Einleitung
Einleitung
Der Erfolg der spezifischen Immuntherapie mit Allergenen (SIT, Hyposensibilisierung, „Impfung” mit Allergenen) ist in den letzten Jahren vermehrt durch kontrollierte Studien dokumentiert worden [2]
[3]. Die immunologischen Wirkmechanismen werden zunehmend besser verstanden [4]. Derzeit gilt die SIT neben der Allergenkarenz als einzige Behandlungsform, die den natürlichen Verlauf allergischer Krankheiten beeinflussen und bei Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis die Entwicklung eines Asthma bronchiale wahrscheinlich verhindern kann [7]. Das vorliegende Positionspapier beruht auf dem aktuellen Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse und enthält praktische Hinweise zur erfolgreichen und sicheren Anwendung der SIT. Dabei werden internationale (WHO) [7], europäische (EAACI) [22] und die vom Ärzteverband Deutscher Allergologen (ÄDA) erarbeiteten Empfehlungen [33] berücksichtigt.
Immunologische Wirkmechanismen
Immunologische Wirkmechanismen
Die Hauptzielzellen der SIT sind die T-Lymphozyten, die bei der Entstehung und Unterhaltung IgE-vermittelter allergischer Reaktionen vom Soforttyp bzw. atopischen Erkrankungen wie der allergischen Rhinokonjunktivitis und dem allergischen Asthma bronchiale eine Schlüsselrolle spielen: Insbesondere Th2-Zellen fördern durch ihre Interleukin (IL-)4-Produktion die IgE-Bildung und durch ihre IL-5-Produktion die durch eosinophile Granulozyten geprägte allergische Entzündung der betroffenen Gewebe. Die SIT hemmt die Funktion der Th2-Zellen durch vermehrte Ausschüttung des immuninhibitorischen Zytokins IL-10 bzw. durch Induktion einer gegenregulatorischen Th1-Immunantwort (die Interferon-γ-Produktion der Th1-Zellen hemmt die IgE-Bildung und die Entwicklung von Th2-Zellen) [4]. Zusätzlich wird die Beteiligung von Effektorzellen wie eosinophilen und basophilen Granulozyten an der allergischen Entzündung gebremst. Die SIT greift daher kausal im Sinne einer Immunmodulation an den frühen und grundlegenden pathophysiologischen Mechanismen der o. g. allergischen Erkrankungen an.
Die Wirkung der SIT ist komplex und induziert zahlreiche immunologische Veränderungen. Für den Erfolg ist vermutlich eine funktionelle Umorientierung und eine Toleranzentwicklung antigenspezifischer T-Lymphozyten mit verminderter allergischer Reaktionsbereitschaft und Entzündung verantwortlich.
Allergenextrakte und Applikationsformen
Allergenextrakte und Applikationsformen
Da die Hersteller von Allergenextrakten unterschiedliche Standardisierungsmethoden verwenden, ist die Qualität der Extrakte derzeit nicht exakt vergleichbar. Internationale Richtlinien für die Standardisierung und Produktion von Allergenextrakten (z. B. Gesamtallergenaktivität, biologische Aktivität von Einzelallergenkomponenten und Majorallergengehalt) sollten bei der Herstellung berücksichtigt werden [1]
[7]
[14]. Extrakte mit nativen Allergenen differieren von chemisch modifizierten Extrakten (Allergoide) mit verringerter Bindungsfähigkeit für IgE-Antikörper. Durch Adsorption der Proteine (z. B. an Aluminiumhydroxid, Calciumphosphat, Tyrosin) entsteht eine Depotwirkung. Zur SIT werden sowohl Therapeutika mit fester, vom Hersteller vorgegebener Zusammensetzung als Fertigarzneimittel (Einzelallergene oder Allergenkombinationen) als auch patientenspezifische Präparate nach ärztlicher Rezeptur eingesetzt, die auf das individuelle Sensibilisierungsmuster des Patienten abgestimmt werden (DGAI-Vorstandsbeschluss vom 25. 7. 2000).
Wirksamkeit in klinischen Studien
Wirksamkeit in klinischen Studien
Allergische Rhinokonjunktivitis und allergisches Asthma bronchiale
Die Wirksamkeit der subkutanen SIT ist bei allergischer Rhinokonjunktivitis gut; sie hängt vom betreffenden Allergen, der klinischen Symptomatik, der Eignung des Patienten und vom verwendeten Präparat ab. Zur Beurteilung stehen randomisierte, placebokontrollierte (Ausnahme bei Kindern), doppelblind durchgeführte Studien zur Verfügung. Bei einer positiven Beurteilung beträgt die Minderung der Symptomatik bzw. Medikation mindestens 30 % in der behandelten Gruppe gegenüber der Kontrollgruppe [22]. Derartige Studien zeigten bei Gräser-/Roggenallergie [13]
[29]
[36] und Ragweedallergie [16] eine sehr hohe Wirksamkeit. Auch bei anderen Pollenallergenen von z. B. Birke, Erle und Hasel [20], Beifuß [28] und Parietaria [12]
[34] wurde mit der SIT eine gute Wirksamkeit erzielt.
Unter den ganzjährigen allergischen Atemwegserkrankungen ist ein therapeutischer Effekt der SIT bei Beschwerden durch Hausstaubmilben [5]
[30] und Tierepithelien (Katze, Hund [11]) gut belegt, während die SIT bei Schimmelpilzallergien nur selten placebokontrolliert untersucht worden ist [19]. Nasale Symptome lassen sich durch eine SIT häufig besser reduzieren als konjunktivale Symptome oder ein orales Allergiesyndrom bei pollenassoziierter Nahrungsmittelallergie.
Bei allergischem Asthma bronchiale hat die SIT einen positiven Einfluss auf bronchiale Symptome und/oder den Bedarf an anti-asthmatischer Medikation [6]
[8] sowie auf die unspezifische bronchiale Hyperreagibilität [2]
[3]. Dies gilt jedoch nur, wenn nicht bereits irreversible Sekundärveränderungen an den Atemwegen vorliegen [22].
Insektengiftallergien
Die SIT ist bei Hymenopterengiftallergien [32] eine hocheffektive Behandlung [15]
[24]
[26] und zeigt von allen Allergenen die beste Wirksamkeit, bei Wespengift- besser als bei Bienengiftallergie [25]
[26]. Systemische Nebenwirkungen wurden häufiger bei Bienen- als bei Wespengift-SIT beobachtet [9]
[37].
Die SIT ist bei allergischer Rhinokonjunktivitis und allergischem Asthma bronchiale für einige klinisch relevante Allergene kontrolliert untersucht und mit gutem Erfolg angwandt worden. Sie gilt derzeit als einzige kausale Therapie neben der Allergenkarenz und kann den natürlichen Verlauf der Allergie beeinflussen. Bei Hymenopterengift-Allergien zeigt die SIT die beste Wirksamkeit im Vergleich zur Therapie mit allen anderen Allergenen.
Indikation und Kontraindikation
Indikation und Kontraindikation
Zur Behandlung allergischer Erkrankungen stehen Allergenkarenz, Pharmakotherapie, SIT und Patientenschulung zur Verfügung. Die SIT wird gemeinsam mit anderen Behandlungsmöglichkeiten eingesetzt, um weitestgehende Symptomfreiheit des Patienten zu erzielen. Indiziert ist sie bei Patienten mit nachgewiesener, klinisch relevanter Sensibilisierung gegenüber Soforttyp-Allergenen, deren Exposition bzw. Provokation klinische Beschwerden verursacht (Tab. [1]). Die Indikation für die Therapie und die Auswahl der relevanten Allergene werden von einem Arzt mit einer allergologischen Ausbildung oder spezieller Erfahrung im Bereich der Allergologie vorgenommen. Anhand der Symptome und ihres Schweregrades wird das individuelle Risiko der allergischen Erkrankung und der vorhandenen Therapieoptionen abgeschätzt. Dabei werden Aufwand, Kosten und Akzeptanz sämtlicher Therapiemöglichkeiten und die Compliance des Patienten berücksichtigt.
Tab. 1 Indikationen zur SIT mit Allergenen
- Nachweis einer IgE-vermittelten Sensibilisierung (mit Hauttest oder In-vitro-Diagnostik) und eindeutiger Zusammenhang mit klinischer Symptomatik (ggfs. Provokationstestung) |
- Verfügbarkeit von standardisierten bzw. qualitativ hochwertigen Allergenextrakten |
- Wirksamkeitsnachweis der geplanten SIT für die jeweilige Indikation |
- Allergenkarenz nicht oder schwer möglich |
Die Indikation kann auch nach Allergenen aufgeschlüsselt werden. Für die SIT mit Hymenopterengift [27] und Pollenallergenen gelten uneingeschränkt die in Tab. [1] genannten Kriterien. Bei nachgewiesener Milbenallergie steht die SIT zur Verfügung, sofern Maßnahmen zur Milbenkarenz nicht ausreichend sind. Allergenkarenz stellt die Behandlung der Wahl bei Tierepithelallergien dar. Ist sie in Ausnahmefällen nicht ausreichend möglich, kommt eine SIT mit Tierepithelallergenen in Frage. Bei einer Schimmelpilzallergie ist Vermeidung, wo immer möglich, die Therapie der Wahl. In den seltenen Fällen einer individuell nachgewiesenen klinischen Relevanz kann bei verfügbaren, gut charakterisierten Extrakten eine Therapie mit Schimmelpilzallergenen erwogen werden (ev. Alternaria, Cladosporium). Extrakte von unzureichend definierten Allergenquellen, wie Hausstaub, Bakterien, Candida albicans und Trichophyton-Spezies sind nicht zur SIT einzusetzen.
Bei der Entscheidung zur SIT sind einige, als relativ einzustufende Kontraindikationen [7] zu berücksichtigen und die jeweiligen Fach- und Gebrauchsinformationen für die Präparate zur SIT zu beachten:
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Persistierendes bzw. unzureichend behandeltes Asthma u./o. irreversible Atemwegsobstruktion, d. h. FEV1 trotz adäquater Pharmakotherapie unter 70 % Sollwert (außer bei Insektengiftallergie)
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Kardiovaskuläre Erkrankung mit erhöhtem Risiko von Nebenwirkungen nach Adrenalingabe (außer bei Insektengiftallergie)
-
Behandlung mit Beta-Blockern [17] (lokal, systemisch) u./o. ACE-Hemmern (bei Insektengiftallergie)
-
Schwere Erkrankung des Immunsystems (Autoimmunerkrankungen, Immundefizienzen)
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Maligne Tumorerkrankung mit aktuellem Krankheitswert
-
Unzureichende Compliance
Obwohl eine Schwangerschaft als relative Kontraindikation für die Durchführung einer SIT gilt, ist ihre Fortsetzung bei lebensbedrohlicher Insektengiftallergie ratsam. Aus Sicherheitsgründen sollte die SIT nicht während einer Schwangerschaft begonnen werden. Sind Beta-Blocker im Einzelfall zwingend erforderlich, so kann eine SIT trotzdem erfolgen; eine eventuell notwendig werdende Adrenalintherapie ist dann allerdings möglicherweise weniger effektiv.
Eine Indikation zur SIT besteht bei nachgewiesener IgE-vermittelter Sensibilisierung mit korrespondierenden klinischen Symptomen durch Allergene, bei denen eine Karenz nicht oder schwer möglich ist und ein geeigneter Extrakt vorhanden ist. Indikationsstellung und Auswahl der Allergene sollte nur ein Arzt mit allergologischer Ausbildung oder allergologischen Fachkenntnissen vornehmen.
Durchführung
Durchführung
Die SIT wird als subkutane und mukosale (orale, sublinguale) Therapie in deutschsprachigen Ländern eingesetzt; erstere stellt die derzeit wichtigste Therapieform dar.
Subkutane Applikation
Die subkutane SIT darf nur von einem allergologisch erfahrenen Arzt durchgeführt werden, der auch zur Notfallbehandlung unerwünschter Begleitreaktionen (systemische allergische Reaktionen bis zum anaphylaktischen Schock) in der Lage ist. Vor der Injektion muss der Patient nach aktuellen allergischen oder anderen Symptomen, der Verträglichkeit der letzten Injektion, Infekten, veränderter Medikamenteneinnahme und Impfungen befragt werden. Zur Injektion dient eine 1 ml-Spritze mit Feingraduierung bis zu 0,01 ml mit einer Injektionsnadel für subkutane Injektionen. Diese erfolgen nach vorheriger bzw. je nach Injektionsvolumen wiederholter Aspiration streng subkutan handbreit über dem Olecranon bevorzugt an der Streckseite der Oberarme und werden regelmäßig dokumentiert. Andere Lokalisationen der Injektion sind bei Schnell-SIT mit Insektengiftextrakten möglich, sofern ausgeprägte Lokalreaktionen eine angestrebte, rasche Dosissteigerung behindern. Nach der Injektion muss der Patient mindestens 30 Minuten unter ärztlicher Kontrolle bleiben. Zwischen einer SIT-Injektion und einer Impfung sollte der Abstand mindestens eine Woche betragen. Die Fortsetzung der SIT erfolgt entweder gemäß den Fach- und Gebrauchsinformationen oder zwei Wochen nach der Impfung mit der zuletzt verabreichten Dosis.
Subkutane SIT mit Inhalationsallergenen
Diese Therapie wird in der Regel ambulant durchgeführt. Die Allergen- bzw. Allergoidextrakte zur SIT werden vorwiegend als Semidepot-Lösungen angewandt. Die Therapieabstände liegen in der Steigerungsphase (häufig Verdopplung der vorherigen Dosis) zwischen 3 bis 7 Tagen bei wässrigen Lösungen und 1 bis 2 Wochen bei Semidepot-Lösungen. Bei Erreichen der tolerablen Maximaldosis können die Injektionsabstände bei entsprechender Gebrauchsinformation bis auf 4 Wochen vergrößert werden, je nach Präparat sind in Einzelfällen auch längere Abstände möglich. Bei saisonalen Aeroallergenen wird die Therapie bis zur Maximaldosis außerhalb der Allergensaison eingeleitet, in der Saison unterbrochen oder mit einer reduzierten Dosierung die Therapie kosaisonal fortgesetzt, um nach Ende der Saison wöchentlich wieder auf die Maximaldosis gesteigert zu werden. Eine kosaisonale SIT ohne Dosisreduktion ist bei entsprechender Fach- und Gebrauchsinformation, fehlenden allergischen Symptomen und sorgfältiger klinischer Dokumentation möglich. Bei Überschreiten des Injektionsabstands muss die Dosis reduziert werden und zwar um so mehr, je größer die Zeitüberschreitung ist. Die Dauer der SIT sollte bei Atemwegsallergien mindestens 3 Jahre betragen. Bei Allergenen wie Hausstaubmilben, Berufsallergenen und Tierepithelien ist die Umwelt des Patienten so zu gestalten, dass die Allergenexposition möglichst gering gehalten wird.
Subkutane SIT mit Insektengiftallergenen
Bei Insektengiftallergenen stehen z. Zt. Bienen- und Wespengiftextrakte in wässriger und Semidepot-Lösung zur Verfügung. Die Therapie wird häufiger stationär im Schnellverfahren mit wässrigen Lösungen und diversen Steigerungsempfehlungen eingeleitet. In Deutschland wird vorwiegend die so genannte konventionelle Rush-SIT eingesetzt, bei der i. d. R. nach 1 Woche die Maximaldosis erreicht wird, während Ultra-Rush-Verfahren dieses Ziel in 2 Tagen anstreben. Anschließend wird die Therapie ambulant üblicherweise mit der Maximaldosis von 100 µg Insektengiftprotein fortgesetzt und der Injektionsabstand auf 4 Wochen gesteigert. Bei einer Therapie mit Semidepot-Extrakten wird die Dosis in wöchentlichen Abständen ambulant bis zur Maximaldosis gesteigert. Die Therapie im Schnellverfahren mit einer wässrigen Lösung zu beginnen und mit einem Semidepot-Extrakt des gleichen Allergens fortzufahren, stellt eine weitere Option dar [23]. Bei unerwünschten Begleitreaktionen durch die Insektengifttherapie ist wie bei anderen Allergenen eine Prämedikation mit einem Antihistaminikum möglich, wobei die zuverlässige Einnahme sichergestellt sein sollte; leichtere systemische Reaktionen können allerdings dadurch kaschiert werden. Inwieweit eine Antihistaminika-Prophylaxe die Wirksamkeit der SIT beeinflusst, ist nicht bekannt. Die SIT mit Insektengiften wird in der Regel über 3 - 5 Jahre durchgeführt. Es gibt derzeit keine allgemein akzeptierten Testparameter zur Überprüfung des Therapieerfolges.
Nicht-subkutane Therapien (mukosale Therapien)
In jüngerer Zeit durchgeführte, kontrollierte Studien bieten Hinweise dafür, dass die sublinguale Immuntherapie bei Pollen- [21]
[31] bzw. Hausstaubmilbenallergie [10] möglicherweise eine wirksame Behandlungsvariante darstellt. Allerdings liegen zur optimalen Dosis und Behandlungsdauer bzw. endgültigen Bewertung von Wirksamkeit und Sicherheit der lokalen Therapieformen noch nicht ausreichend Daten vor.
Die SIT wird von Ärzten mit Erfahrung in dieser Therapieform durchgeführt. Nach einer obligaten Zwischenanamnese und Injektion der vorgesehenen bzw. individuell angepassten Dosis, die sorgfältig dokumentiert werden, muss der Patient 30 Minuten unter ärztlicher Kontrolle bleiben.
Besonderheiten der SIT im Kindesalter
Besonderheiten der SIT im Kindesalter
Verschiedene Gründe sprechen dafür, dass eine SIT bereits im Kindesalter nicht nur indiziert sein kann, sondern möglicherweise besonders erfolgversprechend ist:
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die Allergene sind im Kindesalter oft Haupttriggerfaktor der Erkrankung (allergische Rhinokonjunktivitis, allergisches Asthma bronchiale)
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die Erkrankung hat noch nicht zu Sekundärveränderungen geführt
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die Erfolgsraten sind höher als bei Erwachsenen
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ein „Etagenwechsel” ist potenziell beeinflussbar
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die Ausweitung des Sensibilisierungsspektrums kann verhindert werden
Die SIT ist bei geeigneter Indikation im Kindesalter als risikoarm anzusehen. Die Rate von systemischen Reaktionen liegt unter 0,1 % der Injektionen. Entscheidend für den Erfolg ist die richtige Einschätzung, welches Kind von einer solchen Therapie profitieren wird, d. h. die Indikationsstellung, die sich nicht prinzipiell von der im Erwachsenenalter unterscheidet. Eine feste untere Altersgrenze lässt sich nicht generell bestimmen: Während die Indikation bei einer potenziell lebensbedrohlichen Insektengiftallergie altersunabhängig gestellt wird, gilt für Inhalationsallergien, mehr aus psychologischen als aus immunologischen Gründen, dass Kinder ab dem Schulalter eine subkutane SIT besser tolerieren.
Eine lokale (z. B. sublinguale) SIT mit Allergenen hätte aufgrund der fehlenden Invasivität gerade im Kindesalter potenzielle Vorteile. Allerdings wird die Allergenapplikation ohne ärztliche Aufsicht kontrovers beurteilt. Bis zum sicheren Nachweis von Wirksamkeit und Sicherheit bei Kindern [18], die derzeit in mehreren kontrollierten Studien untersucht werden, kann die lokale Applikation im Kindesalter noch nicht für die Routineanwendung in der Praxis empfohlen werden [7].
Die Indikationsstellung und Durchführung der SIT bei Kindern entspricht im Wesentlichen der Behandlung Erwachsener. Kinder zeigen eine gute Verträglichkeit und profitieren besonders von den immunmodulatorischen Effekten der SIT.
Sicherheit
Sicherheit
Entscheidende Sicherheitsvoraussetzungen sind, dass bei Verschreibung und Durchführung der SIT die damit verbundenen Risiken
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den Verantwortlichen bekannt sind,
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durch entsprechende Abläufe minimiert werden und dass
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sämtliche bei der Therapieausübung beteiligten Mitarbeiter gründlich geschult sein müssen.
Risikofaktoren
Viele der in der Literatur beschriebenen, schweren Reaktionen lassen erkennen, dass solche Ereignisse a) aufgrund von Risikofaktoren z. T. vorhersehbar sind und b) durch Umsicht und Prophylaxe in Art und Ausmaß möglicherweise vermeidbar sind. Schwerste Reaktionen traten oft als asthmabedingte heftige Bronchialobstruktionen und seltener als anaphylaktischer Schock auf. Fatale Reaktionen fanden sich vermehrt bei Asthma-Exazerbationen, gleichzeitiger Gabe von Beta-Blockern, unangemessener Dosissteigerung (z. B. trotz unerwünschter Begleitreaktionen bei der letzten Injektion) und Nichtbeachtung der Wartezeit. Zur Minimierung des Therapierisikos müssen folgende Faktoren besonders beachtet werden:
-
aktuelle allergische Symptome und potenzielle Allergenbelastung,
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instabiles bzw. unzureichend behandeltes Asthma,
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hoher Sensibilisierungsgrad,
-
Medikamenteneinnahme (Beta-Blocker, ACE-Hemmer),
-
richtige Dosierung,
-
vorsichtiger Wechsel auf neue Produktionscharge.
Unerwünschte Wirkungen („Reaktionen”)
Beim Auftreten großer Lokalreaktionen (größer als 15 cm Durchmesser) empfiehlt es sich, die Dosis zu wiederholen oder auf eine bereits tolerierte Dosis zurückzugehen, bevor sie erneut gesteigert wird. Auch große Lokalreaktionen liefern keine Hinweise zum Risiko systemischer Reaktionen. Bei systemischen Reaktionen wird je nach Stärke der Reaktion empfohlen, mindestens 2 - 3 Stufen zurückzugehen. Nachdem mögliche Einflussfaktoren (z. B. Infekte, Stress oder andere Belastungen, Schilddrüsenerkrankung, Allergenexposition) geklärt worden sind, kann die Dosis bis zur empfohlenen Erhaltungsdosis bzw. individuell verträglichen Höchstdosis behutsam gesteigert werden. Systemische Reaktionen beginnen gewöhnlich einige Minuten nach Injektion und müssen wegen der Gefahr der raschen Verschlimmerung ohne Verzögerung behandelt werden (Tab. [2]).
Tab. 2 Unerwünschte Wirkungen der SIT und ihre empfohlene Behandlung mit Dosierungsempfehlungen für Erwachsene (modifiziert/siehe nach [35])
Reaktion | Behandlung |
Lokalreaktion (Stadium 0):
übermäßige Schwellung (>15 cm)/Rötung der Injektionsstelle |
allgemeine Maßnahmen zusätzlich je nach Schweregrad:
- Kühlen! - Antihistaminikagabe (ev. oral) |
Leichte Allgemeinreaktion (Stadium 1):
allgemeine Hautrötung, Urtikaria, Pruritus insbesondere an den Handtellern und Fußsohlen), Schleimhautreaktionen (z. B. Nase, Konjunktiven); Allgemeinreaktionen (z. B. Unruhe, Kopfschmerz) |
allgemeine Maßnahmen zusätzlich:
- Blutdruck und Pulskontrolle - Gabe eines H1-Antihistaminikums und eines H2-Antihistaminikums (z. B. Dimetindenmaleat 8 mg und Cimetidin 400 mg, jeweils i. v.) und eines Kortikosteroids (50 - 125 mg Prednisolon oder Äquivalente i. v.). |
Ausgeprägte Allgemeinreaktion (Stadium 2):
Kreislaufdysregulation (Blutdruck-, Pulsveränderung); Atemnot (leichte Dyspnoe, beginnender Bronchospasmus); Stuhl- bzw. Urindrang; Angstgefühl |
bei pulmonaler Reaktion:
- Inhalation eines Beta-Sympathomimetikums oder von Adrenalin bei Progredienz: Adrenalin 1 mg/10 ml: 0,1 mg/min. i. v.
bei kardiovaskulärer Reaktion:
- Ringer-Lactat-Lösung 500 ml i. v.
weiterhin wie bei Stadium 1, aber:
- 250 - 500 mg eines Kortikosteroids i. v. |
Starke Allgemeinreaktion (Stadium 3):
(Sehr selten, aber u. U. innerhalb von Sekunden nach der Injektion): Schock (schwere Hypotension, Blässe); Bronchospasmus mit bedrohlicher Dyspnoe; Bewusstseinstrübung oder -verlust, ggf. mit Stuhl- bzw. Urinabgang |
bei pulmonaler Reaktion:
- wie bei Stadium 2, bei unzureichendem Therapieeffekt zusätzlich Theophyllin initial 5 mg/kgKG i. v.
bei kardiovaskulärer Reaktion zusätzlich:
- Ringer-Lactat-Lösung 2000 ml i. v. - Kolloide (z. B. HES 200 000, bis zu 2000 ml i. v.) - Adrenalin 1 mg/10 ml: 0,1 mg/min. i. v. oder Dopamin 2,5 - 5 mg/70 kg/min. i. v. - bei Progredienz nach etwa 1 mg Adrenalin: 1. Noradrenalin 0,05 - 1 mg/min. 2. H1-Antagonist + H2-Antagonist i. v. (Dosis s. Stadium 1)
anschließend:
- 1000 mg Prednisolon oder Äquivalente i. v. |
Vitales Organversagen (Stadium 4):
Manifestes Versagen der Vitalfunktionen (Atem-/Kreislaufstillstand) |
Notfallmaßnahmen:
- Reanimation (Intubation, Beatmung, externe Herzdruckmassage) - Adrenalin (+ Dopamin + Noradrenalin) - weitere Volumensubstitution |
Notfalltherapie
Obligate Medikamente für den allergologischen Notfall: Wässriges Adrenalin (1 : 1000), Histamin-H1- und H2-Rezeptorenblocker (zur i. v.-Gabe), Bronchodilatator (rasch wirksames inhalierbares β2-Mimetikum bzw. Adrenalin, H2O-freies Theophyllin zur i. v.-Gabe), Glukokortikosteroide (zur i. v.-Gabe), i. v.-Injektions- und Infusionslösungen (physiologische NaCl-, Elektrolyt- u. kolloidale Lösungen: z. B. Ringer-Lactat- bzw. Hydroxyethylstärke (HES)-Lösung).
Obligate Ausrüstungsgegenstände für den allergologischen Notfall: Stethoskop, Blutdruckmessgerät, Staubinden, Spritzen, normal- und großvolumige Venen-Verweilkanülen, O2-Flasche und Maske/Brille, Ambu-Beutel, Güdeltubus, Absaugvorrichtung, Infusionsbesteck.
Die aufmerksame Beobachtung mit früher Erkennung von systemischen Reaktionen sowie der unverzügliche Behandlungsbeginn unter sachgemäßer Benutzung obiger Materialien sollte in fast allen Fällen eine effektive Initialtherapie sicherstellen. Invasivere Mittel (direkte Laryngoskopie, Elektrokardioversion, Tracheotomie, intrakardiale Injektion) werden unter Abwägung von Nutzen und Risiken bislang nicht zwingend als sofort verfügbar vorgeschrieben.
Das Risiko und die Folgen unerwünschter systemischer Wirkungen können durch Schulung des Personals, Beachtung der Sicherheitsstandards und rasche Notfallmaßnahmen wirksam vermindert werden.
Forschungsbedarf und Defizite
Forschungsbedarf und Defizite
Einige Bereiche sollten zukünftig in experimentellen und kontrollierten klinischen Studien zur SIT besonders berücksichtigt werden:
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Verbesserte Charakterisierung, Standardisierung und Vergleichbarkeit der Allergenextrakte (Proteinzusammensetzung und immunbiologische Aktivität)
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Erweiterte Indikation für weniger häufige Pollenallergene, Tierallergene, Schimmelpilze, Nahrungsmittel und Berufsallergene
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Einfluss auf Krankheitsentstehung und -verlauf (Prävention, Beeinflussung des natürlichen Verlaufes, Etagenwechsel, Langzeitwirkung)
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Stellenwert der mukosalen (nicht-subkutanen) SIT
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Vergleich zur Pharmakotherapie
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Optimale Therapiedauer
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Wirksamkeit und Sicherheit bei Kindern unter 6 Jahren (besonders bei sublingualer Applikationsform)
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Sozioökonomische Faktoren
Zukunftsperspektiven
Zukunftsperspektiven
Um die Effektivität der SIT zu steigern und Nebenwirkungen, insbesondere unerwünschte Soforttypreaktionen nach Allergeninjektion, zu reduzieren, sind verschiedene Entwicklungen absehbar: Mit Hilfe gentechnologischer Methoden können auf der Basis rekombinanter Allergene hypoallergene Varianten (z. B. Allergen-Polymere, -Isoformen) konfiguriert werden, die von T-Zellen erkannt werden, ohne IgE-Antikörper auf Effektorzellen zu aggregieren. Adjuvantien können die Th1-Zell-Entwicklung fördern; Allergene kombiniert mit Immunmodulatoren (z. B. Th1-fördernde Zytokine, bakterielle DNA) können möglicherweise die Wirksamkeit der SIT steigern. Welche Ansätze den Weg in die Klinik und die Praxis finden, bleibt abzuwarten. Anbetracht dieser neuen, faszinierenden Strategien sind die Perspektiven der SIT jedoch außerordentlich vielversprechend.
Veränderte Allergene, rekombinante Proteine und Adjuvantien zur Immunmodulation aus der modernen Grundlagenforschung versprechen eine verbesserte Wirksamkeit der SIT mit Allergenen bei geringeren unerwünschten Wirkungen.