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DOI: 10.1055/s-2001-12880
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Effloreszenzen und Blutbildveränderungen bei einem 9 Monate alten Säugling mit Glutarazidurie Typ I
Cutaneous lesions and blood count changes in a 9-month-old girl with glutaric aciduria type I
Dr. med. Eva Landmann
Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin
Justus-Liebig-Universität Gießen,
Feulgenstraße 12,
35392 Gießen
Email: E-mail: Eva.Landmann@paediat.med.uni-giessen.de
Publication History
Publication Date:
31 December 2001 (online)
- Zusammenfassung
- Anamnese
- Untersuchungsbefund
- Labor und technische Untersuchungen
- Therapie und Verlauf
- Diagnose
- Kommentar
- Literatur
Zusammenfassung
Unspezifische Hautauffälligkeiten kommen bei bis zu 50 % der an einer akuten myeloischen Leukämie erkrankten Patienten vor. Bei den myelomonoblastären Formen treten in etwa 30 % der Fälle Hautinfiltrate mit bioptisch nachweisbaren Tumorzellen auf. Diese können dem systemischen Auftreten maligner Blasten vorausgehen. Wir berichten über eine 9 Monate alte Patientin mit Glutarazidurie Typ I, die an einer AML (FAB M5) erkrankte. Zu den initialen Symptomen zählten leukämische Hautinfiltrate, eine Anämie und eine Leukopenie.
Non-specific cutaneous lesions are common in patients suffering from acute myeloid leukemia (AML). Leukemic skin infiltrates are present in about 30 % of cases of monoblastic or myelomonocytic leukemia. The appearance of specific skin lesions can precede bone marrow involvement. We report the case of a 9-month-old girl with acute myelogenous leukemia (FAB M5) and glutaric aciduria type I which initially presented with cutaneous lesions, anemia and leukopenia.
#Anamnese
Bei der 9 Monate alten Patientin wurde im Alter von 4 Monaten eine Glutarazidurie Typ I diagnostiziert. Unter lysinarmer und tryptophanreduzierter Diät sowie L-Carnitin-Substitution waren die Stoffwechseleinstellung und die neurologische Entwicklung des Kindes zufriedenstellend.
Aktuell erfolgte die stationäre Einweisung wegen seit 10 Tagen bestehenden Hustens, intermittierenden Erbrechens und reduzierter Nahrungsaufnahme sowie ausgeprägter Anämie.
#Untersuchungsbefund
Neun Monate alter weiblicher Säugling in leicht reduziertem Allgemeinzustand, Gewicht 7280 g (P 25), Länge 73 cm (P 75), Kopfumfang 46,5 cm (P 90-97). Körpertemperatur 38,1 °C rektal. Die Schädelnähte waren klaffend, die Fontanelle tastete sich weich und im Niveau. Am rechten Unterbauch waren bläuliche derbe Papeln, 0,5 - 1 cm im Durchmesser messend, sichtbar (Abb. [1]). Rachenring leicht gerötet, Atemfrequenz 50/min, grobblasige Rasselgeräusche ubiquitär, Herzfrequenz 160/min, Leber 1 cm unter dem Rippenbogen palpabel, Milz nicht palpabel. Instabilität und deutliche muskuläre Hypotonie des Rumpfes mit dyston-dyskinetischen Bewegungen beim Greifen. Keine Lymphadenopathie.
#Labor und technische Untersuchungen
Blutbild: Leukozyten 4,9 G/l (Granulozyten 0 G/l, Lymphozyten 4,6 G/l, lymph. Reizformen 0,2 G/l, Monozyten 0,05 G/l, Eosinophile 0 G/l), Erythrozyten 2,4 T/l, Hämoglobin 6,4 g/dl, Hämatokrit 18 %, MCV 76 fl, MCH 27 pg, Retikulozyten 1 0/00, Thrombozyten 255 G/l.
Weitere Laborbefunde: CRP 6,8 mg/l, im Normbereich lagen u. a.: Transaminasen, LDH, Ferritin, Transferrin, Laktat, Ammoniak, Pyruvat, Carnitin. Bei Aufnahme Glutar- und Hydroxyglutarsäure im Urin geringfügig erhöht, bei Kontrolle am vierten stationären Tag im Normbereich.
#Therapie und Verlauf
Eine Pneumonie wurde radiologisch ausgeschlossen. Wir führten die bereits ambulant initiierte orale Erythromycintherapie und Mukolyse fort. Zur Vermeidung einer katabolen Stoffwechsellage erhielt das Kind Infusionen mit hohem Glukoseanteil.
Unter dieser Therapie blieb die klinische Symptomatik zunächst unverändert und die Stoffwechseleinstellung stabil. Es persistierte eine ausgeprägte normozytäre, normochrome hyporegeneratorische Anämie (minimaler Hämoglobinwert 5,3 g/dl) und die Leukozytenzahlen waren anhaltend niedrig (4200 - 6500 Leukozyten/μl mit Neutropenie).
Fünf Tage nach Aufnahme kam es zu einer deutlichen Verschlechterung des Allgemeinzustandes mit hochfieberhaften Temperaturen, Lebervergrößerung und Zunahme des Exanthems im Bereich des Bauchs bei unklarem Infektfokus. Laborchemisch fielen ein nur diskret erhöhter CRP-Wert (8,2 mg/l) und ein Anstieg der LDH auf 534 U/l auf. Im Knochenmarkpunktat fanden sich 94 % undifferenzierte Blasten.
#Diagnose
Leukämische Hautinfiltrate bei akuter monoblastärer Leukämie (FAB: M 5; monoklonaler Antikörper 7.1 positiv).
#Kommentar
Hautauffälligkeiten werden bei bis zu 50 % der an einer akuten myeloischen Leukämie erkrankten Patienten beschrieben [1] [2]. Jedoch bei nur 2 - 8 % der AML-Patienten treten Hautinfiltrate mit bioptisch nachweisbaren Tumorzellen auf [2] [3]. In der Untergruppe der monozytären und myelomonozytären Formen sind hingegen bis zu 30 % der Erkrankten betroffen [4] [5].
Meist sind derbe bläuliche Infiltrate ohne bevorzugte Lokalisation zu sehen. Diese können auch generalisiert oder in seltenen Fällen isoliert auftreten. Chlorome treten v.a. bei myeloischen differenzierten Leukämien auf. Sie erscheinen durch die Myeloperoxidase grünlich und finden sich bevorzugt an der Kopfhaut und periorbital (Abb. [2]). Leukämische Infiltrate der Haut können dem Erscheinen von Blasten im Knochenmark oder im peripheren Blutbild um Wochen bis Monate vorausgehen [6] [7].
Differenzialdiagnostisch kommen in erster Linie Hautmetastasen eines Neuroblastoms und kutane Mastozytosen infrage. Mittels histologischer Untersuchungen können diese Erkrankungen von leukämischen Infiltraten abgegrenzt werden. Im Falle leukämischer Infiltrate sind im Hautbiopsat Blasten nachweisbar (Abb. [3]). Das histologische Bild der leukämischen Infiltrate entspricht somit dem Bild bei Knochenmarkbefall (vergleiche Abb. 3 u. [4]).
Eine histologische Untersuchung unklarer Effloreszenzen bei gleichzeitig bestehenden Blutbildveränderungen sollte daher frühzeitig in Erwägung gezogen werden.
Die Erkrankung an einer akuten monoblastären Leukämie bei gleichzeitig bestehender Glutarazidurie Typ I ist nach unserem Kenntnisstand bisher noch nicht beschrieben. Unsere Patientin wurde nach dem AML-BFM-98-Protokoll in modifizierter Form therapiert. Sie befindet sich derzeit in Dauertherapie bei Remission. Unter der durchgeführten Therapie war die Stoffwechseleinstellung weitestgehend zufriedenstellend und es kam zu keiner krisenhaften Verschlechterung des neurologischen Befundes. Die Patientin macht langsame, aber kontinuierliche Entwicklungsfortschritte.


Abb. 1Hautbefund bei Aufnahme: Bläuliche derbe Papeln bei gleichzeitig bestehendem Arzneimittelexanthem.


Abb. 2Periorbitale und die Tränendrüse infiltrierende leukämische Infiltrate bei einem Patienten mit AML (M 5 n. FAB).


Abb. 3Nachweis von Blasten im Hautinfiltrat des in Abb. 2 gezeigten Patienten. Das Knochenmark des Patienten (Abb. 4) zeigt ein vergleichbares Bild.


Abb. 4Knochenmark eines Patienten mit AML. Das histologische Bild entspricht dem Bild des Hautbiopsats.
Literatur
- 01 Desch J K, Smoller B R. The spectrum of cutaneous disease in leukemias. J Cutan Pathol. 1993; 20 407-410
- 02 Molina D N, Sanchez J L, Lugo-Somolinos A. The spectrum of cutaneous lesions in pediatric patients with leukemia. P R Health Sci J. 1994; 13 247-249
- 03 Baer M R, Barcos M, Farrell H, Raza A, Preisler H D. Acute myelogenous leukemia with leukemia cutis. Eighteen cases seen between 1969 and 1986. Cancer. 1989; 63 2192-2200
- 04 Sepp N, Radaszkiewicz T, Meijer C J, Smolle J, Seewann H, Fritsch P, Kerl H. Specific skin manifestations in acute leukemia with monocytic differentiation. A morphologic and immunohistochemical study of 11 cases. Cancer. 1993; 71 124-132
- 05 Su W P. Clinical, histopathologic, and immunohistochemical correlations in leukemia cutis. Semin Dermatol. 1994; 13 223-230
- 06 Chen M J, Huang M L, Hung I J, Kuo T T. Leukemia cutis as the initial manifestation of acute nonlymphocytic leukemia in a young child. Cutis. 1997; 60 263-264
- 07 Monpoux F, Lacour J P, Hatchuel Y, Hofman P, Raynaud S, Sudaka I, Ortonne J P, Mariani R. Congenital leukemia cutis preceding monoblastic leukemia by 3 months. Pediatr Dermatol. 1996; 13 472-476
Dr. med. Eva Landmann
Zentrum für Kinderheilkunde und Jugendmedizin
Justus-Liebig-Universität Gießen,
Feulgenstraße 12,
35392 Gießen
Email: E-mail: Eva.Landmann@paediat.med.uni-giessen.de