Einleitung
Einleitung
Die Vorstellungen zur Pathogenese des Asthma bronchiale haben in den letzten Jahren
einen grundlegenden Wandel erfahren, der nicht nur von theoretischem Interesse ist,
sondern auch erhebliche praktische therapeutische Implikationen zur Folge hat. Im
Zentrum des Interesses steht die bronchiale Hyperreaktivität als Kernsymptom der Asthmakrankheit.
Als therapeutisches Hauptziel wird heute nicht nur die Verringerung oder Beseitigung
der Bronchialobstruktion, sondern die Unterdrückung der bronchialen Hyperreaktivität
angesehen. Damit wandelt sich das gesamte Konzept der Asthmatherapie: Während Glukokortikoide
noch vor einigen Jahren am Ende der therapeutischen Möglichkeiten eingestuft wurden,
stehen sie heute in inhalativer Form am Anfang der Asthmatherapie. Weitere Indikationen
bestehen nach heutigem Konsens bei chronischer Bronchitis mit Hyperreagibilität, Obstruktion
oder Emphysemkomponente. Kortikoide, systemisch oder lokal appliziert, sind in der
Behandlung von Erkrankungen des oberen und unteren Atemwegstraktes nicht mehr wegzudenken
[[1], [2], [3]].
Dennoch stellt die Verordnung von Kortikoiden, auch von lokal wirksamen, oft ein Problem
dar. Nach wie vor haben viele Patienten Vorbehalte gegenüber einer derartigen Medikation,
teilweise so stark, dass von einer regelrechten Kortison-Angst gesprochen wird [[4]]. Diese für den behandelnden Arzt kaum nachvollziehbare Angst kann auch durch wiederholte
Sachinformationen oft nur unzureichend überwunden werden [[5], [6], [7], [8]]. Schlechte Compliance und damit häufig eine Verschlechterung des Krankheitsbildes
sind vorprogrammierte Folgen. Gerade bei „Risikopatienten”, d. h. Patienten, die immer
wieder mit schwersten lebensbedrohlichen Asthmaanfällen behandelt werden müssen, scheint
häufig mangelhafte Compliance, gerade was die Kortisonmedikation betrifft, vorzuliegen
[[9], [10]]. Die Ursachen und Hintergründe dieser Vorbehalte und Ängste sind komplex [[11], [12], [13], [14]].
Wegen der Vielzahl bedingender, kaum kontrollierbarer Variablen erweist sich empirische
Forschung in diesem Bereich grundsätzlich als problematisch. Diese Feststellung betrifft
die gesamte Compliance-Forschung (z. B. [[15]]).
Es war das Ziel dieser Arbeit, zu untersuchen:
Patienten und Methode
Patienten und Methode
In der explorativen Studie untersucht wurden Patienten mit COPD und/oder Asthma mit
inhalativer und/oder systemischer Kortikoidtherapie in der stationären pneumologischen
Rehabilitation. Im Erhebungszeitraum von sechs Monaten erhielten 165 konsekutiv aufgenommene
Patienten zu Beginn ihres vierwöchigen Reha-Aufenthaltes in der Fachklinik Bad Reichenhall
einen umfangreichen Fragebogen nach Deuchert & Petermann [[11]]. Die Rücklaufquote lag bei 131/165 (79,4 %). Die Stichprobe ist als repräsentativ
für kortikoidpflichtige Patienten der Klinik anzusehen.
Von den befragten Patienten waren 52 (40 %) weiblich und 79 (60 %) männlich.Die Patienten
waren zwischen 23 und 81 Jahre alt, das Durchschnittsalter lag bei 54,5 Jahren. Zum
Zeitpunkt der Befragung arbeitsfähig erwiesen sich 43,5 %, 29,8 % waren berentet,
13,7 % arbeitsunfähig, 8,1 % arbeitslos, 4 % erwerbsunfähig und 0,8 % berufsunfähig.Die
Dauer der Erkrankung schwankte zwischen 3 Monaten und 52 Jahren. Der Mittelwert lag
bei 13 Jahren.
Von den Befragten nahmen 87,8 % Kortisonpräparate ein. Kortisontabletten wurden von
45,8 % der Patienten eingenommen, während 93,9 % Kortison inhalierten.11 von 131 Patienten
(8,3 %) füllten den Fragebogen völlig korrekt aus. 29/131 der Fragebogen (22 %) wurden
wegen zu vieler fehlender Angaben (missing values > 10 %) nicht ausgewertet. In die
Auswertung gelangten 102 der 131 Fragebogen.
Ergebnisse
Ergebnisse
Informationsinteresse
72 % der Patienten gaben an, sich sehr stark über Atemwegserkrankungen zu informieren,
16,8 % hatten ein starkes Interesse. Bei der Frage nach eingeholten Informationen
über Kortison ergab sich ein ähnliches Bild: 70,5 % gaben ein sehr starkes Interesse,
17,2 % ein starkes Interesse an.
Umgang mit Kortison
Im Umgang mit Kortison entsprachen die Angaben der Patienten weitgehend den Erwartungen
an eine effektive Kortisontherapie.Demzufolge hielten 93 % der Patienten die Aussage
„Kortison nehme ich trotz ärztlicher Verordnung nie” für gar nicht zutreffend. Die
Patienten achteten nach ihren Angaben stark darauf, ihre Kortisonpräparate immer zu
den richtigen Zeitpunkten einzunehmen.
Von 79 % der Patienten wurde die Aussage „Ich setze das Kortison immer vorübergehend
ab, wenn ich gerade Berichte über die Nebenwirkungen gehört habe” als gar nicht zutreffend
zurückgewiesen. Die Patienten hielten die Aussage „Ich nehme Kortison, wie ich will”
zu 93 % für gar nicht zutreffend, scheinen also die Verordnungen des Arztes strikt
zu befolgen. 34 % gaben an, Kortison nur einzunehmen, wenn es ihnen schlecht gehe,
die Mehrzahl (54 %) wies diese Aussage als gar nicht zutreffend zurück.
Statistische Maße der Aussagenbereiche
Die Werte der internen Konsistenz (Cronbach's Alpha) als Determinanten der Messzuverlässigkeit
fallen zum Teil geringer aus als in den Berechnungen von Deuchert & Petermann [[11]]. Die vorliegenden Ergebnisse sprechen bei vier von sieben Subskalen eher dafür,
dass jeweils Einstellungen zu unterschiedlichen Aspekten gemessen wurden (Variable
2, 3, 4 und 6) (Tab. [1]).
Da Kortisonangst die zentrale Variable der Untersuchung war, sollen die diesbezüglichen
Items nach Deuchert & Petermann [[11]] im Folgenden angeführt werden (Tab. [2]).
Die Skalierung der Antworten erfolgte auf einer fünf-stufigen Ratingskala zwischen
(1) „trifft gar nicht zu” und (5) „trifft voll zu”.
Tab. 1Aussagenbereiche/Variablen und innerer Zusammenhang; Alpha-Koeffizient von Cronbach
als Maß der internen Konsistenz der Einstellungsbereiche
Variable |
Items |
Cronbach's Alpha |
Missing Values |
1. psychosoziale Belastungen |
29 |
,8798 |
3,84 % |
2. Einstellung zu Medikamenten |
8 |
,4432 |
2,58 % |
3. Compliance bei Medikamenteneinnahme |
6 |
,2628 |
1,15 % |
4. Kortisonangst |
7 |
,4982 |
7,56 % |
5. Kortison-Compliance |
6 |
,5876 |
5,60 % |
6. soziale Unterstützung |
13 |
,4710 |
4,82 % |
7. Arztbild |
12 |
,5738 |
1,59 % |
Tab. 2Items zur Erfassung von Kortisonangst
- Kortison vergiftet den Körper |
- Kortison sollte am besten nie eingenommen werden |
- Ich bin dankbar, dass es Kortison gibt |
- Kortison bringt den Körper aus dem inneren Gleichgewicht |
- Die Nebenwirkungen des Kortison sind schlimmer als die eigentliche Krankheit |
- Kortison ist ein Teufelszeug |
- Kortison lindert die schlimmsten Krankheitsfolgen |
Häufigkeit von Kortisonangst
Die Auswertung der Fragebogen ergibt, dass nur bei 5/102 (= 4,9 %) der Patienten von
einer ausgesprochenen Kortisonangst gesprochen werden kann. Immerhin 16/102 (= 15,6
%) der befragten Patienten liefern Werte, aus denen auf eine mittlere Ablehnung von
Kortisonpräparaten zu schließen ist.
Somit liefern 21/102 (= 20,5 %) der Patienten Zahlenwerte, aus denen auf eine starke
bis mittlere Ablehnung von Kortisonpräparaten geschlossen werden kann (Abb. [1], Tab. [3]).
-
Kortisonangst steht mit allgemeiner psychischer Belastung im Zusammenhang (r = -.32,
p < .005).
-
Kortisonangst steht mit einer allgemein negativen Einstellung gegenüber Medikamenten
im Zusammenhang (r = -.32, p < .005).
-
Compliance bei der Medikamenteneinnahme steht im Zusammenhang mit einer allgemein
positiven Einstellung Medikamenten gegenüber (r = .29, p < .005) und korreliert negativ
mit Kortisonangst (r = -.51, p < .005).
-
eine niedrige Compliance bei der Einnahme von Kortisonpräparaten steht im Zusammenhang
mit stark ausgeprägter Kortisonangst (r = -.26, p < .005).
-
eine allgemein ablehnende Haltung Medikamenten gegenüber steht mit einer schlechten
Kortison-Compliance im Zusammenhang (r = .39, p < .005).
-
die Compliance bei der Einnahme speziell von Kortisonpräparaten steht im Zusammenhang
mit der Compliance, was Medikamente allgemein betrifft (r = .33, p < .005).
-
Arztbild und Einstellung Medikamenten gegenüber stehen in einem negativen Zusammenhang
(r = -.27, p < .05), ebenso Arztbild und Kortisoncompliance (r = -.20, p < .05). D.
h.: eine positive Einschätzung des Arztes hängt mit einer ablehnenden Haltung gegenüber
Medikamenten allgemein und niedriger Compliance, was Kortisonpräparate betrifft, zusammen.
Abb. 1Kortisonangst: Werte der Patienten (n = 102) auf Fragen bezüglich Ablehnung von Kortisonpräparaten
(geringe Werte = stark ausgeprägte Kortisonangst)
Tab. 3Zusammenhänge zwischen Kortisonangst und anderen Einstellungsbereichen
|
Psych. Belast. |
Kort. Ang. |
Einst. Med. |
Compl. Med. |
Compl. Kort. |
soz. Unterst. |
Kort. Ang. |
- 0,32** |
|
|
|
|
|
Einst. Med. |
0,32** |
- 0,51** |
|
|
|
|
Compl. Med. |
0,21 |
- 0,26** |
0,29** |
|
|
|
Compl. Kort. |
0,17 |
- 0,03 |
0,39** |
0,33** |
|
|
Soz. Unterst. |
- 0,08 |
- 0,06 |
- 0,06 |
- 0,09 |
- 0,10 |
|
Arztbild |
- 0,01 |
0,16 |
- 0,27* |
- 0,15 |
- 0,20* |
0,15 |
Korrelationskoeffizient r nach Spearman **p < .005; *p < .05 Variablen: Psych. Belast.
= Psychosoziale Belastung; Kort. Ang. = Kortisonangst; Einst. Med. = Einstellung gegenüber
Medikamenten allgemein; Compl. Med. = Compliance bez. Medikamenten allgemein; Compl.
Kort. = Compliance bez. Kortison; Soz. Unterst. = Soziale Unterstützung; Arztbild
= positives oder negatives Arztbild. Beachte Itempolung: Kortisonangst: hohe Werte
= niedrige Angst; alle anderen Variablen: hohe Werte = hohe Merkmalausprägung |
Diskussion
Diskussion
Die Patientenangaben bez. ihres Informationsinteresses über Kortison als auch ihrer
Bereitschaft, verordnete Präparate genau nach ärztlicher Vorgabe einzunehmen, legen
eine sehr hohe Compliance nahe und sprechen im Weiteren dafür, dass Kortisonangst
in der stationären pneumologischen Rehabilitation eine eher untergeordnete Rolle spielt.
Die Ergebnisse bestätigen im Wesentlichen die von Deuchert & Petermann, die bei höchstens
7/53 (= 13,2 %) vergleichbaren Patienten Werte fanden, aus denen auf starke bis mittlere
Ängste vor Kortisonpräparaten zu schließen war [[11]]. Nachgewiesen wurde von den Autoren auch interessanterweise, dass diese Ängste
nur in den seltensten Fällen als „irrational” anzusehen, sondern vielmehr auf erlebte
Nebenwirkungen zurückzuführen waren: So zeigten sich die Patienten als „corticophobisch,
wenn sie viele Nebenwirkungen der Medikamente am eigenen Leib beobachten konnten”
[[11]].
Die Ergebnisse sind trotzdem mit Vorsicht zu behandeln, da die Antworten durch Tendenzen
einer positiven Selbstdarstellung oder „Erwünschtheit” wenig Angst, gute Compliance
etc. verfälscht sein könnten. Eine weitere mögliche Erklärung für die geringe Kortisonangst
ist, dass die in der Regel älteren Patienten meist langjährige Erfahrungen mit Atemwegskrankheiten
hinter sich haben und sie sich mit der Notwendigkeit dieser Therapie bereits abgefunden
haben. Der Befund, dass nur bei 3,8 % der Patienten von einer starken und bei 12,2
% von einer mittleren Kortisonangst auszugehen ist, steht im Widerspruch zu Zahlen
aus der Pädiatrie, wonach bei Kindern/Eltern Kortisonangst wesentlich häufiger vorkommen
soll. Leupold (zit. nach [[6]]) kommt in einer Umfrage an 141 Kinderärzten zu dem Ergebnis, dass bei oraler Applikation
in 86,5 % der Fälle eine „Kortikophobie” vorliege und differenziert diese in „oft
auftretend” (16,9 %), „gelegentlich” (22,4 %), „selten” (23,6 %) und „sehr selten”
(17,8 %). Bei inhalativer Anwendung sei diese Angst mit insgesamt 55,6 % geringer
ausgeprägt, und zwar „gelegentlich auftretend” (16,7 %), „selten” (21,1 %) und „sehr
selten” (17,8 %). Unklar bleibt hier die Frage, wie die Kortisonangst definiert, differenziert
und letztlich auch erhoben wurde. Es handelt sich jedoch offenbar um die subjektive
Einschätzung von behandelnden Ärzten, was die Aussagekraft der Daten doch sehr einschränkt.
Anzumerken ist, dass es sich bei den von uns untersuchten Personen, Rehabilitanden
einer Klinik der LVA (Arbeiterrentenversicherung), sicherlich nicht um einen repräsentativen
Querschnitt atemwegskranker Menschen in der Bevölkerung insgesamt handelt.
Bei der geringen Kortisonangst könnte es sich um ein schichtspezifisches Problem handeln.
So besteht die Möglichkeit, dass Personen aus der Bevölkerungsschicht, aus der sich
das Klientel unseres Hauses vorwiegend zusammensetzt, sich weniger mit Informationsquellen,
die zu Kortisonangst führen können, auseinandersetzen und Anordnungen von „Autoritäten”
(Ärzte) weniger hinterfragt befolgen als Personen mit höherem Bildungsniveau und/oder
anderer Schichtzugehörigkeit. Zu den u. U. angstauslösenden Informationsquellen gehören
z. B. Beipackzettel, auf denen die Nebenwirkungen von Kortisonpräparaten aufgeführt
sind oder Darstellungen in den Massenmedien, die häufig ein unsachlich negatives und
undifferenziertes Bild der Nebenwirkungen dieser Präparate zeichnen [[14]]. Das Ausmaß der Kortisonangst zeigte sich allerdings in bisherigen Studien von
soziodemographischen Variablen wie Alter, Geschlecht oder Schulbildung als unabhängig
[[9], [10]].
Die Korrelationen der Einstellungsbereiche untereinander sowie mit der Kortisonangst
liefern zum Großteil Ergebnisse im Sinne der Erwartung. Lediglich der Befund, dass
ein positives Arztbild mit schlechter Compliance zusammenhängt, erscheint nicht plausibel
und steht im Widerspruch zu Vorbefunden: „der beste Prädiktor für den Umgang mit Medikamenten
allgemein ist die Einstellung zu Medikamenten allgemein und das Arztbild. . . der
beste Prädiktor für den Umgang mit Kortisonpräparaten ist das Arztbild. . .” [[11]]. Eine Erklärung dafür kann nicht gegeben werden.
Die Diskrepanz der Ergebnisse bez. Kortisonangst kann als Hinweis interpretiert werden,
dass man durch unterschiedliche Erhebungsmethoden zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen
gelangen mag. Es könnte sein, dass gerade die vollstandardisierte Erhebung mit Fragebogen
(wie bereits oben erwähnt) Antworttendenzen im Sinne einer positiven Selbstdarstellung
oder „Erwünschtheit” fördert.Wir sind allerdings der Ansicht, dass die Aussagekraft
der über objektive Fragebogen erhobenen Daten zur Einschätzung des Ausmaßes von Kortisonängsten
höher einzuschätzen ist als die subjektiven Einschätzungen behandelnder Ärzte. Nach
unseren Ergebnissen ist zumindest bei dem eher älteren Klientel in der pneumologischen
Rehabilitation die Angst vor Kortisonpräparaten geringer als erwartet.
Danksagung
Wir danken der Bad Reichenhaller Forschungsanstalt für Erkrankungen der Atmungsorgane
(Vorstand Prof. Dr. Nolte) für die freundliche Unterstützung.