Pneumologie 2000; 54(11): 494-498
DOI: 10.1055/s-2000-8250
ORIGINALARBEIT
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Pharmakokinetik von Cyclo-phosphamid, Adriamycin und Adramycin-Prodrug (HMR 1826) im ex-vivo-isolierten perfundierten humanen Lungenresektionsmodell (IHLP)[1]

T. E. Mürdter1 , A. Linder5 , G. Friedel3 , M. McClellan2 , F. Bohnenstengel1 , B. Sperker4 , H. K. Kroemer4 , H. Toomes3 , L. Freitag5 , P. Fritz2
  • 1Dr. Margarete-Bosch-Fischer-Institut für Klinische Pharmakologie, Stuttgart (Prof. M. Eichelbaum)
  • 2Abteilung für Pathologie, Zentrum für Diagnostische Medizin, Robert-Bosch-Krankenhaus, Stuttgart (Dr. P. Fritz)
  • 3Abteilung für Thoraxchirurgie, Klinik Schillerhöhe, Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie, Gerlingen (PD Dr. H. Toomes)
  • 4Institut für Pharmakologie, Ernst-Moritz-Arndt-Universität, Greifswald (Prof. H. Kroemer)
  • 5Abteilung Thoraxchirurgie, Lungenklinik Hemer, Hemer (Dr. A. Linder)
Further Information

Dr A Linder

Abteilung Thoraxchirurgie Lungenklinik Hemer

Theo-Funccius-Str. 1 58765 Hemer

Email: E-mail: linder@lungenklinik-hemer.de

Publication History

Publication Date:
31 December 2000 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung:

Hintergrund: Über die Pharmakokinetik und lokale Bioverfügbarkeit von Zytostatika und anderen Chemotherapeutika in menschlichen Tumoren ist nur wenig bekannt. Studien hierzu sind aus ethischen Gründen nur sehr schwierig durchzuführen. Methode: Das hier beschriebene Modell des isoliert perfundierten und ventilierten humanen Lungenpräparates (IHLP) ist ein Basismodell für pharmakologische Untersuchungen an tumortragenden Lungenpräparaten, die aus therapeutischen Gründen vom Thoraxchirurgen reseziert werden. Postoperativ wird das Operationspräparat ex vivo unter physiologischen Bedingungen reperfundiert und ventiliert. Ergebnisse: In einer ersten Untersuchungsphase wurde sichergestellt, dass die Reperfusion die morphologische Diagnose und das Staging nicht beeinträchtigt. Weitere Untersuchungen galten der Pharmakokinetik von Cyclophosphamid, Adriamycin sowie HMR 1826, einer Adriamycin-Prodrug. Die Endkonzentration von Cyclophosphamid und Adriamycin nach Perfusion lag im Tumor um eine Größenordnung unter der im normalen Lungengewebe. Im Gegensatz dazu konnten mit HMR 1826 durch tumorselektive Aktivierung vergleichbare Konzentrationen an Adriamycin im Tumor und im normalen Lungengewebe erreicht werden. Schlussfolgerung: Im medizinischen Modellsystem hat sich das IHLP als idealer Zwischenschritt zwischen der Zellkultur und der In-vivo-Situation bei der Untersuchung humaner Tumoren ausgezeichnet. Weitere Einsatzmöglichkeiten des Modells und dessen Grenzen werden zukünftig zu definieren sein.

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Pharmacokinetics of Cyclophosphamid, Adriamycin and Adramycin-Prodrug (HMR 1826) using the Ex-vivo Isolated Perfused Human Lungmodel (IHLP):

Background: Today knowledge about pharmacokinetics of anticancer drugs in human malignant tumors is poor. Data from in vivo studies are limited and difficult to obtain due to ethical aspects. An ex vivo isolated perfused and ventilated human lung model however allows pharmacological studies of human bronchial carcinoma inside their host organ, the lung, under physiological conditions without compromising the patient. Methods: Following surgery for bronchial carcinoma human lung preparations were reperfused and ventilated extracorporally for 2 - 3 hours. During the reperfusion anticancer drugs are added to the perfusion solution and their uptake into tumor, normal lung tissue, and lymph nodes is studied. Results: An initial study showed that lung reperfusion under physiological circumstances over a period of 2 - 3 hours did not interfere with histo-pathological diagnostics and staging; an important precondition for potential adjuvant treatment. Pharmacokinetics of cyclophosphamid, adriamycin, and a water soluble adriamycin prodrug (HMR 1826) were measured. Final tissue concentrations of adriamycin and cyclophosphamid in peripheral lung parenchyma turned out to be 10 times higher compared to tumor tissue. However, following perfusion with adriamycin prodrug final tissue concentrations of adriamycin were in the same range in lung and tumor. Conclusions: The ex-vivo isolated human lung perfusion model (IHLP) has proven to be an ideal scientific model for pharmacological investigations of human tumors as an intermediate step between cell culture and in-vivo situation without any disadvantage for the patient. The tumor-to-host interaction is completely saved in this model. However, first pass reactions of drugs in other organs must not play a role for the substances studied with the IHLP. The role and future applications of the isolated perfused human lung model for other indications is discussed.

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Einleitung

Der Beitrag von isolierten Lungenperfusionspräparaten verschiedener Tierspezies zur Erforschung der Physiologie und Pathophysiologie von Lungenerkrankungen ist unbestritten [1] [2] [3] [4] [5] [6]. Zur Klärung onkologischer Fragestellungen werden Experimente durchgeführt, um z. B. die Bedingungen für eine In-vivo-Perfusion bei Bronchialkarzinompatienten mit Zytostatika zu evaluieren [1] [7]. Etablierte Tumormodelle der isoliert perfundierten Rattenlunge können einen Beitrag bei der Identifizierung neuer Wirksubstanzen bzw. Behandlungsmethoden leisten [6]. Eine direkte Übertragung der in diesen Systemen gewonnenen Daten auf die Situation im Menschen mit Bronchialkarzinom ist jedoch schwierig. Daher können die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Zytostatika in Lungenkarzinomen in diesen Modellen nur unvollkommen untersucht werden.

Ein gezielter Transport eines Zytostatikums zum Wirkort lässt sich über tumorselektive Antikörper wie z. B. den α-Transferrin-Rezeptor [8], das karzinoembryonale Antigen [9] oder das α-Fetoprotein [10] erreichen (Drug Targeting und Immuntoxintherapie). Im Tumor selbst muss das Zytostatikum dann freigesetzt werden [11]. Voraussetzung für all diese Therapieansätze ist die genaue Kenntnis über die Antigen-Ausstattung jedes individuellen Tumors. Diese lässt sich mit Hilfe der Immunhistochemie klären. Eine prinzipielle Fragestellung ist die lokale Bioverfügbarkeit und damit die Pharmakokinetik dieser modifizierten Antikörper im Tumor, welche die letztendlich wirksame Dosis determiniert.

Das von uns entwickelte isoliert perfundierte humane Lungenperfusionsmodell (IHLP) stellt erstmals einen experimentellen Ansatz dar, der in der präklinischen Phase bei der Etablierung dieser Therapiestrategien zur Beantwortung eben dieser Fragestellung einen wertvollen Beitrag leisten kann und erlaubt erstmals Untersuchungen über die Verfügbarkeit von Zytostatika und deren Metabolismus unter Bedingungen, die den In-vivo-Verhältnissen am nächsten kommen. Diese einzigartigen Möglichkeiten des IHLP sind weder bei In-vitro-Experimenten mit humanen Tumorzellkulturen noch bei Tierversuchen adäquat gegeben.

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Methode des isolierten humanen Lungenperfusionsmodells

Das ex-vivo-isolierte humane Lungenperfusionsmodell (IHLP) wurde mit dem positiven Votum einer Ethikkommission bedacht, wenn der Patient nach Aushändigung eines Aufklärungsbogens und mündlicher Aufklärung durch den behandelnden Arzt der Verwendung seines wegen eines malignen Tumors resezierten Lungenlappens oder Lungenflügels im IHLP zustimmt.

In die Untersuchungen aufgenommen wurden die Resektionspräparate von Patienten mit Bronchialkarzinomen. Eine vorangegangene Therapie mit Zytostatika oder eine Radiotherapie auch im Rahmen eines Down-stagings waren Ausschlusskriterien. Die Operation erfolgte nach den Standardverfahren für anatomische Lungenresektionen. Die Segmentarterien bzw. die zentralen Arterienstümpfe der Lobektomie-, Bilobektomie- oder Pneumektomiepräparate wurden unmittelbar nach der Präparateentnahme kanüliert. Die Ventilation erfolgte über einen End-zu-End an den Bronchus anastomosierten handelsüblichen Beatmungstubus mit kontrollierter Beatmung. Als Perfusionspumpe kam die einer Herz/Lungenmaschine (Jostra CSL 15-140, Jostra Medizintechnik, Hirrlingen) zum Einsatz. Standard-Perfusionslösung war eine anorganische Pufferlösung mit Glukose und 5 % Albumin. Über einen Thermostaten und einen Wärmetauscher wurde die Perfusionslösung auf 37 °C gehalten. Die Perfusionsrate schwankte in Abhängigkeit von der Präparategröße zwischen 0,3 - 1,5 L/min. Der Pulmonalarterienspitzendruck (PAP) wurde unter 30 mmHg gehalten. Während der Perfusion wurden kontinuierlich pulmonalarteriell und -venös PAP, pH, pO2, pCO2 in der Perfusionslösung registriert (Abb. [1] u. [2]). Weitere Details des experimentellen Vorgehens sind in einer Publikation von Linder et al. dargelegt [12].

Qualitätskriterien der Perfusion waren das Reperfusionsödem, gemessen über das Präparategewicht und die wet/dry-Ratio, der Gasaustausch, die visuelle Qualität der Perfusion an der Lungenoberfläche und an einzelnen Präparaten, die Angiographie der Lungenstrombahn und der Tumoren sowie unterschiedlicher Morphometrieparameter im histologischen Präparat.

Zieht man die Gewichtszunahme aufgrund der Entwicklung eines Lungenödems als Qualitätskriterium heran, so erfuhren nur 2/46 (4,3 %) der mit Zytostatikalösung perfundierten Lungen ein Lungenödem mit mehr als 70 % Gewichtszunahme (Abb. [3]). In einem weiteren Experiment konnten wir zeigen, dass ein artifiziell, durch Zugabe von Ölsäure zur Perfusionslösung, hervorgerufenes Ödem die Fähigkeit des Präparates zum Gasaustausch vermindert. Dies führte zu einer verzögerten pulmonalvenösen Antwort des CO2- und O2-Partialdruckes in der Perfusionslösung auf eine Veränderung in der Atemluftzusammensetzung.

Die rasche Entfärbung des Resektionspräparates zu Beginn der Perfusion durch Ausspülen der Erythrozyten mit dem farblosen Perfusionspuffer zeigte auf einfache Weise die Qualität der Perfusion. Darüber hinaus konnte durch Injektion eines Röntgenkontrastmittels (Conray 60) in das Lungenperfusat eine adäquate Perfusion des Lungenparenchyms ex vivo nachgewiesen werden.

In keinem Fall ist es bei der konventionellen morphologischen Beurteilung zu Schwierigkeiten in der histologischen Tumorklassifikation, dem Grading und Staging bei allen Präparaten gekommen. Dazu wurden 15 verschiedene quantitative morphologische Parameter mit den Methoden der Bildanalyse an den Tumorzellen und gesundem Lungengewebe einer Präparateserie von 8 perfundierten und 10 nicht perfundierten Lungen evaluiert. Es ergab sich in der Mehrzahl der ermittelten Parameter kein Unterschied zwischen perfundierten und nicht perfundierten Organpräparaten (Tab. [1]).

Aufgrund obiger Untersuchungen und vor allem über fünfjähriger Erfahrung mit über 100 Perfusionen humaner Lungenresektionspräparate kommen wir daher zu der Schlussfolgerung, dass für die weitere pathomorphologische Diagnostik keine Beeinträchtigung aus der vorangegangenen isolierten Perfusion der Resektionspräparate resultiert, wobei sich diese Aussage derzeit auf eine Zeitspanne von bis zu 2,5 Stunden bezieht.

Für die pharmakologischen Untersuchungen wurde der Perfusionslösung nach Probenentnahme vom gesunden Lungengewebe das jeweilige Zytostatikum in den therapieüblichen Dosierungen zugegeben. In regelmäßigen Abständen wurden Gewebeproben vom gesunden Lungengewebe und Proben zur Konzentrationsmessung aus der Perfusionslösung entnommen. Tumorproben wurden jeweils nur am Ende der Perfusion abgenommen, um die Durchblutung des Tumors im Wirtsorgan während des Versuchs nicht zu stören. Sämtliche Proben wurden in flüssigem Stickstoff schockgefroren.

Tab. 1Statistische Auswertung der bildanalytisch erfassten Morphometriedaten in perfundierten und nicht perfundierten Lungenpräparaten
ParameterMerkmaltypSignifikanz
DrüsenTumorzellen
SchnittflächeMorphometrien. s.n. s.
UmfangMorphometrien. s.n. s.
FormfaktorMorphometrien. s.n. s.
DurchmesserMorphometriep < 0,01n. s.
KonvexitätsmaßMorphometrien. s.n. s.
mittlerer KernabstandMorphometrien. s.n. b.
AchsenverhältnisMorphometrien. s.n. s.
integr. optische DichteDensitometrien. s.n. s.
theor. VerformenergieTexturn. s.n. s.
EntropieTexturn. s.n. s.
InertheitTexturn. s.n. s.
lokale HomogenitätTexturp < 0,001n. s.
KorrelationTexturn. s.n. s.
max. WahrscheinlichkeitTexturn. s.n. s.
ChromatinschattenTexturn. s.n. s.
ClusterprominenzTexturn. s.p < 0,05
n. s.: kein signifikanter Unterschied zwischen perfundierten und nicht perfundierten Lungenpräparaten; n. b.: nicht bestimmt. Zur Berechnung der statistischen Signifikanz wurde der t-Test herangezogen.
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Ergebnisse

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Untersuchungen mit Cyclophosphamid

Cyclophosphamid wird über eine Reihe von Cytochrom P450 Isoenzymen initial durch eine 4-Hydroxylierung des Ringsystems bioaktiviert. Diese Enzyme wurden in der Leber und zunehmend auch extrahepatisch u. a. in der Lunge nachgewiesen [13] [14]. Unsere Versuche zeigen, dass die Cyclophosphamid-Konzentrationen im Tumor deutlich unter der des nicht-tumorösen Gewebes liegen (Bereich: 0,0 - 26,8 μg/g; Medianwert: 5,1 μg/g im Tumor gegenüber einem Bereich: 26,9 - 44,2 μg/g; Medianwert: 36,8 μg/g im Lungengewebe; n = 6; p < 0,01, Mann-Whitney-Test; Abb. [4] links).

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Untersuchungen mit Adriamycin

Ausgehend von den Adriamycinkonzentrationen, wie sie nach systemischer Gabe im Plasma von Patienten auftreten, wurden Untersuchungen zur Tumorselektivität von Adriamycin im humanen Lungenperfusionsmodell durchgeführt [15].

Am Ende der Perfusion lag die Adriamycinkonzentration im Tumor signifikant niedriger als im peripheren Lungengewebe (Bereich: 0,11 - 9,95 μg/g, Medianwert: 0,66 μg/g gegenüber einem Bereich von 14,9 - 48,4 μg/g, Medianwert: 18,5 μg/g; n = 8; p < 0,001; Mann-Whitney-Test; Abb. [4] Mitte).

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Untersuchungen mit Doxorubicin-Prodrug

Der Prodrug-Therapie liegt die Annahme zugrunde, dass Tumoren über einen gegenüber normalem Gewebe veränderten Stoffwechsel verfügen. Wird von den Tumorzellen ein Enzym sezerniert, welches normalerweise im Körper nicht frei vorkommt, so kann dieses Enzym zur Aktivierung einer Prodrug und somit zur tumorspezifischen Freisetzung einer zytotoxisch aktiven Substanz dienen.

In Fortsetzung dieses Prinzips der Bioaktivierung wurde von Bosslet u. Mitarb. ein Prodrugkonzept auch für Adriamycin entworfen [16]. Hierzu wurde ein nicht-toxisches gut wasserlösliches Adriamycin-Spacer-Glucuronid (HMR 1826) entwickelt, welches unter lokaler Bioaktivierung durch β-Glucuronidase im Tumor Adriamycin freisetzt.

HMR 1826 zeigte aufgrund seiner geringeren Lipophilie keine Akkumulation im Gewebe. Darüber hinaus kann HMR 1826 in vitale Zellen nicht eindringen und ist somit von einer Spaltung durch die in gesundem Gewebe lysosomal vorliegende β-Glucuronidase geschützt.

Nach Perfusion mit 400 μg/ml HMR 1826 waren die Konzentrationen von Adriamycin im Tumor und nicht-tumorösem Lungenparenchym vergleichbar (Bereich: 2,8 - 44,1 μg/g, Medianwert: 12,9 μg/g und 5,7 - 21,2 μg/g, Medianwert: 17,7 μg/g; n = 8; p = n. s.; Mann-Whitney-Test; Abb. [4] rechts). Nach Perfusion mit HMR 1826 lag die Konzentration an aktivem Zytostatikum im Tumor um den Faktor 19 höher als nach Perfusion mit Adriamycin selbst [15]. Das für die Bioaktivierung von HMR 1826 verantwortliche Enzym β-Glucuronidase wurde mittels Western Blots quantifiziert sowie dessen Aktivität in vitro bestimmt. Beide Methoden zeigten, dass β-Glucuronidase in den untersuchten Lungenkarzinomen etwa doppelt so stark exprimiert wird wie im peripheren Lungenparenchym.

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Diskussion

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Ethische Aspekte

Die Verwendung von Lungenresektionspräparaten zu extrakorporalen Perfusionsexperimenten ist nach unserer Auffassung in ein vergleichbares Spannungsfeld wie das klinischer Studien eingebunden und sollte nur bei Beachtung folgender Kautelen durchgeführt werden: 1. Positives Votum der lokalen Ethikkommission. 2. Schriftliche Einverständniserklärung des Patienten nach Aufklärungsgespräch mit dem behandelnden Arzt. 3. Die Zielsetzung der Experimente beinhaltet einen möglichen Benefit für Tumorpatienten. 4. Die Verwendung der Präparate schränkt weder die histopathologische Diagnostik noch das TNM-Staging ein. 5. Keine Verzögerung evtl. adjuvanter Therapien. Nach Erfahrungen mit nunmehr über 100 Lungenperfusionen im IHLP bei einer Perfusionsdauer von bis zu 2,5 Stunden (wahrscheinlich bis zu 4 Stunden) werden diese Kriterien erfüllt. Das Modell setzt die enge Kooperation zwischen Operateur, Experimentator, Pathologen sowie dem analytischen Chemiker voraus.

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Cyclophosphamid

Trotz einer teilweisen Präsenz bioaktivierender Enzyme in der gesunden Lunge konnten keine aktiven Metaboliten des Cyclophosphamids nachgewiesen werden [17]. Es ist somit anzunehmen, dass in vivo der größte Teil der Bioaktivierung des Cyclophosphamids in der Leber stattfindet.

Dies zeigt eine Einschränkung des isoliert perfundierten Lungenpräparates bei Untersuchungen des Metabolismus auf: Es kann nur der Beitrag des Lungenparenchyms und des Tumors zum Stoffwechsel einer Substanz untersucht werden. Die Bioaktivierung der Zytostatika in anderen Organen findet ähnlich der Zytostatikaresistenztestung an Zellkulturen im IHLP nicht statt. Für spezielle Fragestellungen könnte dieser Effekt allerdings auch im IHLP versuchsweise integriert werden.

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Adriamycin

Fluoreszenzmikroskopische Aufnahmen haben eine sehr inhomogene Verteilung von Adriamycin im Tumorgewebe ergeben. Entscheidend für die Aufnahme in den Tumor scheint der Vaskularisierungsgrad zu sein, da die gemessene Konzentration an Adriamycin mit dem Vaskularisierungsgrad des Tumors korrelierte.

Die etwa 30fach niedrige Adriamycindosis im Gewebe nichtkleinzelliger Bronchialkarzinome gegenüber dem gesunden Lungengewebe deuten wir neben den Phänomenen der Chemoresistenz als Ursache für das schlechte Ansprechen einer Zytostatikatherapie bei nicht-kleinzelligen Bronchialkarzinomen.

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Adriamycin-Prodrug

Untersuchungen von Bosslet u. Mitarb. [18] sowie sehr ausführliche eigene enzymhistochemische Untersuchungen zeigten, dass im Tumorgewebe β-Glucuronidase sowohl vom Makrophagensystem als auch aus den Tumorzellen freigesetzt wird (Abb. [5]). Es ließ sich jedoch kein Zusammenhang zwischen Tumorhistologie und Lokalisierung der β-Glucuronidase-Expression herstellen. Es ist durch unsere Untersuchungen gelungen zu zeigen, dass im IHLP das Prodrug-Konzept am Beispiel eines glucuronidierten Derivates eines häufig eingesetzten Zytostatikums zu einer Erhöhung der lokalen Konzentration um das 19fache der aktiven Substanz führt. Das Prodrug-Konzept hat im IHLP gezeigt, dass es möglich ist, bei gleicher systemischer Toxizität die wirksame Zytostatikadosis tumorselektiv zu steigern. Diese Ergebnisse demonstrieren überzeugend die Leistungsfähigkeit des hier beschriebenen Modells bei speziellen pharmakologischen Fragestellungen.

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Ausblick

Das IHLP stellt eine neue und wesentliche Ergänzung des pharmakologischen Instrumentariums dar. Seine Vorteile und Einsatzgebiete sind: 1. Optimale Übertragbarkeit der gewonnenen Daten auf die Anwendung von Zytostatika am Menschen unter pathophysiologischen Bedingungen wie sie beim Tumorpatienten vorliegen. Damit sind die gewonnenen Ergebnisse Grundlage für Phase-I-Studien. 2. Vermeidung von Tierversuchen. 3. Experimentelles System zur Erprobung neuer Therapieansätze. 4. Möglichkeit zu risikolosen Gentransferexperimenten bei systemischer Anwendung des Gentherapeutikums.

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Danksagung

Wir danken der Mildred-Scheel-Stiftung, der Robert-Bosch-Stiftung und der Landesversicherungsanstalt Baden-Württemberg für die finanzielle Unterstützung.

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Abb. 1Schematische Darstellung des Versuchsaufbaus.

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Abb. 2Das isoliert perfundierte und ventilierte humane Lungenpräparat.

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Abb. 3Ödembildung. Aufgetragen ist die prozentuale Massenzunahme der 46 mit Zytostatika perfundierten Lungenpräparate über eine Perfusionsdauer von 2,5 Stunden.

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Abb. 4Anreicherung von Zytostatika in Gewebe. Dargestellt ist das Verhältnis der Konzentration des Zytostatikums im Tumor zur Konzentration dieser Substanz im peripheren Lungenparenchym nach der Perfusion mit unterschiedlichen Substanzen. Würde sich das Zytostatikum im Tumor und dem Lungenparenchym gleich gut anreichern, betrüge der Quotient 1.

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Abb. 5Lokalisierung der β-Glucuronidase in einem Adenokarzinom der Lunge. Doppelfärbung an einem Schnitt. A: Enzymatische Darstellung der β-Glucuronidase. B: Immunfluoreszenzfärbung CD68. Im vorliegenden Fall sind überwiegend tumorinfiltrierende Makrophagen für die Expression der β-Glucuronidase im Tumor verantwortlich (Objektiv × 40).

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Literatur

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1 Herrn PD Dr. med. H.-N. Macha zum 60. Geburtstag gewidmet

Dr A Linder

Abteilung Thoraxchirurgie Lungenklinik Hemer

Theo-Funccius-Str. 1 58765 Hemer

Email: E-mail: linder@lungenklinik-hemer.de

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Literatur

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  • 17 Bohnenstengel F, Friedel G, Ritter C A, McClellan M, Fritz P, Eichelbaum M, Linder A, Toomes H, Dierkesmann R, Kroemer H K. Variability of cyclophosphamide uptake into human bronchial carcinoma: consequences for local bioactivation. Cancer Chemother Pharmacol (im Druck)
  • 18 Bosslet K, Straub R, Blumrich M, Czech J, Gerken M, Sperker B, Kroemer H K, Gesson J P, Koch M, Monneret C. Elucidation of the mechanism enabling tumor selective prodrug monotherapy.  Cancer Res. 1998;  58 1195-1201

1 Herrn PD Dr. med. H.-N. Macha zum 60. Geburtstag gewidmet

Dr A Linder

Abteilung Thoraxchirurgie Lungenklinik Hemer

Theo-Funccius-Str. 1 58765 Hemer

Email: E-mail: linder@lungenklinik-hemer.de

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Abb. 1Schematische Darstellung des Versuchsaufbaus.

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Abb. 2Das isoliert perfundierte und ventilierte humane Lungenpräparat.

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Abb. 3Ödembildung. Aufgetragen ist die prozentuale Massenzunahme der 46 mit Zytostatika perfundierten Lungenpräparate über eine Perfusionsdauer von 2,5 Stunden.

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Abb. 4Anreicherung von Zytostatika in Gewebe. Dargestellt ist das Verhältnis der Konzentration des Zytostatikums im Tumor zur Konzentration dieser Substanz im peripheren Lungenparenchym nach der Perfusion mit unterschiedlichen Substanzen. Würde sich das Zytostatikum im Tumor und dem Lungenparenchym gleich gut anreichern, betrüge der Quotient 1.

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Abb. 5Lokalisierung der β-Glucuronidase in einem Adenokarzinom der Lunge. Doppelfärbung an einem Schnitt. A: Enzymatische Darstellung der β-Glucuronidase. B: Immunfluoreszenzfärbung CD68. Im vorliegenden Fall sind überwiegend tumorinfiltrierende Makrophagen für die Expression der β-Glucuronidase im Tumor verantwortlich (Objektiv × 40).