Rofo 2001; 173(5): 481-483
DOI: 10.1055/s-2001-13333
DER INTERESSANTE FALL
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Ingestion eines Hühnerknochens
mit sekundärer Aspiration

F. Körber, G. Willig, G. Hüls, G. Alzen
  • Gießen
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

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Die Fremdkörperaspiration oder -ingestion ist ein häufiges Problem in der Pädiatrie und der pädiatrischen Radiologie. Während die Aspiration immer einer Abklärung und Therapie bedarf, verläuft die Ingestion von Fremdkörpern meistens komplikationslos. Die Frage, wann und ob welche Art von Diagnostik und Therapie erforderlich ist, wurde aktuell gerade wieder kontrovers diskutiert (Winkler U et al., Deutsches Ärzteblatt 2000; 97(6): A316).

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Fallbeschreibung

Wir berichten über ein 1¿-jähriges Mädchen, das sich nach Angaben der Eltern beim Essen von Kartoffelbrei mit einzelnen Stücken Hühnerfleisch „verschluckt” habe mit anschließendem Husten und Erbrechen mit einzelnen kleinen Blutbeimengungen. In der Notfallambulanz zeigte das ansonsten klinisch unbeeinträchtigte Kind als Leitsymptom zunächst ein auffallendes Speicheln. Die Inspektion von Mund und Rachenraum sowie die Auskultation der Lungen erbrachten keinen pathologischen Befund.

Die Thorax-Durchleuchtung zeigte seitengleich belüftete Lungen ohne Mediastinalpendeln, somit bestand kein Anhalt für eine Aspiration in den Bronchialbaum. Bei der Durchführung des Ösophagus-Breischlucks war das Kind nach kurzem Zögern in der Lage, das angebotene Kontrastmittel problemlos zu schlucken. Das Kontrastmittel passierte den Ösophagus ungehindert ohne Nachweis einer Aussparung. Entsprechend der problemlosen Kontrastmittelaufnahme war auch die Symptomatik des Speichelns nach der Untersuchung vollständig behoben und das Kind zunächst völlig symptomfrei. In der Ausspielung der vor der Kontrastmittelgabe durchgeführten Leeraufnahme zeigte sich allerdings eine - unter Durchleuchtung auf dem Monitorbild nicht erkennbare - haarfeine, annähernd kalkdichte Linie in Projektion auf den Pharynx, die in allen weiteren Aufnahmen nicht mehr nachweisbar war (Abb. [1]). In der zur näheren Lokalisation nochmals angeschlossenen Durchleuchtung ließ sich der Befund auf dem Monitorbild jedoch wiederum nicht erkennen, weitere Zielaufnahmen reproduzierten den Befund in der strengen a.p.-Projektion wiederum, nicht jedoch in zwei weiteren nur minimal veränderten oder der seitlichen Projektionen (Abb. [2 a] u. b).

Das Kind entwickelte nach einem symptomfreien Intervall von mehreren Stunden einen ausgeprägten inspiratorischen Stridor. Eine konventionelle Zielaufnahme in zwei Ebenen (Abb. [3 a] u. b) bestätigte die Persistenz der haarfeinen Linie in der strengen a.p.-Projektion.

Es wurde eine Laryngoskopie durchgeführt, die den Verdacht auf einen dünnen, flächigen Fremdkörper bestätigte: es fand sich ein hauchdünner, dreieckförmiger, etwa 1 × 1,5 cm messender Hühnerknochen in Höhe der Stimmbänder (Abb. [4]). (Der Hühnerknochen entstammt in erster Linie einem kielförmigen Anteil des Sternums des Huhns.) Dieser konnte mittels Magillzange problemlos entfernt werden. Unter systemischer Kortikoidtherapie kam es zur vollständigen Rückbildung der Klinik und das Kind wurde beschwerdefrei entlassen.

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Diskussion

Die fragliche Aspiration oder Ingestion von Fremdkörpern ist ein gängiges Problem der pädiatrischen und damit auch der pädiatrisch-radiologischen Routine. Über das Vorgehen bei einer Aspiration liegt weitgehend Konsens vor. Die Aspiration der meist nicht röntgenschattengebenden Fremdkörper, z. B. Erdnüsse, erfolgt meist in den rechten Hauptbronchus. Sie führt zu einem Ventilmechanismus, der durch die vermehrte Luftfüllung der betroffenen Seite und das Mediastinalpendeln zur gesunden Seite radiologisch nachgewiesen wird. Die Therapie besteht in der bronchoskopischen Entfernung.

Notwendigkeit, Zeitpunkt und Art von Diagnostik und Therapie bei dem Verdacht auf eine Fremdkörperingestion stehen im Gegensatz dazu jedoch immer wieder zur Diskussion (Winkler U et al, Deutsches Ärzteblatt 2000; 97(6): A316).

Ingestierte Fremdkörper gehen meist komplikationslos via naturalis ab, insbesondere nach erfolgter Passage über den Pylorus. Sie führen nur selten zu ernsthaften klinischen Problemen. Eine Therapie ist erforderlich, wenn sie im Ösophagus stecken bleiben, eventuell auch bei längerem Verbleib im Magen oder einem in Relation zum Kind sehr großen Fremdkörper. Des Weiteren ist die Frage des Materials und daraus resultierender möglicher Komplikationen wie Ulcera oder Verätzungen für das Vorgehen entscheidend. Sehr häufig handelt es sich um röntgendichte Fremdkörper (Münzen, Nägel, Knopfbatterien), die durchleuchtungsunterstützt mittels Magnetsonde oder Ballonkatheter extrahiert werden können. Alternativ bzw. bei fehlendem Erfolg der genannten Methoden erfolgt die endoskopische Entfernung. Die genannten Verfahren sind etabliert jedoch immer wieder in ihrer Wertigkeit diskutiert (AlQudah A et al, Europ J Cardio Thorac Surg 1998; 13(5): 494; Conners GP, Ped Emerg Care 1997; 13(2): 154; Harned RK et al, Am J Roentgenol 1997; 168(2): 443; Kim JK et al, Endoscopy 1999; 31(4): 302; Morrow SE et al, J Ped Surg 1998; 33(2): 266) und hängen nicht zuletzt auch von den lokalen Bedingungen der Verfügbarkeit sowie der eventuellen Notwendigkeit einer Sedierung oder Narkose ab. Der radiologische Nachweis nicht röntgendichter FK ist nur bei Lokalisation im Oesophagus anhand einer Kontrastmittelaussparung im Breischluck möglich und kann je nach Größe und Form (insbesondere bei Kleinkindern) schwierig sein.

Über einzelne Fälle mit schwerwiegenden Komplikationen wurde berichtet, z. B. über die Perforation einer Walnuss (Litzlbaur HD et al, Eurp Radiol 1999; 9(5): 1009) oder eines Hühnerknochens (Simic MA et al, Am J Forens Med Path 1998; 19(2): 166), eine Fistelbildung zur A. subclavia bei Ingestion einer Fischgräte (Leow CK, Surg Today Japan J Surg, 1998: 28(4): 409) oder eine ösophago-aortale Perforation (Dahiya M et al., Am J Forens Med Pathol 1999; 20(2): 184; Sugawara Y et al., Surg Today Japan J Surg 1998; 28(8): 843). Eine Studie an 327 Patienten (Singh B et al., Ann Otol Rhinol Larnygol 1997; 106(4): 301) hat gezeigt, dass insbesondere spitze, nicht röntgenologisch darstellbare Fremdkörper, z. B. Fischgräten, und deren Lokalisation im Pharynx bei Patienten über 10 Jahren als gefährlich anzusehen sind.

Bei dem vorliegenden Fall handelt es sich in zweierlei Hinsicht um eine seltene Konstellation. Erstens muss der Fremdkörper direkt zu Beginn der Untersuchung seine Position so verändert haben, dass er durch die Ausrichtung in sagittaler Ebene den Schluckakt nicht mehr behindert hat. Das Symptom der Ingestion, das Speicheln, sistierte somit. Es kam zu einem symptomfreien Intervall, nach dem erst die einsetzende Schleimhautschwellung in Höhe der Stimmbänder zu dem Symptom der Aspiration, dem Stridor führte. Zweitens war die Diagnose radiologisch erschwert durch die ungewöhnliche Form des hauchdünnen Knochens, der lediglich in einer Projektion darstellbar, dort aber reproduzierbar war. Die unzureichende Qualität des Durchleuchtungsmonitorbildes weist auf die Notwendigkeit einer entsprechenden Zielaufnahme hin. Die besondere Gefährdung, die sich durch spitze Fremdkörper im Larynx, Pharynx oder oberen Ösphagus ergibt, erfordert eine besondere Sorgfalt in der Diagnostik.

Zusammenfassend spielt grundsätzlich die Klinik die führende Rolle für die weiteren radiologischen und endoskopischen Maßnahmen, wobei einer möglichen Ingestion oder Aspiration eines nicht-röntgendichten, spitzen Fremdkörpers bei Kindern besondere Aufmerksamkeit zu schenken ist und gegebenenfalls eine frühzeitige Endoskopie erfolgen sollte. Jeder radiologisch nachgewiesene Befund ist bei entsprechender Anamnese ohne Klinik zumindest kontrollbedürftig. Jede klinische Symptomatik aber erfordert selbst bei fehlendem radiologischen Befund eine weitere Abklärung.

F. Körber, G. Willig, G. Hüls, G. Alzen,Gießen

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Abb. 1Digitale Aufnahme a. p. mit Darstellung des haarfeinen Fremdkörpers.

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Abb. 2(a) Digitale Aufnahme gedreht. (b) Digitale Aufnahme gedreht.

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Abb. 3(a) Konventionelle Zielaufnahme a. p. (b) Konventionelle Zielaufnahme seitlich.

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Abb. 4Mittels Magillzange entfernter Hühnerknochen.

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Abb. 1Digitale Aufnahme a. p. mit Darstellung des haarfeinen Fremdkörpers.

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Abb. 2(a) Digitale Aufnahme gedreht. (b) Digitale Aufnahme gedreht.

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Abb. 3(a) Konventionelle Zielaufnahme a. p. (b) Konventionelle Zielaufnahme seitlich.

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Abb. 4Mittels Magillzange entfernter Hühnerknochen.