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DOI: 10.1055/s-2001-17580
Das Tolosa-Hunt-Syndrom - eine neuroradiologische Ausschlussdiagnose?
Publication History
Publication Date:
04 October 2001 (online)
Das Tolosa-Hunt-Syndrom (THS) ist eine entzündliche Erkrankung der Fissura orbitalis superior und des Sinus cavernosus unbekannter Ätiologie. Das klinische Bild ist durch eine schmerzhafte Parese der durch die Fissura orbitalis superior ziehenden Hirnnerven III, IV, VI und des N. ophthalmicus gekennzeichnet. Da zahlreiche andere Erkrankungen ähnliche Beschwerden verursachen können, spielen die CT und die MRT als nichtinvasive Verfahren eine entscheidende Rolle bei der Diagnose. Anhand des folgenden Fallberichts sollen das klinische und das radiologische Erscheinungsbild bei einer Patientin mit Tolosa-Hunt-Syndrom beschrieben und diskutiert werden.
#Fallbericht
Eine 50-jährige Patientin stellte sich wegen Doppelbildern und Schmerzen des rechten Auges bei Bewegung in der neuroophthalmologischen Ambulanz vor. Die neurologische Untersuchung ergab eine Plegie des N. trochlearis, des N. abducens und eine partielle Okulomotoriusparese des rechten Auges bei gleichzeitig bestehender ausgeprägter Schmerzsymptomatik des Auges bei Bewegung. Der übrige neuroophthalmologische Befund war regelrecht, auch die Routinelabordiagnostik zeigte keine Auffälligkeiten. Vorerkrankungen bestanden nicht.
Die MRT der Orbita und des Sinus cavernosus zeigte rechts eine zu Muskelgewebe isointense Läsion mit kräftiger, homogener Kontrastmittelanreicherung auf den T1-gewichteten Aufnahmen kraniolateral des intrakavernösen Abschnitts der A. carotis interna (Abb. [1] a-c ). Auf den T2-gewichteten FSE-Aufnahmen war die Läsion hypointens zu Fettgewebe (Abb. [2]). In der Orbita war intrakonal keine Gewebevermehrung nachweisbar. Die rechte Optikusscheide war erweitert. Weitere pathologische Veränderungen bestanden nicht.
Die CT zeigte einen regelrechten Befund der knöchernen Schädelbasis, so dass die Verdachtsdiagnose einer granulomatös-entzündlichen Raumforderung des rechten Sinus cavernosus gestellt und eine Steroidtherapie mit initial 100 mg Methylprednisolon/die begonnen wurde. Nach 2 Tagen hatten sich die Schmerzen vollständig zurückgebildet, nach 3 Tagen hatte die Patientin keine Doppelbilder mehr.
In den folgenden Wochen wurde die Methylprednisolondosis systematisch reduziert und 10 Wochen nach Beginn der Therapie abgesetzt. Zum Zeitpunkt der radiologischen Kontrolluntersuchung 3 Monate nach Beginn der Steroidtherapie waren die Schmerzen und die Augenmuskelparesen vollständig verschwunden. In der kranialen MRT fanden wir im Vergleich zur Voruntersuchung eine deutliche Größenabnahme des vermehrt Kontrastmittel aufnehmenden Gewebes am Sinus cavernosus rechts. Der übrige intrakranielle Befund war unverändert normal. Eine weitere MRT-Kontrolle nach 6 Monaten zeigte einen Normalbefund (Abb. [3]).
#Diskussion
Das Tolosa-Hunt-Syndrom (THS) ist eine entzündliche Erkrankung unklarer Ursache, die auf den Sinus cavernosus und die Fissura orbitalis superior begrenzt ist. Tolosa beschrieb 1954 erstmals einen Fall von Periarteriitis des kavernösen Abschnitts der A. carotis interna (Tolosa E, J Neurol Neurosurg Psychiatry 1954; 17 : 300). Klinisch stand eine schmerzhafte Ophthalmoplegie im Vordergrund. 1961 stellte Hunt anhand der Beschreibung von sechs Patienten klinische Kriterien auf, die das Syndrom beschreiben (Hunt WE et al., Neurology 1961; 11 : 56). Der Begriff Tolosa-Hunt-Syndrom wurde 1966 von Smith und Taxdal geprägt (Smith JL, Taxdal DS, Am J Ophthalmol 1966; 61 : 1466). 1988 definierte die International Headache Society darauf aufbauend die Kriterien für das Tolosa-Hunt-Syndrom unter Berücksichtigung neuroradiologischer Methoden (International Headache Society, Cephalalgia 1988; 8 : 1): 1. eine oder mehrere Episoden von einseitigem Orbitaschmerz für durchschnittlich 8 Wochen (unbehandelt), 2. Assoziation mit Lähmung eines oder mehrerer Hirnnerven III, IV oder VI in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Schmerz mit einem Maximalabstand von 2 Wochen, 3. Besserung der Schmerzen spätestens 72 h nach Beginn einer Steroidtherapie, 4. Ausschluss anderer Läsionen mittels neuroradiologischer Untersuchungen.
Die Ätiologie des THS ist unbekannt. Histologische Untersuchungen an Leichen zeigen entzündliche Veränderungen des Sinus cavernosus und/oder der Fissura orbitalis superior. Histopathologische Untersuchungen von Biopsaten ergeben ein uneinheitliches Bild: Während Tolosa chronisch unspezifisches Entzündungsgewebe mit Fibroblastenproliferation beschrieb, berichten andere Autoren von spezifischem granulomatösen Entzündungsgewebe mit Lymphozyten und Epitheloidzellproliferation.
Auch der Nachweis einer klinischen Verbesserung nach Gabe von Kortikosteroiden ist kein sicheres Diagnosekriterium, da Lymphome, Meningeome und Riesenzelltumoren auf systemische Steroidgaben ebenfalls eine zumindest zeitweilige Symptombesserung zeigen. Weitere Differenzialdiagnosen schließen die diabetische Ophthalmoplegie durch Ischämie des N. opticus ein, die nicht auf Steroide reagiert. Bei dieser Erkrankung gibt es keine typischen radiologischen Befunde, entscheidend ist hier die langjährige Anamnese eines Diabetes mellitus.
Die intraarterielle Angiographie und konventionelle Röntgenaufnahmen sind bei Patienten mit THS in der Regel normal. Radiologischer Goldstandard zur Diagnosefindung des THS ist die MRT, da sich mit ihr die pathologischen Veränderungen des Sinus cavernosus in Form von Struktur- und Signalauffälligkeiten am besten erfassen lassen. Yousem et al. berichteten 1989 über 11 Patienten mit THS, von denen 9 in der MRT strukturelle Auffälligkeiten im Sinus cavernosus zeigten (Yousem DM et al., AJNR Am J Neuroradiol 1989; 10: 1181). Die Läsionen stellten sich in den T1-gewichteten Aufnahmen isointens zu Muskelgewebe, in den T2-gewichteten SE-Aufnahmen isointens zu Fettgewebe dar. Während Hypophysenadenome, Metastasen und selten auch Meningeome in der T2-Gewichtung meist isointens zu Fettgewebe erscheinen, sind Lymphome, Sarkoidoseherde und Meningeome in der T2-Gewichtung in der Regel hypointens. Eine MR-tomographische Unterscheidung zwischen Meningeomen, Lymphomen und Sarkoidose ist oft nicht zweifelsfrei möglich, insbesondere wenn keine Verlaufsuntersuchungen vorliegen und die Diagnose zum Manifestationszeitpunkt erzwungen werden muss. Lymphome und Sarkoidoseherde zeigen im Gegensatz zum THS nach Absetzen der Steroidtherapie eine hohe Rezidivrate. Ein Befund bei M. Wegener kann ein ähnliches Signalverhalten wie die oben genannten Entitäten aufweisen, zeichnet sich aber durch zusätzliche granulomatös-entzündliche Veränderungen der Nasennebenhöhlen aus. Als aufschlussreiche Zusatzuntersuchung zur Beurteilung der ossären Strukturen im Bereich der Orbitaspitze dient die hochauflösende CT, die knöcherne Usuren oder Destruktionen durch Meningeome und Metastasen verlässlich nachweist.
Anhand des Krankheitsverlaufs bei unserer Patientin wird deutlich, dass eine Diagnosesicherung des Tolosa-Hunt-Syndroms nicht allein über Ausschlusskriterien, sondern nur mit gemeinsamer Betrachtung des klinischen und radiologischen Bildes möglich ist. Da die histopathologische Diagnose mit Biopsie ein invasives Verfahren ist und aufgrund der engen Beziehung zum Sinus cavernosus ein relativ hohes Operationsrisiko birgt, können nur engmaschige Verlaufsuntersuchungen mit der MRT Fehldiagnosen verhindern. Diese MRT-Nachuntersuchungen sollten einen Zeitraum von zwei Jahren nicht unterschreiten.
P. Schramm, S. Hähnel, Heidelberg