Suchttherapie 2001; 2(2): 90
DOI: 10.1055/s-2001-14373
Kasuistik
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Das Beziehungsangebot als tragendes Element in der Behandlung einer früh traumatisierten, drogenabhängigen Jugendlichen

Offering Relations as a Basic Element in the Treatment of an Early Traumatized Drug-addicted Young PersonChristoph Möller1 , Edelhard Thoms2
  • Kinderkrankenhaus auf der Bult
  • , Park Krankenhaus Leipzig, Chefarzt Kinder- und Jugendpsychiatrie
Further Information

Dr. med. Christoph Möller

Kinderkrankenhaus auf der Bult

Janusz-Korczak-Allee 12

30173 Hannover

Publication History

Publication Date:
31 December 2001 (online)

Table of Contents #

Problemstellung

Die Schnittstellenproblematik der herkömmlichen Drogenhilfe ist mit einer hohen Rückfallquote belastet. Früh traumatisierte Jugendliche erleben hier wiederholte Beziehungsbrüche, wie sie dies aus ihrer Lebensgeschichte kennen. Auf der Therapiestation TEEN SPIRIT ISLAND haben wir ein Konzept entwickelt mit maximaler Beziehungskonstanz von der Aufnahmephase (Entzug und Motivation) über die Behandlung der zugrunde liegenden seelischen Störung bis zur Jugendhilfe mit integrierter Nachsorge [1].

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Kasuistik

J wuchs in einer Atmosphäre physischer und psychischer Gewalt auf. Beide Eltern waren Alkoholiker. Im Alter von fünf Jahren verstarb die Mutter. Sie wollte trotz einer lebensbedrohlichen Erkrankung die Familie nicht verlassen, da sie Angst hatte, der Vater bringe die Kinder um. Nach dem Tod der Mutter wurden die Kinder auf verschiedene Jugendhilfeeinrichtungen verteilt. J zog mit ihrem Vater zu dessen Eltern. Hier habe sie bei der Großmutter eine unbeschwerte Zeit verlebt. Nach zwei Jahren verstarb die Großmutter. J zog mit ihrem Vater zu dessen Schwester, ihrem Lebensgefährten und ihren drei Kindern. In der neuen Umgebung musste J mit acht Jahren den Haushalt führen, auf ihre jüngeren Kusinen aufpassen und wurde vom Lebensgefährten der Tante geschlagen. Nach vier Jahren gründete der Vater erneut eine Familie. Hier wiederholte sich für J, was sie bei ihrer Tante erlebt hatte.

J berichtet, von frühester Kindheit an von ihrem Vater sexuell missbraucht worden zu sein. Im Alter von acht Jahren kam ein weiterer mehrjähriger Missbrauch durch einen jungen Mann hinzu, der im Kontakt mit dem Vater stand. Mit zwölf Jahren zog J auf eigenen Wunsch zu ihrer Halbschwester. Hier erlebte sie erstmals Zuwendung und Akzeptanz. Mit elf Jahren begann J, neben Nikotin und Alkohol Cannabis zu konsumieren. Bald folgten Ecstasy und LSD, bis sie mit 15 Jahren Heroin nahm. J versuchte, ihre Schmerzen und traumatischen Erlebnisse mit Drogen zu betäuben und zerstörte so das haltende Angebot der Schwester.

Ein erster Therapieversuch mit 17 Jahren scheiterte. Danach kam sie zu TEEN SPIRIT ISLAND. Nach 12 Monaten Aufarbeitung der Lebensgeschichte und ausreichender Stabilisierung wurde die Patientin in eine Jugendhilfeeinrichtung entlassen. Eine ambulante Nachbetreuung findet durch die gleichen Therapeuten statt.

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Diskussion

Bei J liegt eine frühe Bindungs- und Beziehungsstörung vor. Wiederholte Beziehungsbrüche und die Unberechenbarkeit ihrer oft alkoholisierten Eltern haben sie nie eine tragfähige, stabile Beziehung erfahren lassen. J erlebte sich wiederholt als ungeliebtes, ausgestoßenes Kind. Die Drogen setzte sie im Sinne einer Selbstmedikation zur Linderung seelischer Schmerzen und innerer Spannungen ein. Von den Mitarbeitern und Therapeuten der Station wurde sie als Mensch mit ihrer Lebensgeschichte angenommen. Dies erlebte J als Bedrohung, mit Ängsten besetzt. Sie reagierte mit wiederholtem Weglaufen, konnte den Beziehungsfaden jedoch jedes Mal schneller wieder aufgreifen und weitergestalten, so dass eine Aufarbeitung der Lebensgeschichte auf einer tragfähigen therapeutischen Beziehung möglich wurde. Bei früh traumatisierten Patienten wie J kann die therapeutische Beziehung als wesentliches Element im Genesungsprozess angesehen werden. Gegenüber dem ersten Therapieversuch hatten wir aufgrund der fehlenden Schnittstellen die Möglichkeit, die Beziehung vom Entzug über die Therapie zu halten. Der Übergang von stationärer Therapie zur Jugendhilfe war stark angstbesetzt. Durch die Fortführung der haltenden und stützenden therapeutischen Beziehung wurde J der Schritt in die Verselbständigung ermöglicht.

Als Antwort auf die Reflexion der traditionellen Drogenhilfe haben wir ein Konzept entwickelt mit maximaler Beziehungskonstanz von der Aufnahmephase (Entzug und Motivationsarbeit) über die Behandlung der zugrunde liegenden Störung und Aufarbeiten der Lebensgeschichte bis zur Jugendhilfe und integrierter Nachsorge. Gerade früh traumatisierte Jugendliche bedürfen dieser Anbindung an ein beständiges, konstantes Beziehungsangebot.

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Literatur

  • 1 Thoms E. Therapiestation für drogenabhängige Kinder und Jugendliche TEEN SPIRIT ISLAND.  SuchtReport. 1999;  6 39-43

Dr. med. Christoph Möller

Kinderkrankenhaus auf der Bult

Janusz-Korczak-Allee 12

30173 Hannover

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Literatur

  • 1 Thoms E. Therapiestation für drogenabhängige Kinder und Jugendliche TEEN SPIRIT ISLAND.  SuchtReport. 1999;  6 39-43

Dr. med. Christoph Möller

Kinderkrankenhaus auf der Bult

Janusz-Korczak-Allee 12

30173 Hannover