Einleitung
Die Überlebensrate von Karzinompatientinnen ist in den vergangenen Jahrzehnten dank stetiger Optimierung und Effizienz onkologischer Therapiekonzepte kontinuierlich gestiegen [1].
Krebserkrankungen stellen überwiegend eine Erkrankung des älteren Menschen dar, während hingegen Heranwachsende und junge Erwachsene relativ selten davon betroffen sind. In Deutschland erkranken derzeit pro Jahr etwa 15 000 Patienten im Alter zwischen 15 und 39 Jahren an einem Karzinom, bei 480 000 Neuerkrankungen insgesamt [2]. In dieser Altersspanne der unter 40-Jährigen ist das Mammakarzinom mit ca. 2500 Erkrankungen pro Jahr in Deutschland die häufigste Krebserkrankung [2], [3]. In der Altersgruppe der unter 45-Jährigen lag die Inzidenz in Deutschland 2011 – 2012 bei 120/100 000 [4]. Viele dieser Frauen haben ihre Familienplanung noch nicht abgeschlossen, was unter anderem auf das steigende Alter der Frauen bei der Geburt des 1. Kindes zurückzuführen ist [6].
Die Tumorbiologie bei jungen Mammakarzinompatientinnen zeigt häufig ein aggressives Wachstumsverhalten und ist mit einer schlechten Prognose assoziiert [7]. Daher stellt die Polychemotherapie gerade bei jungen Patientinnen mit einem Mammakarzinom – meist im neoadjuvanten Setting – eine wichtige Therapiemaßnahme dar.
Die Langzeitfolgen der onkologischen Therapien rücken, insbesondere vor dem Hintergrund der immer späteren Realisierung des Kinderwunsches, in den Fokus. Die prämature Ovarialinsuffizienz („premature ovarian failure“ – POF) ist eine häufige Konsequenz einer Chemotherapiebehandlung. Die Zytotoxizität ist bei Organen mit hoher Zellteilungsrate, wie z. B. Knochenmark, GI-Trakt oder Thymus, reversibel. Die Ovarien hingegen werden aufgrund ihrer begrenzten Zellzahl mit fehlender Replikation und Regeneration der Follikel durch die Chemotherapie in unterschiedlichem Ausmaß geschädigt [8], [9]. Dies kann zu einer permanenten Infertilität der betroffenen Frauen führen, siehe [Tab. 1] und [2].
Tab. 1 Amenorrhöraten nach Chemotherapie bei prämenopausalen Patientinnen mit Mammakarzinom, Übersicht, nach [13].
Alter (Jahre)
|
Chemotherapie
|
Amenorrhörate (%)
|
A = Doxorubicin; C = Cyclophosphamid; E = Epirubicin; F = 5-Fluoruracil; M = Methotrexat
|
> 40
|
6 × CMF, 6 × FEC, 6 × FAC
|
> 80 (hohes Risiko)
|
< 40
|
EC (dosisdicht)
|
|
30 – 39
|
6 × CMF, 6 × FEC, 6 × FAC
|
20 – 80 (mittleres Risiko)
|
> 40
|
4 × AC
|
|
< 30
|
6 × CMF, 6 × FEC, 6 × FAC
|
< 20 (niedriges Risiko)
|
< 40
|
4 × AC
|
|
Tab. 2 Amenorrhöraten nach Chemotherapie bei prämenopausalen Patientinnen mit Mammakarzinom, ausgewählte Studien [14], [15], [16].
Chemotherapie
|
Alter (Jahre)
|
Anzahl Patientinnen
|
Amenorrhörate (%)
|
Studie
|
EC = Epirubicin, Cyclophosphamid; Pac = Paclitaxel; Doc = Docetaxel; TAC = Docetaxel, Doxorubicin, Cyclophosphamid; FAC = 5-Fluoruracil, Doxorubicin, Cyclophosphamid
|
EC/Pac
|
mittleres Alter: 42
|
n = 80
|
46,6
|
Zhou, 2012
|
EC/Doc
|
< 35
|
n = 166
|
15
|
Fornier, 2005
|
TAC
|
prämenopausal
|
n = 109
|
57,7
|
Martin, 2005
|
FAC
|
prämenopausal
|
n = 409
|
52
|
Martin, 2005
|
Premature Ovarian Failure
Die Auswirkung einer zytotoxischen Therapie auf die Ovarien wird u. a. durch die Störung der steroidproduzierenden Granulosa- und Thekazellen erklärt, in deren Folge die durch sie umschlossenen Oozyten zugrunde gehen [10]. Histologisches Korrelat ist ein Verlust von Follikelstrukturen in den Ovarien mit Fibrosierungen [11].
Das Ausmaß der gonadotoxischen Wirkung einer Chemotherapie hängt erheblich von der verwendeten Substanz und der kumulativen Dosis ab. Besonders Anthrazykline oder alkylierende Substanzen wie Cyclophosphamid zeichnen sich durch eine hohe Zytotoxizität aus, da sie im Gegensatz zu anderen Zytostatika keine Zellzyklus-Spezifität aufweisen und besonders auf nicht proliferierende Zellen zytotoxisch wirken [12]. Basierend auf ihrem Gonadotoxizitätsrisiko kann man die Chemotherapeutika in verschiedene Risikogruppen einteilen ([Tab. 1]) [13]. Angegeben ist jeweils das Risiko für eine fortbestehende Amenorrhö nach abgeschlossener Chemotherapie. [Tab. 2] zeigt Amenorrhöraten nach Chemotherapie am Beispiel von ausgewählten Studien [14], [15], [16].
Cyclophosphamid ist am besten untersucht und wird am häufigsten in Zusammenhang mit einer Gonadotoxizität diskutiert: Es besteht ein 4-fach höheres Risiko für die Entwicklung einer prämaturen Ovarialinsuffizienz im Vergleich zu anderen Chemotherapeutika [17]. Des Weiteren spielt das Alter der Patientin für die Entwicklung und Dauer der Ovarialinsuffizienz eine wichtige Rolle: Ältere Frauen, die bereits eine physiologische Reduktion ihres Primordialfollikelpools aufweisen, haben ein höheres Risiko für die Entwicklung einer Infertilität; zudem bewirkt Cyclophosphamid bereits in niedrigeren Dosen eine Gonadotoxizität, als es bei jüngeren Frauen der Fall wäre [18]. Weitere Einflussfaktoren auf die chemotherapieinduzierte Infertilität sind [19]:
-
die individuelle ovarielle Reserve und Pharmakokinetik bez. der Metabolisierung,
-
die Gesamtdosis,
-
die Dosisdichte,
-
die Dauer der Behandlung.
Eine Reihe von Studien hat sich mit der Etablierung möglicher Biomarker zur Prädiktion einer chemotherapieassoziierten Amenorrhö bei Mammakarzinompatientinnen beschäftigt [20] – [22]. Ruddy et al. [20] konnten anhand einer multizentrischen, randomisierten Studie mit 124 prämenopausalen Patientinnen zeigen, dass das vor der Chemotherapie gemessene Anti-Müller-Hormon (AMH) als Biomarker für eine chemotherapieassoziierte Amenorrhö fungieren kann. 12 Monate nach abgeschlossener Chemotherapie hatten 82% der Patientinnen eine Amenorrhö, wobei hier lediglich das höhere Alter als signifikanter Marker zu werten war (p = 0,0003). 18 Monate nach Chemotherapie und bei immer noch 81%iger Amenorrhörate waren sowohl höheres Alter (OR 1,18, 95%-KI 1,04 – 1,34, p = 0,008) als auch ein vor der Chemotherapie niedriger AMH-Spiegel (OR 0,41, 95%-KI 0,18 – 0,95, p = 0,04) ein signifikanter Prädiktor für eine Amenorrhö [20]. Eine Erhöhung des AMH-Wertes vor der Chemotherapie um 1 ng/ml würde eine Risikoreduktion um 59% für die Entwicklung einer 18-monatigen Amenorrhö bedeuten. Eine Erhöhung des Alters um ein Jahr hätte eine 18% höhere Wahrscheinlichkeit für eine 18-monatige Amenorrhö zur Folge [20].
Tamoxifen, als endokrine Therapie für eine Dauer von mindestens 5 Jahren bei hormonrezeptorpositivem Mammakarzinom, ist mit keiner Beeinträchtigung der ovariellen Funktion assoziiert [19]. Dennoch muss von einer altersbedingten Minderung der Fertilität durch die Dauer der antiendokrin ausgerichteten Tamoxifeneinnahme ausgegangen werden. Eine Schwangerschaft sollte, alleine schon wegen teratogener Eigenschaften von Tamoxifen, während dieser Zeit vermieden werden [23]. Am Ende der antiendokrinen Therapie ist ein Großteil der Patientinnen peri- bis postmenopausal. Aus diesem Grund kann mit der Patientin ein Pausieren der Tamoxifentherapie nach einem etwa 2-jährigen Einnahmeintervall diskutiert werden, um zunächst den Kinderwunsch zu realisieren und nachfolgend die Tamoxifeneinnahme zu komplettieren. Dieser innovative Ansatz ist zurzeit Gegenstand wissenschaftlicher Überprüfungen [24], [25].
Der potenzielle Fertilitätsverlust bedingt durch eine Chemotherapie führt zu einer verheerenden psychischen Belastung bei vielen Patientinnen [26], häufig begleitet von depressiven Episoden, Angst, Trauer, Wut, Zerbrechen von Beziehungen, sowie einer verminderten Lebensqualität im Allgemeinen [27], [28]. Entsprechend wird dem Erhalt der ovariellen Funktion während und nach der Chemotherapie, sowohl in Hinblick auf die Fertilität als auch auf den Erhalt der Knochen- und kardiovaskulären Gesundheit, eine besondere Bedeutung beigemessen.
Möglichkeiten des Fertilitätserhalts
Im Mai 2006 wurde das Netzwerk FertiPROTEKT in Heidelberg von einer Gruppe aus 40 universitären Reproduktionsmedizinern gegründet. Nach über 10 Jahren hat das Netzwerk heute den Status eines eingetragenen Vereins (e. V.) und ist erheblich gewachsen. Reproduktionsmediziner und Biologen von mittlerweile über 100 universitären sowie nicht universitären Zentren in Deutschland, Österreich und der Schweiz haben sich zusammengeschlossen, um flächendeckend fertilitätserhaltende Maßnahmen bei Chemo- und Strahlentherapie nach einheitlichen Empfehlungen anzubieten [29].
Kryokonservierung von unfertilisierten und fertilisierten Oozyten
Wenn vor einer geplanten Chemotherapie noch ausreichend Zeit für eine ovarielle Hyperstimulation vorhanden ist, können reife Oozyten durch transvaginale Follikelaspiration gewonnen werden. Diese können durch IVF- oder ICSI-Behandlung fertilisiert und im Pronukleus-(2-Vorkern-)Stadium kryokonserviert werden. In Deutschland ist nur die Kryokonservierung fertilisierter Oozyten rechtlich zulässig, wohingegen in anderen Ländern auch Embryonen konserviert werden können.
Eine Stimulation kann unabhängig vom Zyklustag der Patientin jederzeit begonnen werden („random start“) und dauert etwa 14 Tage [30]. Bewährt hat sich ein Stimulationsprotokoll unter Verwendung eines Aromataseinhibitors (AI) zeitgleich zur Gonadotropingabe [31]. Dieser führt zu einer Senkung des Östradiolspiegels im Plasma bei gleichzeitiger Induktion der Östrogenbildung aus Androgenen in den Granulosazellen. Somit können beide Effekte des AI optimal genutzt werden. Auf der einen Seite werden die messbaren Östradiol-(E2-)Spiegel im Blut maximal supprimiert, auf der anderen Seite wird die Ovulationsinduktion unterstützt [32]. Oktay et al. konnten zeigen, dass eine Stimulation im Antagonistenprotokoll mit FSH kombiniert mit Letrozol (AI der 3. Generation) im Vergleich zu einer Stimulation im Agonisten-Langprotokoll zu einer signifikanten Reduktion der E2-Spiegel (p < 0,001) bei gleichbleibender Anzahl an gewonnenen Oozyten (p = 0,43) führt [32]. Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass die Stimulation mit Letrozol nicht pauschal, sondern lediglich bei hormonrezeptorpositiven Tumoren zu empfehlen ist. Zudem müssen die Patientinnen über den Off-Label-Use dieses Stimulationsprotokolls aufgeklärt werden.
Wenn die Patientin keinen Partner hat, werden die Oozyten im unfertilisierten Zustand kryokonserviert. Dieses Verfahren sollte aufgrund der hohen Trennungs- und Scheidungsraten grundsätzlich jeder Frau – egal ob ledig, in einer festen Beziehung oder verheiratet – angeboten werden. Hierbei muss gewährleistet sein, dass das jeweilige Zentrum über entsprechende Möglichkeiten der Kryokonservierung verfügt.
Bei der Kryokonservierung hat sich besonders die Vitrifikation, als extrem schnelles Einfrierverfahren der Oozyten in Stickstoff, bewährt. Bei den konventionellen Methoden erfolgt das Einfrieren deutlich langsamer über mehrere Stunden und birgt ein höheres Risiko für die Bildung von Eiskristallen. Kryokonservierte, fertilisierte Oozyten weisen ähnlich wie kryokonservierte Embryonen oder Spermien eine bei Vitrifikation hohe Vitalität von 73 bis 95% mit einer Schwangerschaftsrate von etwa 25% auf [33], [34].
In-vitro-Maturation
Die In-vitro-Maturation (IVM) ist eine noch recht neue Technik der extrakorporalen assistierten Reproduktionsmedizin, die im Unterschied zur klassischen IVF/ICSI auf eine kontrollierte ovarielle Hyperstimulation verzichtet, sodass es hierbei zu keinem verzögerten Beginn einer geplanten Chemotherapie kommt.
Bei dieser Technik werden, ggf. nach einer kurzen Stimulation mit FSH und/oder hCG, unreife Oozyten aus kleinen antralen Follikeln durch transvaginale Aspiration gewonnen. Wichtig hierbei ist ein hoher antraler Follikelcount (AFC), sodass diese Methode lediglich bei einer kleinen Subgruppe angewandt werden kann.
Es erfolgt dann eine In-vitro-Reifung der Oozyten mit anschließender Fertilisation. Die In-vitro-Maturation der Oozyten wird in aller Regel über 24 Stunden durchgeführt. Anschließend erfolgt eine Beurteilung des Reifestadiums und ggf. die Fertilisation durch konventionelle IVF oder ICSI. Obwohl sich theoretisch die beschleunigte In-vitro-Maturation negativ auswirken könnte, sind bislang keine erhöhten Fehlbildungsraten beschrieben [36]. Nachteile der IVM gegenüber einer konventionellen IVF oder ICSI-Behandlung sind [36]:
-
geringere Implantations- und Schwangerschaftsraten pro Therapiezyklus pro Embryotransfer,
-
höhere Kosten pro erzielte Schwangerschaft,
-
technisch schwierigere Punktion mit längerer Punktionsdauer,
-
erhöhte Laborkosten durch erhöhten Arbeitsaufwand,
-
nicht vollends geklärte epigenetische und andere fetale Risiken.
Somit handelt es sich bei der In-vitro-Maturation noch um ein experimentelles, nicht standardmäßig angewandtes Verfahren, welches bislang noch in fast keinem Labor angeboten wird.
Kryokonservierung von Ovarialgewebe
Die Kryokonservierung von Ovarialgewebe hat sich nach ihrer ersten erfolgreichen Anwendung in Brüssel 2004 weltweit als effektives Verfahren etabliert [27]. Hier wurde nach orthotoper, autologer Transplantation zuvor kryokonservierten Ovarialgewebes nach spontaner Konzeption das erste Kind geboren [39].
Bei der Kryokonservierung von Ovarialgewebe werden per Laparoskopie etwa 50% des Ovarkortex eines Ovars reseziert, präpariert und unter Verwendung von Kryoprotektiva konserviert. Besonders geeignet ist die Kryokonservierung von Ovarialgewebe für jüngere Patientinnen, da deren Ovarialreserve und somit die Follikeldichte sehr hoch sind. Als obere Altersgrenze wird 35 – 37 Jahre empfohlen, weil bis zu dieser Altersspanne die Follikeldichte des Ovars in den meisten Fällen noch ausreichend hoch ist. Vor der Operation wird der Hormonstatus im Blut bestimmt und eine Sonografie des Uterus und der Ovarien durchgeführt.
Die Kryokonservierung von Ovarialgewebe ist besonders dann geeignet, wenn wenig Zeit bis zum Beginn der zytotoxischen Therapie verbleibt: Während bei der ovariellen Hyperstimulation mit Punktion und Kryokonservierung von Oozyten etwa 2 Wochen eingeplant werden müssen, kann die Laparoskopie wenige Tage vor Beginn der Chemotherapie durchgeführt werden. Der mögliche Verzicht auf eine hormonelle Stimulation, kombiniert mit einem zeitnahen Abschluss der Fertilitätsprotektion, lässt diese Methode, insbesondere im Kollektiv der Mammakarzinompatientinnen, vielversprechend erscheinen.
Bei der Re-Transplantation des Ovarialgewebes wurde in den Anfängen der methodischen Etablierung versucht, das Gewebe heterotop, d. h. im Bereich des Unterarms oder in die Bauchdecke zu transplantieren [40]. Mittlerweile erfolgt die Re-Implantation üblicherweise orthotop, d. h. in oder an das verbliebene Restovar oder in eine Peritonealtasche im Bereich der Fossa ovarica. Innerhalb von 3 bis 6 Monaten kommt es meist zur Wiederaufnahme der endokrinen Funktion. Die Überlebensdauer des Gewebes variiert zwischen wenigen Monaten und mehreren Jahren [41], [42].
Speziell beim Mammakarzinom ist zu beachten, dass ein – zumindest theoretisches Restrisiko – für die Re-Induktion der Tumorerkrankung durch persistierende und nach Re-Implantation reaktivierte Mikrometastasen besteht [33]. Gerade in den frühen Stadien (I, II) ist die Re-Transplantation von Ovarialgewebe als sicher anzusehen – sowohl in histologischen als auch immunhistologischen Untersuchungen des kryokonservierten Ovarialgewebes konnten maligne Zellen ausgeschlossen werden. [43], [44]. Im fortgeschrittenen Stadium (IV) hingegen muss das Risiko einer Re-Induktion der Tumorerkrankung durch ovarielle Metastasen zumindest in Betracht gezogen werden. Bei einer Patientin wurde von einem lokalen Rezidiv auf der Seite der erkrankten Brust etwa 1 Jahr nach Re-Transplantation von Ovarialgewebe berichtet. Allerdings konnten in dem Ovar selbst keine Metastasen nachgewiesen werden [45], [46]. Dieses innovative Verfahren hat sich innerhalb der letzten Jahre immer stärker etabliert und wird mittlerweile auch in Deutschland an ausgewählten Zentren angeboten [27].
Aktuell können anhand publizierter Fälle und mitgeteilter Daten des Netzwerks FertiPROTEKT über 90 Geburten weltweit belegt werden [47], [48].
Bei dieser Methode liegt die prozentuale Lebendgeburtenrate bei 28,4% je Patientin bei gleichzeitig höheren Schwangerschaftsraten [49]. Van der Ven beschrieb eine Lebendgeburtenrate von 25% bei einer Schwangerschaftsrate von über 30% [50]
Medikamentöse Maßnahmen – GnRH-Agonisten
Die Rationale der Suppression der Keimzellproliferation besteht darin, mit einer zeitlich begrenzten Behandlung mittels GnRH-Analoga einen Zellzyklusarrest zu initiieren, um so die Follikel vor dem gonadotoxischen Einfluss der Chemotherapie zu schützen. Dieses Konzept beruht auf der Beobachtung, dass bei inaktiven Gonaden im präpubertären Alter die Fertilität durch Chemotherapeutika weniger beeinträchtigt wird als in der reproduktiven Lebensphase. Anfangs kommt es bei der Behandlung mit GnRH-Agonisten zu einer initialen Freisetzung der Gonadotropine („flare-up“-Effekt), die ungefähr 1 Woche andauert, sodass GnRH-Analoga mindestens 1 Woche vor Beginn der Chemotherapie zum 1. Mal appliziert werden sollten. Die Anwendung erfolgt als Off-Label-Use.
Der Nutzen der GnRH-Analoga wird seit Jahren kontrovers diskutiert. In einer Cochrane-Analyse [52] basierend auf der Auswertung von 4 randomisierten Studien aus den Jahren 1987 bis 2007 zeigten die Autoren, dass die Patientinnen von der Verwendung von GnRH-Analoga profitieren. Es konnten erhöhte Menstruations- (RR 1,90, 95%-KI 1,30 – 2,79) und Ovulationsraten (RR 2,70, 95%-KI 1,52 – 4,79) nach abgeschlossener Chemotherapie gezeigt werden [52]. Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2011 [53], die 6 Studien bis 2010 einschloss, konnte ebenfalls einen protektiven Effekt durch GnRH-Analoga auf die ovarielle Funktion nachweisen.
Die POEMS (Prevention of Early Menopause Study), eine internationale Phase-III-Studie der Southwest Oncology Group (SWOG), untersuchte den Einfluss von Goserelin auf die Ovarialfunktion während einer Cyclophosphamid-haltigen Chemotherapie. 257 Patientinnen wurden zwischen 2004 und 2011 eingeschlossen und über 2 Jahre nachbeobachtet. Unter Einsatz von GnRH-Analoga konnte eine geringere Rate an prämaturer Ovarialinsuffizienz (p = 0,03) im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie nachgewiesen werden [54]. Zusätzlich wurden das Disease-free Survival (DFS) sowie das Overall Survival (OS), jeweils bezogen auf 4 Jahre, untersucht, welches sich unter Hinzunahme von Goserelin auf beide Parameter positiv auswirkte (DFS: 89 vs. 78%; OS: 92 vs. 82%, p = 0,05) [54].
Die Daten der POEMS-Studie werden allerdings sehr kritisch bewertet, weil Finanzierungs- und Rekrutierungsprobleme zu einem frühzeitigen Studienabbruch führten. Weiter beeinträchtigt die Interpretation eine zu hohe Drop-out-Rate. Für eine verlässliche Auswertung ist die Studie daher als „unterpowert“ zu werten [55].
Eine Metaanalyse aus dem Jahr 2015 von Lambertini et al. [56] untersuchte 12 randomisierte Studien mit insgesamt 1231 prämenopausalen Mammakarzinompatientinnen. Die temporäre Suppression der Ovarialfunktion durch GnRH-Analoga war mit einem geringeren Risiko eines Preterm ovarian Failure (POF) assoziiert (OR 0,36, 95%-KI 0,23 – 0,57; p < 0,001) [56].
Bei der PROMISE-GIM6-Studie handelt es sich um eine multizentrische, randomisierte Phase-III-Studie aus dem Jahr 2015 [57]. 281 Patientinnen wurden zwischen 2003 und 2008 eingeschlossen. Die prämenopausalen Patientinnen wurden entweder der Chemotherapiegruppe (Kontrollgruppe) oder der Chemotherapie + GnRH-Analogon (Triptorelin)-Gruppe zugeordnet. Primäre Endpunkte waren ovarielle Funktion, Schwangerschaftsrate und das Disease-free Survival. Menstruationsraten nach Abschluss der Chemotherapie waren mit 72,6% bei Chemotherapie + Triptorelin bzw. 64% bei alleiniger Chemotherapie angegeben (HR 1,28, 95%-KI 0,98 – 1,68; p = 0,071). Das 5-Jahres-DFS war mit 80,5% bzw. 83,7% für Chemotherapie + Triptorelin bzw. alleiniger Chemotherapie angegeben (HR 1,17, 95%-KI 0,72 – 1,92; p = 0,519) [57]. Zusammenfassend kommt die Studie zu der Schlussfolgerung, dass von einem Schutz der Ovarialfunktion durch GnRH-Analoga bei gleichzeitig unveränderter Prognose ausgegangen werden kann.
Zu einem anderen Resultat kamen die Autoren Elgindy und Mitarbeiter 2015. In dieser Arbeit [58] wurden 10, zwischen 1987 und 2015 veröffentlichte, randomisiert kontrollierte Studien identifiziert und ausgewertet. Die Daten von 907 Patientinnen gingen in die Metaanalyse ein, wobei 468 Frauen während der Chemotherapie zusätzlich mit einem GnRH-Agonisten behandelt wurden. Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den zusätzlich mit GnRH-Analoga und den allein mittels Chemotherapie behandelten Patientinnen (68,4 vs. 59,9%). Die Patientinnen profitierten weder hinsichtlich des FSH-Spiegels (p = 0,27), des Anti-Müller-Hormons (p = 0,40), noch bez. der Antralfollikelzahl (p = 0,17) von der GnRH-Analoga-Gabe [58].
Vor dem Hintergrund der widersprüchlichen Aussagen bez. der Wirksamkeit von GnRH-Analoga sollte der Einsatz mit der Patientin kritisch und ausführlich diskutiert werden [5].
[Tab. 3] gibt eine Übersicht über die o. g. Möglichkeiten zum Fertilitätserhalt.
Tab. 3 Möglichkeiten des Fertilitätserhalts bei Patientinnen mit Mammakarzinom [59].
Maßnahme
|
experimentelles vs. Standardverfahren
|
ovarielle Stimulation (OS) erforderlich
|
verzögerter Beginn der Chemotherapie
|
chirurgische Intervention
|
Erhalt der ovariellen Funktion (OF)
|
in allen Zentren verfügbar
|
Anmerkungen
|
AFC = antraler Follikelcount; CT = Chemotherapie; GnRH-Analoga = Gonadotropin-releasing Hormon Analoga; OF = ovarielle Funktion; OS = ovarielle Stimulation
|
Kryokonsvervierung von unfertilisierten Oozyten
|
Standard
|
ja
|
ja
|
ja
|
nein
|
nein
|
Dauer der OS: 10 – 14 Tage
|
Kryokonservierung von fertilisierten Oozyten
|
Standard
|
ja
|
ja
|
ja
|
nein
|
nein
|
Partner erforderlich
|
In-vitro-Maturation
|
experimentell
|
nein
|
nein
|
ja
|
nein
|
nein
|
hoher AFC notwendig, hohe Kosten, aufwendiges Verfahren, wird bislang in fast keinem Labor angeboten
|
Kryokonservierung von Ovarialgewebe
|
experimentell
|
nein
|
nein
|
ja
|
ja
|
nein
|
nicht zu empfehlen bei fortgeschrittenem Tumorstadium, Risiko Mikrometastasen, keine Langzeitdaten bez. der OF
|
ovarielle Suppression durch GnRH-Analoga
|
experimentell
|
nein
|
nein
|
nein
|
ja
|
ja
|
einfache, günstige Therapie, Anwendung vor und während der CT, wenig Langzeitdaten bez. der Wiederaufnahme und dem Erhalt der OF
|