Suchttherapie 2001; 2: 34-38
DOI: 10.1055/s-2001-18406
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Psychosoziale Interventionen in der Suchttherapie: Forschungsstand und wissenschaftliche Perspektiven

Psychosocial Interventions in Addiction Treatment: State of the Art and Scientific PerspectivesMichael Krausz, Raphaela Basdekis, Eva Brückner, Georg Farnbacher, Eva Kleinemeier, Nina Kreutzfeldt
  • Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung (ZIS) der Universität Hamburg
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Prof. Dr. Michael Krausz

Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg ZIS
c/o Zentrum für psychosoziale Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie im UKE

Martinistraße 52

20246 Hamburg

Email: krausz@uke.uni-hamburg.de

Publication History

Publication Date:
12 November 2001 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Sucht ist eine psychische Störung, die mit vielen physischen Komplikationen verbunden ist. Sie ist eine der größten sozialmedizinischen und auch psychosozialen Herausforderungen. Dies macht einerseits die Integration verschiedener therapeutischer Bemühungen, andererseits aber auch die Spezialisierung, z. B. im Bereich bestimmter psychiatrischer, psychotherapeutischer, aber auch somatischer Interventionen, notwendig.

Der internationale Forschungsstand belegt in einem bisher noch unterentwickelten Forschungsfeld die gute Wirksamkeit der verschiedenen psychosozialen Interventionsstrategien.

Trotz einer als wichtig für verschiedene Therapieansätze übereinstimmenden Bewertung psychosozialer Interventionen sind die finanziellen und andere Voraussetzungen in der Suchtmedizin und Suchttherapie für eine Umsetzung der bestehenden Standards schlecht.

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Psychosocial Interventions in Addiction Treatment: State of the Art and Scientific Perspectives

Addiction is a psychiatric disorder, which is combined with many physical complications. It is one of the greatest social medicinal and also psychosocial challenges. Therefore, the integration of different therapeutic efforts as well as specialization e. g. in the field of certain psychiatric, psychotherapeutic but also somatic interventions is necessary.

Results of international research show in an underdeveloped field of research the effectiveness of the different psychosocial strategies of intervention. Even though psychosocial interventions are considered important for various therapeutic approaches, financial and other preconditions in addiction medicine and addiction therapy for implementation of the existing standards are bad.

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Einleitung

Beim Ausblick auf die Zukunft der Suchtmedizin spielen zwei Fragen eine wichtige Rolle:

1. In welcher Art und Weise integriert die Suchtmedizin sowohl allgemeine wie auch spezialisierte psychosoziale Interventionen in ihr Aufgabenprofil?

2. Wie positioniert sie sich zu den anderen Berufsgruppen in der Suchttherapie, das heißt, wie sollen die Schnittstellen zwischen Allgemeinmedizinern und Psychiatern bzw. Psychotherapeuten aussehen - und an welchen Stellen kommen alle Berufsgruppen in die Verantwortung?

Sucht ist eine psychische Störung, die mit vielen physischen Komplikationen verbunden ist. Sie ist eine der größten sozialmedizinischen und auch psychosozialen Herausforderungen. Dies macht einerseits die Integration verschiedener therapeutischer Bemühungen, andererseits aber auch die Spezialisierung, z. B. im Bereich bestimmter psychiatrischer, psychotherapeutischer, aber auch somatischer Interventionen notwendig.

Die Ausgangssituation für die Integration psychosozialer Interventionen in die Suchttherapie ist äußerst widersprüchlich:

  • Psychosoziale Interventionen im breitesten Sinne sind Bestandteil aller vorliegenden Standards. Es wird selbstverständlich gefordert, dass alle Beteiligten nicht nur den Blick auf mögliche Entzugssymptome oder körperliche Schäden richten, sondern dem Betroffenen helfen, mit seiner Situation umfassend umzugehen. Dies gilt sowohl für den gesamten Bereich der abstinenzorientierten Behandlungsansätze als auch für die Substitution und Entgiftung.

  • Trotz dieser breiten Übereinkunft wird die psychosoziale Seite der Betreuung von den Kostenträgern der GKV nur zu einem minimalen Teil übernommen. Gerade in der Substitution ist die Zahl der Gespräche durch die behandelnden Ärzte so stark limitiert, dass man nicht von einer systematischen Intervention sprechen kann. Spezifische Formen von Beratung und Therapie finden sich in den EBM-Richtlinien kaum wieder, was zu einer bis aufs Unsinnige reduzierten Palliativmedizin führt.

  • Versucht man, einen Süchtigen in einer Psychotherapie im Rahmen des Beantragungsverfahrens unterzubringen, ist dies so gut wie unmöglich. Die Folge: Der Anteil von Suchtpatienten im Bereich der ambulanten Psychotherapie ist - trotz ihrer riesigen Bedeutung - verschwindend gering. Für wirkungsvolle Interventionen wie familientherapeutische und angehörigentherapeutische Maßnahmen gibt es keine ambulante Finanzierungsmöglichkeit. Und trotz des riesigen Anteils psychischer Störungen an der Suchtentwicklung spielen die Psychiaterinnen und Psychiater z. B. in der Substitution so gut wie keine Rolle.

  • Vielen Beteiligten im Behandlungssystem fehlt es zudem an einschlägigen Qualifikationen, aber auch an Supervisions- und Unterstützungsmöglichkeiten. Trotz der Komplexität der Probleme finden z. B. Fragen der Komorbidität psychischer Störungen und Sucht sowie der Multimorbidität von verschiedenen schweren körperlichen Erkrankungen und Abhängigkeitsentwicklung in der medizinischen und fachmedizinischen Aus- und Weiterbildung nur eine untergeordnete Aufmerksamkeit.

  • Letztendlich ist die Suchtforschung nach wie vor vollständig unterentwickelt. Sie verfügt insbesondere im Bereich der klinischen und versorgungsorientierten Fragestellungen über so gut wie keine Mittel, Ressourcen und Institutionen. Dies hat trotz eines anderen Ansatzes in der Ausschreibung auch der neue Schwerpunkt zur Schaffung von Suchtforschungszentren nicht geändert.

Obwohl also die Notwendigkeit psychosozialer Interventionen in der suchtmedizinischen Behandlung Süchtiger allgemein anerkannt ist, sind wir von einer effektiven Verzahnung beider Bereiche noch weit entfernt. Anforderungen und Wirklichkeit klaffen in extremer Art und Weise auseinander.

Um mögliche Perspektiven für eine bessere Integration und Arbeitsteilung in diesem Bereich aufzeigen zu können, wird im Folgenden ausgehend von der Situation in der Praxis der aktuelle Forschungsstand zur Relevanz und Effektivität psychosozialer Interventionen in der Suchttherapie dargestellt.

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Relevanz psychosozialer Interventionen in der Praxis

Derzeit sind Ausgestaltung und Qualitätsindikatoren der psychosozialen Behandlung kaum standardisiert - selbst der psychosoziale Anteil in der Suchttherapie ist in keiner Weise einheitlich. Die psychosoziale Behandlung stellt in vorhandenen Settings und Interventionsstrategien entweder die einzige oder bestimmende Vorgehensweise dar oder aber sie wird mehr unterstützend und begleitend eingesetzt. Deshalb ist es auch schwierig, die Frage nach der Relevanz psychosozialer Interventionen generalisierend zu beantworten.

Es gibt jedoch eine Reihe von wichtigen Indikatoren, die übergreifend einige Rückschlüsse auf die Bedeutung des psychosozialen Anteils in der Suchttherapie ziehen lassen:

  • In der fachpolitischen Diskussion um Leitlinien und Standards, soweit sie im Suchtbereich entwickelt ist, hat die psychosoziale Betreuung in ihren verschiedenen Formen einen hohen Stellenwert [1].

  • Allen Unterschieden in Qualität und Ausgestaltung zum Trotz spiegelt sich die hervorgehobene Bedeutung der psychosozialen Betreuung auch in der klinischen Wirklichkeit wider. Auch wenn dort zum Beispiel im Rahmen der Substitution eine begleitende Betreuung, Beratung und Psychotherapie zum Einsatz kommt, heißt dies jedoch nicht, dass die Krankenversicherung dafür die Kosten übernimmt. Vielmehr zahlen an den meisten Orten für die entsprechende Beratung und Betreuung die Kommunen.

  • Als dritter Indikator für den Stellenwert der psychosozialen Anteile in der Suchttherapie lassen sich die therapeutischen Ziele anführen, die sich weitgehend mit den Wünschen der Betroffenen und ihrer Familien decken. Diese Erwartungen sind nur mit angemessenen und intensiven psychosozialen Maßnahmen zu erreichen. Insbesondere wenn es um das Herauswachsen aus der Sucht, die Überwindung sozialer Isolation, das Zurechtkommen mit rückfallgefährdenden Situationen und die Bewältigung suchtunterhaltender Verhaltensweisen geht, sind psychosoziale Strategien führend. Dies gilt für alle Behandlungssettings von der Substitution über die Entgiftung bis hin zu langfristigen Entwöhnungsbehandlungen.

  • Auch aus der Perspektive der angemessenen somatischen Versorgung, der Therapie chronischer Erkrankungen sowie der Behandlung von Begleiterkrankungen haben vielfältige Erfahrungen gezeigt, dass ohne ein entsprechendes „Krankheitsmanagement” sowie kontinuierliche Begleitung und Beratung auch diese Therapien relativ geringe Erfolgsquoten aufweisen. So ist z. B. die Behandlung von schweren Infektionserkrankungen bei Drogenabhängigen nur im Rahmen eines suchtmedizinischen Settings erfolgversprechend, das sowohl die Möglichkeit der Substitution als auch eine qualifizierte psychosoziale Behandlung umfasst. Ähnliches gilt beispielsweise auch für chronische Hepatopathien bei Alkoholikern.

Zusammenfassend gibt es also einen allgemeinen, weit reichenden Konsens hinsichtlich der Relevanz psychosozialer Interventionen in der suchtmedizinischen Behandlung - der auch durch die Gesundheitspolitik nicht bestritten wird. Er sollte als Grundlage für eine weitere Entwicklung des Suchthilfesystems zugunsten einer indikationsangemessenen Integration psychosozialer Behandlungsstrategien in jede Form der Suchttherapie genutzt werden.

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Wissenschaftlicher Hintergrund und Forschungsstand

Im Kontrast zu ihrer Rolle in der Praxis ist der Stellenwert der Suchtbehandlung und insbesondere auch der psychosozialer Interventionen in der Forschung ernüchternd: Betrachtet man die für die Suchtforschung zur Verfügung stehenden Ressourcen, so werden dafür 90 bis 95 % in den USA (allein 2001 ca. 1,5 Milliarden Dollar) und 5 % im Rest der Welt aufgebracht. Von den Forschungsanstrengungen insgesamt wird wiederum der bei weitem kleinere Teil für die Untersuchung psychosozialer Interventionen verwendet.

In einer 1994 veröffentlichten Meta-Analyse von Grawe, Donati und Bernauer [2] zur Psychotherapie fanden sich so gut wie keine systematischen, methodischen Mindestanforderungen genügenden Therapiestudien aus dem Bereich der Suchttherapie. Dies mag auch das geringe Ausmaß an Standardisierung in diesem Bereich miterklären.

Insbesondere in den USA arbeiten immerhin einige wenige Arbeitsgruppen intensiv und systematisch an der Frage psychosozialer Begleitung und ihrer Rolle in der Suchttherapie. Die meisten dieser Studien, mit Ausnahme der Kokain-Studie von Crits-Cristopher et al. [3], sind bereits in den 80er und 90er Jahren durchgeführt worden.

Einige der methodisch anspruchsvollsten und wissenschaftlich relevantesten Arbeiten stammen aus der Arbeitsgruppe aus Philadelphia um Chuck O’Brien, George Woody und Thomas McLellan. Woody et al. [4] legten dar, dass zwei Faktoren dafür verantwortlich seien, dass klinisch der Eindruck entstehe, Psychotherapie sei bei Heroinabhängigen kaum wirksam:

  1. die Schwierigkeit, bei einem ausgeprägten Acting-Out-Verhalten eines Drogenabhängigen ein Therapie- bzw. Arbeitsbündnis herzustellen und zu festigen.

  2. die Ansicht, dass viele Abhängige Soziopathien und damit traditioneller Psychotherapie nicht zugänglich seien.

Die Autoren überprüften diese Ansichten in einem randomisierten Design an 110 Methadonpatienten und verglichen drei Therapieangebote: Counseling, also die traditionelle Drogenberatung, supportiv-expressive therapy, eine psychoanalytisch orientierte Fokaltherapie, und die kognitiv-behaviorale Verhaltenstherapie. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Psychotherapiegruppen wurde nicht gefunden, wohl aber eine Überlegenheit beider dem alleinigen Counseling gegenüber.

Im Anschluss konnten Woody et al. [5] zeigen, dass Klienten mit mittleren bis hohen Psychopathologie-Scores, gemessen am Addiction-Severity-Index, signifikant bessere Behandlungsergebnisse erzielten, wenn sie sich einer Psychotherapie unterzogen hatten. Im einjährigen Follow-up [6] erwies sich darüber hinaus, dass die als Soziopathen diagnostizierte Gruppe Drogenabhängiger, die eine zusätzliche psychiatrisch relevante Störung wie beispielsweise eine Depression aufgewiesen hatten, vergleichsweise von einer psychotherapeutischen Behandlung mehr profitierte als Patienten mit der alleinigen Diagnose „Soziopathie”.

In der New Haven Studie [7], die im Design der oben erwähnten Untersuchung von Woody et al. ähnlich war, wurden Methadonpatienten entweder einer Gruppe mit interpersonaler Psychotherapie (IPT) mit einer Wochenstunde oder einer mit einer zwanzigminütigen Beratungssitzung einmal monatlich zugeteilt. Die Drop-out-Rate in beiden Gruppen war außerordentlich hoch und lediglich 38 % der IPT-Gruppe befanden sich nach sechs Monaten noch im Programm. Von zwölf Outcome-Kriterien differierten die beiden Verfahren lediglich in zweien. Das Ergebnis war also hinsichtlich Effektivität der Psychotherapie deutlich schlechter als in der Studie von Woody. Eine Teilerklärung für die unterschiedlichen Resultate liegt u. a. darin, dass in der New Haven Studie die Psychotherapieangebote nicht in das jeweilige Methadonprogramm integriert waren, sondern andernorts stattfanden. Dies unterstreicht einmal mehr die Bedeutung der Einbettung eines psychotherapeutischen Angebotes in eine umfassende Suchtbehandlung.

Kosten et al. [8] resümierten nach einer zweieinhalbjährigen Follow-up-Untersuchung im Anschluss an das New-Haven-Projekt, dass sich behaviorale, edukative und direktiv-psychotherapeutische Elemente in der Behandlung Opiatabhängiger besser bewährten als eine auf Einsicht hinarbeitende psychoanalytische Therapie.

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Interventionsbezogene Studien

Ansätze der kognitiven Verhaltenstherapie gehören zu den wissenschaftlich am besten untersuchten psychosozialen Ansätzen in der Behandlung von Suchtpatienten [9]. Bis Ende der 90er Jahre lagen mehr als 24 randomisierte klinische Studien zur Frage der Wirksamkeit kognitiver Verhaltenstherapie bei Nikotin-, Alkohol-, Kokain-, Cannabis- und Opiatabhängigen vor.

Eine Querschnittsauswertung dieser Studien [10] zeigt eine hohe Effektivität der kognitiven Verhaltenstherapie gegenüber Kontrollgruppen ohne Behandlung. Dagegen sind Vergleichsstudien mit anderen Interventionstechniken weniger eindeutig. Einige zeigen eine vergleichbar hohe Effektivität, andere auch eine Überlegenheit gegenüber z. B. interpersonaler Therapie oder psychodynamischen Ansätzen. Besonders wirksam ist die kognitive Verhaltenstherapie bei der Einschränkung der Schwere von Rückfällen. Eine hohe Effektivität zeigt sich in einigen Studien auch bei der Behandlung mehrfach Erkrankter.

Die aktuellste, sehr aufwändige vergleichende Psychotherapiestudie aus den USA beschäftigt sich mit der Behandlung von Kokainabhängigen [3]. In einem multizentrischen Kontrollgruppendesign wurden Kokainabhängige randomisiert verschiedenen Therapiebedingungen zugeordnet und die Effekte im Verlauf auf der Grundlage standardisierter Protokolle untersucht.

Die so genannte dialektische Verhaltenstherapie wurde federführend von Marsha M. Linehan entwickelt und hat ihre größte Verbreitung in der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit einer Persönlichkeitsstörung vom emotional instabilen Typ [11]. Unter so genannten Borderline-Patienten ist der schädliche Konsum psychotroper Substanzen ein verbreitetes Symptom. Eine Untersuchung von Ulit und anderen fand bei 67 % der Borderline-Patienten eine Komorbidität mit Sucht [12]. Sowohl für Patientinnen und Patienten mit Persönlichkeitsstörungen wie für Suchtpatienten gibt es nur wenige effektive und auf die Bedürfnisse dieser Patientengruppe zugeschnittene Interventionsformen. Hierzu zählt die dialektische Verhaltenstherapie, die bisher in einigen randomisierten klinischen Prüfungen untersucht wurde und sich auch in Europa zunehmender Aufmerksamkeit erfreut. Eine Studie zu diesem Bereich [11] versuchte, das vorhandene Therapiemanual für dialektische Verhaltenstherapie an die besonderen Erfordernisse der Patienten mit einer Komorbidität von Sucht und Persönlichkeitsstörungen anzupassen. An einer Stichprobe von 28 Frauen mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung sowie einer nach DSM-III-R diagnostizierten Suchterkrankung wurde die dialektische Verhaltenstherapie mit einer etablierten Verfahrensweise (Treatment as usual - TAU) verglichen.

Diese Studie führte zu im Wesentlichen drei Ergebnissen: Erstens finden sich bei der Anwendung der dialektischen Verhaltenstherapie signifikant höhere Reduktionen im Substanzmittelkonsum als bei der konventionellen Vorgehensweise. Der Durchschnittseffekt im Gruppenvergleich variiert zwischen 0,6 und 1,1 je nach Auswertung. Zweitens ist es mit der dialektischen Verhaltenstherapie effektiver möglich, die Betroffenen in der Therapie zu halten (64 % gegenüber 27 % bei konventioneller Vorgehensweise). Und drittens sind auch die Verbesserung der sozialen Integration sowie der globalen Anpassung bei Einsatz der dialektischen Verhaltenstherapie den Standardbedingungen signifikant überlegen.

Trotz einer Reihe von Einschränkungen bezüglich der Generalisierbarkeit der Ergebnisse gerade in einem so komplizierten Forschungsfeld sind diese Resultate ein wichtiger Anstoß, gerade auch in Patientengruppen mit einer komorbiden Störung neue Verfahrensweisen zu erproben und zu evaluieren.

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Gesundheitssystemforschung

Außer den interventionsbezogenen Studien sind international noch einige Untersuchungen des Behandlungssystems zu berücksichtigen, die insbesondere die Effekte bestimmter Therapie-Settings und Interventionsstrategien untersuchten. Die größte dieser Studien ist die so genannte „National Treatment Outcome Research Study” [13] aus Großbritannien.

Aus dem deutschsprachigen Raum liegen keine methodisch aufwändigeren Untersuchungen, etwa im Rahmen klinischer Prüfungen oder Kontrollgruppendesigns, vor. Die meisten in Deutschland produzierten Arbeiten sind Verlaufsuntersuchungen bzw. naturalistische Designs. Hingegen wurden Fragestellungen z. B. zur psychosozialen Betreuung im Rahmen der Suchtmedizin oder der allgemeinärztlichen Versorgung, Differentialindikation oder psychosozialer Interventionen bisher im deutschsprachigen Raum nicht untersucht.

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Zusammenfassung und vorläufige Schlussfolgerungen

Die vorhanden Untersuchungen und der Forschungsstand bezüglich psychosozialer Interventionen im Suchtbereich lassen sich zusammenfassend wie folgt darstellen:

  • Im Suchtbereich finden eine Vielzahl von unterschiedlichen Interventionen Anwendung. Die Effektivität dieser Behandlungsstrategien ist bisher nur sehr unzureichend untersucht [14] und im deutschsprachigen Raum liegen keine kontrollierten Therapiestudien vor.

  • Die Effektivität verschiedener psychosozialer Interventionen konnte sowohl im Rahmen der Interventionsforschung [3] [15] als auch im Rahmen der Gesundheitssystemforschung [13] nachgewiesen werden.

  • Die wenigen vergleichenden Untersuchungen konnten keine entscheidenden Vorteile zugunsten bestimmter Interventionen nachweisen. Offensichtlich sind sowohl psychodynamische als auch verhaltenstherapeutische und familientherapeutische Interventionen sinnvoll und effektiv.

  • Im Falle psychiatrischer Komorbidität findet die ansonsten durchaus effektive Drogenberatung ihre Grenzen und andere Interventionsformen zeigen ein deutlich besseres Outcome [4 6].

Was bedeuten diese Ergebnisse für die anfangs aufgeworfenen Fragen zur zukünftigen Rolle psychosozialer Interventionen in der Suchtmedizin? Zuallererst ist festzuhalten, dass es eine - mehr oder weniger ausgeprägte und mal stärker, mal nur eingeschränkt geglückte - Verzahnung von suchtmedizinischer Behandlung und psychosozialer Betreuung in der Praxis längst gibt. Es geht also nicht um ein Ob der Integration und berufsübergreifenden Zusammenarbeit, sondern um das Wie. Wie jedoch eine solche Verbindung idealerweise aussehen sollte und insbesondere welche Formen der psychosozialen Interventionen bei welchen Patientinnen und Patienten am erfolgsversprechendsten sind, hierzu sind Erkenntnisse der Suchtforschung in weitaus größerem Umfang erforderlich, als sie bisher vorliegen.

Einen Beitrag hierzu wird die im Rahmen des bundesdeutschen Modellprojekts zur heroingestützten Behandlung stattfindende Studie zur psychosozialen Begleitung liefern, in der - neben der medikamentösen Therapie - insgesamt 1120 Patientinnen und Patienten in zwei verschiedenen standardisierten Behandlungssettings behandelt werden: erstens dem Case-Management mit motivierender Gesprächsführung, einem strukturierten, individuell begleitenden und nachgehenden Konzept der Betreuung mit hoher Kontaktdichte, sowie zweitens einer Kombination aus Drogenberatung und Psychoedukation in einem gruppentherapeutischen Setting.

Dies kann jedoch nur ein Anfang sein. Weitere Studien sind in jedem Fall erforderlich. In nennenswertem Umfang werden sie jedoch nur möglich sein, wenn sich die für die Suchtforschung zur Verfügung stehenden Ressourcen gerade auch in der Bundesrepublik wenigstens ein Stück weit in Richtung auf die in den USA investierten Beträge zubewegen.

Eine willkommene Nebenwirkung so gewonnener Erkenntnisse könnte nicht zuletzt darin liegen, dass die Krankenkassen vermutlich in größerem Umfang dazu bereit wären, auch die - auf die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten zugeschnittenen - psychosozialen Anteile einer Suchtbehandlung zu finanzieren, wenn deren Effektivität durch umfangreiche wissenschaftliche Erkenntnisse belegt ist.

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Literatur

  • 1 Bühringer G, Gastpar M, Heinz W, Kovar K A, Ladewig D, Naber D, Täschner K L, Uchtenhagen A, Wanke K. Methadon-Standards. Vorschläge zur Qualitätssicherung bei der Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhängigen Stuttgart; Enke 1995
  • 2 Grawe K, Donati R, Bernauer F. Psychotherapie im Wandel. Göttingen; Hogrefe 1994
  • 3 Crits-Christoph P, Siqueland L, Blaine J, Frank A, Luborsky L, Onken L S, Muenz L R, Thase M E, Weiss R D, Gastfriend D R, Woody G E, Barber J P, Butler S F, Daley D, Salloum I, Bishop S, Najavits L M, Lis J, Mercer D, Griffin M L, Moras K, Beck A T. Psychosocial treatments for cocaine dependence: National Institute on Drug Abuse Collaborative Cocaine Treatment Study.  Archives of General Psychiatry. 1999;  56 493-502 (6)
  • 4 Woody G E, Luborsky L, McLellan A T, O’Brien C P, Beck A T, Hole A, Herman I. Psychotherapy for opiate addicts: Does it help?.  Arch Gen Psychiatry. 1983;  40 639-645
  • 5 Woody G E, McLellan A T, Lubursky L. et al . Psychiatric severity as a predictor of benefits from psychotherapy.  Am J Psychiatry. 1984;  141 1172-1177
  • 6 Woody G E, McLellan A T, Lubursky L, O’Brien C P. Psychotherapy for opiate dependence: A 12-month follow-up.  Am J Psychiatry. 1987;  145 109-114
  • 7 Rounsaville B J, Glazer W, Wilber C H, Weissman M M, Kleber H D. Short-term interpersonal psychotherapy in methadone-maintained opiate addicts.  Arch Gen Psychiatry. 1983;  40 629-636
  • 8 Kosten T R, Rounsaville B J, Kleber H D. A 2.5 year follow-up of depression, life-crises, and treatment effects on abstinence among opiate addicts.  Arch Gen Psychiatry. 1986;  43 733-738
  • 9 American Psychiatric Association (APA) . Practice guideline for the treatment of patients with substance use disorders: alcohol, cocaine, opioids.  Am J Psychiatry. 1995;  152 (suppl.) 5-59 
  • 10 Carroll K M. Cognitive-Behavioural Approach: Treating Cocaine Addiction. NIH Publication Number 98 - 4308 Yale University, National Institute On Drug Abuse; 1998
  • 11 Linehan M M. et al . Dialectical behavior therapy for patients with borderline personality disorder and drug-dependence.  Am J Addict. 1999;  8 279-92
  • 12 Verheul R, van den Brink W, Hartgers C. Prevalence of personality disorders among alcoholics and drug addicts: an overview.  European Addiction Research. 1995;  1 166-177
  • 13 Gossop M, Marsden J, Stewart D. The UK National Treatment Outcome Research Study and its implications.  Drug and Alcohol Review. 2000;  19 5-7
  • 14 Petzold H, Scheiblich W, Günther T. Psychotherapeutische Maßnahmen bei Drogenabhängigkeit. Uchtenhagen A, Zieglgänsberger W Suchtmedizin, Konzepte, Strategien und therapeutisches Management München, Jena; Urban und Fischer 2000
  • 15 Gastfriend D R, McLellan A T. Treatment matching. Theoretic basis and practical implications.  Med Clin North Am. 1997;  81 945-66

Prof. Dr. Michael Krausz

Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg ZIS
c/o Zentrum für psychosoziale Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie im UKE

Martinistraße 52

20246 Hamburg

Email: krausz@uke.uni-hamburg.de

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Literatur

  • 1 Bühringer G, Gastpar M, Heinz W, Kovar K A, Ladewig D, Naber D, Täschner K L, Uchtenhagen A, Wanke K. Methadon-Standards. Vorschläge zur Qualitätssicherung bei der Methadon-Substitution im Rahmen der Behandlung von Drogenabhängigen Stuttgart; Enke 1995
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  • 3 Crits-Christoph P, Siqueland L, Blaine J, Frank A, Luborsky L, Onken L S, Muenz L R, Thase M E, Weiss R D, Gastfriend D R, Woody G E, Barber J P, Butler S F, Daley D, Salloum I, Bishop S, Najavits L M, Lis J, Mercer D, Griffin M L, Moras K, Beck A T. Psychosocial treatments for cocaine dependence: National Institute on Drug Abuse Collaborative Cocaine Treatment Study.  Archives of General Psychiatry. 1999;  56 493-502 (6)
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Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung der Universität Hamburg ZIS
c/o Zentrum für psychosoziale Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie im UKE

Martinistraße 52

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