Einleitung
Das bronchiolo-alveoläre Karzinom als Subtyp des Adenokarzinoms ist ein seltener Tumor,
dessen klinisches und radiologisches Bild äußerst variabel ist. Die Inzidenz beträgt
ca. 0,5 - 2,5/100 000 pro Jahr mit steigender Tendenz [[1 ], [2 ]]. Verglichen mit anderen Typen nicht-kleinzelliger Bronchialkarzinome sind die Patienten
jünger, häufiger Frauen und waren meistens weniger Nikotin-exponiert [[1 ]]. Nach der WHO-Klassifikation wird das bronchiolo-alveoläre Karzinom der Gruppe
der Adenokarzinome zugeordnet [[3 ]]. Es kleidet tapetenartig die Alveolarräume aus, wobei charakteristischerweise das
Gewebe der Alveolarsepten intakt bleibt. Definitionsgemäß werden die großen Atemwege
nicht infiltriert [[1 ]]. In 25 % der Fälle werden multifokale bzw. multizentrische Proliferationen beobachtet
[[1 ]]. Die Ätiologie ist noch unklar. Aufgrund seiner geringen Proliferationsrate ist
die Prognose meist günstiger als die anderer Adenokarzinome der Lunge [[1 ], [4 ]]. Durch das flächenhafte Wachstum können Atmung und respiratorischer Gasaustausch
gestört sein. Allgemein sind die Ursachen einer gestörten Atmung vielfältig, wobei
im wesentlichen vier voneinander unabhängige Pathomechanismen unterschieden werden
[[5 ]]. Neben der Basis-Lungenfunktion stellt die Blutgasanalyse in Ruhe und insbesondere
unter Belastung einen notwendigen Bestandteil der Funktionsdiagnostik dar, da häufig
Art und Ausmaß einer funktionellen Beeinträchtigung erst hierdurch genau erfasst werden
[[5 ], [6 ]].
Fallbericht
Eine 44-jährige Patientin stellte sich mit der Anamnese eines seit vier Wochen bestehenden
morgendlichen Hustens und glasig-schaumigen Auswurf vor, der vereinzelt blutig tingiert
gewesen sei. Ruhe- oder Belastungsdyspnoe, Fieber, Nachtschweiß und Gewichtsabnahme
fehlten. Ein Nikotinabusus sei vor 14 Jahren nach einer kumulativen Dosis von 5 -
10 Packungsjahren beendet worden. Die Patientin nahm keine Medikamente regelmäßig
ein. Vorerkrankungen waren nicht bekannt. Die Patientin war Hausfrau, früher Hotelfachfrau.
Bei der körperlichen Untersuchung ließ sich rechts supraklavikulär ein ungefähr haselnussgroßer,
weicher und gut verschieblicher Lymphknoten palpieren, ansonsten war die körperliche
Untersuchung unauffällig. Der Karnofsky-Index betrug 100 %. Laborchemisch waren die
Tumormarker CEA (523 µg/l) CA 15-3 (191 kIU/l), NSE (17,0 µg/l) und Cyfra21-1 (7,8
ng/ml) erhöht. Im Normbereich lagen β-HCG, CA19-9 und CA125, Calcitonin, Tyroxin bindendes
Globulin, Thyreoglobulin. Das Serumkreatinin lag mit 0,7 mg/dl ebenso im Normbereich
wie das Hämoglobin mit 14,5 g/dl. In der Röntgenaufnahme der Thoraxorgane (Abb. [1 ]) zeigten sich über sämtlichen Lungenfeldern diffus disseminierte grobnoduläre rundliche
Verdichtungen, die glatt begrenzt waren und nicht konfluierten. Inhomogene dystelektatische
Veränderungen stellten sich nicht dar. In der Computertomographie der Thoraxorgane
(Abb. [2 ]) ergaben sich Hinweise auf erheblich vergrößerte Lymphknoten im Mediastinum ipsi-
und kontralateral sowie rechts supraklavikulär.
Bei der Bronchoskopie zeigte sich das Bild einer Tracheobronchitis, die Mukosa des
rechten Ober- und Mittellappens erschien etwas geschwollen, jedoch ohne Hypersekretion.
Ansonsten ergaben sich keine Hinweise auf Malignität. Weder in der Spülzytologie noch
in multiplen Schleimhautbiopsien konnten atypische Zellen nachgewiesen werden. Der
Befund der broncho-alveolären Lavage war unauffällig. Eine transbronchiale Biopsie
erbrachte jedoch den histologischen Nachweis von Fremdgewebe, welches aufgebaut war
aus kubischen bis hochzylindrischen Fremdgewebszellen und tapetenförmig die Alveolarsepten
überkleidete. Immunhistochemisch zeigte der überwiegende Anteil der adenoiden und
sehr pleomorphen Tumorzellen keine Expression von Surfactant-Protein A und B. Insgesamt
ließ sich das Fremdgewebe histogenetisch in die Gruppe der Adenokarzinome unter dem
Bild eines bronchiolo-alveolären Karzinoms einordnen.
In der Computertomographie des knöchernen Schädels wurden vier bis zu 1,2 cm große
rundliche Raumforderungen im rechtsseitigen Ponsbereich, rechts hochfrontal und links
hochparietal ohne signifikante raumfordernde Wirkung oder umgebendes Ödem nachgewiesen.
In der Ganzkörperknochenszintigraphie mit 711 MBq 99m Tc-MDP zeigten sich multiple Mehrbelegungen im Bereich von Brust- und Lendenwirbelsäule
sowie des ersten Sakralwirbels, beider Iliosakralgelenke, des rechten Sitzbeinastes
und verschiedener Rippen. Nativradiologisch stellten sich diese Regionen osteolytisch
dar. In der Sonographie der Schilddrüse wurde ein normal großes, links etwas inhomogenes
Organ dargestellt. Weitere Untersuchungen (Computertomographie des Abdomens, Sonographie
des Abdomens, Mammographie, Gastroskopie, Koloskopie und gynäkologische Untersuchung)
erbrachten keinen Hinweis auf weitere Metastasen bzw. auf einen anderen Primärherd.
Aufgrund der dargestellten Untersuchungsergebnisse wurde die Diagnose eines metastasierten
bronchiolo-alveolären Karzinoms gestellt.
Die Messwerte von Lungenfunktion und Blutgasanalyse sind in den Tab. [1 ] u. [2 ] dargestellt. Es ergaben sich keine Hinweise auf eine obstruktive oder restriktive
Ventilationsstörung, ebenso waren Transferfaktor und inspiratorische Mundverschlussdrücke
unauffällig. Lediglich in der Blutgasanalyse wurde eine grenzwertige Hyperventilation
in Ruhe mit leichtgradig pathologischem Abfall des arteriellen Sauerstoffpartialdrucks
unter Belastung mit 50 W über 6 Minuten nachgewiesen. Nach Korrektur des Sauerstoffpartialdruckes
auf den arteriellen Standard-PaO2 nach Diekmann und Smidt [[7 ]] errechnete sich für den Sauerstoffpartialdruck in Ruhe ein PaO2 -Wert von 72,7 torr und unter Belastung von 66,3 torr. Die korrigierten PaO2 -Werte lagen somit im pathologischen Bereich [[8 ]].
Abb. 1 Im Röntgen-Thorax sind disseminiert grobnoduläre rundliche Verdichtungen sichtbar.
Abb. 2 CT-Thorax: Pulmonal disseminiert metastasiertes bronchiolo-alveoläres Karzinom.
Tab. 1 Lungenfunktionsanalytische Untersuchungsergebnisse.
beobachteter Wert
% des Sollwertes
Rt [hPa/l/s]
2,36
77,2
TLC [l]
5,15
97,2
RV [l]
1,87
107,3
RV%TLC [%]
36,35
107,2
VC [l]
3,32
95
FEV1 [l]
2,96
100,7
FEV1 %VC [%]
89,1
110,3
TL, CO [mmol/min/kPa]
8,6
97,2
P0,1 [kPa]
0,17
84,1
PImax [kPa]
9,59
88,2
P0,1/PImax
0,02
97,3
CL (statistisch) [l/kPa]
2,48
105,5
Rt = Atemgesamtwiderstand, TLC = totale Lungenkapazität, RV = Residualvolumen, VC =
Vitalkapazität, FEV1 = Sekundenkapazität, TL, CO = Kohlenlmonoxid-Transferfaktor, P0,1 = inspiratorischer Mundverschlussdruck, CL = Compliance.
Tab. 2 Blutgasanalysen in Ruhe und nach 6 Minuten Belastung mit 50 Watt, sowie die nach
Diekmann und Smidt [[7 ]] korrigierten Werte
BGA in Ruhe (torr)
standardisiert (torr)
BGA nach Belastung (torr)
standardisiert (torr)
PaO2
81,0
72,7
73,3
66,3
PaCO2
35,0
40,0
35,8
40,0
PH
7,42
7,40
Basenüberschuss
- 0,9
- 1,8
Diskussion
Dieser Fall veranschaulicht eindrucksvoll, wie diskrepant die klinische Symptomatik
und der Ausprägungsgrad eines sogar diffus pulmonal metastasierenden Bronchialkarzinoms
sein können. Ausführliche Darstellungen der Lungenfunktion von Patienten mit einem
bronchiolo-alveolären Karzinom sind in der Literatur nicht beschrieben. Baltsch und
Beier berichten über einen Fall mit einem bronchiolo-alveolären Karzinom, bei dem
eine deutliche Verminderung der Vitalkapazität auf 50 % des Sollwertes festgestellt
wurde. Zusätzlich bestand eine ausgeprägte respiratorische Partialinsuffizienz bei
einem PaO2 von 45,1 mm Hg und einem PaCO2 von 38,9 mm Hg [[9 ]]. Unsere Patientin zeigte eine normale Lungenfunktion. Bei dem von Baltsch und Beier
beschriebenen Fall wurde auf eine nähere Beschreibung von Vorerkrankungen und Ausbreitung
des Tumors verzichtet, so dass ein Vergleich mit unseren Werten nicht möglich ist.
Es handelt sich wahrscheinlich aber um ein deutlich weiter fortgeschrittenes Stadium.
Bei unserer Patientin ergaben sich keine Hinweise auf eine obstruktive oder restriktive
Ventilationsstörung, ebenso nicht auf eine Diffusions- oder Atempumpenstörung. Insbesondere
der normale Transferfaktor spiegelt die große Reservekapazität der Lunge wider. Sergio
et al. beschrieben eine signifikant häufigere Reduktion der Diffusionskapazität von
Patienten mit Bronchialkarzinom im Vergleich zu Patienten mit COPD [[10 ]]. Mit einer Ausnahme hatten alle 70 Patienten eine Diffusionskapazität unter 74
% des Sollwertes. Allerdings betrieben die Tumorpatienten ebenfalls einen Nikotinabusus,
so dass die Reduktion der Diffusionskapazität in erster Linie auf das gleichzeitige
Vorliegen eines Emphysems zurückgeführt wurde. Unsere Patientin gab das inhalative
Zigarettenrauchen vor 14 Jahren auf, insgesamt lag ein vergleichsweise niedriger Tabakkonsum
vor.
Im vorgestellten Fall wurde lediglich in der Blutgasanalyse eine Ruheventilation an
der untersten Grenze zur Hyperventilation mit leichgradig pathologischem Abfall des
arteriellen Sauerstoffpartialdrucks unter Belastung nachgewiesen. Eine bereits latent
vorhandene Gasaustauschstörung wurde somit bei intakter Atempumpe kompensiert bzw.
verschleiert. Die Blutgasanalyse ist damit integraler Bestandteil der Diagnostik bei
der Einschätzung des Ausmaßes und möglicherweise des Verlaufs der pulmonalen Funktionseinschränkung
[[5 ], [6 ], [11 ]]. Ähnlich wie bei Vorliegen von Lungenfibrosen kann gerade auch die Belastungs-Blutgasanalyse
ein Verlaufsparameter zur Abschätzung des pulmonalen Tumorwachstums darstellen. Allerdings
wird sie beeinflusst durch Faktoren wie körperlicher Allgemeinzustand (Karnofsky-Index)
und kardiale Leistungsfähigkeit [[6 ], [11 ]]. Bei Gesunden zeigt sich unter Belastung, dass sich die Blutgasparameter auf altersspezifische
Normalwerte einpendeln, also eine „Standardisierung” des Gasaustausches eintritt [[11 ]]. Hier besteht häufig in Ruhe eine „Luxushyperventilation” [[11 ]]. Bei unserer Patientin lag dagegen eine möglicherweise durch die Tumorerkrankung
bedingte vermehrte Ventilation vor. Dies zeigt sich auch durch den erniedrigten Basenüberschuss
bei noch normalem pH. Der normwertige pH schließt unserer Meinung nach eine emotionale
Genese der Mehrventilation aus. Eine solche latente Gasaustauschstörung wird bei funktionsfähiger
Atempumpe insbesondere durch Anwendung eines auf Normoventilation umgerechneten Standard-PaO2 deutlich [[7 ]]. Die Blutgasuntersuchungen wiesen somit als einzige der durchgeführten broncho-pulmonalen
Funktionsuntersuchungen auf den weit fortgeschrittenen Ausbreitungsgrad des Tumors
hin [[8 ], [12 ]].