Angst ist ein häufiges Problem bei Patienten auf der Warteliste und nach einer Lungentransplantation
Angst ist ein häufiges Problem bei Patienten auf der Warteliste und nach einer Lungentransplantation
In Deutschland und anderen westlichen Industrienationen leiden 9 % der Bevölkerung an Angststörungen [1]. Dagegen liegt die Prävalenz bei Patienten, die auf eine Lungentransplantation warten oder bereits transplantiert sind, deutlich höher [2]
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[7]. Gemessen mit der Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) [8]
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[10], einem bewährten Screeninginstrument zur Erfassung von Angst bei somatisch Kranken, zeigen 26 - 44 % [2]
[3] der Lungentransplantierten erhöhte Angstwerte (HADS ≥ 8). Werte für klinisch signifikante Angst (HADS ≥ 11) finden sich bei bis zu 11 %. Bei hospitalisierten Patienten und solchen mit Komplikationen liegt die Prävalenz von Angst sogar noch höher [11]. Auch in der Lungentransplantationsambulanz der Universitätsklinik Frankfurt fiel Angst als ein häufiges Problem auf [4]. Von den zwischen September 1998 und Januar 2001 zur Transplantation evaluierten Patienten (n = 45) zeigten 35 % erhöhte Angstwerte (HADS ≥ 8) und 20 % Werte für klinisch signifikante Angst (HADS ≥ 11). Milde Angstsymptome gelten sogar als allgegenwärtig bei Patienten auf der Warteliste [4]
[12]. So ist Angst im Kontext einer Lungentransplantation ein häufiges Motiv der Interaktion von Arzt und Patient.
Die Folgen von Angst
Die Folgen von Angst
Die Ausprägung von Angst kann von einer allgemeinen Ängstlichkeit über die Entwicklung körperlicher Angstsymptome bis hin zu schwer belastenden Angstzuständen reichen [1]. Die mögliche Manifestation von Angst in Form körperlicher Symptome (Tab. [1]), wie Thoraxschmerzen, Atemnot, Tachykardie, Übelkeit, Durchfall, Obstipation, Schwächegefühl oder Tremor [1]
[13] macht sie bei ihrer hohen Prävalenz zu einer wichtigen Differenzialdiagnose möglicher Komplikationen nach einer Lungentransplantation sowie möglicher Nebenwirkungen der immunsuppressiven Therapie. Angst kann auch das Erscheinungsbild körperlicher Beschwerden verstärken. Die definierte Zunahme einer Atemwegsobstruktion wird beispielsweise von ängstlichen Patienten bedrohlicher erlebt als von nicht ängstlichen [14]. Neben dem subjektiven Erleben, beeinträchtigt Angst die kognitiven Fähigkeiten von Patienten [13]. Der negative Einfluss von Angst auf die Compliance [4]
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[13] könnte dadurch verursacht sein. Die schlechtere Compliance von ängstlichen Patienten könnte wiederum erklären, dass Angst mit einer verminderten Überlebenszeit nach Lungentransplantation assoziiert ist [4]
[7]. Über die unmittelbaren Auswirkungen auf Verhalten und Gesundheit der Patienten hinaus, kann Angst auch ärztliche Entscheidungen beeinflussen. Dies unterstreicht die Notwendigkeit, sich im Rahmen der Transplantationssprechstunde mit Angst, ihren Ursachen und ihren möglichen Konsequenzen auseinander zu setzen.
Tab. 1 Möglichkeiten der körperlichen Manifestation von Angst [1]
[13]
Tachykardie | Muskelschwäche | Erröten | Harndrang |
Palpitationen | Tremor | Blässe | Schlafstörungen |
erhöhter Blutdruck | Muskelverspannung | Kopfschmerzen | Sehstörungen |
Atemnot | Erschöpfung | Magenkrämpfe | Tinnitus |
Brustschmerzen | Mydriasis | Übelkeit | Sexualstörungen |
Schwindel | Schwitzen | Erbrechen | Dysmenorrhö |
Benommenheit | kalte Extremitäten | Durchfall | Magersucht |
Ohnmacht | Parästhesien | Obstipation | Gewichtsverlust |
Mögliche Ursachen der Angst
Mögliche Ursachen der Angst
Todesangst und die Angst zu ersticken treten häufig im Endstadium respiratorischer Erkrankungen auf [4]
[12]. Dass während der Wartezeit auf ein geeignetes Organ, die eine ständige Auseinandersetzung mit dem möglichen Tod bedeutet, Ängste allgegenwärtig sind, ist leicht vorzustellen. Ebenso einleuchtend ist es, dass eine Lungentransplantation als eine Operation mit nicht zu vernachlässigender Letalität unweigerlich Angst auslösen muss. Neben der unmittelbaren Traumatisierung durch Operation und perioperative Interventionen auf der Intensivstation kann eine Reihe weiterer Ängste mobilisiert werden. An der tief verwurzelten menschlichen Urangst vor Fremdem rührt die „Einpflanzung eines fremden Organs in heimisches Territorium” [15]. Sich selbst als autonom und abgegrenzt von der Umwelt vorstellen zu können, ist eine Leistung der frühkindlichen Entwicklung. Auch die im Zuge dieser Entwicklung auftretenden Ängste des Kindes, die gewonnene Autonomie wieder zu verlieren, können durch die Transplantation eines fremden Organs wiederbelebt werden. Entwicklungspsychologisch kann die Transplantation als eine Gefährdung der erworbenen Autonomie verstanden werden, was sie auch in diesem Sinne zu einem die Existenz bedrohenden Trauma macht [15]
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Neben den meist unbewussten Ängsten, die ausgelöst werden können, wenn das transplantierte Organ ins Körperbild integriert werden muss, können auch Ängste entstehen, genau dieses neue Organ und damit das neu gewonnene Leben wieder zu verlieren. Oft genügen geringste Veränderungen der gemessenen Lungenfunktion, um bei Lungentransplantierten Angst vor einer chronischen Abstoßungsreaktion auszulösen, die als ständige Bedrohung das Leben dieser Patienten begleitet. Darüber hinaus können weitere Ängste auftreten, die in unmittelbarem Zusammenhang mit möglichen Komplikationen nach einer Transplantation - Abstoßung und Infektionen - stehen. Zur Angst auslösenden Komplikation kommt für viele Patienten dann noch die Angst vor invasiven diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen und vor Hospitalisierung. Damit einhergehen kann die Angst vor dem Versagen der komplexen, hochtechnischen Medizin, von der das Überleben abhängig ist. Der Patient erlebt sich als abhängig, als ausgeliefert an Technik, Ärzte und Medikamente. Er kann die Situation aus eigener Kraft nicht kontrollieren und verliert seine Autonomie, was wie bereits skizziert, frühkindliche Ängste mobilisieren kann [15]
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[17]. Ebenfalls mit dem Auftreten von Komplikationen verbunden ist die Angst vor Enttäuschung, die Angst, das Risiko der Transplantation vergeblich gewagt zu haben.
Angst in der Interaktion von Arzt und Patient
Angst in der Interaktion von Arzt und Patient
Bei der nachweislich hohen Prävalenz und den vielfältigen Gründen Angst zu haben, ist Angst - ob bewusst oder unbewusst - ein häufiges Motiv der Interaktion von Arzt und Patient [4]
[12]. Dass es dazu bisher keine systematischen Untersuchungen gibt, deutet auf den für Arzt und Patient problematischen Umgang mit diesem Thema hin. Und tatsächlich ist es meist nicht einfach, eigene Angst zuzugeben oder Andere auf ihre Angst anzusprechen. Die Gründe für diese Schwierigkeit liegen zum einen in der Tabuisierung von Angst, die eng mit Scham verbunden ist. Wenn man die Angst nicht anspricht, muss man sich ihrer nicht schämen bzw. den anderen nicht beschämen. Zum anderen ist Angst ein bedrohliches Gefühl, das - von Patient und Arzt - nur in einem bestimmten Ausmaß ertragen werden kann und deshalb reguliert und dosiert werden muss. Die zu diesem Zweck notwendigen Anpassungsleistungen, die in der Psychoanalyse metaphorisch als Abwehr der Angst beschrieben werden, ermöglichen es dem Patienten, mit der bedrohlichen, angstauslösenden Situation zurechtzukommen [20]
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Das Ausmaß, mit dem Angst im Bewusstsein zugelassen werden kann bzw. abgewehrt werden muss, ist individuell äußerst unterschiedlich, ebenso die Bevorzugung bestimmter Abwehrmechanismen [23]. So fanden wir auch bei unseren Patienten verschiedene Strategien zur Dosierung von Angst. Neben dem Versuch, die Bedrohung durch (Galgen-)Humor zu verharmlosen oder durch ununterbrochenes Erzählen von Belanglosigkeiten in der Sprechstunde von der Angst abzulenken, beobachteten wir auch Verleugnung und Verdrängung von Angst. Ein Patient suchte trotz Atemnot und 39 °C Fieber keine ärztliche Hilfe, obwohl diese Symptome jedem Lungentransplantierten einen sofortigen Handlungsbedarf anzeigen. Ein anderer schilderte uns völlig emotionslos, als beträfe es nicht ihn, wie er wegen Herzrhythmusstörungen in der Notaufnahme elektrisch kardiovertiert werden musste. Gleichzeitig fiel es ihm sichtlich schwer, sich aus dem Gespräch zu lösen, was als Suchen von Hilfe und von Verbündeten gegen seine Angst interpretiert werden kann. Neben Ärzten und Pflegenden werden häufig Angehörige und vor allem die Partner zu Verbündeten gegen die Angst gemacht [24]. So ließ eine Patientin ihr Spirometer (das alle Patienten zur Selbstmessung von VK, FEV1 und PEF erhalten) immer dann von der gesamten Familie ausprobieren, wenn sich die Messwerte ihrer Lungenfunktion verschlechterten. Neben der Wahl des Arztes zum Verbündeten kann auch das Fordern von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sowie das regressive Abtreten von Entscheidungsgewalt also von Autonomie an den behandelnden Arzt als Abwehr von Angst verstanden werden. Der Arzt wird so zu einem Bestandteil der Angstabwehr des Patienten.
Auch wenn Patienten nach der Transplantation zu Hause ein weitgehend normales Leben führen, werden sie doch in der Sprechstunde daran erinnert, dass sie lungentransplantiert sind. Die Interaktion mit dem Arzt in der Sprechstunde mobilisiert wieder die Ängste, die im Zusammenhang mit der Transplantation auftreten können [13]. Dabei bleibt die Angst nicht auf den Patienten beschränkt, auch der Arzt bleibt von ihr nicht unberührt. Angst - als ein seelischer Vorgang - durchdringt die Interaktionspartner und bildet die Matrix ihrer Interaktion [25]. Sie ist das gemeinsame Thema, das beide bewegt [26]. Die Angst des Patienten mobilisiert die Angst des Arztes und umgekehrt. Spezifische Ängste des Arztes, die im Umgang mit dem Patienten mobilisiert werden können, können beispielsweise die Angst vor dem eigenem Tod oder vor Krankheit sein. Auch Ängste vor fachlichem oder menschlichem Versagen und vor Fehlentscheidungen können eine Rolle spielen.
Wie der Patient kann auch der Arzt Angst nur in einem bestimmten Ausmaß in seinem Bewusstsein zulassen, muss sie also ebenfalls abwehren. Dafür stehen ihm neben den Abwehrmechanismen, die auch der Patient benutzt, eine Reihe weiterer Möglichkeiten zur Verfügung, die ihm aus seiner ärztlichen Rolle in der Interaktion zuwachsen. Dies sind der nicht rationale, übertriebene Einsatz von diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen, die Ausübung von Autorität bis hin zur Bevormundung sowie Kontrolle des Patienten durch erneute Einbestellung oder Krankenhausaufnahme. So reduziert autoritäres und kontrollierendes ärztliches Gesprächsverhalten die Angst bei ängstlichen Patienten [27]. Und wer kennt nicht aus eigener Erfahrung jene Untersuchungen, die durchgeführt werden „nur um ganz sicher zu gehen”. Diese Möglichkeiten der ärztlichen Angstabwehr machen sich Patienten zunutze, wenn sie bestimmte Untersuchungen einfordern oder Entscheidungsgewalt an den Arzt delegieren und ihn so zum Instrument ihrer Angstabwehr machen. In diesem unbewussten Zusammenspiel, das in der Interaktion von Paaren als Kollusion [28]
[29] bezeichnet wird, formiert sich eine gemeinsame Abwehr der Angst. Wie in anderen Zweierbeziehungen kann es in der Interaktion von Arzt und Patient zu einer charakteristischen Verteilung der Rollen kommen [29]. Der Patient liefert sich regressiv und Hilfe suchend der ärztlichen Autorität aus, während der Arzt progressiv Maßnahmen ergreift, um die Angst des Patienten und vielleicht auch seine eigene abzuwehren. Neben dieser Aufteilung in eine progressive und regressive Position ist auch eine gemeinsame Verdrängung, Verleugnung oder Verharmlosung von Angst und körperlichen Angstsymptomen möglich.
Folgerungen für die Betreuung von Patienten auf der Warteliste und nach Lungentransplantation
Folgerungen für die Betreuung von Patienten auf der Warteliste und nach Lungentransplantation
Die Manifestation von Angst in Form körperlicher Symptome, ihre Auswirkungen auf das Verhalten von Patienten und auf ärztliche Entscheidungen sowie das Repertoire ärztlicher Angstabwehr verdeutlichen den Einfluss, den unerkannte Angst auf das Leben und Wohlbefinden von Patienten haben kann. Deshalb ist es nicht nur für Patienten, sondern gerade für den behandelnden Arzt wichtig, Ängste wahrzunehmen und bewusst mit ihnen umzugehen. Ist Angst erst einmal als Motiv der Arzt-Patient-Interaktion erkannt, muss sie sich nicht mehr in Form körperlicher Symptome äussern. Auch ist sie dann einer pharmakologischen Therapie oder psychotherapeutischen Intervention zugänglich. Alleine das Ansprechen von Angst vermindert sie meist schon.
Zur Aufdeckung von Angst gibt es eine Reihe von Sreeninginstrumenten, von denen sich z. B. die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS) durch einfache Handhabung und hohe Akzeptanz bei den Patienten auszeichnet [8]
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[10]. Zudem werden im Klinikum der Universität Frankfurt am Main alle Patienten, die sich zu einer Lungentransplantation vorstellen, von einem Arzt für Psychotherapeutische Medizin evaluiert. Dieser mit den psychischen Problemen von respiratorisch schwer eingeschränkten und von lungentransplantierten Patienten vertraute Therapeut steht auch während der Wartezeit und nach der Transplantation im Bedarfsfall für eine gezielte Intervention zur Verfügung. Ein Gesprächsangebot für Patienten und ihre Angehörigen, das Erlernen von Entspannungstechniken oder die Teilnahme an einer geleiteten Patientengruppe fördert auf Seiten des Patienten und seiner Angehörigen die Fähigkeit, mit Ängsten umzugehen und sie offen anzusprechen [4]
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[32]. Da Angst jedoch häufig nicht unbefangen angesprochen werden kann und sich oft hinter körperlichen Symptomen und Abwehrverhalten verbirgt, ist es von Bedeutung, den Arzt in seiner Fähigkeit zur Reflexion seiner Interaktion mit dem Patienten zu schulen. Eine Supervision des behandelnden Teams sowie Personal- und Balintgruppenarbeit sind etablierte Instrumente zu diesem Zweck. Sie bieten darüber hinaus den Vorteil, dass sie Ärzte und Pflegende emotional entlasten sowie die Kommunikationsfähigkeit und soziale Kompetenz des Teams erhöhen können [24]
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