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DOI: 10.1055/s-2002-32699
Dünndarm-Röntgen vor dem Aus?
Is it all over with x-ray small intestine imaging?Publication History
Publication Date:
08 July 2002 (online)
Nun droht auch die letzte Bastion der konventionellen Röntgendiagnostik der gastrointestinalen Hohlorgane zu fallen: „der Sellink”. Waren bereits in letzter Zeit immer weniger Kontrastuntersuchungen des Dünndarms angefordert worden, so scheint jetzt das Aus für die Intestinographie gekommen zu sein. Die Gründe für den Rückgang der Zahl der Doppelkontrastuntersuchungen in den vergangenen Jahren sind vielfältig und sowohl bei den zuweisenden Klinikern wie den Radiologen zu suchen. Erstere haben die Endoskopie des Dünndarms beständig intensiviert und verfeinert und darüber hinaus die Ultraschalluntersuchung des Organs perfektioniert. Letztere haben mit der Entwicklung der dedizierten Schnittbilddiagnostik des Dünndarms (Sellink-CT, MR-Sellink) attraktive methodische Alternativen zur herkömmlichen Projektionsradiographie geschaffen. Aktuell zugespitzt hat sich die Krise der Intestinographie jedoch durch die Video-Kapselendoskopie des Dünndarms. Die dazu erforderliche Miniaturkamera wird von einem in Israel ansässigen Unternehmen produziert und ist im Mai 2001 auf dem amerikanischen Gastroenterologenkongress der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Das Instrument ist inzwischen von der FDA und der entsprechenden europäischen Behörde in London zugelassen worden und wird in Deutschland an mehr als 30 gastroenterologischen Zentren getestet. Die Kapselendoskopie des Dünndarms wurde allerdings bisher nicht in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen aufgenommen.
Noch vor wenigen Jahren hat kaum jemand mit einer ernsthaften Gefahr für den Fortbestand der radiologischen Dünndarmdiagnostik gerechnet. Das Enteroklysma war bei den klinischen Partnern als Methode der Wahl zur Gewinnung funktioneller und morphologischer Informationen über Jejunum und Ileum allgemein anerkannt. Wohl erhoben sich immer wieder Stimmen, die die teilweise langen Durchleuchtungszeiten und die - vor allem bei Verlaufskontrollen - hohe Strahlenexposition beklagten. Die beeindruckend gute Qualität kunstgerecht angefertigter Bilder ließ jedoch die strahlenhygienischen Bedenken vielfach in den Hintergrund treten. Auf die hohe Rate negativer, d.h. diagnostisch nicht weiterführender Befunde ist allerdings auch von radiologischer Seite klar hingewiesen und daraus die Forderung nach einer Senkung der Untersuchungsfrequenz abgeleitet worden [1]. Überdies hat die Technik des Dünndarmeinlaufs in den letzten 15 Jahren keine entscheidenden Fortschritte mehr gemacht, sondern den hohen Standard allenfalls gewahrt.
Endoskopie und Ultrasonographie erlauben es den Klinikern, lange Abschnitte des Dünndarms in eigener Regie, d. h. ohne Hilfe des Radiologen zu explorieren. Das proximale Jejunum und das distale Ileum können mit den dafür konzipierten Geräten komplett gespiegelt werden. Vor allem bei Polyposis intestini und okkulten gastrointestinalen Blutungen wird vielfach der Enteroskopie der Vorzug vor der Röntgenuntersuchung gegeben. Die heute weit verbreiteten so genannten Push-Endoskope verfügen über einen Arbeitskanal, so dass nicht nur die suspekten Läsionen biopsiert, sondern auch therapeutische Interventionen (z. B. Elektrokoagulation dysplastischer Gefäße) durchgeführt werden können. Falls der Patient an den Chirurgen überwiesen wird, verzichtet man in einer Reihe von Fällen auf die Röntgendarstellung und verlässt sich auf die intraoperative Enteroskopie.
Das Urteil des Ultraschalldiagnostikers über die Peristaltik des Dünndarms kommt der Aussage des Radiologen über die Motilität des Organs heute sehr nahe. Subtile Untersuchungstechnik und ein hochauflösendes Gerät vorausgesetzt, können fast alle Segmente suffizient untersucht werden. Die besonderen Vorteile der Ultraschalldiagnostik für die Diagnose von Dünndarmerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen liegen auf der Hand. Aber auch die Primär- und Rezidivdiagnostik des M. Crohn im Erwachsenenalter wird durch den Ultraschall gefördert. Lediglich die Dokumentation der Befunde kann noch nicht in jedem einzelnen Fall überzeugen.
Die Kapselendoskopie tritt sowohl zur konventionellen Endoskopie wie zur Röntgenuntersuchung in Konkurrenz. Die Chipkamera liefert beim Transport durch den Dünndarm etwa sechs Stunden lang je zwei Bilder pro Sekunde. Für die Auswertung wird das Datenmaterial (etwa 50 000 Bilder) zu einem 20 Minuten-Video komprimiert. Das Verfahren wird inzwischen bei allen Erkrankungen des Dünndarms indiziert, die mit herkömmlichen Methoden nicht oder nicht ausreichend geklärt werden können. Dazu zählen vor allem Blutungen (aus Angiodysplasien oder Tumoren), chronische Entzündungen und die familiäre Polyposis. Es können allerdings nur Patienten untersucht werden, bei denen man keine Stenosen oder Divertikel erwartet. Auch die diabetische Gastroparese und die intestinale Pseudoobstruktion gelten als Kontraindikationen. Appleyard et al. [2] haben die Überlegenheit der Kapselendoskopie im Vergleich mit der Push-Enteroskopie im Tierversuch demonstriert. Die Zwischenresultate der laufenden klinischen Studien weisen in die gleiche Richtung [3]. Noch teilt die Kapselendoskopie mit der Röntgenuntersuchung das Manko des Unvermögens zur Entnahme von Gewebsproben. Vielleicht wird eine weiterentwickelte Version der Chipkamera aber in der Lage sein, suspekte Schleimhautläsionen automatisch zu detektieren und selbständig zu biopsieren.
Die Einführung der neuen endoskopischen Technik fällt mitten in die Phase des Übergangs von der Röntgenkontrastdarstellung zur MR-Tomographie des Dünndarms. Dort, wo die sophistizierte Schnittbildtechnik etabliert ist, hat sie den Dünndarmeinlauf bereits weitgehend abgelöst. Nahezu alle gegenwärtig noch verbliebenen Indikationen zur Röntgendarstellung wird die Kapselendoskopie absorbieren - und zwar vermutlich sehr schnell. Sieht man von den Patienten ab, bei denen allgemeine Kontraindikationen zur Kapselendoskopie und/oder MRT bestehen, bleiben dem Dünndarmeinlauf nur noch wenige Patienten erhalten. Innerhalb dieser Minorität wird die chirurgische Klientel (z. B. einmal oder mehrfach operierte Patienten mit stenosierendem und/oder fistelndem M. Crohn) die internistische klar dominieren.
Literatur
- 1 Georgi M, Mai S, Misri H, Jungius K P. Stand und Perspektiven der konventionellen radiologischen Diagnostik des Gastrointestinaltrakts. Fortschr Röntgenstr. 1998; 169 453-458
- 2 Appleyard M, Fireman Z, Glukhovsky A, Jacob H, Shreiver R, Kardirkamanathan S, Lavy A, Lewkowicz S, Scapa E, Shofti R, Swain P, Zaretsky A. A randomized trial comparing wireless capsule endoscopy with push enteroscopy for the detection of small-bowel lesions. Gastroenterology. 2000; 119 1431-1438
- 3 Yu M. M2A capsule endoscopy. A breakthrough diagnostic tool for small intestine imaging. Gastroenterol Nurs. 2002; 25 24-27
Prof. Dr. W. Golder
Institut für Klinische Radiologie, DRK Kliniken Berlin, Westend
Spandauer Damm 130
14050 Berlin