Der Klinikarzt 2017; 46(10): 464-465
DOI: 10.1055/s-0043-120567
Medizin & Management
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Sicherung und Überwachung von Patienten beim Toilettengang

Wann haftet der Krankenhausträger wegen Pflichtverletzungen des Pflegepersonals?
Isabel Häser
Further Information

Korrespondenzadresse

Dr. iur. Isabel Häser
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht
Haimhauser Str. 1
80802 München
Phone:    

Publication History

Publication Date:
24 October 2017 (online)

 

Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz musste sich mit einem Fall auseinandersetzen, wie er in jedem Krankenhaus alltäglich passieren kann (Beschluss vom 28.09.2015, Az. 5 U 810/15)


#

Der Fall

Der damals 66-jährige Kläger wurde im Krankenhaus wegen eines Prostatakarzinoms behandelt. Bei ihm wurde laparoskopisch eine radikale Prostataektomie durchgeführt. Am darauffolgenden Tag wurde der Kläger vor das Bett mobilisiert. In der Patientendokumentation finden sich für diesen Tag Einträge über Kreislaufbeschwerden und Übelkeit. Am nächsten Tag konnte der Kläger ausweislich der Dokumentation im Rahmen der Körperpflege bis an die Bettkante mobilisiert werden. Am selben Tag wurde der Patient wegen Stuhldrangs von einem Pfleger im Beisein seiner Ehefrau auf einen erhöhten, fahrbaren Toilettenstuhl gesetzt und rückwärts in den Toilettenraum über die Toilette geschoben. Der Pfleger ließ sodann den Kläger und dessen Ehefrau alleine. In der Folge stieß der Kläger mit seinem rechten Auge gegen den Metallbügel eines am Waschbecken befindlichen Seifenspenders und erlitt Verletzungen am rechten Auge. Der Unfallhergang war zwischen den Parteien streitig. Der Patient musste aufgrund des Unfalls notfallmäßig behandelt werden, da er sturzbedingt eine Bulbusruptur mit Irisprolaps und Vorderkammerblutung des rechten Auges erlitten hatte. Am Tag darauf erfolgte eine Vorderkammerspülung mit Hornhautnaht. Weitere Operationen folgten ein paar Monate später.

Ursprünglich hatte der Patient den Krankenhausträger sowie den Chefarzt auf Schmerzensgeld und Feststellung der Einstandspflicht für künftige materielle und immaterielle Schäden verklagt. Erstinstanzlich wurde die Klage gegen den Chefarzt abgewiesen, da mit ihm kein Behandlungsvertrag zustande gekommen sei und eine deliktische Verantwortung für die Pflegefehler nicht bestehe. Der Krankenhausträger wurde zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 7500,00 € verurteilt sowie seine Einstandspflicht für künftige Schäden festgestellt. Begründet wurde dieses Urteil mit dem Sturzrisiko des Patienten. Es sei daher nicht sachgemäß gewesen, dass ihn der Kläger im Toilettenraum mit seiner Ehefrau allein gelassen habe. Der Pflegefehler habe zum Sturz und der Augenverletzung des Klägers geführt.Der verurteilte Krankenhausträger ging gegen dieses Urteil in Berufung. Er begründete die Berufung insbesondere damit, dass der Kläger einen vom Pfleger vorgeschlagenen bettnahen Toilettengang abgelehnt habe und der Unfall auch bei Anwesenheit des Pflegers im Toilettenraum nicht hätte verhindert werden können, was das erstinstanzliche Gericht nicht berücksichtigt habe.


#

Der Beschluss des OLG Koblenz

Nach Auffassung des OLG Koblenz ist die erstinstanzliche Entscheidung nicht zu beanstanden. Es handle sich um einen Pflegefehler. Die Pflegekraft hätte den Patienten nicht im Toilettenraum mit seiner Ehefrau alleine lassen dürfen. Bei dem Patienten habe ein hohes Sturzrisiko bestanden. Das Sturzrisiko sei zum Unfallzeitpunkt insbesondere durch die ohnehin bestehende Hypertonie und die Beeinträchtigung des Sehvermögens, aber auch durch die nach der Behandlung noch nicht erfolgte hinreichende Mobilisation sowie die am Vortrag geklagten Beschwerden geprägt worden. Außerdem habe der Pfleger vor dem Pflegemanöver keine Kontrolle der Vitalzeichen vorgenommen. Insoweit könne sich der Beklagte nicht darauf zurückziehen, der Kläger habe über keine Beschwerden geklagt. Denn es sei seine Aufgabe, zu kontrollieren, ob und in welchem Umfang eine Mobilisation erfolgen könne. Es liege auf der Hand, dass hierzu neben der Vitalzeichenkontrolle die Frage nach dem Befinden des Patienten gehöre. Auch, wenn der Kläger den Einsatz einer Bettpfanne bzw. eines sonstigen bettnahen Toilettengangs abgelehnt habe, führe dies nicht zum Wegfall der Sicherungspflicht des Beklagten. Der Beklagte sei verpflichtet, den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers Rechnung zu tragen und einen sicheren Toilettengang im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten zu gewährleisten.Das Gericht geht sogar so weit, der Pflegekraft aufzuerlegen, den Patienten darauf hinweisen zu müssen, dass ein Toilettengang im Sanitärbereich zu risikovoll erscheine und daher eine bettnahe Lösung zu suchen sei. Zu einem solchen Hinweis habe im konkreten Fall umso mehr Anlass bestanden, da davon auszugehen sei, dass sich der Kläger allein im Krankenzimmer befunden habe. Aufgrund der Gesamtsituation bestand nach Auffassung des Gerichts die Alternative, dem Kläger die anderweitigen Möglichkeiten eines Toilettengangs unter Verdeutlichung der mit einer Verbringung in den Sanitärbereich verbundenen Risiken vor Augen zu führen.Das Gericht ging auch von der Kausalität des Pflichtverstoßes der Pflegekraft für den Sturz des Klägers gegen den Seifenspender aus. Die Richter verlangten, dass die Pflegekraft nicht nur im Sanitätsraum hätte anwesend sein müssen, sondern, dass es auch ihre Aufgabe gewesen sei, den Kläger, der auf einem erhöhten Toilettenstuhl saß, abzusichern. Der Senat hatte keine Zweifel daran, dass bei korrektem Verhalten des Pflegers der Sturz hätte vermieden werden können. Allein der Umstand, dass die Ehefrau des Patienten den Sturz nicht verhindert habe, führe nicht zu einem anderen Ergebnis, da diese keine geschulte Pflegekraft sei, die gelernt habe, Patienten mit der gebotenen Achtsamkeit zu beobachten und zu versorgen und auf typische Gefahrensituation adäquat zu reagieren.

Das Gericht regte daher an, dass der Krankenhausträger die Berufung zurücknehmen solle, was dann auch geschah.


#

Der Leitsatz des Beschlusses fast alles zusammen:

„Der Umfang der Sicherung und Überwachung durch das Pflegepersonal eines Krankenhauses bei Patienten beim Toilettengang hängt vom Alter, dem körperlichen und geistigen Zustand des Patienten sowie etwaigen Beeinträchtigungen aufgrund operativer Eingriffe oder der Medikation ab. Lässt das Pflegepersonal einen erheblich sturzgefährdeten Patienten auf dem Toilettensitz unbeaufsichtigt, ohne in sonstiger Weise sicherzustellen, dass es nicht ohne geschulte Hilfe aufsteht, kann darin eine Schlechterfüllung des Behandlungsvertrages zu sehen sein (hier bejaht).“


#

Fazit

Das Urteil macht deutlich: im Zweifel sichern und überwachen! Da Toilettenstürze, die später zu rechtlichen Auseinandersetzungen führen, in der Regel unbeobachtet geschehen, führen diese zwangsläufig für Krankenhäuser zu Beweisproblemen. Letztlich wird regelmäßig das Krankenhaus darzulegen und zu beweisen haben, dass der Vorfall nicht auf einem pflichtwidrigen Verhalten einer Pflegekraft beruht. Dies wird regelmäßig nur möglich sein, wenn die Pflegekraft im Toilettenraum anwesend war und alle möglichen Absicherungsmaßnahmen vorgenommen hat. Alternativ müsste gut dokumentiert sein, dass der Patient nicht sturzgefährdet war (inklusive Kontrolle Vitalzeichen und Befinden des Patienten). Letztlich wird vom Pflegepersonal durch dieses Urteil deutlich verlangt, sich bei zu riskantem „Transport zur Toilette“ gegenüber dem Patienten durchzusetzen. Vom Pflegepersonal wird insoweit eine sicherlich nicht immer leicht zu treffende Einschätzung über den tatsächlichen Zustand des Patienten verlangt. Ob die Einschätzung richtig war, stellt sich leider erst nachträglich heraus.


#
#

Dr. iur. Isabel Häser

Zoom Image
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht

Korrespondenzadresse

Dr. iur. Isabel Häser
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht
Haimhauser Str. 1
80802 München
Phone:    

Zoom Image
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Medizinrecht