Pneumologie 2002; 56(1): 11-12
DOI: 10.1055/s-2002-19571
Editorial
Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Schlaf und Unfallrisiko

Sleep and Accident RiskH.  Hein1
  • 1Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie, Krankenhaus Großhansdorf
Further Information

Dr. med. H. Hein

Krankenhaus Großhansdorf
Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie

Wöhrendamm 80

22927 Großhansdorf

Publication History

Publication Date:
16 January 2002 (online)

Table of Contents

Schläfrigkeit führt zu einer erheblichen Einschränkung der Verkehrstüchtigkeit. Jeder 3. tödliche Autobahnunfall ist ein Alleinunfall, 56 % aller Autobahnunfälle treten in der Nacht auf [1]. Nach 40 Stunden Wachheit ist die Reaktionszeit auf einfache visuelle Reize fast verdoppelt [2].

Schlafbezogene Atmungsstörungen können durch obstruktive Apnoen und Hypopnoen und die dadurch ausgelösten Arousals zu Schlaffragmention, nicht erholsamen Schlaf und Tagesschläfrigkeit führen [3]. Sie sind daher ein wichtiger Risikofaktor für Verkehrsunfälle. Patienten mit Schlafapnoe-Syndromen weisen, verglichen mit Normalpersonen, ein 6,3 - 7,3-fach erhöhtes Verkehrsunfallrisiko auf [4] [5]. In den USA werden die aufgrund von Tagesschläfrigkeit durch Schlafapnoe-Syndrome verursachten Kosten für Unfälle auf 43 bis 56 Milliarden Dollar geschätzt, auf der Basis der Zahlen von 1988 [6]. Nicht alle Patienten mit Schlafapnoe-Syndromen leiden jedoch an Tagesschläfrigkeit. Daher ist es weder sinnvoll noch wissenschaftlich begründet, alle Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen vom Straßenverkehr und von Tätigkeiten, die eine besondere Aufmerksamkeit erfordern, auszuschließen. Es liegt aber nahe, eine Praxissimulation zur Erfassung pathologisch verminderter Aufmerksamkeitsleistungen einzusetzen. In den üblichen Testverfahren werden in Einzeluntersuchungen jeweils nur Einzelaspekte von Aufmerksamkeitsleistungen geprüft: z. B. Daueraufmerksamkeit, geteilte Aufmerksamkeit, Vigilanz unter Monotoniebedingungen, Kurzzeitgedächtnis, Langzeitgedächtnis, Lernprozesse, Arbeitsgedächtnis und anderes. Im Fahrsimulator dagegen werden Alltagssituationen simuliert und dadurch kombinierte mentale Leistungen untersucht. In diesem Heft werden in dem Artikel von M. Orth aus der Bochumer Arbeitsgruppe [7] die Ergebnisse einer Fahrsimulation bei Patienten mit schlafbezogenen Atmungsstörungen verglichen mit denen von gesunden Probanden. Die Patienten zeigten während einer einstündigen Fahrsimulation eine doppelt so hohe Unfallrate und fast doppelt so viele Konzentrationsfehler wie gesunde Kontrollpersonen gleichen Alters. Nach einer 6-wöchigen adäquaten Therapie (nCPAP) waren die Leistungen im Fahrsimulator deutlich gebessert, sie lagen sogar über den Ausgangswerten der Normprobanden. Allerdings zeigte sich auch ein „Wermutstropfen”: Die in der Untersuchung ermittelte Rate von 1,3 Unfällen während einer einstündigen Fahrt auf einer Landstraße spiegelt nicht das normale Fahrverhalten von Normprobanden wider. Der vorgestellte Test ist lediglich eine Simulation der Wirklichkeit, Rückschlüsse auf tatsächliche Unfallraten und Verkehrsgefährdungen sind nicht möglich. Dies zeigt sich auch daran, dass die Unfallraten der Patienten „nur” doppelt so hoch waren wie die der Kontrollpersonen. In der Literatur (s. o.) werden für die Realität weit höhere Raten beschrieben.

Aufschlussreich ist auch die Gegenüberstellung der mittels standardisierter Fragebogen erfassten Symptome wie Tagesmüdigkeit, Einschlafneigung, eingeschränkte Leistungsfähigkeit und morgendliches ausgeruhtes Erwachen vor und unter der nCPAP-Therapie. Die vor Therapie pathologisch veränderten Werte wurden unter der Behandlung normal. Streng genommen könnte daher auf die Fahrsimulation verzichtet werden. Da Ergebnisse aus Fragebogen aber nur subjektive Angaben darstellen, sind vielfältige Möglichkeiten der Manipulation gegeben. Wegen der schwerwiegenden Folgen von Unfällen, aber auch wegen u. U. erheblicher sozialer Härten bei Entziehung der Fahrerlaubnis sind strenge Anforderungen an die Beurteilung der Verkehrstüchtigkeit zu stellen. Es sind also objektivierbare Verfahren erforderlich. Hier liegt der Stellenwert des dargestellten Fahrsimulationstests, der im Gegensatz zu einfachen Testungen die gesamte Komplexität des Führens eines Fahrzeuges erfasst. Der Fahrsimulationstest sollte wegen des großen Aufwandes und der hohen erforderlichen Investitionen dann zur Anwendung kommen, wenn aufgrund vorheriger Untersuchungen der Vigilanz und Aufmerksamkeit eine Beeinträchtigung der Verkehrstüchtigkeit weder ausgeschlossen noch bewiesen werden kann. Zeigen z. B. bei einem Patienten die „Goldstandards” Multiple Sleep Latency Test oder Maintenence of Wakefulness Test eindeutig pathologische Werte, sind zugleich Reaktionszeitteste normal und hat der Betroffene bisher ohne Unfall und ohne Einschlafprobleme ein Fahrzeug geführt, könnte der Fahrsimulationstest weitere wichtige Daten für eine Beurteilung ermöglichen. Der beste Beweis in solchen Zweifelsfällen wäre der „Praxistest”, also die Teilnahme am Straßenverkehr, was allerdings aus verständlichen Gründen nicht praktikabel ist.

#

Literatur

  • 1 Langwieder K, Sporner A, Hell W. Struktur der Unfälle mit Getöteten auf Autobahnen im Freistaat Bayern im Jahr 1991. HUK-Verband 1994
  • 2 Corsi-Cabrera M, Arce C, Ramo J, Lorenzo I, Guevara M A. Time course of reaction time and EEG while performing a vigilance task during total sleep deprivation.  Sleep. 1996;  19 563-569
  • 3 Colt H G, Haas H, Rich G B. Hypoxemia vs. sleep fragmentation as cause of excessive daytime sleepines in OSA.  Chest. 1991;  100 1542-1548
  • 4 Terán-Santos J, Jiménez-Gómez A, Cordero-Guevara J. The association between sleep apnea and the risk of traffic accidents.  New Engl J Med. 1999;  340 847-851
  • 5 Young T, Blustein J, Finn L, Palta M. Sleep-disordered breathing and motor vehicle accidents in a population-based sample of employed adults.  Sleep. 1997;  20 608-613
  • 6 Leger D. The cost of sleep realted accidents: a report for the national commission on sleep disorders research.  Sleep. 1994;  17 84-93
  • 7 Orth M, Leidag M, Kotterba S, Widdig W, de Zeeuw J, Walther J W, Duchna H-W, Schäfer D, Schläfke M E, Malin J-P, Schultze-Werninghaus G, Rasche K. Abschätzung des Unfallrisikos bei obstruktivem Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) durch Fahrsimulation.  Pneumologie. 2002;  56 13-18

Dr. med. H. Hein

Krankenhaus Großhansdorf
Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie

Wöhrendamm 80

22927 Großhansdorf

#

Literatur

  • 1 Langwieder K, Sporner A, Hell W. Struktur der Unfälle mit Getöteten auf Autobahnen im Freistaat Bayern im Jahr 1991. HUK-Verband 1994
  • 2 Corsi-Cabrera M, Arce C, Ramo J, Lorenzo I, Guevara M A. Time course of reaction time and EEG while performing a vigilance task during total sleep deprivation.  Sleep. 1996;  19 563-569
  • 3 Colt H G, Haas H, Rich G B. Hypoxemia vs. sleep fragmentation as cause of excessive daytime sleepines in OSA.  Chest. 1991;  100 1542-1548
  • 4 Terán-Santos J, Jiménez-Gómez A, Cordero-Guevara J. The association between sleep apnea and the risk of traffic accidents.  New Engl J Med. 1999;  340 847-851
  • 5 Young T, Blustein J, Finn L, Palta M. Sleep-disordered breathing and motor vehicle accidents in a population-based sample of employed adults.  Sleep. 1997;  20 608-613
  • 6 Leger D. The cost of sleep realted accidents: a report for the national commission on sleep disorders research.  Sleep. 1994;  17 84-93
  • 7 Orth M, Leidag M, Kotterba S, Widdig W, de Zeeuw J, Walther J W, Duchna H-W, Schäfer D, Schläfke M E, Malin J-P, Schultze-Werninghaus G, Rasche K. Abschätzung des Unfallrisikos bei obstruktivem Schlafapnoe-Syndrom (OSAS) durch Fahrsimulation.  Pneumologie. 2002;  56 13-18

Dr. med. H. Hein

Krankenhaus Großhansdorf
Zentrum für Pneumologie und Thoraxchirurgie

Wöhrendamm 80

22927 Großhansdorf