Hintergrund
Das kolorektale Karzinom ist in der westlichen Welt eine häufige Erkrankung mit hoher Sterblichkeit. Deutschlandlandweit starben alleine 1999 29100 Menschen an den Folgen eines kolorektalen Karzinoms, knapp 53 000 Neuerkrankungen werden jährlich verzeichnet (Statistisches Bundesamt 2000).
Die Karzinogenese kolorektaler Malignome verläuft langsam und ist das Ergebnis eines vieljährigen Prozesses. Auf dem Boden eines adenomatösen Polypen entsteht über eine definierte Adenom-Karzinom-Sequenz, mit Akkumulation von Mutationen in Onkogenen und Tumorsuppressorgenen, schließlich ein invasives Karzinom. Etwa 75% aller kolorektalen Karzinome treten spontan auf und folgen der beschriebenen Pathogenese, während hereditäre Karzinome mit 5-10% deutlich seltener vorkommen. Durch konsequente Anwendung präventiver Maßnahmen kann das kolorektale Karzinom fast immer verhindert werden (Endoscopy 2001; 33: 46-54).
Präventivmaßnahmen sind auf mehreren Ebenen möglich: Primäre Prävention umfasst die Anwendung protektiver Maßnahmen zur Verhinderung von Adenom- und Karzinomentstehung. Sekundäre Prävention beinhaltet die Detektion von Vorläufern des kolorektalen Karzinoms (präkanzeröse Polypen) sowie deren Behandlung noch vor maligner Entartung, insbesondere aber auch die rechtzeitige Erkennung von Frühkarzinomen in primär kurablen Stadien.
Primärprävention
In das pathophysiologische Modell des kolorektalen Karzinoms gehen sowohl endogene (genetische) als auch exogene (»lifestyle factors«) Einflussfaktoren ein [Tab. 1].
Tab. 1 Relatives Risiko der »lifestyle factors« beim kolorektalen Karzinom.
»lifestyle factors«
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Relatives Risiko
(Ausgangspunkt 1)
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körperliche Aktivität (> 3 h/Woche vs. keine Aktivität)
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0,6
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Ernährung: rotes Fleisch (> 7 x/Woche vs. < 1 x/Monat)
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1,5
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Ernährung: Obst, Gemüse (> 5 x/Tag vs. < 3 x/Tag)
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0,7
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Gebrauch von Multivitaminpräparaten (> 15 Jahre vs. nie)
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0,5
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Übergewicht (BMI > 27 vs. BMI < 21)
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1,5
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Alkohol (> 4 x/Woche vs. nie) und Rauchen (Raucher vs. Nicht-Raucher)
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1,4
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Acetylsalicylsäure (> 15 Jahre vs. nie)
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0,4
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Durch frühzeitige Bekämpfung der exogenen Risikofaktoren wird aktiv in die Kausalpathogenese des kolorektalen Karzinoms eingegriffen, so dass nach Expertenmeinung eine Inzidenzverminderung um 50% erwartet werden kann (Internist 2000; 41: 868-875). Aufgrund von Ergebnissen großer epidemiologischer Studien sowie Fallkontroll- und Kohortenstudien wurden von der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS) Leitlinien zur Prävention, Behandlung und Nachsorge des kolorektalen Karzinoms verfasst (Z Gastroenterol 2000; 38: 49-75). Als allgemeine Grundlage für die Studienbewertung gilt die Klassifikation der Canadian Task Force Classification of Recommendation and Study Designs. Die Bewertung und die Empfehlung erfolgen nach dem Grad der Evidenz (Kategorie A-E) und dem Studiendesign (Kategorie I-III; [Tab. 2]). Eine Reduktion der Inzidenz des kolorektalen Karzinoms wird erreicht durch:
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Ernährung: Empfohlen wird eine ausgewogene Ernährung, insbesondere fleisch- und fettarm sowie faserreich (Grad der Empfehlung: B, Evidenz II-2).
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Lebensgewohnheiten: Körperliche Bewegung scheint das Risiko zu senken (Grad der Empfehlung: C, Evidenz II-3); starkes Übergewicht wird als Risikofaktor angesehen; Verzicht auf Rauchen und Limitierung des Alkoholkonsum < 20g/Tag sinnvoll (Grad der Empfehlung: B, Evidenz II-2).
-
Medikamente und Mikronährstoffe: Zur Zeit gibt es keine gesicherten Ergebnisse, die eine wirksame Prävention belegen. Primärprävention durch Substanzen wie Vitamine A, C, D, E, Kalzium, Folsäure, Selen und Acetylsalicylsäure werden aufgrund fehlender valider Daten nicht empfohlen (Grad der Empfehlung: C, Evidenz II-3)
Tab. 2 Evidenzskala (Canadian Task Force of Recommendation).
Grad
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Empfehlungsklasse
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A (Evidenzgrade Ia, Ib)
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schlüssige Literatur guter Qualität, mindestens eine randomisierte, kontrollierte Studie
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B (Evidenzgrade IIa, IIb, III)
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gut durchgeführte, nicht randomisierte, klinische
Studie
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C (Evidenzgrad IV)
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Berichte/Meinungen von Expertenkreisen oder Erfahrungen anerkannter
Autoritäten
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Aus großen epidemiologischen Studien ist bekannt, dass zur Zeit nur ca. 20% der Bevölkerung den o.g. Maßnahmen zur Primärprävention des kolorektalen Karzinoms Aufmerksamkeit schenkt. Maßnahmen zur Primärprävention haben aber nicht nur ein hohes Vermeidungspotential, sie sind darüber hinaus auch kosteneffektiv und einfach durchführbar. Es ist Aufgabe von Ärzten, Sozialversicherungsträgern und Medien, das Bewusstsein der Bevölkerung um die Bedeutung der Primärprävention zu schärfen und sie damit zu einer »präventiven« Lebensweise zu motivieren.
Aufgrund der geringen Akzeptanz der Primärprävention kommen daher heute den sekundären Präventivmaßnahmen in Form von Polypen- und Karzinomfrüherkennung eine umso größere Bedeutung zu.
Screening
Aufgrund der langjährigen Entartungsprozesse im Darm ist es möglich, durch adäquate Screeningmaßnahmen und Polypektomie eine Karzinomentstehung zu verhindern oder zumindest das kolorektale Karzinom in einem prognostisch günstigen Frühstadium zu diagnostizieren. Prospektive Daten der National Polyp Study (NPS) konnten nach endoskopischer Polypektomie aller im Kolon vorhandenen Adenome eine Karzinomprävention von 75% demonstrieren (New Engl J Med 1993; 329: 1977-1981)
Die Maßnahmen zur Früherkennung des kolorektalen Karzinoms sollen bei geringem personellen, apparativen und finanziellen Aufwand eine ausreichend hohe Sensitivität aufweisen. Diese Kriterien erfüllt die Stuhltestung auf okkultes Blut. Der Aufwand von Sigmoidoskopie und konventioneller Koloskopie ist ungleich größer, andererseits ist für sie eine signifikant höhere Sensitivität in der Erkennung von adenomatösen Polypen und Karzinomen bewiesen.
Der Stuhltest auf okkultes Blut (FOBT) ist dabei mit dem geringsten finanziellen und apparativen Aufwand verbunden, und durch evidenzbasierte Daten konnte eine Sensitivität von 25-50% bei einer Spezifität von 90% nachgewiesen werden. Die Kosten für eine jährliche Durchführung des Tests betragen ca. 43 Euro. Auf der Basis einer Metaanalyse konnte demonstriert werden, dass die Mortalität des kolorektalen Karzinoms durch regelmäßige Anwendung des FOBT bei Personen zwischen dem 45. und 80. Lebensjahr um über 25% gesenkt werden kann (Brit Med J 1998; 317: 559-565).
Empfehlung:
Ab dem 50. Lebensjahr sollte bei der asymptomatischen Bevölkerung in jährlichem Abstand ein FOBT durchgeführt werden. Bei positivem Ergebnis ist nach rektal-digitaler Untersuchung die Durchführung einer Prokto-Koloskopie erforderlich (Grad der Empfehlung: A; Evidenz: I).
Die flexible Sigmoidoskopie führt zur deutlichen Mortalitätsreduktion des kolorektalen Karzinoms. Sie weist eine hohe Sensitivität (85%) und Spezifität (100%) in der Erkennung von Adenomen auf, gleichzeitig kann in einem Untersuchungsgang die endoskopische Abtragung erfolgen. Die direkten Kosten betragen im Mittel 320 Euro pro Untersuchung. Gravierender Nachteil ist die fehlende Einsehbarkeit der proximalen Kolonabschnitte. Eine aktuelle Studie konnte zeigen, dass ca. 50% aller Patienten mit fortgeschrittenen proximalen Adenomen keine distalen Polypen aufwies (New Engl J Med 2000; 343: 162-168).
Empfehlung:
Die Sigmoidoskopie sollte ab dem 50. Lebensjahr durchgeführt werden, eine Wiederholung alle 5 Jahren erscheint ausreichend (Grad der Empfehlung: B; Evidenz: II-2).
Die Kombination FOBT und Sigmoidoskopie ist sinnvoll, da durch sie die Nachteile beider Verfahren ausgeglichen werden. Während die Sigmoidoskopie nur die Beurteilung der distalen Kolonabschnitte erlaubt, ist der FOBT zwar in der Lage, mit ausreichend großer Sicherheit große Polypen und Karzinome zu detektieren, zur Erkennung kleiner/mittlerer Polypen sowie rektosigmoidaler Karzinome weist er jedoch nur eine geringe Sensitivität auf. Anhand einer randomisierten Studie wurde demonstriert, dass durch die Kombination beider Methoden signifikant mehr kolorektale Karzinome identifiziert werden, als durch einen alleinigen FOBT (Br J Surg 1997; 84: 1274-1276).
Empfehlung:
Die DGVS empfiehlt deshalb, den FOBT in jährlichem Abstand sowie die Sigmoidoskopie in 3- bis 5-jährigem Intervall durchzuführen (Grad der Empfehlung: B; Evidenz: II-2).
Die komplette Ileo-Koloskopie besitzt die höchste Sensitivität (95%) und Spezifität (100%) für die Erkennung eines kolorektalen Karzinoms/Adenoms und bietet deshalb als einziges Verfahren die Möglichkeit der Diagnose und endoskopischen Therapie von prä-neoplastischen Läsionen im gesamten Kolon. Aufgrund der Nachteile des FOBT und der Sigmoidoskopie befürworten viele Experten inzwischen die direkte und alleinige Koloskopie als Screeningmethode der Wahl. Als Nachteil der Koloskopie müssen die deutlich höheren Kosten (bis zu 1100 Euro) und ihre begrenzte Verfügbarkeit genannt werden. Generelle Empfehlungen der Fachgesellschaften zur Durchführung der Koloskopie als primäre Screeningmethode gibt es zur Zeit (noch) nicht, da valide Daten zu dieser Frage ausstehen (Am J Gastroenterol 2000; 95: 866-877).
Aktuell gingen deshalb Lieberman et al. (New Engl J Med 2000; 343: 162-168) der Frage nach, welchen Wert die in den angloamerikanischen Ländern geforderte »once in a lifetime«-Koloskopie besitzt. Bei 3196 asymptomatischen Patienten zwischen 50 und 75 Jahren fanden sie eine oder mehrere neoplastische Läsionen in 37,5% aller Fälle, bei 66 von 128 Patienten mit fortgeschrittenen proximalen Polypen fanden sich jedoch keine distalen Polypen. Diese Studie unterstreicht den Vorteil der Screeningstrategie mittels Koloskopie. Weitere Ergebnisse aus großen randomisierten Studien zum Themenkomplex primäre Screeningkoloskopie werden künftig jedoch zeigen müssen, ob dieses Vorgehen im Vergleich zur bisherigen Screeningstrategie wirklich effizienter, kosteneffektiver und gleichzeitig auch sicher ist. Die Screeningkoloskopie wird deshalb zur Zeit von den Fachgesellschaften (noch) nicht als primäre Screeningmethode empfohlen.
Empfehlung:
Die Screeningkoloskopie sollte ab dem 55. Lebensjahr durchgeführt werden. Ein Untersuchungsintervall von 10 Jahren (bis zum 75. Lebensjahr) ist bei jeweils unauffälliger kompletter Koloskopie sinnvoll (Grad der Empfehlung: B; Evidenz: II-2). Nach Abtragung von nicht-neoplastischen Polypen besteht keine Notwendigkeit zur endoskopischen Nachsorge. Nach Abtragung neoplastischer Polypen (Adenome) ist, unabhängig vom Dysplasiegrad, eine Kontrollkoloskopie nach 3 Jahren indiziert. Sollte diese erste Kontrolle unauffällig ausfallen, so sind weitere Kontrollen im Abstand von 5 Jahren sinnvoll (Grad der Empfehlung: B; Evidenz: II-2).
Die virtuelle Koloskopie mittels CT oder MRT befindet sich noch in der Entwicklungsphase. Große Polypen mit einer Größe von > 1 cm werden ausreichend sicher diagnostiziert, bei kleineren Polypen < 0,5 cm Größe fällt die Sensitivität jedoch auf knapp über 50% ab. Hinzu kommt der höhere Kostenaufwand sowie die Strahlenbelastung bei der CT-Kolographie, so dass die radiologischen Verfahren zur Zeit keine wirkliche Alternative zu den bisherigen Screeningmethoden darstellen. (New Engl J Med 1999; 341: 1496-1503).
Erblicher Darmkrebs und
präventive Chirurgie
Für Verwandte ersten Grades von Patienten mit kolorektalem Karzinom oder adenomatösem Polyp (Indexperson < 60 Jahre) gilt aufgrund des erhöhten Krebsrisikos eine spezielle Screeningstrategie. Hereditäre Karzinome sind mit 5-10% aller kolorektalen Karzinome selten, haben jedoch für Patienten und Verwandte erhebliche Konsequenzen. Kinder von FAP-Patienten haben beispielsweise ein Erkrankungsrisiko von 50% und sind zu nahezu 100% karzinomgefährdet. Jährliche Sigmoidoskopien ab dem 12. Lebensjahr sind zu fordern. Bei Nachweis von Polypen kann die prophylaktische subtotale Kolektomie im Jugendalter erwogen werden.
Hier spielt neben der Endoskopie ebenfalls die molekularbiologische Diagnostik und genetische Beratung der Betroffenen eine große Rolle (Z Gastroenterol 2000; 38: 49-75). Patienten mit Pancolitis ulcerosa oder Linksseitenkolitis bedürfen ebenso einer besonderen endoskopischen Überwachung. Bei Nachweis von dysplastischem Gewebe sollte eine Proktokolektomie diskutiert werden.
Kosteneffektivität
Wegen der limitierten Ressourcen im deutschen Gesundheitssystem ist es notwendig, dass die zur Verfügung stehenden Methoden zum Darmkrebsscreening kritisch auf ihre Kosteneffektivität überprüft werden. Die primär anfallenden Kosten für ein koloskopisches Screening liegen im Vergleich zum FOBT zwar deutlich höher, auf der anderen Seite ist der potenzielle Einspareffekt bei den Folgekosten jedoch erheblich. Ein Vergleich der verschiedenen Screeningstrategien ergab, dass die Kombination FOBT + Sigmoidoskopie oder die alleinige Koloskopie alle 10 Jahre die kosteneffektivsten Varianten darstellen (Ann Intern Med 2000; 133: 573-584). Im Vergleich zu anderen Krebsfrüherkennungsprogrammen sind die Aufwendungen pro vermiedenem Tod beim Darmkrebsscreening als höchstgradig kosteneffektiv zu bezeichnen.
Ausblick
Eine wirksame Prävention des kolorektalen Karzinoms ist nur durch eine deutliche Akzeptanzsteigerung der gebotenen Präventivmaßnahmen in der breiten Bevölkerung möglich. Zur Zeit nehmen nur 34% aller Frauen und 17% aller Männer regelmäßig das Angebot von Früherkennungsuntersuchungen in Anspruch. Außerdem schenken nur 20% der Bevölkerung den Maßnahmen zur primären Prävention Aufmerksamkeit. Zunehmend werden deshalb weltweit Initiativen zur Verbesserung von Akzeptanz und Sensibilität gegenüber dem Thema Darmkrebsprävention und -screening gestartet.
Insbesondere Ärzten kommt die Aufgabe zu, ihre Patienten verstärkt für die Maßnahmen der Primärprävention und zur Früherkennung zu motivieren. Nur so kann das Ziel der Fachgesellschaften und Selbsthilfegruppen, eine Halbierung der Darmkrebstodesfälle in Deutschland bis zum Jahr 2010, erreicht werden.
Weitere Informationen
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Stiftung Lebensblicke
E-Mail: lebensblicke@t-online.de
Web: www.lebensblicke.de
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Gastro-Liga
Deutsche Gesellschaft zur Bekämpfung der Krankheiten von Magen, Darm,
Leber und Stoffwechsel sowie von
Störungen der Ernährung e.V.
E-Mail: geschaeftsstelle@gastro-liga.de
Web: www.gastro-liga.de
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Deutsche Krebshilfe e.V.
Verbundprojekt der Deutschen
Krebshilfe
»Familiärer Darmkrebs«
Web: www.hnpcc.de
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Deutsche Gesellschaft für
Verdauungs- und Stoffwechselerkrankungen (DGVS)
Web: www.dgvs.de
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Deutsche Krebsgesellschaft
E-Mail: aio@krebsgesellschaft.de
Web: www.krebsgesellschaft.de
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Fachliche Betreuung der Serie:
Prof. Dr. Dr. h. c. Peter C. Scriba, München
Prof. Dr. Friedrich W. Schwartz, Hannover