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DOI: 10.1055/s-2000-4459
Eine invasiv-bronchoskopische Strategie in der Behandlung von Patienten mit Verdacht auf eine Beatmungspneumonie ist einer klinischen Strategie nicht überlegen
PD Dr. med S Ewig
Innere Medizin/Kardiologie und Pneumologie Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik II
Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn
Email: E-mail: santiago.ewig@meb.uni-bonn.de
Publication History
Publication Date:
31 December 2000 (online)
Einleitung
Aktuell konzentriert sich die Debatte um den Wert verschiedener Techniken zur Diagnose der nosokomialen Pneumonie auf die vergleichende Evaluation des Einflusses dieser Techniken auf wichtige klinische Endpunkte wie Krankenhausverweildauer, Antibiotikaverbrauch, Letalität und Kosten. In diesem Kontext haben Fagon und Chastre aus Paris/Frankreich, Befürworter invasiver bronchoskopischer Techniken, eine multizentrische Studie publiziert, die einen randomisierten Vergleich einer invasiv-bronchoskopischen mit einer nichtinvasiv-klinischen Strategie zur Abklärung von Patienten mit Verdacht auf nosokomiale Beatmungspneumonie zum Inhalt hat [[1]].
#Studiendesign und -ergebnisse
Im invasiven Arm wurde die Therapieentscheidung auf die Ergebnisse quantitativer Kulturen der bronchoskopisch gewonnenen gschützten Bürste (PSB) und/oder BAL (bronchoalveoläre Lavage) gestützt, im nichtinvasiven Arm auf die Ergebnisse qualitativer Kulturen des Tracheobronchialsekrets. Endpunkte waren der SOFA-Score (Morbiditätskriterium), antibiotikafreie Tage und Tod.
Insgesamt wurden 413 Patienten aus 31 französischen Intensivstationen rekrutiert. In der invasiven Gruppe hatten 90 von 204 Patienten (44 %) positive Kulturen, in der nichtinvasiven Gruppe 179 von 209 (86 %). Die prozentuale Zusammensetzung des Erregerspektrums zeigte keine signifikanten Unterschiede. Die Letalität nach 14 Tagen war in der invasiven Gruppe signifikant geringer (16 % versus 26 %, p = 0,002). Nach 28 Tagen bestand dieser Unterschied nur noch in der multivariaten Analyse. Entsprechend war der SOFA-Score in der invasiven Gruppe nach 3 und 7 Tagen, nicht jedoch nach 14 Tagen signifikant geringer (geringere Morbidität). Schließlich war die mittlere Anzahl antibiotikafreier Tage in der invasiven Gruppe nach 14 und 28 Tagen signifikant größer.
Die Autoren schlussfolgern, dass die invasive Strategie mit einer signifikant geringeren Letalität nach 14 Tagen, Morbidität und geringerem Antibiotikaverbrauch einhergeht.
#Kommentar
Diese Studie, wiewohl in einer der angesehendsten internistischen Zeitschriften publiziert, ist inhaltlich fragwürdig konzipiert, oberflächlich analysiert und weist darüber hinaus eine Reihe von Ungereimtheiten auf. Aufgrund der Bedeutung des Themas sollen diese Mängel in aller Deutlichkeit herausgestellt werden.
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Entgegen dem Titel der Arbeit hat die Studie keineswegs einen Vergleich invasiver und nichtinvasiver Strategien zum Inhalt, sondern den Vergleich von Strategien mit und ohne quantitative Kulturen. Es ist somit in keinem Fall berechtigt, von einer Überlegenheit invasiver Techniken zu sprechen.
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Die erhöhte Letalität in der nichtinvasiven Gruppe hat keinen erkennbaren Bezug zu den Ergebnissen der Diagnostik. Ebenso belegen die Autoren keinen Zusammenhang zwischen der diagnostischen Strategie und einem tödlichen Ausgang aufgrund der Selektion multiresistenter Mikroorganismen unter antimikrobieller Therapie. Was aber bedingt diesen Unterschied in der Letalität dann? Aus Gründen, die nicht plausibel gemacht werden können, besteht ein ausgeprägter Unterschied im Anteil an Patienten mit inadäquater initialer Therapie in der nichtinvasiven Gruppe - einem Patienten in der invasiven stehen 24 Patienten in der nichtinvasiven Gruppe gegenüber (p < 0,001). Entsprechend verstarb in der invasiven Gruppe kein Patient unter inadäquater initialer antimikrobieller Therapie, in der nichtinvasiven Gruppe aber ein Drittel (n = 8)! Zieht man diese acht Todesfälle ab, besteht kein Unterschied mehr in der Letalität beider Gruppen. Die Unterschiede im SOFA-Score dürften entsprechend begründet sein.
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Auch die Unterschiede im Antibiotikaverbrauch erweisen sich als zwingende Konsequenz des Studiendesigns, das eine sehr restriktive Strategie mit einer ausgesprochen großzügigen Strategie der antimikrobiellen Therapie vergleicht. Die nichtinvasive Strategie ist jedoch genau betrachtet eine künstlich dumm gehaltene Strategie: Welcher Kliniker würde umstandslos jeden Patienten mit einem neu aufgetretenen und persistierenden Infiltrat und Vorliegen von nur einem von drei klinischen Kriterien plus Keimnachweis im Tracheobronchialsekret antimikrobiell behandeln?
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Die Autoren weisen in keiner Weise die Charakteristika und Beiträge der unterschiedlichen Zentren aus.Es ist jedoch sicher, dass Unterschiede in der lokalen Epidemiologie (Erregerspektrum und Resistenzen) die Ergebnisse jedweder Strategie beeinflussen. Allein die aus dem eigenen Zentrum aus Paris in einer vorhergehenden Studie mitgeteilte Rate an Multiresistenzen (59 %!) macht jedes Zusammenführen mit anderen Zentren problematisch.Bei 31 Zentren ergibt sich eine mittlere Patientenzahl von 13. Da eine Imbalance in der Rekrutierung zwischen den Zentren wahrscheinlich ist, haben manche Zentren wohl weniger als 10 Patienten beigetragen. Dass es sich bei einer solch geringen Anzahl um nichtselektierte Patienten handeln soll, ist jedoch sehr unwahrscheinlich.
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Schließlich haben gerade Fagon und Chastre in vorausgehenden Studien, die auf den Ergebnissen bronchoskopischer Diagnostik basieren, auf die hohe Letalität (im Bereich von 30 %) der spät entstehenden Beatmungspneumonie hingewiesen. Wie kann es sein, dass ausgerechnet in dieser Studie in der invasiven Gruppe die Letalität nur 16 % war, während hingegen die 30 %-Letalität knapp von der nichtinvasiven Gruppe erreicht wurde?
Zusammengefasst besteht auch nach dieser Studie keinerlei Evidenz dafür, dass der invasiv-bronchoskopische Ansatz dem nichtinvasiven klinischen Ansatz im Hinblick auf die untersuchten Endpunkte überlegen ist. Das gilt sogar für die nichtinvasive Strategie, die lediglich qualitative Kulturen einsetzt.
Die empfohlene Strategie bei Patienten mit Verdacht auf das Vorliegen einer Beatmungspneumonie bleibt somit das klinische Urteil sowie die kalkulierte initiale Therapie auf dem Boden lokaler Erreger- und Resistenzmuster. Dabei sind qualitative Kulturen des Tracheobronchialsekrets hilfreich. In der Individualdiagnostik können quantitative Kulturen ergänzende Informationen liefern, während bronchoskopische Techniken Ausnahmeindikationen vorbehalten bleiben.
Andererseits ergeben sich aber wichtige potenzielle Anwendungsgebiete für die bronchoskopische Diagnostik bei Patienten mit Versagen auf die Initialtherapie, die bisher nicht evaluiert sind. Diese Population könnte tatsächlich von einer bronchoskopischen Diagnostik profitieren, da diese sowohl die höchste Prä-Test-Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen multiresistenter oder seltener Erreger als auch das höchste Risiko eines tödlichen Ausgangs aufgrund der Pneumonie aufweist.
#Literatur
- 1 Fagon J Y, Chastre J, Wolff M, Gervais C, Parer-Aubas S, Stephan F, Similowski T, Mercat A, Diehl J L, Sollet J P, Tenaillon A, . for the VAP trial group . Invasive and noninvasive strategies for management of suspected ventilator-associated pneumonia. A randomized trial. Ann Intern Med. 2000; 132 621-630
PD Dr. med S Ewig
Innere Medizin/Kardiologie und Pneumologie Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik II
Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn
Email: E-mail: santiago.ewig@meb.uni-bonn.de
Literatur
- 1 Fagon J Y, Chastre J, Wolff M, Gervais C, Parer-Aubas S, Stephan F, Similowski T, Mercat A, Diehl J L, Sollet J P, Tenaillon A, . for the VAP trial group . Invasive and noninvasive strategies for management of suspected ventilator-associated pneumonia. A randomized trial. Ann Intern Med. 2000; 132 621-630
PD Dr. med S Ewig
Innere Medizin/Kardiologie und Pneumologie Medizinische Universitätsklinik und Poliklinik II
Sigmund-Freud-Straße 25 53105 Bonn
Email: E-mail: santiago.ewig@meb.uni-bonn.de