Einleitung
Einleitung
Anthracycline sind effektive Chemotherapeutika gegen unterschiedlichste, insbesondere solide Tumoren und Hämoblastosen. Der Wirkmechanismus der Anthrazyklin-basierenden Chemotherapien (aCT) besteht in der Interskalierung des DNS-Stranges und der Hemmung der Topoisomerase.
An Nebenwirkungen sind die Toxizität auf rasch proliferierende Gewebe, klinisch insbesondere als Mukositis und Myelonsuppression imponierend, und eine dosisabhängige Kardiotoxizität im Vordergrund stehend.
3 Arten der aCT-bedingten Kardiomyopathie sind zu unterscheiden: eine akute, eine chronische und eine zeitverzögert auftretende („late-onset”) Kardiomyopathie.
Die Pathogenese ist multifaktoriell, wobei als Hauptfaktor Anthrazyklin-bedingt reaktive, freie Radikale gebildet werden, die in den Mitochondrien und den Myozytenmembranen zu oxidativer Belastung („Stress”) führen.
Die akute aCT-bedingte Kardiomyopathie tritt in den ersten Tagen nach Therapiebeginn auf, führt zu einer Abnahme der Myokardkontraktilität und zu Sinustachykardien. Die chronische oder subakute aCT-bedingte Kardiomyopathie tritt im Intervall ca. 4 - 8 Wochen nach Therapieeinleitung auf und manifestiert sich klinisch als plötzliche und progrediente Verschlechterung der linksventrikulären Ejektionsfraktion (LVEF) und dadurch bedingt als akute Herzinsuffizienz. Die späte aCT-bedingte Kardiomyopathie tritt nach einer oft mehrmonatigen unauffälligen Latenzphase auf und führt durch progressiv verlaufende ventrikuläre Dysfunktion und Arrhythmien zu Herzinsuffizienz und Linksherzversagen.
Klinisch gleichen die Symptome der aCT-bedingten Kardiomyopathie denen einer Kardiomyopathie anderer Genese.
Als Haupt-Risikofaktoren gelten die kumulative Anthracyclin-Dosis, vorangegangene thorakale Radiatio unter Einschluss des Herzens und aCT während der Kindheit [4 ]
[23 ].
Kardioprotektive Strategien wie Dosisreduktion und Kombinationstherapien sind nicht gesichert, ebenso ist der begleitende Einsatz von Antioxidanzien nicht evidence-based-medicine gesichert.
Dem Monitoring der Myokardfunktion während aCT kommt somit eine besondere Bedeutung zu. Goldstandard ist die Myokardszintigraphie [13 ]
[16 ]
[17 ], gefolgt - in den letzten Jahren - von der Echokardiographie. Nachteil ist die Strahlenbelastung und die - bisher - fehlende Beurteilbarkeit der kardialen Funktion unter Belastung.
Die Stressechokardiographie (SE) ist eine erhebliche Bereicherung der nicht-invasiven Untersuchungsmethoden der Herzfunktion [1 ]
[9 ]. Sie wird zur Beurteilung der linksventrikulären Funktion (LVEF) in Ruhe und unter Belastung angewandt und gilt als standardisiertes und etabliertes Verfahren hinsichtlich kardiologischer Fragestellungen. Die SE-Untersuchung kann dynamisch z. B. während ergometrischer Belastung oder pharmakologisch erfolgen. Die körperliche Belastung oder die medikamentös verursachte Zunahme der Herzfrequenz und des Blutdruckes bedingen eine Zunahme des Sauerstoffbedarfs. Bei Vorliegen einer Kardiomyopathie kommt es unter Stimulation zu einem verminderten Sauerstoffangebot in den betroffenen Regionen. Folge davon sind typische regionale Änderungen der Myokardkinetik. Es kommt zu einer verminderten Wanddickenzunahme während der Systole.
Echokardiographisch können die hämodynamischen Effekte vorgenannter Veränderungen als Abfall der LVEF oder regionale Wandbewegungsstörungen dargestellt werden.
Ziel der Arbeit war es, die Durchführbarkeit der SE als Überwachungsmethode bei Patienten mit aCT zu überprüfen. Des Weiteren stellt sich die Frage, ob es unter den angewandeten „low-dose”-Anthracyclin-Dosen zu kardialen Funktionsstörungen kommt, die mittels Ruhe-Echokardiographie nicht erkannt werden können.
Patienten und Methode
Patienten und Methode
Zwischen 01/00 und 06/00 wurden alle Patienten der Thoraxklinik Heidelberg, die bei malignen Thoraxtumoren mit einer aCT als first-line-Therapie behandelt werden sollten, echokardiographisch untersucht. Bei qualitativ ausreichender Anlotbarkeit und Einwilligung des Patienten wurde eine Stressechokardiographie vor Beginn der aCT und nach Abschluss der Chemotherapie durchgeführt.
Stressechokardiographie
Die SE wurde als pharmakologische SE (Echokardiographiegerät: Hewlett-Packard, ECHO-COM) appliziert. Es wurde ein parasternaler Längsschnitt sowie ein apikaler 2-Kammer-Blick durchgeführt. Als Pharmakon benutzten wir Dobutamin. Die Startdosis betrug 5 µg/kg/KG, in 3-Minuten-Schritten erfolgte eine Dosissteigerung (5 µg/kg/KG-Erhöhung), bis die Zielfrequenz (Herzfrequenz = 200-Alter/Minute) erreicht wurde. Die Herzfunktion wurde aus dem enddiastolischen und dem endsystolischen Umfang im 2-Kammer-Blick errechnet (Abb. [1 ]).
Entsprechend der Empfehlungen der Amerikanischen Gesellschaft für Echokardiographie (ASE) wurde der linke Ventrikel in ein 16-Segment-Model eingeteilt (Abb. [2 ]). Unter Belastung wurde eine systolische Zunahme der Wandstärke der Einzelsegmente als normal, eine verminderte Wanddickenzunahme als Hypokinesie und eine fehlende Wanddickenzunahme als Dyskinesie klassifiziert. Hypo- oder Dyskinesie wurden als pathologisch gewertet. Es erfolgte eine Einzelsegmentanalyse im Ruhezustand und bei Ausbelastungsfreqenz (Wall-motion-Score).
Die echokardiographische Messung erfolgte in Ruhe sowie beim Erreichen der Ausbelastungsfrequenz. Alle Untersuchungsabschnitte wurden digital dokumentiert, die Auswertung erfolgte computerunterstützt.
Während der Untersuchung wurden online Herzfrequenz, Sauerstoff-Sättigung und nicht-invasiv der Blutdruck überwacht. Der Abbruch der Untersuchung erfolgte beim Erreichen der Ausbelastungsfrequenz oder beim Erreichen eines Standardkriteriums für Belastungsuntersuchungen.
Abb. 1 Enddiastolisches und endsystolisches Umfahren des Ventrikelinnenraumes zur Ermittlung der linksventrikulären Ejektionfraktion.
Abb. 2 16-Segment-Modell der ASE zur Beurteilung der regionalen Wandbewegung.
Chemotherapie
Patienten mit kleinzelligem Bronchialkarzinom wurden mit dem CDE-Schema behandelt (Cyclophosphamid, Doxorubicine und Etoposide). Dies erfolgte sowohl in einem Standardprotokoll (Tag 1 Cyclophosphamid 1000 mg/m2 Körperoberfläche [KÖ], Doxorubicine 45 mg/m2 KÖ und Tag 1 - 3 Etoposid 100 mg/m2 KÖ), als auch in einem intensivierten EORTC-Protokoll (Tag 1 Cyclophosphamid 1250 mg/m2 KÖ, Doxorubicine 55 mg/m2 KÖ und Tag 1 - 3 Etoposid 125 mg/m2 KÖ). Lymphompatienten wurden nach dem CHOP-Schema (Cyclophosphamid 750 mg/m2 KÖ, Doxorubicine 50 mg/m2 KÖ, Vincristin 2 mg) behandelt.
Statistik
Nach der deskriptiven Auswertung erfolgte nach Vortestung (Test auf Normalverteilung und Varianzhomogenität; 10 %-Niveau) eine interferenzstatistische Auswertung (5 %-Niveau) mittels parametrischem t-Test für verbundene Stichproben und mittels Pearsonschem Produkt-Moment-Korrelations-Koeffizient.
Es kam ein handelsübliches Statistikpaket (SPSS, V. 7.5) zum Einsatz.
Ergebnisse
Ergebnisse
Im Beobachtungszeitraum wurde bei 30 Patienten (11 Frauen, 19 Männer), mittleres Alter 54,2 Jahre (Range [R] 28 - 71 J.) mit malignem Thoraxtumor eine aCT durchgeführt. Alle Patienten waren anamnestisch kardial unauffällig, echokardiographisch ausreichend gut anlotbar und hatten zum Zeitpunkt der Kontroll-Echokardiographie mindestens 4 Zyklen aCT erhalten. Bei 4 weiteren Patienten bestand keine ausreichende Schallbarkeit. Bei allen Patienten mit ausreichendem Schallfenster konnte die SE technisch problemlos durchgeführt werden. Die Eingangsuntersuchung erfolgte im Mittel 1,4 Tage vor Tag 1 des ersten Zyklus aCT, die Verlaufsuntersuchung 9,6 Tage nach Ende des letzten Zyklus.
27 Patienten litten an einem kleinzelligen Bronchialkarzinom (13 Pat. extensive diseases, 14 Pat. limited diseases), 3 Patienten waren an einem mediastinalen B-Zell-Lymphom erkrankt. Der mittlere Karnofsky-Index betrug vor aCT 85 % (R 70 - 100 %).
Alle Patienten wurden mit dem Anthracyclin Doxorubicin behandelt. Alle Patienten zeigten nach 4 Zyklen aCT eine Remission, in 13 Fällen (43 %) konnte eine komplette Remission dokumentiert werden.
Die mittlere Anthracyclin-Dosis betrug 408 mg (R 308 - 628 mg), die mittlere Anzahl an applizierten aCT-Zyklen 4,7 (R 4 - 6).
Die LVEF betrug in Ruhe vor aCT 59 % (SD ± 3,9 %) und bei Erreichen der Zielfrequenz bei Ausbelastung 71 % (SD ± 2,9 %). Nach Abschluss von mindestens 4 Zyklen aCT betrug die LVEF in Ruhe 57 % (SD ± 3,6 %) und bei Ausbelastung 69 % (SD ± 2,7 %).
Bei keinem Patienten bestanden in der Ruheechokardiographie vor und nach aCT Zeichen einer diastolischen Dysfunktion (Mitralklappeneinstromprofil).
Hinsichtlich des interferenzstatistischen Frage, ob sich in der vorliegenden Stichprobe die LVEF unter aCT zu den 4 Messzeitpunkten (Ruhe und Belastung vor und nach aCT) verändert, ergab sich kein signifikantes Ergebnis (Abb. [3 ]).
Auch in der Analyse der unterschiedlichen Wandsegmente wurde keine Änderung in der Wandbewegung beobachtet. Es kam zu keiner Ausbildung einer Hypo- oder Akinesie. Keiner unserer Patienten entwickelte eine Anthracyclin-induzierte Wandbewegungsstörung.
Alle Stressechokardiographien im Studienverlauf konnten ohne Auftreten von untersuchungsbedingten oder untersuchungsfremden Komplikationen durchgeführt werden. Arrhythmien oder andere schwer wiegende kardiale Nebenwirkungen sind nicht aufgetreten.
Abb. 3 Verhalten der LVEF in Ruhe und Belastung vor und nach Anthrazyklinhaltiger Chemotherapie (LVEF = linksventrikuläre Ejektionfraktion, aCT = Anthrazyklinhaltige Chemotherapie).
Diskussion
Diskussion
Anthracyclin-induzierte Kardiotoxizität ist eine bekannte Nebenwirkung, die für alle Anthracycline charakteristische histopathologische Änderungen hervorruft [3 ]
[6 ]
[8 ]. Hauptrisikofaktor ist die verabreichte kumulative Gesamtdosis, wobei - trotz erheblicher interindividueller Schwankungsbreite - von einer Schwellendosis auszugehen ist [4 ]
[5 ]
[32 ]. Die Pathogenese ist multifaktoriell [25 ]. Die Bildung von freien Radikale wird pathogenetisch als Hauptfaktor [6 ] angesehen. Die klinischen Symptome sind denen einer kongestiven Kardiomypopathie [20 ]
[27 ] ähnlich. Das Auftreten kardialer Nebenwirkung unter aCT beim einzelnen Patienten schwankt erheblich, eine Methode zur verlässlichen Vorhersage ist bisher nicht gefunden [4 ]
[29 ].
Eine Überwachung der kardialen Funktion unter aCT ist Standard [11 ]
[12 ]
[28 ]. Die Radionuklidventrikulographie (RNV) ist eine häufig angewandte Methode [13 ]
[16 ]
[17 ]
[22 ].
Die Echokardiographie in Ruhe wurde bisher als nicht besonders sensitiv und spezifisch angesehen [2 ]
[9 ]
[26 ]. Ihr Hauptnachteil ist, dass sie nur eine Beurteilung der kardialen Ruhe-Funktion erlaubt und so frühe Wandbewegungsstörungen, die sich nur unter Belastung demaskieren, nicht erkannt werden. Durch Standardisierung der SE steht hier nun ein Verfahren zur Verfügung, welches auch die Beurteilung des Herzens unter Belastungsbedingungen erlaubt [1 ]
[10 ]
[14 ]
[15 ]
[ 18 ]. SE wurde erstmals von Rost u. Mitarb. 1972 durchgeführt [24 ]. Über die Jahre wurde die Technik wesentlich weiterentwickelt [10 ]
[18 ]
[21 ].
Leischick u. Mitarb. [16 ] verglich die Wertigkeit der SE im Vergleich zur RNV. Bei 63 Patienten zeigte sich, das die SE eine gute Alternative zu RNV in der Einschätzung der ventrikulären Funktion bei den Patienten mit aCT ist. Sie ist kostengünstiger als die RNV, entbehrt einer Strahlenbelastung und bietet zusätzliche Informationen über die Herzgröße und segmentale Kontraktionsstörungen. Eine Verlaufsbeobachtung unter aCT war nicht erfolgt [16 ].
Entsprechend der Ergebnisse unserer Studie ist die SE eine problemlos durchführbare Methode für Beurteilung der LVEF in Ruhe und unter Belastung bei vorhandenem Schallfenster. Alle Patienten konnten unabhängig vom körperlichen Status auch im Verlauf untersucht werden. Die pharmakologische Gestaltung der Untersuchung verursachte keine Komplikationen.
Weesner u. Mitarb. [33 ] sowie Fukazawa u. Mitarb. [7 ] zeigten ebenfalls die Anwendbarkeit bei Tumorpatienten. Beide Studien wurden bei Jugendlichen durchgeführt und beide Studien benutzten nur die lineare Echokardiographie (M-Mode) zur Beurteilung der LVEF. Weesner u. Mitarb. [33 ] verglichen 10 Patienten. Sie fanden eine geringere Zunahme der LVEF bei Patienten unter aCT. Fukazawa u. Mitarb. [7 ] untersuchten 13 Kinder mit akuter Leukämie und in der Kontrollgruppe 10 gesunde Kinder. Die Gruppe mit mehr als 480 mg Doxorubicin wies eine erheblich verminderte LVEF im Vergleich zur Patientengruppe ohne Chemotherapie auf.
In unserer Studie entwickelte kein Patient eine Kardiomyopathie oder regionale Wandbewegungsstörungen unter der angewandten Dosierung. Auch kam es zu keiner Änderung des diastolischen Funktionsparameter Mitralklappeneinstromprofil in Ruhe im Verlauf. Die Gesamtdosen lagen jedoch zum größten Teil unter einer kritischen kumulativen Dosis. Komplikationen wurden während keiner Untersuchung gesehen. Auch bei reduziertem körperlichen Befinden konnten alle Patienten mittels pharmakologischer SE bis zum Erreichen der Ausbelastungsfrequenz untersucht werden. Somit war die Methode bei allen Patienten anwendbar.
Unter den angewendeten Anthrazyklindosen, die im Mittel unter der kritischen Schwelldosen lagen, konnten mit SE keine frühen kardialen Funktionsstörungen erkannt werden können.
Wir betrachten die SE als risikoarme und kostengünstige Methode zur Überwachung der kardialen Funktion unter aCT. Sie kann bei allen Patienten mit ausreichendem Schallfenster angewandt werden. Insbesondere bei zusätzlichen Risikofaktoren wie hohe kumulative Dosis, vorangegangene thorakale Bestrahlung und jugendlichen Alter können im Vergleich zur Ruhe-Echokardiographie zusätzliche Informationen über einzelne Segmente und die Größe der Herzhöhle gewonnen werden.