Einleitung
Einleitung
Die Hauterscheinungen eines Lupus erythematodes (LE) können äußerst vielgestaltig
sein. Das initiale Auftreten von seltenen und ungewöhnlichen Hautveränderungen (Tab.
[1]) ohne sonstige klinische Beschwerden kann die Diagnosestellung und damit auch eine
Therapieeinleitung verzögern. Wir beobachteten erstmals eine Patientin, die bei der
Vorstellung in unserer Klinik zunächst als einziges Symptom eines SLE flagellatenförmige
Erytheme aufwies. Im Zuge der anschließenden Diagnostik konnte ein SLE gesichert und
erfolgreich behandelt werden. Der Kasus unterstreicht die Bedeutung der Kenntnis von
Hautveränderungen für die Diagnose des SLE und die Abgrenzung von anderen Krankheitsbildern,
die mit ähnlichen Hauterscheinungen einhergehen, und soll daher hier berichtet werden.
Tab. 1 Kutane Manifestationen des Lupus erythematodes (aus [6])
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systemischer Lupus erythematodes (SLE)
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bullöser SLE (BLE) |
| Urtikariavaskulitis |
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subakut kutaner LE (SCLE)
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diskoider Lupus erythematodes (DLE) |
| Lupus erythematodes tumidus (LET) |
| Lupus erythematodes hypertrophicus/verrucosus (LEHV) |
| Chilblain Lupus erythematodes |
| Lupus erythematodes profundus |
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seltene kutane Manifestationen des Lupus erythematodes
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anuläres Erythem |
| papulöse Muzinose |
Kasuistik
Kasuistik
Anamnese
Im Januar 2000 traten bei der damals 51-jährigen Patientin in ihrer Entstehung unklare,
multiple, gering juckende, streifenförmige Hautveränderungen am Gesäß auf, welche
als Casus pro diagnosi zur Vorstellung in unserer Klinik führten. Auf genauere Befragung
gab die Patientin an, dass einige Monate vorher 2 flache oberflächliche fünfmarkstückgroße
Ulzera im Glutealbereich bestanden hatten, die nach lokaler Steroidanwendung abgeheilt
waren. Schließlich berichtet sie über Schmerzen in den Schultern, Knien, Hand- und
Fingergelenken, die seit mehreren Jahren bestanden und deren Ursache nicht geklärt
war.
Aufnahmebefund
Im Bereich der Glutealregion und der angrenzenden Oberschenkelbeugeseiten finden sich
beidseits längsgestellte, bis 8 cm lange und 3 cm breite, erythematös-livide, flagellatenförmige,
scharf begrenzte und gering infiltrierte Hautveränderungen (Abb. [1]).
Abb. 1 Flagellatenförmige Erytheme der Glutealregion.
Bis auf einzelne Exkoriationen über dem Os sacrum war das übrige Integument hauterscheinungsfrei.
Hautveränderungen und Gelenkbeschwerden ließen uns an eine Kollagenose denken. Wir
leiteten daraufhin eine ausgedehnte klinische, laborchemische immunologische und apparative
Diagnostik ein.
Befunde diagnostischer Untersuchungen
Klinische Chemie
BSG: mit 20/32 mm mäßig beschleunigt; alkalische Phosphatase: 5,25 (NW < 4,0); 24-h-Sammelurin
auf Eiweiß: 0,15 g (grenzwertig pathologisch); Blutzucker: max. 7,2 mmol/l. Blutbild,
Kreatinin, Kreatininclearance, Elektrolyte, Harnstoff, Harnsäure, ALAT, ASAT, gGT,
CRP, CK, LDH, Gerinnung und RF im Normbereich.
Immunologische Befunde
ANF: 1 : 1280 (trivalent, homogen; Substrat: Hep2-Zellen)dsDNS-AK: 1 : 2560 (Substrat:
Crithidia luciliae)Phospholipid-AK-Screen: Cardiolipin-AK-Screen 51U/ml (NW: < 45),
B2-Glycoprotein-I-AK-Screen: positivENA-Screen, AMAK, p-/c-ANCA, ribosomale AK, AK
gegen glatte und quergestreifte Muskulatur, M2-AK: nicht nachweisbar; ZIK, Immunglobuline,
C3 und C4 im Serum im Normbereich; kein Paraprotein im Serum und Urin
Histologie (läsionale Haut)
Haut mit Anhangsgebilden. Orthohyperkeratose mit teilweise Serokrusten-Einlagerungen.
Akanthose der Epidermis. Ödem im Stratum papillare. Überwiegend im oberen Korium vermehrte
und z. T. wandverdickte Kapillaren. Superfizielle und tiefe perivaskuläre lymphozytäre
Infiltrate, teilweise auch perifollikuläre lymphozytäre Infiltrate. In der Alzianblaufärbung
geringe Muzinablagerungen subepidermal (Abb. [2]).
Abb. 2 Histologie der flagellatenförmigen Erytheme mit perivaskulären lymphozytären Infiltraten
im Korium und epidermalen Veränderungen durch Kratzeffekte. Färbung: H.E.; Vergrößerung:
25 ×
DIF (läsionale Haut, Gesäß)
bandförmige IgG- und C3-Niederschläge entlang der dermoepidermalen Junktionszone
DIF (unbefallene Haut, Oberarminnenseite)
bandförmige IgG- und C3-Niederschläge entlang der dermoepidermalen Junktionszone:
positiver Lupusband-Test
Apparative Untersuchungen und fachärztliche Konsile
Röntgen-Thorax: Verdacht auf kleinen Pleuraerguss links; laterale Sinusadhärenzen;
Aortenelongation und -sklerose; sonst regelrechtPleurasonographie: kein Anhalt für
frischen Erguss, am ehesten laterale ZwerchfelladhäsionenEchokardiographie: regelrechter
Befund, insbesondere kein Anhalt für PerikardergussErgo-Spirometrie: regelrechter
BefundSonographie Abdomen und Nieren: regelrechter BefundSpeicheldrüsenszintigraphie:
NormalbefundÖsophagus-Breischluck-Passage: regelrechter BefundÖsophagusszintigraphie:
zeitlich normale Passage, jedoch auffällige Pendelbewegung, die als beginnende Funktionsstörung
gewertet werden könnteorthopädisches Konsil: Arthralgien bei SLEneurologisches Konsil:
kein Anhalt für Myositis
Therapie und Verlauf
Therapie und Verlauf
Wir therapierten initial mit 80 mg Prednisolon, 100 mg Imurek und 250 mg Resochin
pro Tag. Darunter heilten bereits unter stationären Bedingungen die Hauterscheinungen
vollständig ab. Im weiteren ambulanten Verlauf konnten wir die Prednisolondosis auf
eine Erhaltungsdosis von jetzt 5 mg senken, die Imurekdosis reduzierten wir auf 50
mg pro Tag. Darunter sind bis zum heutigen Tag keine neuen Hauterscheinungen aufgetreten,
auch die Gelenkbeschwerden haben sich deutlich gebessert und die Patientin fühlt sich
wohl.
Diskussion
Diskussion
Die Patientin stellte sich primär ausschließlich wegen der ungeklärten auffälligen
flagellatenförmigen Erytheme in unserer Klinik vor. Prima vista ließen uns die hier
beschriebenen Hautveränderungen am Gesäß wegen ihrer Lokalisation, Form, Anordnung
und Farbe an relativ frische Verletzungen durch Misshandlungen (Schläge) denken. Dafür
gab es jedoch anamnestisch keine Bestätigung. Auf gezieltes Befragen konnten zusätzlich
relativ diskrete Gelenkbeschwerden eruiert werden, die allein nicht wegweisend für
das Vorliegen eines SLE waren. Ausschließlich die Hauterscheinungen ließen uns u.
a. auch an einen LE denken und waren Veranlassung für eine entsprechende Labordiagnostik.
Nachdem der klinische LE-Verdacht durch die immunologischen und histologischen Befunde
bestätigt wurde, konnten durch nochmalige subtile Erhebung der Anamnese und Gewinnung
von klinischen sowie paraklinischen Daten weitere ARA-Kriterien und sichere sowie
mögliche Hinweise auf eine interne Manifestation eines SLE gewonnen werden. Folgende
ARA-Kriterien waren erfüllt: hohe ANA-Titer, Nachweis von ds-DNS-AK, Hauterscheinungen
eines LE, sonographisch und röntgenologisch Pleuraadhäsionen (im Sinne eines Zustandes
nach Pleuraergüssen beidseits) und Arthralgien.
Der vorgestellte Kasus ist ein Beispiel für die Kompetenz des Dermatologen auf dem
Gebiet der Kollagenosen. Die richtige Bewertung der als einziges augenfälliges Symptom
bestehenden Hautveränderungen führte zur Diagnose.
In einer Übersichtsarbeit [6] wurde über seltene kutane Manifestationen des Lupus erythematodes berichtet, welche
durchaus diagnostische Schwierigkeiten bereiten können. Die von uns beobachteten flagellatenförmigen
Hauterscheinungen sind in dieser Arbeit nicht beschrieben. Auch in ausgedehnten Literaturrecherchen
konnten flagellatenförmige Erytheme bei SLE-Patienten nicht gefunden werden, so dass
es sich bei unserem Fall um die erste Mitteilung handelt.
Über das Auftreten flagellatenförmiger Erytheme wird bei einigen Fällen von Dermatomyositis
[4]
[5]
[8]
[9], nach Bleomycin-Therapie [1]
[2] und nach dem Genuss des ungekochten Speisepilzes Lentinus edodes bei der so genannten
Shiitake-Dermatitis [3]
[7] berichtet.
Bei unserer SLE-Patientin konnte eine Dermatomyositis zweifelsfrei ausgeschlossen
werden. Eine Bleomycin-Therapie und der Genuss von Speisepilzen schieden bei ihr anamnestisch
aus. Sie ist damit der erste publizierte Kasus eines SLE mit flagellatenförmigen Erythemen.
Das ist auch insofern bemerkenswert, als bisher die Ansicht galt, dass flagellatenförmige
Erytheme innerhalb der Kollagenosen ausschließlich bei Dermatomyositis auftreten [4]
[8]. Die Einzelmorphe der Hauterscheinungen bei unserer SLE-Patientin entsprach morphologisch
den flagellatenförmigen Erythemen, wie sie bei Dermatomyositis, nach Bleomycin-Therapie
und bei Shiitake-Dermatitis beschrieben werden. Topographisch lag bei unserer Patientin
mit dem Befall der Gesäßregion und der angrenzenden Oberschenkelbeugeseiten eine bevorzugte
Lokalisation des Rumpfes vor, wie sie auch bei flagellatenförmigen Erythemen in Verbindung
mit Dermatomyositis, Bleomycin-Therapie und Shiitake-Dermatitis beschrieben wird [1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9].
Zusätzlicher Befall von Extremitäten, Kopf und Nacken ist möglich. Ein mehr oder weniger
ausgeprägter Pruritus, wie ihn unsere Patientin schilderte, wird auch bei flagellatenförmigen
Erythemen im Zusammenhang mit den anderen Krankheiten und Störungen geschildert [1]
[2]
[3]
[4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]. Bei Bleomycin-induzierten flagellatenförmigen Erythemen scheint eine etwas deutlichere
Neigung zu postinflammatorischer Hyperpigmentierung zu bestehen [1]
[2]. Bei der weitgehenden klinischen Übereinstimmung der flagellatenförmigen Erytheme
bei unterschiedlichen Grundleiden stellt sich die Frage nach histologischen Veränderungen
und eventuellen ätiopathogenetischen Gemeinsamkeiten. Die Erytheme bei unserer Patientin
wiesen histologische Veränderungen auf, wie sie auch bei einem SLE auftreten können.
Die beschriebenen epidermalen Befunde können Ausdruck von Kratzeffekten sein (Abb.
[2]).
In der Epidermis können v. a. bei Dermatomyositis-assoziierten flagellatenförmigen
Erythemen eine Hyperkeratose mit fokaler Parakeratose und unregelmäßiger Akanthose,
Spongiose und Exozytose von Lymphozyten auftreten [1]
[5]
[9]. Die histologischen Veränderungen der Bleomycin-induzierten flagellatenförmigen
Erytheme zeigen eine weitgehende Übereinstimmung mit denen der Interface-Dermatitis
bei Kollagenosen [1]. In 5 Tage alten Bleomycin-induzierten flagellatenförmigen Erythemen fand sich in
einem Fall im Biopsiematerial eine lymphozytäre Vaskulitis [2]. Bei Shiitake-Dermatitis konnten in den flagellatenförmigen Erythemen eine Spongiose
und nekrotische Zellen der Epidermis und ein Ödem sowie perivaskuläre lymphohistiozytäre
Infiltrate in der Dermis nachgewiesen werden [3].
Nur wenige Angaben liegen über die Ergebnisse der direkten Immunfluoreszenzuntersuchung
(DIF) bei flagellatenförmigen Erythemen vor. Es fanden sich granuläre Niederschläge
von IgM und C3 in der Basalmembranzone bei Dermatomyositis-assoziierten flagellatenförmigen
Erythemen [5], andere Autoren berichten über negative DIF-Befunde [4]
[9]. Bei Bleomycin-induzierten flagellatenförmigen Erythemen zeigten sich in der DIF
C3- und Fibrinogen-Niederschläge in den Gefäßwänden der mittleren und tieferen Dermis
[2]. Die bei unserer SLE-Patientin in den flagellatenförmigen Erythemen nachgewiesenen
IgG- und C3-Ablagerungen in der dermoepidermalen Junktionszone und der positive Lupusband-Test
entsprechen den zu erwartenden Veränderungen des SLE und sind keine flagellatenförmige
Erytheme-typischen Befunde.
Ätiologie und Pathogenese der flagellatenförmigen Erytheme sind bis heute nicht geklärt.
Es fällt auch schwer, diesbezüglich Gemeinsamkeiten der flagellatenförmigen Erytheme
bei unterschiedlichen Grundleiden und Störungen zu erkennen.
In der Ätiopathogenese der flagellatenförmigen Erytheme bei Dermatomyositis wird neben
mechanischen Traumen, die bis zur Auslösung eines Koebner-Phänomens reichen können,
eine Sonnenlichtexposition diskutiert [1]
[2]
[4]
[5]
[8]. Zusätzlich könnte eine Myositis zur Zerstörung der glatten Muskulatur kleiner Gefäße
und damit zu einer daraus resultierenden Vasodilatation führen [9]. Mechanische Reize in Form von Kratzeffekten, ausgelöst durch den Pruritus, werden
im Falle der Bleomycin-induzierten flagellatenförmigen Erytheme für möglich gehalten.
Die dadurch hervorgerufene Gefäßerweiterung führt zu einer lokalen Anreicherung und
toxischen Wirkung von Bleomycin [2].
Toxische Effekte, eine Lichtsensibilisierung und eine Freisetzung von gefäßerweiternden
Zytokinen durch das in Lentinus edodes enthaltene Polysaccharid Lentinan werden für
die Entstehung der flagellatenförmigen Erytheme der Shiitake-Dermatitis verantwortlich
gemacht. Das entzündliche Zellinfiltrat wird in diesem Zusammenhang als Antwort auf
einen Antigenreiz interpretiert [3]. Nach den klinischen, histologischen und immunologischen Befunden handelt es sich
bei den flagellatenförmigen Erythemen unserer SLE-Patientin in erster Linie um Hauterscheinungen
eines SLE. Ihre charakteristische Ausprägung könnte u. a. durch Kratzen wegen eines
geklagten Pruritus mitbedingt sein. Die flagellatenförmigen Erytheme unserer SLE-Patientin
heilten relativ schnell unter einer immunsuppressiven Therapie mit Prednisolon, Azathioprin
und Chloroquin ab. Der zusätzliche Einsatz von Chloroquin (Resochin®) bei SLE-Patienten
mit Haut- und/oder Gelenkbeteiligungen hat sich bei uns seit vielen Jahren bewährt.
Bei Dermatomyositis wird ebenfalls die Rückbildung der assoziierten flagellatenförmigen
Erytheme unter Prednisolon und Azathioprin [5], Prednisolon-Monotherapie [9], und sogar spontan [4]
[9] beschrieben. Bleomycin-induzierte flagellatenförmige Erytheme klangen nach Absetzen
der Bleomycin-Therapie und Gabe von Antihistaminika [2] und Kombination von Glukokortikoiden und Antihistaminika [1] ab. Die flagellatenförmigen Erytheme der Shiitake-Dermatitis heilten nach Verzicht
auf den Pilzgenuss und oraler Gabe von Antihistaminika sowie lokaler Anwendung von
steroidhaltigen Externa ab [3].