Laryngorhinootologie 2017; 96(12): 875-876
DOI: 10.1055/s-0043-122750
Facharztfragen
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Fragen für die Facharztprüfung


Subject Editor: Prof. Dr. med. Randolf Riemann und Dr. med. Gerlind Schneider
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Publication Date:
01 December 2017 (online)

Innenohr, Gleichgewichtssinn und Otobasis

Beschreiben Sie das klinische Bild des akuten, einseitigen Ausfalls des peripheren Vestibularorgans.

Antwort: Der spontan auftretende, akute einseitige und vollständige Vestibularisausfall wird synonym als Neuronitis vestibularis oder Neuropathia vestibularis bezeichnet. Das Krankheitsbild tritt überwiegend im mittleren Alter auf. Die Ursache ist bis heute unklar, eine virale Neuronitis des N. vestibularis wird vermutet. Dafür spricht, dass der Vestibularnerv nach der Erkrankung eine ausgeprägte Degeneration zeigte, ohne dass im Labyrinth morphologische Veränderungen beobachtet wurden. Die Symptomatik besteht in einem plötzlich einsetzenden heftigen Drehschwindel, der sich häufig durch Lagewechsel verstärkt, und von vegetativer Symptomatik, Nausea und Erbrechen begleitet ist. Der Schwindel bildet sich in Abhängigkeit vom Lebensalter über Tage bis Wochen langsam zurück. Die mittlere Dauer beträgt 2 Wochen. Eine komplette Remission ist innerhalb von sechs Monaten zu erwarten. Die gleichen Beschwerden werden bei gewollter Ausschaltung des Labyrinths, wie beispielsweise bei Labyrinthektomie oder Neurektomie des N. vestibularis beobachtet, wobei beim spontanen Ausfall typischerweise Bewusstseins-, Gehörstörungen und andere neurologische Symptome fehlen. Im Stadium des Anfalls besteht eine Ataxie, eine Fallneigung im Romberg-Versuch zur betroffenen Seite und eine Drehrichtung zur kranken Seite im Unterberger-Tretversuch. Nach Stenger lässt sich der Verlauf des vollständigen einseitigen Labyrinthausfalls anhand des Nystagmus in 4 Stadien einteilen: ein initialer Reiznystagmus zur betroffenen Seite, gefolgt von einem grobschlägigen Ausfallnystagmus zur gesunden Seite, einer Kompensationsphase ohne Nystagmus und einem Erholungsnystagmus zur kranken Seite. Bei der Kalorisation ist die betroffene Seite unerregbar, und die Warmspülung führt nicht zur Umkehr des Nystagmus. In der frühen akuten Phase sind Antivertiginosa (z. B. Sulpirid, Flunarizin, Dimenhydrinat, Cinnarizin, Betahistin) und ggf. Sedativa indiziert. Gleichzeitig werden rheologische Maßnahmen in Kombination mit hochdosierter Cortisongabe begonnen. Das frühestmögliche Bewegungstraining, sogenannte „Labyrinthgymnastik“, fördert die Kompensationsmechanismen. Differenzialdiagnostisch sind neben der Menièreschen Erkrankung die Kupulolithiasis, die Labyrinthitis, das Cogan-Syndrom, die Perilymphfistel, die Contusio labyrinthi, intralabyrinthäre Blutung, Medikamentennebenwirkungen, „vessel loop“ des inneren Gehörgangs, vertebrobasiläre Insuffizienz, der HWS-bedingte Schwindel und chronisch zentralnervöse Entzündungen anamnestisch, klinisch oder radiologisch auszuschließen.