Einleitung
Einleitung
Schlafbezogene Atmungsstörungen betreffen ca. 8 % der Bevölkerung im erwerbstätigen Alter (Weißbuch Schlafmedizin). Im Alter von 20 Jahren schnarchen weniger als 10 % der Bevölkerung, ab dem 65. Lebensjahr etwa 40 - 50 %. Mindestens 2 % der weiblichen und 4 % der männlichen Bevölkerung zwischen 30 und 60 Jahren leiden an Schlafapnoesyndromen.
Um die zur adäquaten Diagnostik und Therapie erforderlichen Leistungen zu präzisieren, haben sich Experten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie sowie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin in mehreren Sitzungen auf diese Leitlinie im S1-Niveau nach den Vorgaben der Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) geeinigt. Die Leitlinie richtet sich an alle, die mit der Versorgung von Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen befasst sind, also an niedergelassene und in der Klinik tätige Allgemeinärzte und Fachärzte, Ärzte im öffentlichen Gesundheitswesen, aber auch Krankenkassen, Selbsthilfegruppen und Patienten. Die Leitlinie ist im Konsens mit den Empfehlungen, die von der American Academy of Sleep Medicine und der International Classification of Sleep Disorders formuliert wurden [1 ].
Definition, Klassifikation und Epidemiologie schlafbezogener Atmungsstörungen
Definition, Klassifikation und Epidemiologie schlafbezogener Atmungsstörungen
mit pharyngealer Obstruktion
primäres Schnarchen: Laute Atmungsgeräusche, die im Bereich des Pharynx entstehen; keine Insomnie oder Hypersomnie (Tagesschläfrigkeit). Epidemiologie: mit 20 Jahren ca. 10 % der Bevölkerung, > 60. Lebensjahr etwa 50 % [2 ]. (Leitlinien bereits durch die Deutsche Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie veröffentlicht [3 ]).
Obstruktives Schlafapnoe-Hypopnoe-Syndrom (OSAHS): pro Stunde Schlaf mindestens 5 Ereignisse pharyngealer Obstruktionen mit Hypopnoen (Abnahme der Atmungsamplitude/-frequenz mit nachfolgendem Abfall der Sauerstoffsättigung um mindestens 3 % oder einem nachfolgendem Arousal [4 ]) oder Apnoen (mindestens 10 Sekunden dauerndes vollständiges Sistieren der Atmung); Hypersomnie oder (selten) Insomnie [5 ]. Epidemiologie: mindestens 1 % der Bevölkerung, Verhältnis Frauen/Männer: ca. 1 : 2 [6 ].
ohne pharyngeale Obstruktion
(zur Epidemiologie liegen genaue Häufigkeitszahlen nicht vor)
Schlaf-Hypoventilations-Syndrome: Durch primäre Störungen der Atmungsregulation oder sekundär infolge von Erkrankungen der Lunge, des Thorax oder der Atmungsmuskulatur werden lange nächtliche Desaturationen, die nicht durch Apnoen oder Hypopnoen erklärt sind oder nächtliche pa CO2 -Anstiege > 10 mm Hg verglichen mit den Werten wach im Liegen beobachtet; zusätzlich mindestens eines der folgenden Zeichen: Cor pulmonale, pulmonale Hypertonie, Hypersomnie, Polyglobulie, Hyperkapnie im Wachzustand.
zentrales Schlafapnoe-Hypopnoesyndrom: pro Stunde Schlaf mindestens 5 zentrale Apnoen (Apnoedefinition s. o.) oder Hypopnoen (s. o.), ggf. im Sinne der Cheyne-Stokes-Atmung; gehäuft Arousals; Insomnie oder (selten) Hypersomnie.
Symptome
Symptome
Die o. g. respiratorischen Ereignisse können Arousals auslösen, die den Schlaf fragmentieren. Dadurch verliert dieser seine regenerierende Funktion: Hypersomnie oder gelegentlich auch Insomnie treten als Leitsymptome auf. Dies führt zu Leistungsminderung, Tagesschläfrigkeit und Unfällen. Die Leitsymptome haben einen zentralen Stellenwert zur Diagnostik und auch zur symptomorientierten Schweregradbeurteilung und müssen exakt gemessen und beschrieben werden (Tab. [1 ]). Eine Schweregradeinteilung alleinig basierend auf der Zahl der respiratorischen Ereignisse ist aufgrund der hohen Nacht-zu-Nacht-Variabilität meist nicht sinnvoll. Bei > 40 respiratorischen Ereignissen (Apnoen, Hypopnoen, obstruktionsbedingten Arousals) pro Stunde Schlaf liegt aber in der Regel ein schwergradiger Befund vor.
Tab. 1 Schweregradeinteilung von Hypersomnie bzw. Insomnie
leicht mittelschwer schwer
Hypersomnie Schläfrigkeit nur in Situationengeringer Aufmerksamkeit(z. B. Fernsehen, Beifahrerim Auto) oder bei Entspannung Schläfrigkeit täglich in Situationen mittelgradiger Aufmerksamkeit(z. B. Autofahren, Konzert) Schläfrigkeit täglich in Situationen mittelgradiger und höherer Aufmerksamkeit (z. B. Essen, Unterhaltung)
Schlaflatenzim MSLT 10 - 15 Minuten 5 - 10 Minuten < 5 Minuten
Insomnie nach nahezu jeder Nacht unausgeschlafen nach eigentlich normaler Zeit im Bett; manchmal tagsüberUnruhe; ggf. etwas Angst nach jeder Nacht unausgeschlafen nach eigentlich normaler Zeit imBett; oft tagsüber Unruhe, ggf.etwas Angst in jeder Nacht subjektiv kein Schlaf nach eigentlich normaler Zeit im Bett; mit Unruhe, Erschöpfungsgefühl und ggf. Angst tagsüber
Differenzialdiagnostik der Insomnie/Hypersomnie
Differenzialdiagnostik der Insomnie/Hypersomnie
s. Abb. [1 ]
Abb. 1 Begleiterkrankungen und ggf. Differenzialdiagnosen der Insomnie/Hypersomnie.
Diagnostik
Diagnostik
(entsprechend dem Stufenschema nach NUB)
Stufe 1
Anamnese des Schlaf-/Wachverhaltens, Differenzialanamnese der Dyssomnien. ( = Erkrankungen, die zu Schlafstörungen führen). Standardisierte Fragebogen sind hilfreich. Körperliche Untersuchung.
Stufe 2
Klinische Untersuchung, insbesondere im Hinblick auf Stoffwechselerkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Ventilationsstörungen, neurologische und psychiatrische Erkrankungen. Bei Verdacht auf die o. g. Erkrankungen sind zur Risikoabschätzung ergänzende apparative und laborchemische Untersuchungen sinnvoll (je nach Indikation Blutgase, Lungenfunktion, Atemmuskelfunktion, EKG, Langzeit-EKG, Langzeit-Blutdruck, Ergometrie u. ä., Routinelabor, basaler TSH-Wert, HNO-ärztliche Untersuchung, Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgische Untersuchung bei Verdacht auf kraniofaziale Dysmorphie, Bestimmungen von Parametern und funktionelle Analyse im hormonellen System).
Stufe 3
Ist die Dyssomnie nicht zweifelsfrei durch o. g. Untersuchungen der Stufe 1 und 2 zu klären, sollte ein ambulantes nächtliches Monitoring zu Hause erfolgen. Bei Tagesschläfrigkeit und eindeutiger Anamnese für schlafbezogene Atmungsstörungen können polysomnographische Messungen zum Nachweis oder Ausschluss einer SBAS auch ohne vorherige Stufe 3 erfolgen.
Stufe 4
Zur Differenzialdiagnose von Dyssomnien, insbesondere zur Abgrenzung von primärem Schnarchen und behandlungsbedürftigen periodischen nächtlichen Beinbewegungen, sind polysomnographische Messungen indiziert, ebenso zur Differenzierung von anderen Formen von Schlaf-Wach-Störungen (z. B. PLMS, RLS, Narkolepsie),
Bei Begutachtungen und/oder bestehender Eigen- oder Fremdgefährdung sind Vigilanztestungen zur Quantifizierung der Hypersomnie/Insomnie mittels standardisierter Fragebogen, in der Regel auch durch Messungen der Hypersomnie mittels des Multiple Sleep Latency Tests (MSLT) oder Maintenance of Wakefulness Tests (MWT), Reaktionszeittests, Fahrsimulationstests u. ä. notwendig.
Therapie
Therapie
Ziel: komplette Beseitigung der schlafbezogenen Atmungsstörung; entweder der pharyngealen Obstruktion oder der zentralen Hypoventilation/zentralen Apnoen, mit vollständiger Normalisierung aller hierdurch ausgelösten Symptome und Folgeerkrankungen nach Ermittlung des individuellen Risikoprofils.
Obstruktive schlafbezogene Atmungsstörungen
Lebensführung (ggf. Gewichtsreduktion, Meiden von Alkohol/Schlafmitteln)
bei primärem Schnarchen ggf. operative Erweiterungen des Pharynx
obstruktives Schlafapnoe-Hypopnoe-Syndrom:CPAP/BiPAP-Therapie
bei leichtgradigen Formen mit nur geringer klinischer Symptomatik können Unterkieferprotrusionsschienen versucht werden. Langfristige Studien zur Wirksamkeit und zu Nebenwirkungen stehen aber noch aus
kieferchirurgische Verfahren (Mandibulo-Maxillo-Osteotomie)
Zentrale schlafbezogene Atmungsstörungen, Schlaf-Hypoventilations-Syndrom
Therapie der Grunderkrankung
Langzeitsauerstofftherapie.
kontrollierte Beatmung mit Volumen- oder Druckvorgabe, CPAP-Therapie
in Einzelfällen medikamentöse Verfahren, nach Prüfung mit Auslassversuch
Für obstruktive schlafbezogene Atmungsstörungen wurde nachgewiesen, dass durch zusätzliche Schulungsmaßnahmen das Gesundheitsverhalten aufgrund der Kenntnis der Ursachen positiv beeinflusst wird. Bei intensivierter Diagnostik (stationäre Polysomnographie) und intensivierter Therapieeinleitung (mehrere Polysomnographien zu Drucktitration, Schulung des Patienten und ggf. der Angehörigen) ist die Nutzung der Beatmungstherapie besser als ohne diese Maßnahmen [7 ].
Nachuntersuchungen
Nachuntersuchungen
Nach operativer oder apparativer (Unterkieferprotrusionsschienen, Beatmungsverfahren) Therapie soll der Erfolg innerhalb von 3 Monaten überprüft werden, mittels Polysomnographie. Weitere Nachuntersuchungen können ambulant erfolgen, in mindestens jährlichen Abständen. Aus Gründen der Qualitätssicherung sollen die Daten standardisiert erhoben (4-Kanal-Screening, Nebenwirkungsfragebogen, Lebensqualitätsfragebogen, Schläfrigkeitsskala, Nutzungszeit, Beatmungsdruck) und an das die Therapie einleitende Labor übermittelt werden (keine „Einbahnstraße” der Datenübermittlung). Bei nachlassendem Therapieerfolg (erneut Dyssomnie), schweren Therapieproblemen oder erheblichen Gewichtsänderungen sind polysomnographische Kontrollen notwendig.
Qualitätssicherung
Qualitätssicherung
Durch standardisierte Kontrolle der Struktur- und Prozessqualität, z. B. in einem Peer-Review-Verfahren mit zufällig ausgewählten Krankheitsfällen, muss sichergestellt werden, dass Diagnostik und Therapie fachgerecht durchgeführt werden. Patienten-Outcomes (Symptomfreiheit, Zufriedenheit etc.) sollen zur Sicherung der Qualität erhoben und dokumentiert werden.
Was geht ambulant?
Was geht stationär?
Was geht stationär?
Stufe 4 der Diagnostik
Therapieeinleitung
Was ist obsolet?
Was ist obsolet?
Die Behandlung hypersomnischer Patienten ohne ausreichende differenzialdiagnostische Klärung der Ursachen der Hypersomnie und ohne Dokumentation der Hypersomnie bzw. des diesbezüglich erreichten Therapieerfolges.
Jeder chirurgische Eingriff ohne ausreichende kardiorespiratorische polysomnographische Diagnostik bzw. ohne Ermittlung des Risikoprofils.
Jede Einleitung einer nasalen Ventilationstherapie ohne ausreichende vorangegangene Diagnostik und ohne Dokumentation des Therapieerfolgs oder ohne Langzeitbetreuung.
Die Anwendung aller nicht zuverlässigen Therapieverfahren bei erkennbarer Gesundheitsgefährdung durch OSAHS.
Die vorliegende Leitlinie wurde erarbeitet von der Wissenschaftlichen Sektion „Nächtliche Atmungs- und Kreislaufstörungen” der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP) unter Mitarbeit der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), und einstimmig verabschiedet von den Vorständen der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (DGP).
Wissenschaftliche Sektion „Nächtliche Atmungs- und Kreislaufstörungen” der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie
Dr. med. Holger Hein, Großhansdorf (Sprecher) Priv. Doz. med. Friedhart Raschke, Norderney (Stellvertretender Sprecher)
Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie
Prof. Dr. Werner Seeger, Gießen Prof. Dr. Helgo Magnussen, Großhansdorf Prof. Dr. Adrian Gillissen, Bonn Prof. Dr. Dennis Nowak, München Prof. Dr. C. Vogelmeier, Marburg Dr. Andreas Hellmann, Augsburg
Erstellungsdatum: 9. April 2001
Überprüfung geplant: Frühjahr 2003