Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-2001-19223
Osteoporose
Dr. med. Manfred Wildner, MPH
Bayerischer Forschungsverbund
Public Health - Öffentliche Gesundheit
Ludwig-Maximilians-Universität München
Tegernseer Landstr. 243
D-81549 München
Email: wil@ibe.med.uni-muenchen.de
Publication History
Publication Date:
20 December 2001 (online)
- Prevention of Osteoporosis
- Risikofaktoren
- Prävention und Screening
- Primärprävention: Osteoporose verhindern bzw. verzögern
- Sekundärprävention: Maßnahmen bei Osteoporose
- Tertiärprävention: Knochenbruchbehandlung und Rehabilitation
- Ausblick
Prevention of Osteoporosis
Osteoporosis is a leading cause of death and disability among elderly Caucasian women. Implementation of a rational prevention strategy has a high public health priority in industrialized nations. It should consider age, sex and individual fracture risk and hence consists of a combination of general, selective and indicated preventive measures. Individual fracture risk assessment plays a key role for indicated prevention and requires the dissemination of inexpensive, valid questionnaire-based assessment tools.
Mobilität ist von großer Bedeutung für eine unabhängige Lebensführung bis ins hohe Alter. Sie ist durch die Osteoporose prinzipiell bedroht - einer Knochenveränderung, die gekennzeichnet ist durch einen Verlust an Knochenmasse, eine Verschlechterung der Knochenarchitektur und damit verbunden einem erhöhten Frakturrisiko. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO, 1999; www.who.int/inf-pr-1999/en/pr99-58.html) zählt die Osteoporose wegen ihrer Häufigkeit und ihrer Folgen zu den bedeutendsten Krankheiten weltweit. Vorliegen und Ausmaß einer Osteoporose kann über eine Knochendichtemessung bestimmt werden. Standardverfahren ist die Zwei-Energie-Röntgenabsorptiometrie (DEXA). Die Osteoporose-Task Force der WHO empfiehlt, die Knochendichtemessung am proximalen Femur durchzuführen (Osteoporos Int 1999; 10: 259-264). Dabei wird die Abweichung des gemessenen Wertes vom Messwert bei jungen, gesunden Menschen als sogenannter »T-Score« angegeben. Ein T-Score von unter -1 wird als Osteopenie gewertet, ein Wert von unter -2,5 als Osteoporose. Bevölkerungsrepräsentative Knochendichtemessungen wie in den USA fehlen für Deutschland bisher [Abb. 1]. Nach Untersuchungen der MONICA Studie in Augsburg geben jedoch 17 % der Frauen und 2 % der Männer im Alter zwischen 65 und 75 Jahren an, an Osteoporose zu leiden (eigene Berechnungen; Veröffentlichung im Druck).

Abb. 1 Geschätzte Prävalenz der Osteoporose bei kaukasischen Männern und Frauen (USA 1988-1994, eigene Berechnungen nach NHANES III). Für Deutschland sind etwas günstigere Werte zu erwarten.
Typische osteoporotische Knochenbrüche betreffen die Wirbelkörper, den distalen Radius, den Oberarm und als folgenschwerste Lokalisation den hüftnahen Oberschenkel. Das Risiko, einmal im Leben einen Knochenbruch zu erleiden, beträgt etwa 50% bei Männern wie bei Frauen. Bei Männern ist eine zweigipflige Risikoverteilung mit einem ersten Risikogipfel im Alter von 15 bis 24 Jahren zu sehen, bei den Frauen eine stetige, exponentielle Zunahme des Knochenbruchrisikos mit dem Lebensalter. Bis zum 85. Lebensjahr erleidet eine von acht Frauen und einer von 16 Männern einen hüftnahen Oberschenkelbruch - derzeit etwa 100 000 Menschen pro Jahr in Deutschland, mit Behandlungskosten in Krankenhäusern und Rehabilitationskliniken von deutlich über 2 Milliarden DM (World Health Forum 1995; 16: 400-401; Osteoporosis Int 2001; 12: 136-139).
#Risikofaktoren
Wichtigste Risikoprädiktoren der Osteoporose sind neben dem weiblichen Geschlecht das Lebensalter und das Körpergewicht [Abb. 2]. Weitere bekannte Risikofaktoren der Osteoporose sind die Hormonsituation (insbesondere eine frühe Menopause), Bewegungsarmut oder eine exzessive körperliche Aktivität (Amenorrhoe), Medikamente wie z. B. Kortison und das Ernährungsverhalten (z. B. zu niedrige Kalzium- und Vitamin D-Zufuhr bei Milchunverträglichkeit, streng vegetarische Ernährung und Magersucht).

Abb. 2 Diagramm zur Abschätzung der Knochendichte am hüftnahen Oberschenkelknochen mittels Alter und Gewicht bei über 50 Jahre alten Frauen (Deutschland, eigene Berechnungen; Osteopenie < -1,00; Osteoporose < -2,50).
Risikofaktoren für osteoporotische Frakturen stellen eine Kombination aus Einflüssen auf die Sturzhäufigkeit (z. B. Allgemeinzustand, Schwindel, Medikamentennebenwirkungen, Wohnumwelt), auf die Energieresorption nach einem Sturz (z. B. Ernährungszustand, Bodenbelag, Schutzreflexe und Muskelkraft) und auf die Knochendichte dar (s. a. [Tab. 1]).
Risikofaktoren |
Alter (je 5 Jahre über 65) |
Frakturanamnese (proximale Femurfraktur, Mutter) |
Weniger als 20% Gewichtszunahme seit dem 25. Lebensjahr |
Körpergröße über 159 cm, je 6 cm (Bezug: 25. Lebensjahr) |
Gesundheitsstatus befriedigend oder schlecht |
Hyperthyreose (Anamnese) |
Lang wirkende Benzodiazepine (derzeitige Einnahme) |
Antikonvulsiva (derzeitige Einnahme) |
Koffeinkonsum (je 190 mg/Tag) |
Keine Spaziergänge als Training |
< 4h/Tag auf den Beinen |
Armunterstützung beim Aufstehen aus einem Sessel |
Visuelle Tiefenwahrnehmung (Howard-Dahlmann, unterstes Quartil) |
Visuelle Kontrastwahrnehmung (je Standardabweichung) |
Ruhepuls > 80/Minute |
Fraktur seit dem 50. Lebensjahr |
BMD am Kalkaneus (je Standardabweichung) |
Prävention und Screening
Präventionsmaßnahmen sollten an verschiedenen Punkten ansetzen und spezifisch auf die jeweiligen Risikofaktoren ausgerichtet sein. Ein allgemeines osteodensitometrisches Screening ist nicht indiziert. Sinnvoll ist jedoch ein systematischer Check von Risikofaktoren, an das sich bei hohem Risiko (z. B. 5-Jahres-Risiko einer hüftnahen Oberschenkelfraktur > 20%) eine indizierte Knochendichtemessung anschließen kann.
#Primärprävention: Osteoporose verhindern bzw. verzögern
Der Aufbau der Knochenmasse in jungen Jahren hat große Bedeutung: Im Idealfall haben die Knochen um das 30. Lebensjahr die größte Festigkeit erreicht. Danach nimmt die Knochenmasse bei allen Menschen wieder ab, stetig um etwa 0,5-1% im Jahr. Ein hohes Niveau der Knochendichte in jungen Jahren sichert eine auch im Alter noch ausreichende Knochendichte.
Auf die besondere Gefährdung der Frauen wurde bereits hingewiesen: Ihre Knochen sind schmaler und mit den Wechseljahren endet die Schutzwirkung der Östrogene. Vermeidbare Risikofaktoren sind zu wenig Bewegung, häufige Diäten, Rauchen oder zu viel Alkohol. Schon Teenager sind gefährdet. Um Kalorien zu sparen, verzichten sie auf kalziumreiche Milch und Milchprodukte, trinken aber große Mengen phosphorsäurehaltiger Softdrinks wie Cola-Getränke. Von Kindesbeinen an kann der Osteoporose durch ausreichende Kalziumzufuhr in der Nahrung, körperliche Bewegung und Vitamin D vorgebeugt werden.
#Sekundärprävention: Maßnahmen bei Osteoporose
Über die Hälfte der Knochenbrüche im Alter sind durch einen Sturz bedingt. Zu den sturzbegünstigenden Faktoren gehören Erkrankungen, wie z. B. Zuckerkrankheit, Herz-Kreislauferkrankungen oder neurologische Erkrankungen. Die Sturzgefahr steigt durch Gehunsicherheiten, verminderte Reaktionszeiten, Gleichgewichtsstörungen, Sehschwächen, Schwindel oder Blutdruckschwankungen. Auch manche Medikamente können zu diesen Erscheinungen führen. Zur Vermeidung von Stürzen sollte auch die Verwendung von Hilfsmitteln wie Brillen und Gehhilfen besprochen werden. Beeinträchtigte Schutzreflexe und Muskelschwäche können durch gymnastische Übungsprogramme verbessert werden. Einen äußeren Schutz gewähren Hüftprotektoren, die unter der Kleidung getragen werden können. Sie haben sich besonders in Alten- und Pflegeheimen bewährt.
Im häuslichen Bereich können mit einfachen Mitteln »Stolperfallen« durch unebenen Teppichboden, Telefonleitungen oder Türschwellen beseitigt werden. Der Rutschgefahr auf glattem Boden im Haus oder außer Haus bei Schnee und Glatteis kann entgegnet werden. Besonders in Altenheimen und im Winter ist auch auf ausreichend Aufenthalt im Freien zu achten.
Dem Knochenabbau kann mit Medikamenten entgegengewirkt werden. Generell ist die Wirksamkeit einer medikamentösen Therapie zur Erhöhung der Knochendichte bzw. zu einem Stopp der Verluste für Kalzium und Vitamin D belegt sowie für Biphosphonate und für eine Hormonersatztherapie bei Frauen (Osteoporos Int 1998; 8 (Suppl. 4): 1-80).
#Tertiärprävention: Knochenbruchbehandlung und Rehabilitation
Nach einem Unfall ist schnelle Hilfe wichtig. Oft können sich ältere Menschen nach einer akuten Verletzung keine Hilfe holen, da sie nicht mehr selbst aufstehen können. Elektronische Überwachungssysteme werden angeboten. Tägliche Besuche durch Betreuungspersonen können das Schlimmste verhindern. Eine Trillerpfeife, um den Hals getragen, ist eine pfiffige Art, sich bemerkbar zu machen, wenn teurere Lösungen nicht möglich sind. Die chirurgische Versorgung von Knochenbrüchen hat auch bei alten Menschen einen hohen Standard und gute Ergebnisse erreicht. Die Wiederherstellung der Gehfähigkeit, aber auch die Beweglichkeit der Arme und Hände sind Voraussetzungen für ein selbstständiges Leben. Nach der Akutversorgung ist daher eine schnelle Einleitung von Rehabilitationsmaßnahmen wesentlich.
#Ausblick
Die Mehrzahl der Osteoporose-Patienten ist in Altersgruppen mit nur mäßig erhöhtem Risiko zu finden, die eine stärkere Besetzung aufweisen als höhere Altersgruppen. Für die Präventionsstrategie ist daraus abzuleiten, dass sich die Maßnahmen nicht auf die Höchstrisikogruppe beschränken dürfen, sondern schon bei jüngeren Bevölkerungsgruppen als allgemeine oder nach Alter und Geschlecht selektive Präventionsmaßnahmen ansetzen müssen [Kasten]. Nähere Untersuchungen zum Verhältnis von Kosten und Nutzen einer medikamentösen Prophylaxe legen nahe, dass diese vom individuellen Frakturrisiko abhängig gemacht und indiziert erfolgen sollte. Nach eigenen Berechnungen ist bei Frauen über 65 Jahren aus Sicht der Kostenträger eine Einnahme von Kalzium und Vitamin D spätestens bei Vorliegen von zwei der in [Tab. 1] aufgeführten Risikofaktoren kosteneffektiv und indiziert. Liegen fünf oder mehr Risikofaktoren vor, ist eine Knochendichtemessung und eine evtl. Hormongabe bzw. die Einnahme von Biphosphonaten zu empfehlen. Von diesen präventiven Empfehlungen unberührt bleiben die spezifischen medizinischen Indikationsstellungen für eine Knochendichtemessung bzw. eine medikamentöse Therapie (Osteoporos Int 1999; 10: 259-264).
Allgemeine Präventionsmaßnahmen
|
Selektive Präventionsmaßnahmen im höheren Lebensalter
|
Indizierte Präventionsmaßnahmen bei Risikogruppen
|
Grenzwerte für indizierte Präventionsmaßnahmen |
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Präventionsstrategien Alter, Geschlecht und Frakturrisiko berücksichtigen und spezifisch für die jeweiligen Risikofaktoren sein sollten. Das Knochenbruchrisiko im Alter kann durch zielgruppenspezifische Maßnahmen kosteneffektiv verringert werden. Eine Kombination aus allgemeiner, selektiver und indizierter Prävention auf der Grundlage eines fragebogengestützten, nach Möglichkeit computerassistierten evidenzbasierten Risikoassessments hat das Potenzial, die Anzahl der Knochenbrüche zu verringern, die Lebensqualität der Älteren zu verbessern, zusätzliche Pflegefälle zu vermeiden und damit auch einer weiteren Ausgabensteigerung entgegenzuwirken (Osteoporos Int 2001; 12: 519-528).
Der Autor dankt Frau Prof. Anne Brunner, Eichstätt, und Frau Dr. Angelika Werner, Weilheim, für ihre Unterstützung.
In der nächsten Folge lesen Sie: Sucht (Alkohol etc.)
Fachliche Betreuung der Serie:
Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba, München
Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz, Hannover
Dr. med. Manfred Wildner, MPH
Bayerischer Forschungsverbund
Public Health - Öffentliche Gesundheit
Ludwig-Maximilians-Universität München
Tegernseer Landstr. 243
D-81549 München
Email: wil@ibe.med.uni-muenchen.de
Dr. med. Manfred Wildner, MPH
Bayerischer Forschungsverbund
Public Health - Öffentliche Gesundheit
Ludwig-Maximilians-Universität München
Tegernseer Landstr. 243
D-81549 München
Email: wil@ibe.med.uni-muenchen.de

Abb. 1 Geschätzte Prävalenz der Osteoporose bei kaukasischen Männern und Frauen (USA 1988-1994, eigene Berechnungen nach NHANES III). Für Deutschland sind etwas günstigere Werte zu erwarten.

Abb. 2 Diagramm zur Abschätzung der Knochendichte am hüftnahen Oberschenkelknochen mittels Alter und Gewicht bei über 50 Jahre alten Frauen (Deutschland, eigene Berechnungen; Osteopenie < -1,00; Osteoporose < -2,50).