Die Wundheilungsforschung stellt sowohl medizinisch als auch sozial- und volkswirtschaftlich
ein wichtiges Forschungsprojekt dar wegen der deutlichen Zunahme des Ulcus cruris
mit hohen Kosten durch Arbeitsausfälle und Therapien sowie multiplen Langzeitrisiken.
Daher haben wir ein menschliches Hautorgan-Kulturmodell zur Untersuchung der frühen
Regeneration der menschlichen Epidermis etabliert. In einheitliche Hautproben wird
zentral ein Defekt gesetzt und unter speziellen Bedingungen kultiviert. Damit lässt
sich die Reepithelialisierung für ca. 10 Tage verfolgen. In einem Großteil der Fälle
erfolgt innerhalb von 7 Tagen eine spontane Reepithelialisierung, die sich durch die
Zugabe allogener, frisch isolierter Keratinozyten aus der äußeren Wurzelscheide beschleunigen
und besser differenzieren lässt. Anhand dieses Modells konnte gezeigt werden, dass
die allogenen Keratinozyten in hoher Zahl in das Neoepithel integriert werden, und
sich teilen. Somit steht ein menschliches Modell zur Untersuchung der Reepithelialisierung
unter dem Einfluss vielfältiger Pharmaka und Verbandsmaterialien zur Verfügung.
In den vergangenen Jahren wurden Untersuchungen auf dem Gebiet der Wundheilung in
sehr breitem Umfang an Tieren durchgeführt, vor allem an Mäusen, Ratten, Kaninchen
und Schweinen. Diese meist langwierigen Experimente sind für die Tiere sehr belastend
und aufgrund von Unterschieden in der Morphologie, Physiologie und Pathologie der
Haut einzelner Spezies oft nur sehr eingeschränkt für die Human-Medizin verwertbar.
Lediglich die Haut des Schweins scheint relevante Ergebnisse zu liefern [1].
Untersuchungen mit Hilfe von Zellkulturen aus Hautzellen (z. B. Keratinozyten, Fibroblasten,
Endothelzellen) oder Kokulturen (Mischkulturen aus den verschiedenen Zelltypen) sind
sehr verbreitet und liefern wichtige Vorergebnisse für die Wundheilung, beispielsweise
um die Effekte verschiedener Wachstumsfaktoren und Zytokine auf verschiedene Zelltypen
zu erforschen [2]. Sie können allerdings meist nur als Vorstudie für nachfolgende Experimente angesehen
werden, da es sich bei der Wundheilung um ein sehr komplexes Geschehen unter Einschluss
vieler Wachstumsfaktoren handelt. Der definierte Zusammenhalt der Zellen in einem
Gewebe beeinflusst die Abläufe jedoch nachhaltig und ist selbst mit Kokulturen in
der Zellkultur nur annähernd zu imitieren. Eine Vielzahl der Effekte von Wachstumsfaktoren,
die aus Zellkulturen stammten, waren im klinischen Einsatz bisher enttäuschend.
Aus diesen Gründen - zur Vermeidung von Tierexperimenten und wegen der Insuffizienz
der Zell-Kulturmethoden - haben wir ein humanes Hautorgan-Kulturmodell zur Untersuchung
der Wundheilung angewandt.
In diesem Modell wird menschliche Haut, die bei Operationen anfällt (z. B. Tumormetastasen-Exzision,
Mammareduktion etc.) und üblicherweise im Rahmen der Hautplastiken verworfen wird,
verwendet. Daraus werden einheitliche Stanzbiopsien (Durchmesser 6 mm) entnommen und
anschließend mit verschiedenen Kulturmedien unter Luftkontakt (Air-Liquid-Interphase)
kultiviert. Man kann diese Hautorgan-Kulturmodelle in der Zellkultur bis zu 10 Tage
kultivieren und variable Experimente damit durchführen (Abb. [1]). Ursprünglich bewährte sich dieses Modell für lichtbiologische Fragestellungen.
Unter variierenden Bedingungen konnten wir in diesem Kulturmodell nach UV-Bestrahlung
demonstrieren, dass die zellulären Veränderungen der Keratinozyten, die Entstehung
der sehr typischen sunburn cells dosis- und zeitabhängig erhalten bleiben [3] und sich von Pharmaka beeinflussen lassen [4]. Interessanterweise ließen sich auch UV-typische Änderungen der Zytokeratinexpressionen,
nämlich das Anschalten der Expression von Zytokeratin 17 in suprabasalen Keratinozyten,
nachweisen (Abb. [2] u. [5]).
Abb. 1 Menschliches Hautorgan-Kulturmodell (Durchmesser 6 mm) zur Untersuchung der Wundheilung
mit einer Wunde (Durchmesser 3 mm) im Zentrum.
Abb. 2 Immunperoxidase-Färbung der Epidermis mit Antikörper gegen Cytokeratine 17 (Klon E3,
Progen Biotechnics, Heidelberg) 24 h nach UVB-Exposition des Organkultur-Modells.
Suprabasale Keratinozyten sind positiv.
Die schon erwähnten Experimente an diesem humanen Hautorgan-Kulturmodell zur Reepithelialisierung
im Rahmen der Wundheilung waren erfolgreich. Die Epidermis regeneriert sich in diesem
Modell unter definierten Kulturbedingungen komplett, d. h. nach ca. 7 Tagen sind die
meisten Wunden (3 mm Durchmesser) mit einer mehrschichtigen Epidermis mit sehr dünnem
Stratum corneum zugeheilt (Abb. [3]). Verwendet man Hautproben von Patienten mit bekanntermaßen verzögerter Wundheilung
(z. B. älteren Patienten, Diabetespatienten), verläuft die Reepithelialisierung im
Modell genauso verzögert, d. h. nach 7 Tagen sind nur wenige Wunden geheilt, was gut
korreliert mit der In-vivo-Situation. Während dieser Regenerationsphase konnten wir
an unserem Modell verschiedene Mechanismen der Wundheilung untersuchen, z. B. die
Proliferationsaktivität der Zellen am Wundrand, in den Wundzungen und im Zentrum der
sich regenerierenden Epidermis. Eine hohe Zellproliferation sahen wir in deutlichen
Abständen von den Wundrändern (Abb. [4 a]) und nach 2 - 4 Tagen in den basalen Keratinozyten der Neoepidermis (Abb. [4 b]).
Abb. 3 Neugebildete Epidermis nach 7 Tagen im Hautorgan-Kulturmodell (HE-Färbung). Die Epidermis
ist mehrschichtig, unverhornt und sehr unregelmäßig geschichtet. Am Bildrand rechts
ist der ursprüngliche Wundrand erkennbar.
Abb. 4 a und b Immunperoxidase-Färbung der Wundzunge nach 24 h in Kultur (a) und der neugebildeten Epidermis nach 7 Tagen (b) mit einem Antikörper gegen Ki 67 (Klon MIB 1, Dianova, Hamburg). Markiert sind Zellkerne
proliferierender Zellen, die anfangs von den Wundrändern entfernt (a), später auch in der neugebildeten Epidermis der Wunde (b) angehäuft sind.
Eine andere Studie betraf die Ausbildung von Zell-Zell-Verbindungen der Keratinozyten.
Bereits in frühen Phasen der Regeneration der Epidermis sind alle desmosomalen Cadherine,
Desmoglein 1 - 3 und Desmocollin 1 - 3 nachweisbar, jedoch noch sehr schwach und heterogen
verteilt. Interessanterweise war in den basalen Keratinozyten der Neoepidermis eine
starke Desmoglein 2-Reaktion nachweisbar, die der normalen Epidermis fehlt [6]. Anhand des Modells gelang es zu zeigen, dass die Applikation von Keratinozyten
sowohl aus der Zellkultur als auch frisch isoliert aus der äußeren Wurzelscheide der
Haare die Wundheilung von den Rändern aus stark beschleunigt. Ein Ergebnis in vitro,
das unseren Beobachtungen bei chronischen Ulzera entspricht, die wir in entsprechender
Weise behandelt hatten [7]
[8]
[9] und Beobachtungen nach Transplantation allogener Keratinozyten-sheets bestätigte
[10]. Darüber hinaus gelang es uns durch In-situ-Hybridisierung zu zeigen, dass die transplantierten
Keratinozyten zumindest temporär in die Epidermis auch in die basale Schicht integriert
werden und somit nicht ausschließlich als sehr kurzzeitiges „Wachstumsfaktor-Reservoir”
dienen [6]. Diese Befunde eröffnen die Möglichkeit, Vitalität, Lebensdauer und Proliferations-
und Differenzierungspotenzial von gentechnologisch modifizierten Keratinozyten in
den ersten Tagen nach der Transplantation zu studieren, z. B. von Keratinozyten, die
einen Wachstumsfaktor überproduzieren (Abb. [5]).
Abb. 5 Schema der Applikation von transgenen Zellen auf das Organkultur-Modell.
Mit dem Modell lässt sich auch der Einfluss weiterer Substanzen und Materialien auf
die Wundheilung testen, die so präklinisch vorgeprüft werden können.
Auch Eigenschaften und Wechselwirkungen von Wachstumsfaktoren, die meist aus der Zellkultur
bekannt sind, sind im Gewebeverband der Epidermis weiter zu untersuchen. Dies ist
von Bedeutung, da in der Wundheilung eine Vielzahl von Wachstumsfaktoren zeitlich
streng koordiniert involviert sind. Detaillierte Kenntnisse dieser Abläufe ermöglichen
eine geeignete Zugabe solcher Faktoren in optimaler Konzentration und Darreichungsform.
Ein anderer Aspekt sind die modernen Wundauflagen. Bereits seit langem wird von modernen
Wundauflagen mehr erwartet als nur Verbände. Das Sekret soll aufgenommen, der Wundgrund
soll optimiert werden, die Wundheilung gefördert und die Narbenbildung verringert
bzw. verhindert werden. Zytotoxische Zusätze oder Milieus sind zu vermeiden.
Die Limitierung des Modells, nämlich das Fehlen einer systemischen Beteiligung, z.
B. des Immunsystems bzw. des Blutpfropfs in der ersten Wundheilungsphase, kann z.
T. durch entsprechende externe Zugaben ausgeglichen werden. In gewisser Weise spiegelt
das Modell - durch Abwesenheit oder Reduktion wichtiger Agenzien der spontanen Wundheilung
- auch die Situation bei chronischen schlecht durchbluteten Wunden wider. Dort sind
oft die Entzündung und ihre Mediatoren unterdrückt. Im Hautorgan-Kulturmodell fehlt
sowohl die optimale Nährstoffzufuhr über das Blut als auch die Entzündung und Immigration
hämatogener Zellen. Es ist somit auch geeignet für die Untersuchung chronischer Wunden
und vor allem für die Entwicklung von Strategien, diese mangelnde Nährstoffzufuhr
extern zu überwinden, u. a. durch Neoangigenese.
Eine Zukunft im Studium der epidermalen Wundheilung werden auch die menschlichen Hautäquivalente
haben, ein Gebiet, dessen Erforschung wir ebenfalls großen Raum beimessen. Allerdings
ist der Nachteil bei den bisher entwickelten und zum Teil auch kommerziell erhältlichen
Hautäquivalenten, dass sie weder Hautanhangsgebilde, z. B. Haare, Schweißdrüsen und
Talgdrüsen, noch nicht-keratinozytäre epidermale Zellen (Melanozyten, Merkelzellen,
Langerhans-Zellen) enthalten und somit die Situation in vivo auch nur begrenzt widerspiegeln
[11]. Geht man doch davon aus, dass die Anwesenheit von Haarfollikeln in der Nähe einer
Wunde zur starken Beschleunigung der Heilung führt; ähnliches gilt für die Schweißdrüsen.
Bevor die Hautäquivalente gleichwertig zu menschlicher Haut in der Wundheilungsforschung
eingesetzt werden können, müssen diese Einschränkungen erst beseitigt werden.
Unser System ist im Moment ein praktikables, um relativ nahe an der In-vivo-Situation
der menschlichen Epidermis die Aspekte der epidermalen Wundheilung zu untersuchen
und wundheilungsfördernde Pharmaka, Wachstumsfaktoren oder Wundverbände vorzutesten
und auf diese Weise wichtige Fragestellungen unserer Zeit zu bearbeiten.