Hintergrund
Hintergrund
Als Brittle-Asthma wird eine Untergruppe der Asthmaerkrankungen bezeichnet, die mit
starken, kurzzeitigen Schwankungen der bronchialen Obstruktion oder rasch einsetzenden
Anfällen aus stabilen Phasen heraus einhergeht [1 ]
[2 ]
[3 ]. Es ist eine kleine Gruppe von Patienten, die aber insbesondere den Pneumologen
als letzte Instanz vor große therapeutische Schwierigkeiten stellt. Patienten mit
Brittle-Asthma sind eine heterogene Gruppe. Sie sprechen oft auf ganz unterschiedliche
Therapien an, so z. B. auf die Dauerinfusion von Theophyllin [4 ], oder der subkutanen Infusion von Terbutalin [5 ]. Manche dieser Patienten reagieren schlecht auf hohe systemische Glukokortikoiddosen,
weswegen sie auch zur Gruppe des steroidresistenten Asthmas gerechnet werden [6 ]
[7 ]. Immer wieder diskutierte psychiatrische Ursachen des Brittle-Asthmas können im
Einzelfall relevant sein; meist ist es aber die Schwere der Erkrankung, die dann zu
psychischen Auffälligkeiten führt [8 ].
Bevor ein Brittle-Asthma diagnostiziert wird, müssen selbstverständlich alle üblichen
diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Mitunter werden
hier Nahrungsmittelallergien [9 ] und gastroösophagealer Reflux [2 ]
[10 ] als seltenere Ursachen vergessen.
Inhalative Glukokortikoide gehören zur Standardtherapie des Asthma bronchiale. Besonders
beim Brittle-Asthma werden sie üblicherweise im Hochdosisbereich, d. h. über 1 mg
pro die, verabreicht. Dabei kommen Pulversysteme oder treibgasgetriebene Dosieraerosole
zur Anwendung. Bisher enthielten diese Systeme immer mikronisierte Steroidpartikel,
entweder trocken als Pulver oder in chlorhaltigen Treibgasen (FCKW). Durch den Malprozess
bei der Mikronisierung kann ein mittlerer aerodynamischer Massendurchmesser des Teilchenspektrums
von ca. 4 μm nicht unterschritten werden [11 ]. Seit kurzem gibt es auch auf dem deutschen Markt das inhalative Glukokortikoid
Beclometason-dipropionat (BDP) in löslicher Form als Dosier-Aerosol (Ventolair®, 3M).
Die Lösung des Wirkstoffes wird erreicht unter Verwendung des umweltfreundlichen chlorfreien
Treibgases HFKW-134a sowie durch den Zusatz von ca. 12 Volumenprozent Äthanol. Die
BDP-Partikel entstehen erst durch Verdampfen des Treibgases bzw. des Alkoholanteils.
Sie erreichen nach der Freisetzung innerhalb von Millisekunden eine Größe von ca.
1,1 μm [12 ]
[13 ]. Zusätzliche oberflächenaktive Substanzen wie z. B. Sorbitantrioleat oder Lecithin,
die bisher erforderlich waren, um die mikronisierten Partikel im Treibgas in der Schwebe
zu halten, entfallen damit. Durch die deutlich kleineren Steroidpartikel wird ein
wesentlich periphereres Verteilungsmuster im Bronchialbaum erreicht [14 ]
[15 ]. Bei Gesunden wird allerdings ein relativ großer Anteil dieser Aerosolpartikel in
den Alveolen deponiert. Bei Patienten mit bronchialer Obstruktion kommt es jedoch
zu einer bevorzugten Deposition im Bereich der peripheren Bronchien [14 ]. Es besteht damit die Möglichkeit einer neuen therapeutischen Einflussnahme in diesen
Bereich, denn die bisherigen Partikel von ca. 4 μm waren zu groß, um in den kleinen
Bronchien und Bronchiolen zu deponieren.
Dosisäquivalenzstudien des neu formulierten BDP mit den kleineren Partikeln im Vergleich
zu den klassischen Dosier-Aerosolen mit ca. 4 μm zeigen eine um ca. 2 - 3fach stärkere
Wirkung des BDP bei Asthmatikern [16 ]
[17 ]
[18 ]. Dies hängt sicher entscheidend mit der höheren Effizienz der intrabronchialen Deposition
zusammen, die durch die neue Formulierung etwa 3 - 4fach höher ist, als die der klassischen,
mit FCKW-getriebenen Dosieraerosole [12 ]
[13 ]. Ob die peripherere Deposition - bei gleicher intrabronchialer Gesamtdosis - mit
einem veränderten klinischen Wirkungsprofil der Steroide einhergeht, bleibt bisher
offen.
Kasuistiken
Kasuistiken
Zwei Patienten mit Brittle-Asthma, die in unserer Klinik seit vielen Jahren betreut
werden, wurden relativ früh auf das neue HFKW-134a-Dosier-Aerosol mit BDP eingestellt
(zunächst noch mit dem nur in GB erhältlichen QVAR®). Beide Patienten berichteten
bei ambulanten Kontrollen über eine Besserung ihrer obstruktiven Phasen. Bei regelmäßigen
Kontrollen ließ sich das gut an den von beiden Patienten sorgfältig ausgefüllten Peak-flow-Protokollen
demonstrieren. Um zu sehen, ob dieser Effekt durch die kleineren Partikel verursacht
wurde, haben beide Patienten einer prospektiven, sequentiellen Fallstudie zugestimmt.
Sie sollten nach einer run-in-Phase mit unveränderter Therapie mit Ventolair®-Autohaler
über 4 Wochen die kleinen BDP-Partikel durch die größeren aus den FCKW-Dosieraerosolen
(Aerobec®-Autohaler) in 2,5facher Dosis (wegen der schlechteren intrabronchialen Deposition)
für 4 Wochen ersetzen, um dann nach weiteren 4 Wochen wieder auf die neue Formulierung
mit 1,1 μm-Partikeln zurückzugehen. Der Verlauf der täglichen Obstruktion sollte anhand
des Peak-flow-Protokolls demonstriert werden.
Fall 1
Fall 1
Patient W. S., geb. 1941, hat 1998 nach einem schweren bronchitischen Infekt aus völliger
Gesundheit heraus ein Asthma vom intrinsic Typ entwickelt. Es war sofort schwergradig
und schlecht einstellbar. Gegen eine mögliche allergologische Genese sprach die Anamnese,
der negative Hauttest, RAST-Test sowie die fehlende Besserung nach allergenarmer Kost
über 2 Wochen. Ein gastroösophagealer Reflux wurde mittels pH-Metrie sowie vorübergehend
hochdosierter Gabe von Omeprazol ausgeschlossen. Der Patient sprach auch sehr inkonstant
auf die Inhalation von β2 -Mimetika aus Dosier-Aerosolen an. Der Verlauf besserte sich erst, als er auf Pulversysteme
(Sultanol, Rotadisk bzw. später Formoterol) umstellte. Orale Steroide waren nur in
hochdosierter Form (über 50 mg pro die) wirksam, wobei die Spontanschwankungen der
bronchialen Obstrukion jedoch kaum besser wurden. Er nahm die oralen Steroide nur
im Rahmen von Infekten. Nachdem der Patient an einer stationären Asthmaschulung nach
einem validierten Konzept [19 ] bei uns teilgenommen hatte, führte er regelmäßig ein Peak-flow-Protokoll.
Eine typische Lungenfunktion im Tagesverlauf des Patienten ist in Abb. [1 ] dargestellt. Innerhalb von ca. 3 Stunden zeigt seine Ganzkörperplethysmographie
starke Schwankungen seiner Obstruktion, wobei jeweils ein Ansprechen auf die β2 -Mimetika-Inhalation (Formoterol-Kapseln) sichtbar war.
An Medikation hatte der Patient während der gesamten Untersuchung nur Ventolair®-Autohaler
neben seinen Foradil®-Kapseln inhaliert (Abb. [1 ]). Von Oktober bis Dezember 1999 hatte er für einen Monat die Inhalation von Ventolair-Autohaler
100 μg (2 × 2 Hub) auf Aerobec 250 μg (2 × 2 Hub) umgestellt. Nach 4 Wochen ging er
wieder auf die alte Dosierung von Ventolair® zurück.
Das sorgfältig ausgefüllte Peak-flow-Protokoll (Abb. [2 ]) mit den Morgen- und Abendwerten (vor und nach Inhalation) zeigt den typischen wechselnden
Verlauf eines Brittle-Asthmatikers. Während der run-in-Phase erkrankte der Patient
an einem vermutlich viral induzierten bronchitischen Infekt, der ohne weitere Maßnahmen
ausheilte. Vergleicht man die Einzelwerte der Aerobec®-Periode mit der Ventolair®-Periode
(ohne run-in-Phase), so zeigt sich ein hochsignifikanter Unterschied (p < 0,001) für
die Morgen- und Abendwerte sowie vor und nach β2 -Mimetika Inhalation (Wilcoxon-Test für Paardifferenzen). Unter Ventolair® war im
Mittel die Obstruktion geringer bzw. der Peak-flow-Wert höher.
Abb. 1 Ganzkörperplethysmographie mit Fluss-Volumenkurve des Patienten W. S. am gleichen
Tag (16.3.1998) zu verschiedenen Tageszeiten.
Abb. 2 Peak-flow-Verlauf über ca. 3 × 4 Wochen des Patienten W. S. mit unterschiedlicher
Glukokortikoidinhalation: Etwa gleiche intrabronchiale Dosis von BDP aber unterschiedliche
Partikelgröße von 1,1 μm bzw. 4 μm. Peak-flow morgens und abends; vor und nach Inhalation
einer Kapsel Formoterol.
Fall 2
Fall 2
Patient R. H., geb. 1951, war bis 1993 starker Raucher (insgesamt ca. 50 packyears).
Damals lag aber keine Einschränkung der Lungenfunktion vor. Nach einem bronchitischen
mucopurulenten Infekt entwickelte er ein schweres intrinsic-Asthma. Die allergologische
Diagnostik bezüglich der Genese war wie in Fall 1 negativ. Es wurde die gleiche Diagnostik
- einschließlich der Suche nach Nahrungsmittelallergenen - durchgeführt. Der Patient
benötigte sofort eine maximale antiobstruktive Therapie. Während der letzten 7 Jahre
war er zweimal auf unserer Intensivstation im Rahmen von schweren Asthmaanfällen intubiert
und beatmet worden.
Ein typisches Tagesprofil mit zwei Lungenfunktionen ergab starke Schwankungen (Abb.
[3 ]). Die Bronchospasmolyse erfolgte hier durch Inhalation von 4 Hub Berodual®. Die
antiobstruktive Therapie bei dem Patienten war über die Jahre immer sehr umfangreich,
einschließlich Methotrexat 20 mg pro Woche. Sie ist in Abb. [3 ] dargestellt.
Im Gegensatz zum vorigen Fall hatte der Patient seinen Peak-flow nur morgens und abends
jeweils vor der Inhalation mit dem Bronchospasmolytikum gemessen (Abb. [4 ]). Während der run-in-Phase hatte er wegen einer Reise seine Medikation und den Peak-flow
nur unvollständig aufgezeichnet, so dass die komplett aufgezeichnete run-in-Periode
nur ca. 2,5 Wochen umfasste. Betrachtet man die Peak-flow-Verläufe während der Studie
(ohne run-in-Phase), so zeigt sich hier ebenfalls ein signifikanter Unterschied (p
< 0,005), der jedoch nicht so deutlich war wie bei dem ersten Fall. Während schwerer
Asthmaattacken hatte sich der Patient insgesamt 4× ¿ Amp. Bricanyl® s. c. verabreicht
und Adrenalin inhaliert (Zeitpunkt s. Abb. [4 ]).
Abb. 3 Ganzkörperplethysmographie mit Fluss-Volumenkurve des Patienten R. H. am gleichen
Tag (22.7.1999) zu verschiedenen Tageszeiten.
Abb. 4 Peak-flow-Verlauf über ca. 2,5 Wochen des Patienten R. H. mit unterschiedlicher Glucokortikoidinhalation:
Etwa gleiche intrabronchiale Dosis von BDP aber unterschiedliche Partikelgröße von
1,1 μm bzw. 4 μm. Peak-flow morgens und abends vor Inhalation von Sultanol.
Diskussion
Diskussion
Die zwei Patienten mit Brittle-Asthma zeigen eine signifikante Verschlechterung ihres
Peak-flow-Verlaufs nach Umstellen der Inhalationstherapie mit BDP von einer Partikelgröße
von 1,1 μm auf ca. 4 μm, bei etwa gleicher intrabronchialer Dosis. Aus der Literatur
ist bekannt, dass bei der Inhalation der kleineren BDP-Partikel aus dem neuen HFKW-Lösungsaerosol
die Lungendeposition etwa 3 - 4× höher ist als bei den klassischen FCKW-Dosieraerosolen
[12 ]
[13 ]. Klinische Studien zeigen korrespondierend eine etwa um das 2 - 3× stärkere antientzündliche
Wirkung (sichtbar im FEV1 bzw. Peak-flow-Verlauf bei Asthmatikern) durch die kleineren Partikel bei Inhalation
der gleichen Dosis gemessen am Mundstück [20 ]
[17 ]
[18 ]. Aufgrund dieser vorliegenden Untersuchungen wurde die Dosis am Mundstück dieser
Untersuchung für die 4 μm-Partikel um den Faktor 2,5 erhöht. Man kann deswegen in
etwa von der gleichen intrabronchialen Dosierung von BDP im Zeitverlauf ausgehen.
Trotz der etwa gleichen intrabronchialen Dosierung zeigt sich ein signifikanter Unterschied
in der Wirkung zugunsten der kleineren Partikel. Dies hängt möglicherweise mit der
unterschiedlichen regionalen Deposition zusammen, denn die kleineren Partikel deponieren
wesentlich peripherer.
Bekannt ist, dass gerade Partikel um 1 μm der turbulenten Diffusion folgen [14 ]. Hierbei kommt es durch kleine Wirbelbildungen in regionalen Engstellen im Bronchialsystem
zur vermehrten Deposition, obwohl sonst die 1 μm-Partikel üblicherweise nur durch
Diffusion (gering auch durch Sedimentation) abgeschieden werden. Bei Gesunden oder
Asthmatikern mit geringer bzw. im Moment fehlender Obstruktion deponieren viele der
1-μm-Partikel in den Alveolen und werden dort nach Resorption in den systemischen
Kreislauf verteilt. Diese turbulente Diffusion erhöht aber die Dosis von BDP an diesen
lokalen Engstellen. Neuere Untersuchungen belegen, dass die Hauptaktivität der Entzündungsreaktion
beim Asthma mehr in der Lungenperipherie liegt als zuvor angenommen [20 ]
[21 ]
[22 ]. Es ist daher durchaus möglich, dass die unterschiedliche regionale Deposition für
die verbesserte Wirkung in den hier vorgestellten Fällen verantwortlich ist.
Naturgemäß sind Falldarstellungen (auch unter Berücksichtigung des Zeitverlaufes mit
prospektiver Umstellung der Therapie) methodisch immer problematisch, da zahlreiche
Einflussfaktoren eine Rolle spielen können. Immerhin war bei diesen Patienten die
übrige Therapie während des Zeitverlaufs nicht wesentlich geändert, so dass dieser
Fehler ausscheidet. Allerdings sind Untersuchungen im größeren Umfange erforderlich,
um zu sehen, ob der hier beobachtete Effekt nachweisbar bleibt.
Zusammenfassend scheint die Inhalation von kleineren Steroidpartikeln mit einem Durchmesser
von ca. 1 μm beim Brittle-Asthma von Vorteil zu sein.