Die Angst vor einer „Crackepidemie”, wie sie angeblich
in den USA in den 80er Jahren erlebt wurde, weckt die Fantasie der Presse,
die dann auch schnell von kriminellen Handlungen und gesundheitlichen
Schäden berichten kann, die der Droge zuzuschreiben sind. Urplötzlich
sind Heroin- und Alkoholabhängigkeit nicht mehr relevant, Projekte zur
Schadensminimierung der Opiatabhängigkeit werden infrage gestellt. In
solchen Zeiten liegt die Aufgabe der Wissenschaftler darin, die Erfahrungen mit
der Substanz zu reflektieren, die neuesten Erkenntnisse zu evaluieren und die
eigentliche Problematik zu definieren. Dabei kann auf eine jahrhundertelange
Geschichte zurückgegriffen werden. Denn schon die Inkas konsumierten
regelmäßig Kokain, wenn auch in einer anderen Form: Durch das Kauen
der Blätter der Kokapflanze wird langsam Kokain extrahiert, welches
Müdigkeit und Hungergefühl unterdrückt. 1860 wurde Kokain
erstmals chemisch isoliert und war dann über ein halbes Jahrhundert bis
zum Verbot als Medikament erhältlich und als Zusatz von Getränken,
Cremes, Haarwasser usw. weit verbreitet. Ende der 60er Jahre tauchte Kokain in
bestimmten gesellschaftlichen Kreisen erneut als Modedroge auf, wobei der hohe
Preis den Zugang zur Substanz nur für eine bestimmte gesellschaftliche
Schicht limitierte. Erst als es als rauchbare Form (Crack) zu einem niedrigen
Preis pro Konsumeinheit auf den Markt kam, begann in den USA der Kreuzzug gegen
die Teufelsdroge („war on drugs”).
Es gibt vor allem 4 Vorurteile über die Auswirkungen von
Kokain- und Crackkonsum, die in den USA die Diskussion zu Anfang bestimmt
haben, die aber relativiert werden mussten. Um ähnliche Diskussionen
für die Entwicklung in Europa zu vermeiden, ist es sinnvoll, diese
klarzustellen.
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Die Zunahme des Kokain- und Crackkonsums habe den Charakter
einer Epidemie: Trotz einer deutlichen Zunahme des Crackkonsums in den 80er
Jahren erreichte diese in der Gruppe mit dem höchsten Anteil
(18-Jährige) lediglich eine 4 %-Jahresprävalenz
[1]. Dabei zeigte sich jedoch eine Verschiebung von
geschnieftem zu gerauchtem Kokainkonsum, jedoch zu keinem Zeitpunkt ein
epidemischer Charakter.
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Sofortige Abhängigkeit: Es bestand die Annahme, dass das
einmalige Rauchen von Crack zu einer sofortigen Abhängigkeit führt.
Eine große epidemiologische Untersuchung konnte zeigen, dass der Anteil
der täglich konsumierenden Menschen, in dem die Gruppe der
Crackabhängigen vermutet werden kann, 1,3 % derjenigen
ausmachte, die jemals Kokain eingenommen hatten [2].
Der Anteil der Crackabhängigen macht nur 5-10 %
derjenigen aus, die jemals Crack konsumiert haben. Daraus jedoch ein 10faches
Abhängigkeitspotenzial abzuleiten wäre ebenfalls verkürzt, da
die Gruppe derjenigen, die jemals Crack konsumieren, schon eine sozial
selektierte Risikogruppe ist.
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Crackkonsum führt zu Gewalt: Es wird angenommen, dass nach
Abklingen der Wirkung die Gier nach Crack so stark sei, dass Konsumenten auch
gewalttätig werden, um den nächsten Hit zu bekommen. Es gibt jedoch
keine wissenschaftlichen Beweise dafür, dass sonst nichtaggressive
Menschen sich nach Crackkonsum aggressiv verhalten [3]. Vielmehr sind kriminelle Handlungen fast
ausschließlich im Bereich des Handels anzusiedeln.
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Crack-Babys: Berichte über die Situation Neugeborener von
crackabhängigen Frauen leiteten daraus eine erhebliche Teratogenität
der Substanz Crack ab. Eine Metaanalyse konnte jedoch keinen kausalen
Zusammenhang zwischen Crackkonsum und Entwicklungsstörungen
bestätigen, der nicht auch mit anderen Faktoren - zusätzlicher
Substanzkonsum als auch sozialen Faktoren - erklärbar wäre
[4].
Mit dem Schwerpunkt wollen wir einen Beitrag für die Diskussion
leisten. Dabei konnten wir auch einen Beitrag aus der Arbeitsgruppe aus
Philadelphia gewinnen, um somit auch wertvolle Erfahrungen aus den USA
darstellen zu können.