische Patientenklientel wider [23 ], [24 ]. Daher liefern die vorliegenden Resultate einen interessanten Beitrag zum Umgang mit Beckenbodensenkungen in der am meisten betroffenen Patientengruppe.
Die Befragung der Patientinnen zu ihrer Lebensqualität ergab eine signifikante Verbesserung in allen untersuchten Bereichen im Verlauf der Studie. Bereits 6 Monate nach der Operation waren die Patientinnen in ihrer Lebensqualität signifikant weniger beeinträchtigt. Zwölf und 36 Monate nach dem Eingriff verbesserte sich die Lebensqualität der Studienteilnehmerinnen weiter, wobei der Unterschied zu den präoperativen Resultaten signifikant blieb. Dass durch eine netzgestützte Korrektur eines Descensus genitalis, trotz netzinduzierter Nebenwirkungen, die Lebensqualität der Patientinnen signifikant verbessert werden kann, haben weitere Studien bestätigt [26 ], [27 ], [28 ], [29 ], [30 ], [31 ].
Die Auswertung der Fragen zur Sexualität im Fragebogen P-QoL brachte eine signifikante Reduktion der Beeinträchtigung des Sexuallebens nach der Zystozelenkorrektur hervor. Die Beeinträchtigung der Lebensqualität bezogen auf die Sexualität von Patientinnen mit Dyspareunie war präoperativ sehr stark. Die durchschnittliche Dyspareunierate wird in der Literatur mit 12% angegeben [31 ]. In vorliegender Studie waren vor der Operation 15,6% der Frauen von einer Dyspareunie betroffen. Nach 6 und 12 Monaten litten 2,5 bzw. 2,4% [5 ], [6 ], nach 36 Monaten lediglich 1,9% der Patientinnen weiterhin unter einer Dyspareunie. Zur Nachuntersuchung nach 36 Monaten wurde lediglich in 4,5% (12/266) der Fälle eine De-novo-Dyspareunie berichtet. Allerdings ist zu beachten, dass ein Großteil der Patientinnen angibt, sexuell nicht aktiv zu sein. Dies kann durch das fortgeschrittene Alter, Komorbiditäten oder fehlendes Interesse begründet sein. Hierbei sind sowohl die Patientinnen selbst als auch deren Partner zu berücksichtigen. In der Literatur sind Berichte über die sexuelle Funktionalität nach (netzgestützten) Operationen im Beckenboden inkonsistent [15 ], [32 ], [33 ], weshalb weiterführende Forschung hinsichtlich der Dyspareunie nach verschiedenen Operationsverfahren initiiert werden sollte.
Die Patientinnen profitieren bei vertretbaren Risiken von einer hochsignifikanten Verbesserung der Lebensqualität in allen Bereichen. Die guten anatomischen Ergebnisse dieser Studie erklären sich durch die auch im mittleren Kompartiment gesetzte laterale, apikale und dabei adjustierbare Fixierung des Netzimplantats. Yang und Kollegen verglichen in einer retrospektiven Kohortenstudie die transobturatorische Netzimplantation (Mehrpunktfixation) mit dem Single-Incision-Verfahren. Die Rezidivrate beider Methoden war 2 Jahre nach der OP vergleichbar. Netzerosionen waren nach der Single-Incision-Methode seltener, jedoch war die Rate postoperativer Stressharninkontinenz nach transobturatorischer Fixierung geringer [34 ]. Ergebnisse vergleichender Studien sind selten, weshalb die Initiierung weiterer Studien zur Differenzierung der Ergebnisse der verfügbaren Netzimplantationsmethoden sinnvoll ist. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie bestätigen die in der AWMF-Leitlinie beschriebene geringere Rezidivrate nach Implantation eines alloplastischen Netzes zur Zystozelenkorrektur im Vergleich zu einer konventionellen anterioren Kolporrhaphie, die mit einer Rezidivrate von bis zu 30% einhergeht [1 ], [25 ]. Im Gegensatz dazu konnte in der kürzlich veröffentlichten PROSPECT-Studie kein Vorteil der netzgestützten gegenüber der konventionellen Methode gezeigt werden [26 ]. Es gab keine signifikanten Unterschiede bezüglich der unerwünschten Ereignisse, der Dyspareunie- und Rezidivrate und der Anzahl von erneuten Operationen. Jedoch berichteten die Autoren, dass bei 9% der Frauen ein erneuter Eingriff aufgrund netzinduzierter Komplikationen erforderlich war [26 ]. Hierbei sollte jedoch erwähnt werden, dass 75% der Patientinnen mit einer Erosion, für die eine chirurgische Entfernung des sichtbaren Teils indiziert war, keine Symptome hatten. In der vorliegenden Studie traten die meisten Erosionen bis 12 Monate nach der Operation auf. Bei 10,5% (30/286) der Patientinnen wurde eine prüfzielrelevante Erosion in den ersten 12 Monaten nach Implantation berichtet. Lediglich bei 2,6% (7/269) der Patientinnen wurden Erosionen zwischen 12 und 36 Monaten postoperativ beobachtet. Diese Ergebnisse bestätigen das in der Literatur beschriebene frühe Auftreten von Erosionen [35 ]. Patientinnen, die begleitend zur Zystozelenkorrektur hysterektomiert wurden, hatten ein 2,25-fach höheres Risiko, eine Erosion zu entwickeln. Diese Beobachtung ist in Einklang mit der Literatur [35 ], [36 ], [37 ], [38 ], [39 ], wobei als Ursache ein vergrößerter Wundbereich angenommen wird [37 ]. Darüber hinaus hat die vorliegende Studie gezeigt, dass eine vorher oder begleitend durchgeführte Hysterektomie das Risiko einer Rektozele um das nahezu 3-Fache erhöht. Aus der Literatur ist bekannt, dass eine Hysterektomie mindestens die Prävalenz einer Re-Operation erhöht [40 ]. Daher sollten entsprechende Zusammenhänge weiterhin beobachtet und analysiert werden, um die Therapieoptionen im Einzelfall besser bewerten zu können.
Zwischen den Nachuntersuchungen nach 12 und 36 Monaten wurden 22 unerwünschte Ereignisse beobachtet. Keines dieser Ereignisse war bis dahin unbekannt. Darüber hinaus hat die Patientenbefragung zur Lebensqualität ergeben, dass nach 12 Monaten nur noch eine geringfügige Verbesserung feststellbar ist. Diese Ergebnisse lassen den Schluss zu, dass künftige Studien auch mit kürzerer Beobachtungszeit konzipiert werden können. Studienergebnisse können somit bereits früher zu einer Verbesserung der Behandlungsmöglichkeiten betroffener Patientinnen beitragen. Andererseits fehlen Daten zu den Langzeitfolgen alloplastischer Implantate, weshalb längere Beobachtungszeiten dennoch sinnvoll sind.
Die Wahl eines geeigneten Operationsverfahrens bei einem Descensus genitalis sollte entsprechend der aktuellen Leitlinien [1 ], [25 ], [41 ] nach eingehender urogynäkologischer Befunderhebung erfolgen. Darüber hinaus sollte die individuelle Beratung die alternativen Operationsverfahren mit und ohne Implantation eines alloplastischen Netzes, die möglichen operativen Zugangswege und die entsprechenden Vor- und Nachteile beinhalten. Die eigene operative Expertise sollte hierbei berücksichtigt werden.
Das Design der Studie ist limitiert auf die Untersuchung einer Patientengruppe. Eine Betrachtung der Ergebnisse und ein Vergleich zu anderen Methoden sind nur vor dem Hintergrund aktueller Literatur möglich. Darüber hinaus ist die Befragung der Patientinnen bezüglich ihrer Sexualität limitiert, da die Aussagen hierzu dem P-QoL entnommen wurden. In zukünftigen Studien sollte zur Untersuchung der sexuellen Funktionalität ein zusätzlicher Fragebogen eingesetzt werden.
Schlussfolgerung
In dieser prospektiven multizentrischen Untersuchung mit einem titanisierten Netz mit distaler, lateraler und apikaler Fixation zeigt sich eine gute Stabilität des anatomischen Ergebnisses mit sehr niedriger Rezidivrate von 4,5% im operierten anterioren Kompartiment. Diese liegt deutlich unter der nach konventioneller anteriorer Plastik [1 ]. Hinsichtlich der Lebensqualität kommt es in allen gemessenen Bereichen zu einer hochsignifikanten Verbesserung, auch im viel diskutierten Bereich der Partnerschaft und Sexualität. Wie jedes Verfahren birgt auch die netzgestützte Beckenbodenrekonstruktion spezifische Risiken. Diese sind jedoch bei entsprechender Qualifikation des Operateurs vertretbar. Deshalb kann diese Operation in der Beratung der Patientin vor allem in der Rezidiv-, aber auch in der Primärsituation bei ausgeprägten Befunden und gewünschter dauerhafter Stabilität angeboten werden [25 ], [41 ].