Hintergrund
Hintergrund
In den letzten Jahren hat die Forschung zum Thema
Rückfälligkeit stetig zugenommen und sich qualitativ weiterentwickelt
[1]. In diesem Zusammenhang hat das auf der
sozial-kognitiven Lerntheorie von Bandura [2]
basierende Konzept der alkoholbezogenen Kompetenzerwartung an Bedeutung
gewonnen, das die Auftretenswahrscheinlichkeit menschlichen Verhaltens in
Abhängigkeit von den kognitiven Erwartungen der handelnden Person
vorhersagt. Der von Bandura geprägte Begriff der
Selbstwirksamkeitserwartung wird seit einigen Jahren auch im Bereich der
Bewältigung von Suchtproblemen als ein zentrales Konstrukt angesehen
[3]. Insbesondere die in der Praxis und Forschung viel
beachteten sozial-kognitiven Rückfalltheorien [4]
[5] integrieren das Konzept der
Selbstwirksamkeitserwartung in ihre Modellannahmen und gehen davon aus, dass
die erfolgreiche Bewältigung einer hochrisikorreichen Situation
entscheidend davon abhängt, inwieweit ein Suchtmittelabhängiger von
seinen Bewältigungskompetenzen überzeugt ist.
Nach DiClemente, Faihurst & Plotrowski [6] definiert sich die alkoholbezogene
Selbstwirksamkeitserwartung bzw. Abstinenzzuversicht des Abhängigen durch
seine Erwartung, mit dem Trinken aufhören, in Versuchungssituationen, dem
erneuten Konsum widerstehen und nach einem kurzzeitigen Ausrutscher wieder zur
Abstinenz zurückfinden zu können. Bislang konnten empirische Studien
erste Belege dafür liefern, dass ein positiver Zusammenhang zwischen der
Abstinenzzuversicht einer Person und anschließender Abstinenz existiert
bzw. dass Patienten mit einer hohen Selbstwirksamkeitserwartung weniger schwere
Rückfälle hatten [7 9].
Weitere Autoren beschäftigen sich mit der Entwicklung der
Abstinenzzuversicht während einer stationären
Entwöhnungsbehandlung und gehen von der Annahme aus, dass ein Anstieg der
Abstinenzzuversicht von Behandlungsbeginn zum Behandlungsende
gewissermaßen als Therapieeffekt zu erwarten ist. Rist und Watzl
[10] überprüften die rückfallbezogenen
Selbstwirksamkeitserwartungen von Alkoholikerinnen zu Beginn und Ende ihrer
stationären Therapie und konnten einen Anstieg der Abstinenzzuversicht
nachweisen. Schindler, Körkel, Grohe und Stern [11] konnten belegen, dass die Zuversicht ihrer Probanden,
dem Trinken widerstehen zu können, während der Therapie
situationsübergreifend ansteigt. Auch die Studie von Burling, Reilly,
Moltzen und Ziff [12] betont die Bedeutung des
Zuwachses an Abstinenzzuversicht während stationärer Behandlung.
Ihren Ergebnissen zufolge lässt sich der Behandlungserfolg in Form
poststationärer Abstinenz jedoch weniger aus den höheren
Selbstwirksamkeitserwartungen am Therapieende als vielmehr aufgrund des
Zuwachses an Selbstwirksamkeitserwartung im Behandlungsverlauf vorhersagen.
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Abstinenzzuversicht bei der
besonderen Klientel der Therapiewiederholer zu untersuchen, um hieraus Hinweise
für Therapieplanung und Prognose abzuleiten. Nach unserer Erfahrung stellt
diese Patientengruppe aufgrund der vorhandenen Therapie- und
Rückfallerfahrung besondere Anforderungen an die strategische Planung und
psychodiagnostische Urteilsbildung der Psychotherapeuten. Auf dem Hintergrund
der beschriebenen Ergebnisse der Rückfallforschung ist die erfolgreiche
Bewältigung von Risikosituationen nicht allein von der Verfügbarkeit
angemessener Verhaltensweisen und Problemlösestrategien abhängig.
Vielmehr sollte eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung und Abstinenzzuversicht
prognostisch günstige Auswirkungen haben.
Hypothesen
Hypothesen
In Anlehnung an die zentralen Aussagen der sozial-kognitiven
Lerntheorie [2] formulieren wir in unserer ersten
Hypothese die Erwartung, dass die Abstinenzzuversicht ein wichtiger
Prädiktor für das spätere Verhalten in suchtspezifischen
Risikosituationen darstellt:
Hypothese 1: Die Gruppe der später
Abstinenten weist am Therapieende eine signifikant höhere
Abstinenzzuversicht auf als die Gruppe der später
Rückfälligen.
Ein zweiter Schwerpunkt unserer Fragestellung ist die
Veränderung der Abstinenzzuversicht im Behandlungsverlauf. Ausgehend von
unserer klinischen Erfahrung, dass Therapiewiederholer zu Behandlungsbeginn
bereits eine hohe Abstinenzzuversicht aufweisen (unrealistische
Selbsteinschätzung, „Zwangsoptimismus”), soll des Weiteren
überprüft werden, inwiefern sich später abstinente
Patient(inn)en von später rückfälligen Personen im Ausmaß
der Veränderung der Abstinenzzuversicht im Behandlungsverlauf
unterscheiden:
Hypothese 2: Die Gruppe der später
Abstinenten unterscheidet sich signifikant von der Gruppe der später
Rückfälligen im Ausmaß der Veränderung ihrer
Abstinenzzuversicht im Therapieverlauf.
Methode
Methode
Therapieprogramm
Die von den Kliniken Wied speziell für Therapiewiederholer
entwickelte Auffangbehandlung wird im Rahmen eines stark strukturierten
Therapieplanes für Patient(inn)en angeboten, die nach einer erfolgreich
abgeschlossenen (Erst-)Entwöhnungsmaßnahme innerhalb von bis zu drei
Jahren vorwiegend aufgrund von Verhaltensdefiziten wieder rückfällig
wurden. Wesentliche Bestandteile der Auffangbehandlung sind Bezugs- und
Indikationsgruppentherapie, Einzelgespräche und Sozialberatung,
Diagnostik, Ergo- und Bewegungstherapie, Angehörigenseminare sowie
ärztliche Betreuung. Die Behandlungsdauer beträgt 6-10 Wochen.
Ausgehend von der Annahme, dass diese Patient(inn)en aufgrund der
vorangegangenen Entwöhnungsbehandlung über ein gewisses Maß an
Krankheitsinformation und -verständnis verfügen, liegt der
Schwerpunkt auf einer individuellen Rückfallanalyse auf der Grundlage der
sozial-kognitiven Rückfalltheorien von Marlatt und Gordon
[5] sowie von Annis [4]. Der
Therapiefokus liegt daran anschließend auf dem Aufbau und Training
förderlicher Verhaltensweisen zum Erkennen und Bewältigen von
Risikosituationen. (Anm.: Eine ausführliche Beschreibung des
Auffangprogramms kann unter der Korrespondenzadresse angefordert werden.)
Erhebungsinstrumente und Durchführung
Zur Erfassung der Abstinenzzuversicht verwendeten wir den
„Kurzfragebogen zur Abstinenzzuversicht” (KAZ-35) von Körkel
und Schindler [13]. Als Weiterentwicklung des
Situational Confidence Questionnaire [14] stellt der
KAZ-35 das erste deutschsprachige, testtheoretisch geprüfte Messinstrument
zur Erhebung der alkoholbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen dar. Mittels 35
Items wird auf 6-stufigen Ratingskalen (0 - 20 - 40 - 60
- 80 - 100 %) die Zuversichtserwartung erfasst, in
bestimmten abstinenzgefährdenden Situationen dem Trinken widerstehen zu
können. Die Items lassen sich vier faktorenanalytisch gewonnenen
Dimensionen zuordnen: „unangenehme Gefühle” (NEG),
„sozialer Druck” (SOZ), „Gedanken an das Austesten der
eigenen Kontrollmöglichkeiten” (TST) und „angenehme
Gefühle” (POS).
Jeweils zu Beginn und zum Ende der stationären Behandlung
füllten alle beteiligten Patient(inn)en im Aufnahme- bzw.
Abschlussgespräch diesen Fragebogen aus. Drei und zwölf Monate nach
Entlassung wurden die Personen postalisch mittels Fragebogen hinsichtlich ihrer
Abstinenz und anderer Therapieerfolgsmerkmale untersucht. Es wurden bis zu drei
Erinnerungsschreiben versandt.
Stichprobe
Die Gesamtstichprobe umfasst 76 konsekutiv aufgenommene
Patient(inn)en mit der Erstdiagnose Alkoholabhängigkeit (ICD-10 F10.2),
die in der Zeit von Dezember 1997 bis Februar 1999 eine Auffangbehandlung in
den Kliniken Wied absolviert haben. Hierbei handelt es sich
ausschließlich um rückfallerfahrene Patienten, die in ihrer
Vorgeschichte mindestens eine stationäre Entwöhnungsbehandlung (im
Sinne einer suchtspezifischen Rehabilitationsbehandlung) abgeschlossen hatten,
wobei 45 % mehr als eine vorherige stationäre
Entwöhnungsbehandlung aufwiesen. 62 % der Patienten sind
Männer. Das Durchschnittsalter der Befragten lag bei 46 Jahren
(Standardabweichung 6,25 Jahre). 48 % der Patienten waren bei
Therapiebeginn allein stehend; die Arbeitslosenquote zu Beginn der Behandlung
betrug 39 %. Die durchschnittliche Behandlungsdauer betrug 59
Tage (Standardabweichung 12,9 Tage).
Auswertung
Alle Berechnungen wurden mit dem Statistikprogramm SPSS
durchgeführt. Zur Überprüfung der Hypothesen wurden bei
normalverteilten Rohwerten t-Tests gerechnet, bei deutlich von der
Normalverteilung abweichenden Rohwertverteilungen wurden nonparametrische
Verfahren (Wilcoxon- bzw. Mann-Whitney-U-Test) eingesetzt. Zur Berechnung der
Test-Retest-Korrelationen wurde die Pearson-Produkt-Momentkorrelation
berechnet. Als Prüfkriterium für Signifikanz wurde
p < 0,05 zugrunde gelegt. Gemäß unserem Ziel,
Aussagen über die Unterschiede der Abstinenzzuversicht von später
Rückfälligen und später Abstinenten treffen zu können,
bezogen wir uns ausschließlich auf Daten von gesichert abstinenten und
rückfälligen Patienten, d. h., in die Berechnungen gingen
lediglich die Antworter ein, nicht berücksichtigt wurden Nichtantworter,
Verstorbene, unbekannt Verzogene (Kriterien der Deutschen Gesellschaft für
Suchtforschung und Suchttherapie: DGSS 2; [15]).
Ergebnisse
Ergebnisse
Tab. 1 Abstinenzzuversichtswerte am Ende der
Behandlung (für Abstinente und Rückfällige nach 3 Monaten)
KAZ-Skala | Abstinente | Rückfällige | |
[]
|
| M | SD | n | M | SD | n | z-Werte | df |
Skala NEG | 81,12 | 20,31 | 27 | 85,43 | 11,27 | 14 | -.16 | 40 |
Skala SOZ | 93,50 | 10,66 | 27 | 93,33 | 11,33 | 14 | -.077 | 40 |
Skala TST | 64,72 | 35,56 | 25 | 69,00 | 38,72 | 14 | -.65 | 38 |
Skala POS | 90,74 | 14,57 | 27 | 91,67 | (16,11) | 14 | -.074 | 40 |
NEG = unangenehme Gefühle;
SOZ = sozialer Druck; TST = Austesten
der eigenen Kontrollmöglichkeiten; POS = angenehme
Gefühle; Mann-Whitney-U-Test; *
signifikant = p < 0,05. Die abweichenden
Stichprobengrößen basieren auf Fehl- bzw. unzureichenden Angaben der
Probanden.
|
Tab. 2 Abstinenzzuversichtswerte am Ende der
Behandlung (für Abstinente und Rückfällige nach 1 Jahr)
KAZ-Skala | Abstinente | | | Rückfällige[]
| | | | |
| M | SD | n | M | SD | n | z-Werte | df |
Skala NEG | 79,58 | 21,77 | 19 | 86,31 | 14,81 | 13 | -.94 | 31 |
Skala SOZ | 95,20 | 8,39 | 19 | 93,16 | 11,63 | 13 | -.60 | 31 |
Skala TST | 60,78 | 34,84 | 18 | 68,46 | 36,17 | 13 | -.52 | 30 |
Skala POS | 91,05 | 12,72 | 19 | 95,13 | 11,02 | 13 | -1,13 | 31 |
NEG = unangenehme Gefühle;
SOZ = sozialer Druck; TST = Austesten
der eigenen Kontrollmöglichkeiten; POS = angenehme
Gefühle; Mann-Whitney-U-Test; *
signifikant = p <0,05. Die abweichenden
Stichprobengrößen basieren auf Fehl- bzw. unzureichenden Angaben der
Probanden.
|
Für die gesamte Stichprobe von n = 76
lagen vollständig Erst- und Zweitmessungen mit dem KAZ-35 vor. Nach 3
Monaten sandten 42 ehemalige Patienten (55,3 % der Gesamtgruppe
von n = 76 Personen), nach 1 Jahr 35 ehemalige Patienten
(46,1 % der Gesamtgruppe von n = 76) den
ausgefüllten Katamnesefragebogen zurück. Die in unserer ersten
Hypothese formulierte Erwartung, dass signifikante Zusammenhänge zwischen
der subjektiven Abstinenzzuversicht am Therapieende und späterer Abstinenz
bestehen, konnte durch die Katamneseinformationen nicht bestätigt werden
(siehe Tab. [1]). Die Einschätzung der
Abstinenzzuversicht am Ende der Behandlung eignete sich weder zur Vorhersage
der poststationären Abstinenz nach drei Monaten noch nach einem Jahr
(siehe Tab. [2]). Auf drei der vier KAZ-Skalen
ergab sich in der Gesamtstichprobe jedoch ein signifikanter Zuwachs der
Abstinenzzuversicht („unangenehme Gefühle” NEG:
z = -4,20; „sozialer
Druck” SOZ: z = -3,61; „angenehme
Gefühle”, POS: z = -2,32; Wilcoxon-Test,
n = 76, df = 75) im Therapieverlauf.
Hinsichtlich der Skala „Austesten der eigenen
Kontrollmöglichkeiten” zeigte sich keine Veränderung der
durchschnittlichen Abstinenzzuversicht zwischen Anfang und Ende der Behandlung
(TST: z = -0,04; n = 76,
df = 75). Die Test-Retest-Korrelationen ergaben durchweg
signifikant positive Korrelationen für alle vier Subskalen (siehe
Tab. [3]).
Die Gruppe der später Abstinenten zeigte hinsichtlich aller
Skalen einen geringeren Zuwachs der Abstinenzzuversicht im Behandlungsverlauf
gegenüber der Gruppe der später Rückfälligen. Betrachtet
man die Befunde getrennt nach 3-Monats- und 1-Jahres-Katamnesen, so weisen die
nach drei Monaten noch abstinent lebenden Patient(inn)en auf den Skalen
„angenehme Gefühle” (POS) und „unangenehme
Gefühle” (NEG) signifikant geringere Veränderungen im
Therapieverlauf auf als die nach drei Monaten rückfälligen Patienten.
Allerdings zeigte sich auch auf der Skala „sozialer Druck” (SOZ)
die deutliche Tendenz einer geringeren Zunahme der Abstinenzzuversicht für
die später Abstinenten. Die Skala „Austesten der eigenen
Kontrollmöglichkeiten” (TST) wies für die nach drei Monaten
Abstinenten ein tendenzielles Absinken der mittleren Abstinenzzuversicht auf
(siehe Abb. [1]).
Die Ergebnisse der 1-Jahres-Katamnese zeigen nur noch für die
Skala „angenehme Gefühle” (POS) eine signifikant
unterschiedliche Veränderung: Die später Rückfälligen
weisen einen höheren Zuwachs hinsichtlich dieser bereichsspezifischen
Abstinenzzuversicht zwischen Beginn und Ende der Behandlung auf. Hinsichtlich
der Skala „unangenehme Gefühle” (NEG) ergaben sich keine
Unterschiede zwischen nach einem Jahr Abstinenten und Rückfälligen,
während bezüglich der Skalen „sozialer Druck” (SOZ) und
„Austesten eigener Kontrollmöglichkeiten” (TST) sich wie bei
der 3-Monats- Katamnese Tendenzen einer geringeren Veränderung bei den
abstinenten Patient(inn)en zeigten (siehe Abb. [2]).
Diskussion
Diskussion
Die Ergebnisse unserer Untersuchung an alkoholabhängigen
Therapiewiederholern bestätigen nicht die in der Literatur beschriebenen
Befunde zu alkoholbezogenen Selbstwirksamkeitserwartungen bei
Suchtmittelabhängigen. Zwar konnten auch wir einen Zuwachs der
Abstinenzzuversicht im Behandlungsverlauf feststellen. Eine prognostische
Bedeutung der Abstinenzzuversicht am Therapieende für die Befunde der
Nachbefragung wurde jedoch nicht deutlich. Angesichts der Resultate der
gegenwärtigen Prognoseforschung erscheint dieses Ergebnis jedoch nicht
verwunderlich. Mehrere Untersuchungen [16]
[17] weisen darauf hin, dass es vor allem soziale und
nicht psychologische Faktoren sind, die einen Vorhersagewert für den
katamnestischen Therapieerfolg besitzen. Auch Körkel und Lauer
[1] betonen die Bedeutung der sozialen
Unterstützung bzw. der vorhandenen sozialen Netzwerke als wesentlich
für das poststationäre Rückfallrisiko. Es werden allerdings zu
Recht die methodischen Unzulänglichkeiten mancher empirischer Studien zur
Erfolgsprognose kritisiert [18]. Zwar basiert unsere
Arbeit auf vollständigen Eingangs- und Ausgangsmessungen. Allerdings ist
die Gesamtstichprobe relativ klein und die katamnestische
Ausschöpfungsquote niedrig, so dass eine Replikation unserer Befunde an
einer größeren Stichprobe erforderlich ist, bevor weitere Aussagen
zu treffen sind. Die Studie von Cramer et al. [19]
zeigt beispielsweise, dass sich die Gruppe der Therapiewiederholer in einigen
soziodemografischen Merkmalen von anderen Patientengruppen unterscheidet durch
einen höheren Frauenanteil, einen höheren formalen Bildungsgrad, eine
niedrigere Arbeitslosenquote, aber auch durch eine deutlich geringere
Abstinenzquote nach einem Jahr. Weitere Untersuchungen sind erforderlich, um
anhand größerer Stichproben Differenzierungen vornehmen zu
können.
Im Gegensatz zu den Ergebnissen von Burling et al.
[12], wonach sich die später Abstinenten durch
einen größeren Zuwachs an Abstinenzzuversicht im Behandlungsverlauf
auszeichneten, unterschied sich in unserer Studie die Gruppe der später
Abstinenten von der Gruppe der später Rückfälligen durch einen
geringeren Anstieg der Abstinenzzuversicht vom
Therapiebeginn zum -ende. Insbesondere hinsichtlich der Skala „angenehme
Gefühle” (POS) als Risikobereich wies die Gruppe der später
Abstinenten zu beiden Katamnesezeitpunkten einen signifikant geringeren Zuwachs
im Behandlungsverlauf auf als die später Rückfälligen. Dieser
Befund könnte als Beleg für die möglicherweise
ausgeprägteren Selbstüberschätzungstendenzen der
Rückfälligen gewertet werden.
Die Befunde zur Skala „Gedanken an das Austesten der eigenen
Kontrollmöglichkeiten” (TST) scheinen uns von besonderem Interesse.
Nur in diesem Bereich der Selbstwirksamkeitserwartung sank der mittlere Wert im
Therapieverlauf ab. Hier spiegeln sich möglicherweise Effekte der
therapeutischen Arbeit im Auffangprogramm wider. In der Behandlung
Suchtmittelabhängiger wird oft deutlich, dass allein der Gedanke an das
kontrollierte Trinken zwangsläufig zum Rückfall führe. Letztlich
führt eine solche Einstellung jedoch zum Missverständnis der
entsprechenden Fragen im KAZ-35. Es sollte bei der Instruktion zu dieser Skala
stets nochmals mündlich darauf hingewiesen werden, dass es hier lediglich
um die Einschätzung der Zuversicht geht, solche Gedanken an eigene
Kontrollmöglichkeiten ohne Suchtmittelkonsum bewältigen zu
können.
In Anbetracht der ohnehin schon hohen Abstinenzzuversichtswerte zu
Behandlungsbeginn stellt sich in Anlehnung an Petry [18] die Frage, ob die wahrgenommene
Rückfallgefährdung nicht erheblich durch eine suchtspezifische
Bagatellisierungstendenz überlagert ist. Die zu Behandlungsbeginn
beobachteten hohen Abstinenzzuversichtswerte führten uns zu der
grundsätzlicheren Frage, ob dieser „Deckeneffekt” ein
Resultat unserer besonderen Stichprobeselektion darstellt. Auch andere Autoren
konnten in ihren Studien mit anderen Stichproben darauf hinweisen, dass
Abhängige zu Selbstüberschätzungen bzw. unrealistischen
Einschätzungen der eigenen Widerstehensfertigkeiten neigen
[19]
[11]. Möglicherweise
stellt aber das Problem der Selbstüberschätzung eine besondere
Schwierigkeit in der Behandlung von Therapiewiederholern dar. Plausibel ist
daher die Annahme, dass andere Aspekte, wie z. B. „Hoffnung auf
Erfolg”, „soziale Erwünschtheit” oder ein gewisser
„Zwangsoptimismus”, in die Beantwortung des KAZ-35 mit
eingeflossen sind. Letztlich stellt sich dann die Frage, ob der KAZ-35
unabhängig von der Stichprobe dazu geeignet ist, die Abstinenzzuversicht
im Sinne einer Selbstwirksamkeitserwartung zu erfassen.
Ohne entsprechende Kontrollinstrumente lässt sich der Einfluss
der oben beschriebenen Antworttendenzen nur schwer abschätzen. In der
klinischen Arbeit liefern hohe Ausprägungen bezüglich der KAZ-Skalen
jedoch gutes Material für die Konfrontation der Patient(inn)en im Hinblick
auf eine mögliche Unterschätzung des Rückfallrisikos. Weitere
differenzierende empirische Untersuchungen zur Beschreibung und Vorhersage des
Behandlungserfolgs bei Therapiewiederholern sind wünschenswert.
Tab. 3 Test-Retest-Korrelationen für die
vier Unterskalen des KAZ-35 zu Therapiebeginn und
Therapieende
KAZ-Skala | r | n | p[]
|
Skala NEG | 0,49 | 76 | 0,000* |
Skala SOZ | 0,37 | 76 | 0,002* |
Skala TST | 0,38 | 76 | 0,002* |
Skala POS | 0,29 | 76 | 0,014* |
NEG = unangenehme Gefühle;
SOZ = sozialer Druck; TST = Austesten
der eigenen Kontrollmöglichkeiten; POS = angenehme
Gefühle; r = Produkt-Moment-Korrelationskoeffizient;
* signifikant = p < 0,05
|
Danksagung
Wir danken Herrn Dipl.-Psych. Joachim Hoecker für die
Unterstützung bei der statistischen Auswertung unserer Ergebnisse.
Abb. 1 Veränderung der
Abstinenzzuversicht im Mittelwert bei Abstinenten und Rückfälligen
(3-Mo-Katamnese).
NEG = unangenehme
Gefühle; SOZ = sozialer Druck;
TST = Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten;
POS = angenehme Gefühle;
* signifikant = p < 0,05
Abb. 2 Veränderung der
Abstinenzzuversicht im Mittelwert bei Abstinenten und Rückfälligen
(1-Jahres-Katamnese).
NEG = unangenehme
Gefühle; SOZ = sozialer Druck;
TST = Austesten der eigenen Kontrollmöglichkeiten;
POS = angenehme Gefühle;*
signifikant = p < 0,05