CC BY-NC-ND 4.0 · Z Orthop Unfall 2018; 156(02): 175-183
DOI: 10.1055/s-0043-119898
Originalarbeit
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mengenentwicklung stationärer Behandlungen bei Erkrankungen der Wirbelsäule – Analyse der deutschlandweiten Krankenhausabrechnungsdaten von 2005 bis 2014

Volume Growth of Inpatient Treatments for Spinal Disease – Analysis of German Nationwide Hospital Discharge Data from 2005 to 2014
Ulrike Nimptsch
1   Fachgebiet für Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin
,
Claire Bolczek
1   Fachgebiet für Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin
,
Melissa Spoden
1   Fachgebiet für Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin
,
Ekkehard Schuler
2   HELIOS Kliniken GmbH, Berlin
,
Josef Zacher
2   HELIOS Kliniken GmbH, Berlin
,
Thomas Mansky
1   Fachgebiet für Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen, Technische Universität Berlin
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Korrespondenzadresse

Ulrike Nimptsch
Fachgebiet für Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen
Technische Universität Berlin
Fraunhoferstraße 33 – 36
10587 Berlin
Phone: 0 30/31 42 98 04   
Fax: 0 30/31 42 98 06   

Publication History

Publication Date:
29 November 2017 (online)

 

Zusammenfassung

Hintergrund Seit der Einführung der Diagnosis related Groups (DRG) zur Vergütung akutstationärer Krankenhausleistungen wurden Anstiege der stationären Fallzahlen zur Behandlung von Erkrankungen der Wirbelsäule beobachtet. Ziel dieser Arbeit ist, diese Mengenentwicklung bevölkerungsbezogen und nach Behandlungsarten differenziert darzustellen.

Material und Methode In den deutschlandweiten Krankenhausabrechnungsdaten (DRG-Statistik) wurden Behandlungsfälle mit operativer sowie nicht operativer Versorgung von Wirbelsäulenerkrankungen identifiziert. Unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung wurde analysiert, in welchem Umfang sich die Fallzahlen im Zeitraum von 2005 bis 2014 verändert haben und in welchen Altersgruppen und bei welchen Eingriffs- bzw. Behandlungsarten Anstiege zu verzeichnen sind.

Ergebnisse Im Jahr 2014 (2005) wurden 289 000 (177 000) operativ versorgte und 463 000 (287 000) nicht operativ versorgte Behandlungsfälle identifiziert. Nach Bereinigung um demografische Faktoren wurden sowohl bei operativen als auch bei nicht operativen Behandlungen relative Fallzahlanstiege um jeweils ca. 50% beobachtet, die in höheren Altersgruppen und bei Frauen besonders ausgeprägt waren. Die Mengenentwicklung fiel je nach Art des Eingriffs bzw. der Behandlung sehr unterschiedlich aus. Bei den operativ versorgten Behandlungsfällen hat sich die Anzahl der Bandscheibenoperationen demografiebereinigt nur um + 5% erhöht während sich Wirbelkörperversteifungs- und -ersatzeingriffe, Kypho- und Vertebroplastien und alleinige Dekompressionen der Wirbelsäule mehr als verdoppelt haben. Bei den nicht operativ versorgten Behandlungsfällen wurde bei Behandlungen mit lokaler Schmerztherapie der Wirbelsäule ein demografiebereinigter Anstieg von + 142% beobachtet. Bei rein konservativen Behandlungen lag der demografiebereinigte Anstieg bei + 22%.

Schlussfolgerung Welche Ursachen den nicht demografiebedingten Fallzahlanstiegen zugrunde liegen, kann diese Untersuchung nicht direkt klären. Die stratifizierte Betrachtung der Fallzahlen in den verschiedenen Untergruppen kann aber dazu beitragen, die Entwicklungen differenziert einzuordnen und damit die Diskussion um eine mögliche Über- oder Fehlversorgung zielgerichteter als bisher zu führen.


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Abstract

Background Marked volume growth of inpatient treatments for spinal disease has been observed since diagnosis related groups (DRG) were introduced as payment for inpatient services in Germany. This study aims to analyse this increase by population and stratified by types of treatment.

Material and Methods Using German nationwide hospital discharge data (DRG statistics), inpatient treatments for spinal disease with or without surgery were identified. Trends in case numbers were analysed from 2005 to 2014 with consideration of demographic changes, in order to explore which age groups and which types of treatment are affected by volume growth.

Results In 2014 (2005), 289 000 (177 000) inpatient treatments with surgery and 463 000 (287 000) treatments without surgery were identified. After adjusting for demographic factors, treatments with and without surgery exhibited a relative volume growth of + 50%. This increase affected higher age groups and women, in particular. Depending on the type of treatment, very different degrees of volume growth were observed. For example, disc surgeries adjusted for demographic change increased by about + 5%, whereas spinal fusion and vertebral replacement surgeries, kypho-/vertebroplasties and decompression of the spine more than doubled. Within the non-surgically treated cases, local pain therapies of the spine increased after adjustment for demographic changes by about + 142%. The conservatively treated cases showed a demographically adjusted increase of + 22%.

Conclusion Apart from demographic changes, this analysis cannot resolve the underlying causes of volume growth in treatments for spinal disease. However, the stratified analysis of various subgroups may help to classify these developments in a more differentiated manner. The results may support a more targeted debate about potential over- or misallocation of inpatient services in this area.


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Einleitung

Seit der Einführung des fallpauschalierenden DRG-Systems (DRG: Diagnosis related Groups) wurden Anstiege der akutstationären Fallzahlen beobachtet, die u. a. auf Behandlungen von Erkrankungen der Wirbelsäule entfallen [1], [2], [3]. Dabei ist unklar, inwieweit diese Fallzahlanstiege auf wirtschaftliche Anreize der DRG-Vergütungssystematik zurückzuführen sind und welchen Einfluss – neben demografischen Faktoren – veränderte Patientenpräferenzen oder neue Behandlungsverfahren haben. Dennoch hat der Gesetzgeber auf diese Mengenentwicklung reagiert und mit dem Krankenhausstrukturgesetz eine gezielte Absenkung der Vergütung für Leistungen, „bei denen es Anhaltspunkte für im erhöhten Maße wirtschaftlich begründete Fallzahlsteigerungen gibt“, vorgesehen [4], [5]. Für Wirbelsäulenerkrankungen kommt im Jahr 2017 eine solche Absenkung bzw. Abstufung der Vergütung bei 5 DRGs für operative Eingriffe und 2 DRGs für nicht operativ behandelte Erkrankungen oder Verletzungen der Wirbelsäule zum Tragen [6].

Bisherige Analysen der Fallzahlentwicklung bei Wirbelsäulenerkrankungen beruhen meist auf Daten gesetzlicher Krankenkassen [2], [3]. Diese haben den Vorteil, dass darin mehrere Krankenhausaufenthalte einem Versicherten zugeordnet werden können und damit Behandlungsverläufe analysierbar sind. Allerdings ist die Hochrechnung von krankenkassenspezifischen Behandlungsfallzahlen auf die Gesamtbevölkerung mit Unsicherheiten behaftet, da sich die Versicherten verschiedener Krankenkassen unterscheiden [7] und Personen, die nicht gesetzlich krankenversichert sind, unberücksichtigt bleiben. Andere Autoren analysierten die deutschlandweite DRG-Statistik, die alle Behandlungsfälle in Krankenhäusern mit DRG-Abrechnung einschließt. Dabei wurde jedoch anstelle von Behandlungsfällen die Anzahl kodierter Prozeduren gezählt [8], [9]. Da operative Eingriffe im Wirbelsäulenbereich häufig über mehrere Prozedurenkodes abgebildet werden, birgt eine solche nicht fallbezogene Zählung die Gefahr einer Überschätzung der Eingriffszahlen [10].

Die vorliegende Arbeit hat das Ziel, die Mengenentwicklung stationärer Behandlungsfälle bei Erkrankungen der Wirbelsäule bevölkerungsbezogen darzustellen. Dafür wurden die vollständigen deutschlandweiten DRG-Daten unter Berücksichtigung der demografischen Entwicklung fallbezogen ausgewertet. Auf der Grundlage differenzierter Definitionen wurde analysiert, in welchem Umfang sich die Fallzahlen operativer sowie nicht operativer Behandlungen im Zeitraum von 2005 bis 2014 verändert haben und in welchen Altersgruppen und welchen Eingriffs- bzw. Behandlungsarten Anstiege zu verzeichnen sind.


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Material und Methoden

Daten

Auf die Mikrodaten der fallpauschalenbezogenen Krankenhausstatistik (DRG-Statistik) wurde über das Forschungsdatenzentrum des Statistischen Bundesamtes im Wege der kontrollierten Datenfernverarbeitung zugegriffen [11]. Die DRG-Statistik enthält die Datensätze aller akutstationären Behandlungsfälle, die nach dem DRG-System abgerechnet wurden. Zu jedem Behandlungsfall sind darin demografische Informationen, Aufnahme- und Entlassungsgrund, Hauptdiagnose und Nebendiagnosen (kodiert nach der ICD-10-GM) sowie durchgeführte Prozeduren (nach dem Operationen- und Prozedurenschlüssel OPS) dokumentiert. Alle bisher verfügbaren Datenjahre (2005 bis 2014) wurden in die Analyse einbezogen.


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Behandlungsfälle

Analyseeinheiten sind Krankenhausfälle, in denen die Patienten im Zusammenhang mit einer Wirbelsäulenerkrankung stationär behandelt wurden. Einbezogen wurden sowohl operative als auch nicht operative Behandlungen.

Behandlungsfälle mit Operation an der Wirbelsäule wurden anhand der entsprechenden Prozedurenkodes definiert. Fälle mit vermutlich nicht elektiver Indikation wurden separat betrachtet, indem Operationen in Zusammenhang mit bösartiger Neubildung, Mehrfachverletzung oder Infektion im Bereich der Wirbelsäule anhand der entsprechenden Diagnosen identifiziert wurden. Behandlungsfälle ohne eine solche Diagnose wurden nach der Art des operativen Eingriffs in 6 verschiedene Gruppen unterteilt: komplexe Rekonstruktion, Wirbelkörperversteifung oder -ersatz, Bandscheibenoperation, alleinige Dekompression der Wirbelsäule, Kypho- oder Vertebroplastie und andere Operation an der Wirbelsäule (Tab. S1, Supporting Information). Die Gruppe der Wirbelkörperversteifungs- oder -ersatzeingriffe wurde zusätzlich nach der Zugangshöhe stratifiziert (Tab. S2, Supporting Information). Zur deskriptiven Darstellung wurden ausgewählte operative Eingriffsarten nach Diagnosegruppen unterteilt (Tab. S3, Supporting Information).

Als nicht operativ versorgte Behandlungsfälle wurden Patienten ohne Wirbelsäulenoperation betrachtet, bei denen entweder eine lokale Schmerztherapie an der Wirbelsäule (minimalinvasive Facettendenervation oder Medikamenteninjektion an Nervenwurzeln oder Gelenk) oder eine Hauptdiagnose aus dem Bereich der Krankheiten der Wirbelsäule und des Rückens ohne signifikante Prozedur (hier als „Konservative Behandlung“ bezeichnet) dokumentiert war. Diese beiden Gruppen wurden separat betrachtet (Tab. 1S, Supporting Information).

Alle Falldefinitionen wurden hierarchisiert, um Mehrfachzählungen von Behandlungsfällen in verschiedenen Gruppen auszuschließen.


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Analyse

Es wurden jährliche Fallzahlen von 2005 bis 2014 ermittelt. Merkmale der Behandlungsfälle und die Verteilungen der Eingriffs- bzw. Behandlungsarten wurden deskriptiv dargestellt. Zur Analyse der nicht demografisch bedingten Mengenentwicklung wurden die Fallzahlen des Jahres 2014 auf die Bevölkerungsstruktur des Jahres 2005 nach 5-Jahres-Altersgruppen und Geschlecht standardisiert [12]. Die standardisierten, d. h. demografiebereinigten Fallzahlen zeigen, wie viele Behandlungsfälle im Jahr 2014 aufgetreten wären, wenn sich die Bevölkerungsstruktur seit dem Jahr 2005 nicht verändert hätte.

Zur behandlungsspezifischen sowie altersgruppenspezifischen Darstellung der Fallzahlentwicklung wurden Raten pro 100 000 Personen berechnet. Dafür wurden die Fallzahlen mit der jeweiligen Jahresgesamtbevölkerung ins Verhältnis gesetzt.


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Ergebnisse

Behandlungsfälle bei Erkrankungen der Wirbelsäule insgesamt

Die Anzahl aller stationären Behandlungsfälle bei Erkrankungen der Wirbelsäule lag im Jahr 2005 bei 464 299 und stieg im weiteren Verlauf stetig, auf 752 596 Fälle im Jahr 2014 ([Tab. 1]). Das entspricht einem relativen Anstieg von + 62%. Demografiebereinigt verblieb ein relativer Anstieg von + 50%. Dies bedeutet, dass unabhängig von der demografischen Entwicklung stationäre Behandlungsfälle bei Erkrankungen der Wirbelsäule im Betrachtungszeitraum um 50% zugenommen haben ([Tab. 2]).

Tab. 1 Merkmale stationärer Behandlungsfälle bei Erkrankungen der Wirbelsäule 2005 bis 2014.

2005

2006

2007

2008

2009

2010

2011

2012

2013

2014

IQR: Interquartile Range (25. bis 75. Perzentilgrenze)

stationäre Behandlungsfälle bei Erkrankungen der Wirbelsäule insgesamt

  • Fallzahl N

464 299

500 046

546 775

582 784

621 779

659 101

689 671

702 363

714 857

752 596

Art der Versorgung N (%)

  • operativ

177 097 (38,1)

198 898 (39,8)

219 615 (40,2)

235 282 (40,4)

256 394 (41,2)

270 072 (41)

279 482 (40,5)

281 454 (40,1)

280 428 (39,2)

289 407 (38,5)

  • nicht operativ

287 202 (61,9)

301 148 (60,2)

327 160 (59,8)

347 502 (59,6)

365 385 (58,8)

389 029 (59)

410 189 (59,5)

420 909 (59,9)

434 429 (60,8)

463 189 (61,5)

operativ versorgte Behandlungsfälle

  • Fallzahl N

177 097

198 898

219 615

235 282

256 394

270 072

279 482

281 454

280 428

289 407

  • Anzahl behandelnde Kliniken N

901

990

1029

1042

1064

1076

1071

1086

1059

1064

  • Behandlungsfälle pro Klinik Median (IQR)

35 (5 – 220)

47 (7 – 237)

58 (11 – 267)

72 (15 – 290)

89 (19 – 319)

99 (18 – 334)

112 (22 – 370)

118 (24 – 357)

137 (31 – 370)

144 (32 – 384)

  • Frauen N (%)

87 454 (49,4)

100 277 (50,4)

112 725 (51,3)

121 644 (51,7)

133 340 (52)

140 235 (51,9)

145 869 (52,2)

147 420 (52,4)

146 409 (52,2)

152 177 (52,6)

  • Alter in Jahren Median (IQR)

56 (43 – 68)

58 (45 – 70)

59 (46 – 71)

60 (46 – 72)

61 (47 – 72)

61 (47 – 72)

61 (48 – 73)

62 (49 – 73)

62 (49 – 74)

62 (50 – 74)

  • Verweildauer in Tagen Mittelwert

15,4

14,0

13,6

12,9

12,3

13,0

12,6

12,2

12,1

12,2

  • Todesfälle N (%)

1240 (0,7)

1348 (0,7)

1482 (0,7)

1650 (0,7)

1713 (0,7)

1916 (0,7)

1938 (0,7)

2065 (0,7)

2348 (0,8)

2282 (0,8)

  • Eingriffsarten N (%)

    • Wirbelkörperversteifung oder -ersatz

40 636 (22,9)

47 568 (23,9)

52 492 (23,9)

59 979 (25,5)

68 408 (26,7)

76 840 (28,5)

82 701 (29,6)

86 045 (30,6)

86 948 (31,0)

90 479 (31,3)

    • Bandscheibenoperation

74 697 (42,2)

78 062 (39,2)

82 235 (37,4)

83 961 (35,7)

87 884 (34,3)

90 271 (33,4)

88 689 (31,7)

83 784 (29,8)

81 009 (28,9)

80 700 (27,9)

    • Kyphoplastie/Vertebroplastie

9 189 (5,2)

13 979 (7)

19 525 (8,9)

22 606 (9,6)

25 099 (9,8)

24 380 (9,0)

25 757 (9,2)

26 106 (9,3)

25 636 (9,1)

25 650 (8,9)

    • Dekompression der Wirbelsäule

6261 (3,5)

9019 (4,5)

14 124 (6,4)

17 673 (7,5)

20 446 (8)

22 213 (8,2)

23 933 (8,6)

24 434 (8,7)

23 457 (8,4)

25 156 (8,7)

    • komplexe Rekonstruktion

4218 (2,4)

4239 (2,1)

4815 (2,2)

4701 (2,0)

5064 (2,0)

5538 (2,1)

5987 (2,1)

6341 (2,3)

6221 (2,2)

6512 (2,3)

    • Operation bei bösartiger Neubildung

7973 (4,5)

8458 (4,3)

9403 (4,3)

10 104 (4,3)

10 598 (4,1)

10 809 (4,0)

11 285 (4,0)

11 798 (4,2)

12 055 (4,3)

12 382 (4,3)

    • Operation bei Diszitis/Osteomyelitis

1389 (0,8)

1659 (0,8)

1893 (0,9)

2114 (0,9)

2244 (0,9)

2591 (1,0)

2672 (1,0)

2987 (1,1)

3161 (1,1)

3437 (1,2)

    • Operation bei Mehrfachverletzung

879 (0,5)

988 (0,5)

1199 (0,5)

1086 (0,5)

1092 (0,4)

1134 (0,4)

1289 (0,5)

1246 (0,4)

1341 (0,5)

1518 (0,5)

    • andere Operation an der Wirbelsäule

31 855 (18,0)

34 926 (17,6)

33 929 (15,4)

33 058 (14,1)

35 559 (13,9)

36 296 (13,4)

37 169 (13,3)

38 713 (13,8)

40 600 (14,5)

43 573 (15,1)

nicht operativ versorgte Behandlungsfälle

  • Fallzahl N

287 202

301 148

327 160

347 502

365 385

389 029

410 189

420 909

434 429

463 189

  • Anzahl behandelnde Kliniken N

1586

1577

1551

1521

1500

1494

1462

1428

1423

1399

  • Behandlungsfälle pro Klinik Median (IQR)

97 (44 – 219)

106 (46 – 243)

118 (53 – 273)

130 (63 – 295)

144 (67 – 315)

155 (70 – 336)

172 (73 – 369)

182 (77 – 383)

198 (79 – 398)

216 (89 – 438)

  • Frauen N (%)

163 297 (56,9)

172 450 (57,3)

188 308 (57,6)

200 571 (57,7)

211 725 (57,9)

225 881 (58,1)

239 346 (58,4)

245 460 (58,3)

251 938 (58,0)

269 741 (58,2)

  • Alter in Jahren Median (IQR)

60 (46 – 72)

60 (46 – 72)

61 (47 – 73)

61 (47 – 73)

62 (48 – 74)

62 (48 – 74)

62 (48 – 74)

62 (49 – 75)

62 (49 – 75)

62 (49 – 75)

  • Verweildauer in Tagen Mittelwert

8,7

8,5

8,3

8,2

7,9

7,8

7,6

7,7

7,6

7,3

  • Todesfälle N (%)

693 (0,2)

783 (0,3)

818 (0,3)

939 (0,3)

890 (0,2)

1023 (0,3)

1063 (0,3)

1006 (0,2)

1144 (0,3)

1135 (0,3)

  • Behandlungsarten N (%)

    • lokale Schmerztherapie Wirbelsäule

65 700 (22,9)

72 485 (24,1)

88 384 (27,0)

100 775 (29,0)

113 212 (31,0)

129 600 (33,3)

144 264 (35,2)

151 075 (35,9)

160 838 (37,0)

172 088 (37,2)

    • konservative Behandlung

221 502 (77,1)

228 663 (75,9)

238 776 (73,0)

246 727 (71,0)

252 173 (69,0)

259 429 (66,7)

265 925 (64,8)

269 834 (64,1)

273 591 (63,0)

291 101 (62,8)

Tab. 2 Rohe und demografiebereinigte Fallzahlen und Raten stationärer Behandlungen bei Erkrankungen der Wirbelsäule 2005 und 2014.

Anzahl Behandlungsfälle*

Relativer Fallzahlanstieg von 2005 bis 2014

Erklärte Anteile des Fallzahlanstiegs von 2005 bis 2014

Raten pro 100 000 Personen

Rohe Fallzahl 2005

Rohe Fallzahl 2014

demografiebereinigte Fallzahl 2014

Roher Anstieg

demografiebereinigter Anstieg

Fallzahldifferenz insgesamt

davon nicht demografisch bedingt

davon demografisch bedingt

Rohe Rate 2005

Rohe Rate 2014

demogr.-bereinigte Rate 2014

* Ohne Behandlungsfälle mit fehlender Alters- und/oder Geschlechtsangabe (insgesamt von 2005 bis 2014: N = 266). Zur Demografiebereinigung wurden die Fallzahlen des Jahres 2014 auf die Bevölkerungsstruktur des Jahres 2005 (Referenz) nach 5-Jahres-Altersgruppen und Geschlecht direkt standardisiert. Verwendet wurde die Bevölkerungsfortschreibung auf Grundlage der Volkszählung 1987 (Westen) bzw. 1990 (Osten), bereitgestellt vom Statistischen Bundesamt.

stationäre Behandlungsfälle bei Erkrankungen der Wirbelsäule insgesamt

  • insgesamt

464 268

752 592

695 878

+ 62%

+ 50%

+ 288 324 (100%)

+ 231 610 (80%)

+ 56 714 (20%)

563

910

842

  • Geschlecht

    • Männer

213 517

330 674

299 701

+ 55%

+ 40%

+ 117 157 (100%)

+ 86 183 (74%)

+ 30 974 (26%)

529

811

735

    • Frauen

250 751

421 918

396 177

+ 68%

+ 58%

+ 171 167 (100%)

+ 145 426 (85%)

+ 25 741 (15%)

596

1007

946

operativ versorgte Behandlungsfälle

  • insgesamt

177 086

289 404

267 882

+ 63%

+ 51%

+ 112 318 (100%)

+ 90 796 (81%)

+ 21 522 (19%)

215

350

324

  • Geschlecht

    • Männer

89 632

137 227

124 505

+ 53%

+ 39%

+ 47 595 (100%)

+ 34 872 (73%)

+ 12 723 (27%)

222

336

305

    • Frauen

87 454

152 177

143 377

+ 74%

+ 64%

+ 64 723 (100%)

+ 55 923 (86%)

+ 8800 (14%)

208

363

342

  • Eingriffsarten

    • Bandscheibenoperation

74 692

80 699

78 169

+ 8%

+ 5%

+ 6007 (100%)

+ 3477 (58%)

+ 2530 (42%)

91

109

95

    • Wirbelkörperversteifung oder -ersatz

40 635

90 478

83 221

+ 123%

+ 105%

+ 49 843 (100%)

+ 42 586 (85%)

+ 7257 (15%)

49

98

101

    • Dekompression der Wirbelsäule

6261

25 156

22 131

+ 302%

+ 253%

+ 18 895 (100%)

+ 15 870 (84%)

+ 3025 (16%)

8

31

27

    • Kyphoplastie/Vertebroplastie

9189

25 650

21 989

+ 179%

+ 139%

+ 16 461 (100%)

+ 12 800 (78%)

+ 3661 (22%)

11

30

27

    • komplexe Rekonstruktion

4218

6512

6237

+ 54%

+ 48%

+ 2294 (100%)

+ 2019 (88%)

+ 275 (12%)

5

8

8

    • Operation bei bösartiger Neubildung

7972

12 382

11 067

+ 55%

+ 39%

+ 4410 (100%)

+ 3095 (70%)

+ 1315 (30%)

10

15

13

    • Operation bei Mehrfachverletzung

878

1518

1453

+ 73%

+ 65%

+ 640 (100%)

+ 575 (90%)

+ 65 (10%)

1

4

2

    • Operation bei Diszitis/Osteomyelitis

1389

3437

3019

+ 147%

+ 117%

+ 2048 (100%)

+ 1630 (80%)

+ 418 (20%)

2

2

4

    • andere Operation an der Wirbelsäule

31 852

43 572

40 298

+ 37%

+ 27%

+ 11 720 (100%)

+ 8446 (72%)

+ 3274 (28%)

39

53

49

nicht operativ versorgte Behandlungsfälle

  • insgesamt

287 182

463 188

427 996

+ 61%

+ 49%

+ 176 006 (100%)

+ 140 814 (80%)

+ 35 192 (20%)

348

560

518

  • Geschlecht

    • Männer

123 885

193 447

175 196

+ 56%

+ 41%

+ 69 562 (100%)

+ 51 311 (74%)

+ 18 251 (26%)

307

474

429

    • Frauen

163 297

269 741

252 800

+ 65%

+ 55%

+ 106 444 (100%)

+ 89 503 (84%)

+ 16 941 (16%)

388

644

604

  • Behandlungsarten

    • lokale Schmerztherapie Wirbelsäule

65 695

172 087

158 883

+ 162%

+ 142%

+ 106 392 (100%)

+ 93 188 (88%)

+ 13 204 (12%)

80

208

192

    • konservative Behandlung

221 487

291 101

269 112

+ 31%

+ 22%

+ 69 614 (100%)

+ 47 625 (68%)

+ 21 989 (32%)

269

352

325

Absolut wurden im Jahr 2014 288 324 Behandlungsfälle mehr beobachtet als im Jahr 2005. 20% dieses Fallzahlanstiegs können demografisch erklärt werden (Männer 26%, Frauen 15%), während die übrigen 80% des Anstiegs durch andere Faktoren bedingt sind ([Tab. 2]).


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Operativ versorgte Behandlungsfälle

Die Fallzahl der Behandlungsfälle mit Operationen an der Wirbelsäule stieg von 177 097 Eingriffen (2005) auf 289 407 Eingriffe (2014). Die Anzahl der Krankenhäuser, die solche Eingriffe durchführten, nahm ebenfalls zu (von 901 auf 1064). Die häufigsten Eingriffsarten waren Bandscheibenoperationen und Versteifung oder Ersatz von Wirbelkörpern. Im Betrachtungszeitraum wurden zunehmend ältere Patienten operativ behandelt, das mediane Alter stieg von 56 auf 62 Jahre ([Tab. 1]).

Relativ ist die Anzahl der Behandlungsfälle mit Wirbelsäulenoperation um + 63% angestiegen. Nach Bereinigung um demografische Faktoren verringerte sich der relative Anstieg auf + 51% ([Tab. 2]).

Etwa ⅕ des beobachteten Fallzahlanstiegs (19%, + 21 522 Fälle) von 2005 bis 2014 kann durch demografische Faktoren erklärt werden, während ⅘ des Anstiegs (81%, + 90 796 Fälle) auf andere Faktoren zurückzuführen sind ([Tab. 2]).

Während der Fallzahlanstieg bei Bandscheibenoperationen eher moderat verlief (von 74 692 auf 80 699, roh + 8%, demografiebereinigt + 5%), hat sich die Anzahl der Wirbelkörperversteifungs- oder -ersatzeingriffe von 40 635 (2005) auf 90 478 (2014) mehr als verdoppelt (roh + 123%, demografiebereinigt + 105%). Auch bei alleinigen Dekompressionen der Wirbelsäule sowie Kypho- oder Vertebroplastien waren deutliche Anstiege zu beobachten ([Tab. 2]).

Die Betrachtung der alters- und geschlechtsspezifischen Raten zeigt, dass in den höheren Altersgruppen ab 70 Jahren und unter Frauen besonders starke Fallzahlsteigerungen stattgefunden haben ([Abb. 1 a], nach Eingriffsarten stratifizierte Darstellung in Abb. S1 a, Supporting Information).

[Abb. 2 a] stellt die rohen und standardisierten, d. h. demografiebereinigten Fallzahlentwicklungen der unterschiedlichen Eingriffsarten grafisch dar. Hier zeigt sich, dass die Anzahl der Bandscheibenoperationen unter Berücksichtigung der Hierarchisierung weitgehend unverändert blieb, während bei nahezu allen anderen Eingriffsarten z. T. stark steigende Fallzahlen zu verzeichnen waren. Der hinsichtlich der Fallzahl bedeutsamste Anstieg entfiel auf Wirbelkörperversteifungs- oder -ersatzeingriffe. Die Stratifizierung nach der Zugangshöhe zeigt, dass diese Eingriffe vornehmlich im Bereich der Halswirbelsäule (2005: 35%, 2014: 32%) und der Lendenwirbelsäule (2005: 48%, 2014: 51%) durchgeführt wurden (Abb. S2 a, Supporting Information).

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Abb. 1 Alters- und geschlechtsspezifische Raten stationärer Behandlungen bei Erkrankungen der Wirbelsäule 2005 bis 2014.
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Abb. 2 Rohe und standardisierte Fallzahlen stationärer Behandlungen bei Erkrankungen der Wirbelsäule 2005 bis 2014.

Abb. S3, Supporting Information, zeigt die relative Verteilung der Hauptdiagnosegruppen bei ausgewählten Eingriffen. So war bspw. im Jahr 2014 bei 85% der Behandlungsfälle mit Bandscheibenoperation die Hauptdiagnose Bandscheibenschaden dokumentiert, gefolgt von Spondylopathien mit 12%. Bei den alleinigen Dekompressionen war in knapp 90% der Fälle die Hauptdiagnose Spondylopathie kodiert. Bei Wirbelkörperversteifungs- und -ersatzeingriffen waren im Bereich der Halswirbelsäule Bandscheibenschäden und Spondylopathien die häufigsten Hauptdiagnosen (zusammen ca. 80%), während im Lendenwirbelbereich Spondylopathien und Deformitäten der Wirbelsäule (zusammen ca. 60%) überwogen. Im Zeitverlauf zeigten sich nur schwach ausgeprägte Veränderungen in der Verteilung der Diagnosen.


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Nicht operativ versorgte Behandlungsfälle

Die Zahl der lokalen und rein konservativen Behandlungen bei Wirbelsäulenerkrankungen ist insgesamt von 287 202 im Jahr 2005 auf 463 189 im Jahr 2014 angestiegen. Das mediane Alter der behandelten Patienten stieg von 60 auf 62 Jahre ([Tab. 1]).

Der relative Anstieg bei den nicht operativ versorgten Behandlungsfällen lag bei + 61%. Nach Alters- und Geschlechtsstandardisierung auf die Bevölkerungsstruktur 2005 lag der demografiebereinigte relative Anstieg bei + 49% ([Tab. 2]).

Etwa ⅕ des beobachteten Fallzahlanstiegs (20%, + 35 192 Fälle) von 2005 bis 2014 kann durch demografische Faktoren erklärt werden, während ⅘ des Anstiegs (80%, + 140 814 Fälle) auf andere Faktoren zurückzuführen sind ([Tab. 2]).

Behandlungsfälle mit lokaler Schmerztherapie nahmen im Betrachtungszeitraum um + 162% (demografiebereinigt + 142%) zu, während die Anzahl rein konservativer Behandlungen um + 31% (demografiebereinigt + 22%) anstieg ([Tab. 2]).

Bei Betrachtung der alters- und geschlechtsspezifischen Raten ließen sich Zunahmen in allen Altersgruppen beobachten, jedoch in den höheren Altersgruppen stärker ausgeprägt als in den jüngeren. In allen Altersgruppen waren bei Frauen stärkere Zunahmen der Behandlungsraten beobachtbar als bei Männern ([Abb. 1 b], nach Behandlungsarten stratifizierte Darstellung in Abb. S1 b, Supporting Information).

Die stratifizierte Darstellung der Fallzahlentwicklung nach Behandlungsarten zeigt, dass die Fallzahlzunahme insbesondere auf Zunahmen der Behandlungen mit lokaler Schmerztherapie zurückzuführen ist ([Abb. 2 b]).


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Diskussion

Die vorliegende Arbeit untersuchte auf der Grundlage der deutschlandweiten vollständigen Krankenhausabrechnungsdaten über einen Zeitraum von 10 Jahren die Fallzahlentwicklung stationärer Behandlungen bei Erkrankungen der Wirbelsäule. Sowohl bei Operationen an der Wirbelsäule als auch bei nicht operativen Behandlungen von Wirbelsäulenerkrankungen wurden erhebliche Fallzahlanstiege beobachtet, die bei Frauen ausgeprägter waren als bei Männern. Nur jeweils ⅕ der beobachteten Fallzahlanstiege konnte durch demografische Faktoren erklärt werden. Nach Bereinigung um demografische Faktoren lag der Fallzahlanstieg bei 50%.

Diese Ergebnisse ähneln denen von Bitzer et al., die auf der Grundlage von Krankenversicherungsdaten der Barmer GEK bei Behandlungen mit Hauptdiagnose lumbales Rückenleiden im Zeitraum von 2006 bis 2014 einen Fallzahlzuwachs von ca. 40% nach Bereinigung um demografische Faktoren feststellen konnten. Unter Verwendung einer im Vergleich zur vorliegenden Arbeit etwas abweichenden Falldefinition wurden, bezogen auf Wirbelsäulenoperationen, demografiebereinigte Anstiege für Bandscheibenoperationen um 17%, für Spondylodesen um 73% beobachtet [2].

Garcia et al. fanden auf der Grundlage der aggregierten DRG-Statistik zwischen 2005 und 2013 einen Zuwachs der Prozedurenkodes der Wirbelsäulenchirurgie um 130% [8]. Die Betrachtung von Prozedurenkodes anstelle von Behandlungsfällen ist jedoch problematisch, da für die Kodierung einer Wirbelsäulenoperation häufig mehrere Prozedurenschlüssel dokumentiert werden [10]. So wurden bspw. von Garcia et al. rund 752 000 Prozedurenkodes für Eingriffe an der Wirbelsäule im Jahr 2013 gezählt [8]. Zich und Tisch ermittelten ähnliche Eingriffszahlen [9]. Die vorliegende Arbeit, in der jeder Behandlungsfall jeweils nur einer Behandlungsart zugeordnet wurde, beobachtete in diesem Jahr rund 280 000 operativ versorgte Behandlungsfälle und 161 000 Fälle mit lokaler Schmerztherapie. Die Problematik wird deutlich, wenn einzelne Eingriffsarten betrachtet werden. So wurden von Garcia et al. im Jahr 2013 über 155 000 Kodierungen einer Exzision von Bandscheibengewebe gezählt, von Zich und Tisch 142 000 Kodierungen. Dahingegen identifizierte die vorliegende Arbeit unter Berücksichtigung der Hierarchisierung nur 81 000 Fälle mit einer Bandscheibenoperation. Eine nicht fallbezogene Auswertung von Prozeduren ohne Hierarchisierung kann dazu führen, dass verschiedene Prozedurenkodes, die für einen einzelnen Eingriff kodiert wurden, in mehreren Gruppen gezählt werden. Damit werden Eingriffszahlen sowohl insgesamt als auch in Untergruppen überschätzt. Vor dem Hintergrund einer zunehmend detaillierteren OPS-Klassifikation im Bereich der Wirbelsäulenchirurgie scheint diese Vorgehensweise auch nicht geeignet, um zeitliche Trends der Behandlungsfallzahlen zu untersuchen. Daher ist aus Sicht der Autoren die in der vorliegenden Arbeit angewandte fallbezogene und hierarchisierte Auswertung die angemessenere Vorgehensweise, da sie die tatsächliche Behandlungsfallzahl ohne Mehrfachzählungen widerspiegelt und robust gegenüber Veränderungen der Kodiersysteme und der Kodierpraxis ist.

Der Zuwachs an Operationen ist nicht nur ein deutsches Phänomen. In den USA wurde im Zeitraum von 2001 bis 2011 ein Zuwachs von Spondylodesen um 70% berichtet, während die Anzahl der Bandscheibenoperationen nahezu unverändert blieb [13]. Weitere Arbeiten aus den USA kommen zu ähnlichen Ergebnissen [14] – [15]. Eine Arbeit aus England berichtet von einem Anstieg der Operationen bei Erkrankungen der Lendenwirbelsäule von 25 auf 49 pro 100 000 Personen zwischen 1999 und 2013 [16]. Als mögliche Ursachen für solche Entwicklungen werden verbesserte Operations- und Anästhesietechniken diskutiert. So hat z. B. die Etablierung minimalinvasiver Verfahren vermutlich dazu beigetragen, dass vermehrt ältere Patienten entsprechend versorgt werden [17]. Daneben ist auch denkbar, dass sich – insbesondere bei älteren Personen – die Erwartungen an die eigene Mobilität und Lebensqualität verändert haben und diese Patienten heute häufiger gewillt sind, sich einem Eingriff zu unterziehen, der potenziell eine Steigerung der Lebensqualität nach sich ziehen könnte.

Angesichts der Entwicklung in Deutschland stellt sich jedoch auch die Frage, ob wirtschaftliche Interessen der Leistungserbringer ärztliche Entscheidungen zur Indikationsstellung, insbesondere zur operativen Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen, beeinflusst haben könnten [18], [19]. Entgegen dem allgemeinen Trend einer sinkenden Anzahl von Akutkrankenhäusern in Deutschland [20] stieg die Anzahl der Krankenhäuser, die Wirbelsäulenoperationen erbringen, im Beobachtungszeitraum um 18% an. Nach wie vor ist die Effektivität chirurgischer Maßnahmen bei degenerativen Wirbelsäulenerkrankungen nicht sicher belegt [21]. Umfassende Untersuchungen zur Indikationsqualität in deutschen Krankenhäusern fehlen bislang. Die regional unterschiedliche Verteilung der Operationshäufigkeiten, die von Schäfer et al. auf der Basis von Daten AOK-Versicherter berichtet wurde, lässt eine uneinheitliche Indikationsqualität vermuten [3].

Limitationen

Die Stärke der vorliegenden Arbeit liegt in der Verwendung der vollständigen Krankenhausabrechnungsdaten, die alle Behandlungsfälle unabhängig von der Versicherungsart der Patienten umfassen. Da auf die Mikrodaten der DRG-Statistik zugegriffen wurde, konnten die Behandlungsfälle differenziert nach verschiedenen Eingriffs- bzw. Behandlungsarten analysiert werden. Zu beachten ist jedoch, dass es sich um Falldaten handelt und daher mehrere Krankenhausaufenthalte einer Person auch mehrfach gezählt werden. Daher kann bspw. nicht eingeschätzt werden, wie häufig einer Operation eine konservative Behandlung vorausging oder bei wie vielen Wirbelsäulenoperationen es sich um Revisionseingriffe handelte. Bitzer et al. beobachteten für Versicherte der Barmer GEK mit lumbalem Rückenleiden jährlich 1,3 – 1,4 stationäre Behandlungsfälle pro betroffener Person [2].


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Schlussfolgerung

Im 10-jährigen Beobachtungszeitraum von 2005 bis 2014 ist die Anzahl stationärer Krankenhausbehandlungen bei Erkrankungen der Wirbelsäule nach Bereinigung um demografische Faktoren um 50% angestiegen. Welche Ursachen dieser Entwicklung zugrunde liegen, kann die vorliegende Untersuchung nicht direkt klären. Die stratifizierte Betrachtung der Fallzahlen in den verschiedenen Untergruppen kann aber dazu beitragen, die Entwicklungen differenziert einzuordnen und damit die Diskussion um eine mögliche Über- oder Fehlversorgung vor dem Hintergrund der mit dem Krankenhausstrukturgesetz eingeführten Mechanismen zur Mengensteuerung in diesem Bereich zielgerichteter als bisher zu führen. Damit bietet diese Arbeit eine empirische Grundlage für die zukünftige Bewertung der Auswirkungen des Krankenhausstrukturgesetzes auf die weitere Fallzahlentwicklung.


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Interessenkonflikt

Das Fachgebiet Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen, in dem Thomas Mansky, Ulrike Nimptsch, Melissa Spoden und Claire Bolczek tätig sind, ist eine Stiftungsprofessur der Helios Kliniken GmbH.

Supporting Information


Korrespondenzadresse

Ulrike Nimptsch
Fachgebiet für Strukturentwicklung und Qualitätsmanagement im Gesundheitswesen
Technische Universität Berlin
Fraunhoferstraße 33 – 36
10587 Berlin
Phone: 0 30/31 42 98 04   
Fax: 0 30/31 42 98 06   


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Abb. 1 Alters- und geschlechtsspezifische Raten stationärer Behandlungen bei Erkrankungen der Wirbelsäule 2005 bis 2014.
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Abb. 2 Rohe und standardisierte Fallzahlen stationärer Behandlungen bei Erkrankungen der Wirbelsäule 2005 bis 2014.