Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 2018; 13(06): 560-564
DOI: 10.1055/s-0044-101738
Schritt für Schritt
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Per- und suprakondyläre Frakturen beim Kind – Schritt für Schritt

Stefan Studier-Fischer
,
Alfred Schmidgen
,
Michael Magin
Further Information

Publication History

Publication Date:
31 October 2018 (online)

1. Kirschner-Draht-Osteosynthese OP-Prinzip

Geschlossene oder offene Reposition und Stabilisierung der Fragmentstellung und -rotation mit Kirschner-Drähten.

Indikation

Jede dislozierte per- und suprakondyläre Fraktur im Kindesalter, die sich nach geschlossener Reposition im Oberarmgipsverband nicht sicher retinieren lässt. Fehlstellungen, die der Reposition in Narkose bedürfen, sollen primär auch stabil versorgt werden. Ferner erfolgt die Stabilisierung immer nach einer offenen Reposition.


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Kontraindikation

Veraltete Frakturen.


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Spezielle Patientenaufklärung

Neben den üblichen Operationsrisiken ist aufzuklären über Gefäß- und Nervenverletzung (vor allem N. ulnaris), Pininfekt und Fehlwachstum. Bei nichtdislozierten Frakturen ist ein konservatives Vorgehen angezeigt, bei Frakturen ohne Rotationsfehler kann ein konservatives Vorgehen gewählt werden. Liegt eine konservative Möglichkeit vor, so ist dies zu vermerken und zu dokumentieren, wie die Entscheidung gefällt wurde.


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OP-Planung

Zur Planung ist eine Röntgendarstellung des Ellenbogengelenks in 2 Ebenen erforderlich. Der Gefäß- und Neurostatus ist zu erheben und zu dokumentieren. Das Skelettalter und die Wachstumsfugen sind in die Planung mit einzubeziehen. Zur Abgrenzung von Knochenkernen sind radiologische Tafeln hilfreich. Die Röntgenkontrolle der Gegenseite ist bis auf absolute Ausnahmesituationen zu unterlassen.


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Spezielle Instrumente und Implantate

Kirschner-Drähte der Stärke 1,6 mm, eventuell auch Titan-Kirschner-Drähte bei Chrom-/Nickelallergie.


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OP-Technik

Lagerung

Der Patient liegt in Rückenlagerung bei frei beweglich abgedecktem, im Schultergelenk um 90° abduziertem Arm. Die Verwendung eines kleinen Armtischs ist bei der perkutanen Kirschner-Draht-Spickung oft hinderlich. Bei Zweifel an der geschlossenen Reponierbarkeit sollte jedoch ein kleiner Armtisch verwendet werden können. Eine Oberarmblutsperre kann angelegt werden, bleibt in der Regel jedoch offen. Diese darf insbesondere bei möglicher Gefäßirritation eine Schnitterweiterung nach kranial nicht behindern, ist also größenangepasst schmal zu wählen.


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Durchführung

Geschlossene Reposition

Die Reposition erfolgt unter Längszug in Streckstellung und anschließender maximaler Beugung im Ellenbogengelenk. Die in der Regel nach dorsal abgekippten Frakturen reponieren sich am erhaltenen Periostschlauch und an der angespannten Trizepssehne. In maximaler Flexion des Ellenbogens kann die Rotation in der Fraktur durch Drehung nach innen oder entgegengesetzt nach außen behoben werden. Die Frakturen sind in der Regel instabil. Bei der Durchleuchtung ist im seitlichen Strahlengang auf Hinweise für Rotationsfehler zu achten. Drehfehler können durch Wachstum nicht korrigiert werden. Durch eventuelle Nachreposition müssen Drehfehler unbedingt beseitigt werden.


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Spickung

Die Spickdrähte werden nach exakter Einrichtung von den tastbaren Epikondylen her perkutan eingebracht und perforieren die Gegenkortikalis zur Verankerung im Schaftbereich. Vor allem medial ist darauf zu achten, dass beim Einbringen die Drahtspitze nicht versehentlich in den Sulcus nervi ulnaris abgleitet. Auf der lateralen Seite ist ein Kreuzen der Epiphysenfuge oft vermeidbar. Bei Verwendung von 1,6-mm-Kirschner-Drähten und schonender Platzierung unter Vermeidung wiederholter Fehlbohrungen werden die Wachstumsfugen nicht beeinträchtigt. Nach abschließender BV-Kontrolle werden die Drähte abgekniffen und mit ausreichendem Abstand zur Haut umgebogen ([Abb. 1]). Die postoperative Zunahme der Schwellung ist dabei zu berücksichtigen.

Zoom Image
Abb. 1a – d Suprakondyläre Fraktur bei einem 8-jährigen Kind. Typisches Versorgungsbild nach perkutaner Kirschner-Draht-Spickung.

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Offene Reposition

Gelingt die geschlossene Reposition nicht oder unvollständig, so liegt meistens eine Periostinterposition als Repositionshindernis vor. Hierbei ist dann zügig ein offenes Verfahren anzuwenden.


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Zugang

Die Exposition der Fraktur und die Reposition können von 2 kleinen Zugängen radial und ulnar erfolgen oder über einen zentralen dorsalen Zugang. Nach Inzision der dorsalen Haut und der Subkutis wird die Fraktur radial und ulnar der Trizepssehne dargestellt. Der N. ulnaris wird aufgesucht und angeschlungen. Der dorsale Zugang ermöglicht insbesondere bei Frakturen mit einer instabilen Trümmerzone eine gute Übersicht. Ist aufgrund des Frakturtyps eine offene Reposition wahrscheinlich, bevorzugen wir die Bauchlage; ein Umlagern kann damit umgangen werden.


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Spickung

Die Reposition gelingt nach offenem Ausstülpen der eingeschlagenen Periostanteile und eventueller Entfernung kleinerer Fragmente. Die Spickung erfolgt analog dem perkutanen Vorgehen, wobei man zweckmäßigerweise die Kirschner-Drähte in Knochenniveau umbiegt und die Drahtenden unter der Haut versenkt. Bei einem isolierten radialen Zugang benötigt man hierzu eine kleine Hilfsinzision ulnar. Anschließende BV-Kontrolle und Dokumentation.


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Wundverschluss

Abschließend erfolgt ein Ausspülen der Wunde, Einlage einer Redon-Drainage, Subkutan- und Hautnaht und Anlage eines gepolsterten Oberarmgipses.


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Tipps und Tricks

  • Die Gefährdung des N. ulnaris kann dadurch vermindert werden, dass der perkutan eingestochene Kirschner-Draht exakt über der Spitze des Epicondylus ulnaris eingebracht wird. Bei unsicherer Anatomie wird der Eintrittspunkt offen eingestellt und ggf. der N. ulnaris dargestellt.

  • Man kann den 2. Kirschner-Draht zur Stabilisierung des ulnaren Pfeilers auch von radial-proximal aus einbohren mit Zielrichtung Epicondylus ulnaris. Die Gefahr einer N.-radialis-Verletzung ist gering, solange man – streng von lateral kommend – nicht nach volar abgleitet. Die Technik ist jedoch schwieriger als direkt über den Epicondylus ulnaris einzugehen.

  • Den Rotationsfehler erkennt man im exakt seitlichen Strahlengang an der ventral oder dorsal vorstehenden Ecke (sog. Nase/Sporn) des proximalen Schaftfragments.

  • Bereits bei geringer Drehung der Fragmente resultiert eine verringerte Kontaktfläche bei suprakondylärer Fraktur. Die dadurch resultierende Instabilität ermöglicht damit eine X- oder O-Abkippung mit resultierendem Fehlwachstum.

  • Die geschlossene Reposition am maximal gebeugten Ellenbogengelenk gelingt oft besser, wenn eine sterile Binde als Hypomochlion in die Ellenbeuge gelegt wird.

  • Die Fraktur wird an der angespannten Trizepssehne reponiert.

  • Wenn der BV parallel zur OP-Tischkante horizontal eingestellt wird, lässt sich die Reposition auch bei gebeugtem Gelenk exakt kontrollieren. Durch Drehen des Oberarms im Schultergelenk um 90° erhält man die a.–p. Ebene, ohne die Position des Röntgengeräts zu verändern.

  • Fehlt präoperativ ein distaler Handgelenkpuls, so liegt eine Notfallindikation vor. Ist dieser nach der Reposition nicht zurückgekehrt, so ist eine Gefäßabklärung zu erzwingen. Am häufigsten ist die A. cubitalis über einem proximalen Fragment abgeknickt. Essenziell ist die korrekte und vollständige Dokumentation. Intimaläsionen können verzögert symptomatisch werden. Bleibt das Doppler-Signal nach Reposition aus, so sollte eine Gefäßrevision vorgenommen werden.


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Alternativmethoden

Bei nicht ganz distalen Frakturen kann mit Federnägeln, von kranial eingebracht, die distale Fraktur nach Reposition stabilisiert werden. Bei nichtdislozierten Frakturen oder fehlender Rotationskomponente kann ein Oberarmgips oder auch eine Cuff-and-Collar-Verbandanordnung gewählt werden. Eine Röntgenkontrolle ist dann nach 4 – 5 Tagen gipsfrei vorzunehmen.


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Nachbehandlung

  • Bei perkutan eingebrachten Kirschner-Drähten erfolgt die tägliche Säuberung und Desinfektion der Drahtenden über dem Gipsfenster. Die Kirschner-Drähte werden nach 4 Wochen entfernt, der Gips wird abgenommen. Bei stabiler Verankerung kann der Ellenbogen geführt beübt werden. Aktive Bewegungen werden je nach Schmerzsituation erlaubt.

  • Bei offener Einrichtung und unter Hautniveau versenkten Kirschner-Drähten wird die Kontrolle der Hautnähte über das Gipsfenster vorgenommen. Eine Gipsruhigstellung ist für 4 Wochen vorgesehen. Die versenkten Kirschner-Drähte werden nach 6 Wochen postoperativ über Stichinzisionen entfernt.

  • Je nach Fraktur und Alter des Kindes ist eine vorsichtige Übungsbehandlung entgegen der bisherigen Meinung durchaus sinnvoll.


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Ergebnisse

Fernandez u. Mitarb. (2012) stellen fest, dass es aufgrund posttraumatischer Fehlstellungen zu Achsabweichungen mit Funktionseinschränkungen kommen kann. Am häufigsten kommt es dabei zum Cubitus varus mit etwa 10 – 30%. Ursachen für die Fehlstellung in der frontalen Ebene können die ulnare Dislokation aufgrund einer Rotationsinstabilität oder die ulnare Einstauchung sein. Von Laer (2007) gab an, dass etwa 80% aller Komplikationen an der oberen Extremität am Ellenbogen stattfinden. Davon sollen nachweislich 90% iatrogen bedingt sein. Ursachen für die iatrogene Komplikation sind:

  • belassene Fehlstellung aufgrund von Übersehen oder einer Fehleinschätzung des spontanen Korrekturpotenzials,

  • die falsche Indikation zur konservativen/operativen Therapie der Frakturen,

  • Fehler in der Durchführung der operativen oder konservativen Behandlung.

Eine nicht selten bestehende N.-ulnaris-Symptomatik bildet sich fast ausnahmslos ohne operative Intervention zurück. Besteht der Verdacht auf eine Irritation, z. B. durch einen Draht, so ist der Nerv zu revidieren. Ist die Fraktur ohne Varus- oder Valgusstellung verheilt, werden Rotationsdefizite über das Schultergelenk ausgeglichen. Bei O-Abweichungen ab 25° bei Kindern ist im Korrekturfall der N. ulnaris zu neurolysieren. Achsabweichungen werden nach Osteotomie besonders bei jüngeren Kindern mit Kirschner-Drähten ausreichend stabilisiert.


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