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DOI: 10.1055/s-0043-118155
Immunmechanismen bei Psychosen
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Publication Date:
25 October 2017 (online)
Etwa 1% der Bevölkerung weltweit leidet an Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis. Es handelt sich um kein umschriebenes Krankheitsbild, sondern um ein Syndrom aus Wahrnehmungsstörungen, Wahn, desorganisiertem Denken und Verhalten sowie Antriebsstörungen. Das Krankheitsbild führt zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität und zu einer erhöhten Mortalität. Die Ursachen der endogenen Psychosen sind bis heute nur unzureichend verstanden. Neben genetischen Faktoren spielen Lebensereignisse, Veränderungen im Stoffwechsel und in der Signalübertragung des Gehirns (Dopamin, Glutamat) sowie toxische Einflüsse eine Rolle. Dem Immunsystem wird seit den frühen Behandlungsversuchen der Schizophrenien durch „Malariatherapie“ ebenfalls eine pathogenetische Rolle zugeschrieben, die Anlass für neue Therapieansätze bietet.
Die ortsständigen Immunzellen des Gehirns (Mikroglia) entwickeln sich nach neuesten Erkenntnissen bereits in der Embryonalentwicklung und sind deshalb empfindlich gegenüber frühen Störungen. So können Infektionskrankheiten der Mutter bereits beim ungeborenen Kind zu einer Aktivierung von Mikroglia führen, die mit einer dauerhaften Vulnerabilität gegenüber Psychosen verbunden sein kann. Epidemiologische Untersuchungen belegen, dass antenatale Toxoplasmose und Virusinfektionen bei Müttern, aber auch virale Infektionen im Kindesalter mit einem erhöhten Schizophrenierisiko assoziiert sind. Eine Aktivierung von Mikroglia konnte in Positronen-Emissions-Tomografie-(PET-)Untersuchungen sowohl bei Risikopatienten als auch in den frühen Krankheitsstadien der schizophrenen Psychosen nachgewiesen werden. Neuropathologische Untersuchungen zeigen, dass die Dichte an Mikroglia und die Expression proinflammatorischer Zytokine in den Gehirnen schizophrener Patienten signifikant erhöht sind. Auch im Liquor finden sich oftmals Hinweise auf entzündliche Veränderungen. Die erhöhten Konzentrationen von Kynureninsäure stellen einen Zusammenhang zwischen Immunaktivierung und Störungen der glutamatergen Neurotransmission her. Insgesamt erscheint Mikroglia sensibilisiert gegenüber zusätzlichen Stressoren, wie beispielsweise Traumen oder toxische Faktoren, welche dann im Sinne eines „two hit“-Modells zur klinischen Manifestation beitragen.
Die Bedeutung genetischer Faktoren für die Entstehung von schizophrenen Psychosen ist durch die Ergebnisse früher Zwillingsforschung und Adoptionsstudien gut belegt. Unlängst konnten in einer großen genomweiten Assoziationsstudie (GWAS) über 100 Loci identifiziert werden, die mit Psychosen aus dem schizophrenen Formenkreis assoziiert sind. Interessanterweise fanden sich darunter viele immunologisch relevante Gene wie major histocompatibility complex (MHC) und solche der adaptiven Immunität wie die B-Zellmarker CD19 und CD20. Für das angeborene Immunsystem, inklusive Mikroglia, spielt die Beobachtung einer Assoziation des Komplement C4-Gens mit schizophrenen Psychosen eine besondere Rolle. Komplement C4 aktiviert C3, welches an der postnatalen Eliminierung von Synapsen durch Mikroglia beteiligt ist.
In jüngster Zeit mehren sich die Hinweise, dass autoimmun vermittelte Enzephalitiden sich primär und ausschließlich als Psychosen manifestieren können. Die Krankheitsbilder werden durch Antikörper gegen neuronale Oberflächenmoleküle wie beispielsweise NMDA-Glutamatrezeptoren, GABA-Rezeptoren oder Dopaminrezeptoren vermittelt. Es kann ein Zusammenhang mit Tumorerkrankungen und Virusinfektionen bestehen. Die GWAS-Befunde einer Assoziation von schizophrenen Psychosen mit dem MHC-Locus und B-Zellmarkern lassen sich mit Autoimmunität ebenso gut in Verbindung bringen wie der neuropathologische Nachweis von Lymphozyten in den Gehirnen schizophrener Patienten. Allerdings wird die Prävalenz von pathogenen Autoantikörpern bei psychiatrischen Patienten gegenwärtig kontrovers diskutiert, da sowohl Immunglobulinsubtypen als auch die Integrität der Blut-Hirn-Schranke eine Rolle spielen. Künftige prospektive Studien sowie die Klonierung von B-Zellen aus dem zentralen Nervensystem werden mehr Klarheit über die pathogenetische Bedeutung von autoreaktiven Lymphozyten bzw. Auto-Antikörpern bei Psychosen liefern.
Die Erkenntnisse über die Rolle von Immunmechanismen bei der Entwicklung schizophrener Psychosen liefern völlig neue Therapieansätze in der Psychiatrie. Im Falle autoimmun vermittelter Enzephalitiden muss eine immunsuppressive Therapie durchgeführt werden. Ansonsten können zur Modulation der Mikrogliafunktion nicht-steroidale Antiphlogistika und Minocyclin als add-on-Medikamente in Erwägung gezogen werden. Es ist zu erwarten, dass in Zukunft durch die weitere Aufklärung der molekularen Mechanismen der Immunantworten bei Psychosen neue und spezifischere Targets, beispielsweise im Komplementsystem, identifiziert werden.
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